Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  9 ZB 20.30296

Datum:
12.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4576
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3, Abs. 4

 

Leitsatz

1. Fehlt es an der Bezeichnung bestimmter und voneinander abweichender Rechtssätze, liegen die Voraussetzungen der Divergenzrüge schon nicht vor. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Stützt sich das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung auf bestimmte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, ist erforderlich, dass das Zulassungsvorbringen zumindest einen überprüfbaren Hinweis auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- oder Erkenntnisquellen enthält, die den Schluss zulassen, dass die aufgeworfene Frage einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich ist und damit einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nur wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 30 K 17.41370 2019-12-06 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Kläger, nach seinen Angaben Staatsangehöriger Sierra Leones, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Mit Urteil vom 6. Dezember 2019 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Der auf sämtliche Zulassungsgründe gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Soweit sich der Kläger auf eine Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) beruft, bleibt der Zulassungsantrag schon mangels substantiierter Darlegung (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) erfolglos.
Eine Divergenz setzt voraus, dass das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil einen Rechtssatz aufgestellt hat, der einem Rechtssatz widerspricht, den eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat der Kläger schon deshalb nicht dargelegt, weil es an der Bezeichnung bestimmter und voneinander abweichender Rechtssätze fehlt (BayVGH, B.v. 12.3.2019 – 9 ZB 17.30411 – juris Rn. 12).
2. Der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor.
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 17.12.2019 – 9 ZB 19.34094 – juris Rn. 3). Dem wird das gesamte Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Der Kläger sieht eine grundsätzliche Bedeutung in der Frage, ob „angesichts der Tatsache, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung am Rande des Existenzminimums lebt, zu dem Vorhanden – oder Nichtvorhandensein von Familienangehörige bzw. einer Großfamilie keine Feststellungen getroffen wurden, davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger zumindest sein Existenzminimum sichern kann oder muss davon ausgegangen werden, dass angesichts der Gesamtumstände und auch den speziellen Umstände beim Kläger (Einschränkung der Arbeitsfähigkeit) bei einer Rückkehr davon ausgegangen werden muss, dass er unter dem Existenzminimum (und somit unter den inländischen Maßstäben unter Verstoß eines selbstbestimmten würdevollen Lebens) bleiben muss“. Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung darauf abgestellt, dass es dem Kläger – trotz körperlicher Einschränkungen – mit überdurchschnittlicher Schulbildung, einem Abschluss im Zusammenhang mit IT und Computerhardware sowie praktischen Erfahrungen gelingen werde, seinen Lebensunterhalt in Sierra Leone zu verdienen. Abgesehen davon, dass das Zulassungsvorbringen dem nicht entgegentritt und keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung aufzeigt, setzt es sich nicht mit den eingeführten Erkenntnismitteln auseinander. Stützt sich das Verwaltungsgericht – wie hier – bei seiner Entscheidung auf bestimmte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, ist erforderlich, dass das Zulassungsvorbringen zumindest einen überprüfbaren Hinweis auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- oder Erkenntnisquellen enthält, die den Schluss zulassen, dass die aufgeworfene Frage einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich ist und damit einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf (BayVGH, B.v. 11.12.2019 – 9 ZB 19.34164 – juris Rn. 5).
3. Die im Zulassungsvorbringen angeführte Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) liegt nicht vor.
a) Die Rüge, das Verwaltungsgericht sei auf den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung am 5. Dezember 2019 vorgelegten Zeitungsartikel in den Urteilsgründen nicht eingegangen, führt nicht zum Erfolg.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht gemäß Art. 103 Abs. 1 GG sichert den Beteiligten im gerichtlichen Verfahren ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist aber nicht verpflichtet, auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe des Verfahrens vorgebracht worden sind. Nur wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2019 – 9 ZB 19.31904 – juris Rn. 4 m.w.N.). So liegt der Fall aber hier.
Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass keine landesweite, schutzrelevante Bedrohung des Klägers gegeben ist und stützt sich hierzu auf in den Urteilsgründen angegebene Erkenntnismittel. Abgesehen davon, dass das Zulassungsvorbringen dem nicht entgegentritt, lässt sich dem Zulassungsvorbringen auch nicht entnehmen, inwieweit der Zeitungsartikel über das persönliche Schicksal einer anderen Person, entscheidungserhebliches hierzu enthält.
Soweit sich dem Zulassungsvorbringen insoweit eine Aufklärungsrüge entnehmen lassen könnte, führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg des Antrags. Art. 103 Abs. 1 GG statuiert keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2018 – 1 BvR 1011/17 – juris Rn. 16). Ein (behaupteter) Verstoß gegen die umfassende Aufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist kein in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel und vermag somit die Zulassung der Berufung nicht zu rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2019 – 9 ZB 19.31904 – juris Rn. 3). Ein beachtlicher Verfahrensfehler kann ausnahmsweise zwar dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (vgl. BayVGH, B.v. 24.6.2019 – 15 ZB 19.32283 – juris Rn. 17 m.w.N.; B.v. 8.5.2018 – 20 ZB 18.30551 – juris Rn. 2 m.w.N.). Demgemäß kommt eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG in Betracht, soweit das Gericht eine Beweisanregung nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat oder ihr nicht gefolgt ist, obwohl sich dies hätte aufdrängen müssen (BVerwG, B.v. 4.3.2014 – 3 B 60.13 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 1.10.2019 – 9 ZB 19.33217 – juris Rn. 8). Dass ein solcher Mangel vorliegt, zeigt der Zulassungsantrag aber nicht auf, zumal auch keinerlei Ausführungen zum Inhalt des Zeitungsartikels und dessen inhaltlichem Bezug zum Verfahren des Klägers gemacht werden.
b) Der Kläger kann einen Gehörsverstoß auch nicht mit Erfolg darauf stützen, dass das Verwaltungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen habe, ob der Kläger im Fall seiner Rückkehr mit Unterstützung einer Familie bzw. durch Freunde rechnen könne. Eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht statuiert Art. 103 Abs. 1 GG – wie bereits oben ausgeführt – nicht (vgl. auch BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 10). Wie bereits ausgeführt, ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger in der Lage sein werde, sein Existenzminimum eigenständig zu sichern.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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