Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  10 ZB 19.1564

Datum:
30.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21162
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, 4, § 124a Abs. 4 S. 4
AufenthG § 11 Abs. 3, § 53
StGB § 64

 

Leitsatz

1 Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils iSd § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2 Um den Zulassungsgrund der Divergenz darzulegen, muss der Kläger einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechts- oder Tatsachensatz bezeichnen, mit dem die Vorinstanz von einem in der Rechtsprechung eines übergeordneten Gerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift abgewichen ist. Die divergierenden Sätze sind einander so gegenüberzustellen, dass die Abweichung erkennbar wird. Es genügt nicht, wenn in der angegriffenen Entscheidung ein in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt worden ist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 24 K 18.6151 2019-06-27 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Ausweisungsbescheid der Beklagten vom 29. November 2018 weiterverfolgt, ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag (§ 124a Abs. 4 VwGO) ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch eine Divergenz im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (2.) bzw. sind schon nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die angefochtene Ausweisung gemäß §§ 53 ff. AufenthG als rechtmäßig erachtet, weil das persönliche Verhalten des Klägers gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich sei. Hinsichtlich der anzunehmenden Wiederholungsgefahr stellte das Verwaltungsgericht neben der Anlasstat auf die zahlreichen vorangegangenen Verurteilungen des Klägers ab. Die notorische Straffälligkeit sei geprägt von Straftaten zur Finanzierung der beim Kläger seit dem 17. Lebensjahr bestehenden Betäubungsmittelsucht. Trotz mehrerer stationärer und nichtstationärer Drogentherapien sei der Kläger wiederholt rückfällig geworden. Die derzeit im Maßregelvollzug angeordnete Drogentherapie ändere an der Prognoseeinschätzung nichts, weil jene nicht abgeschlossen sei und sich der Kläger auch noch nicht außerhalb von Haft bzw. Maßregelvollzug bewährt habe. Das Ausweisungsinteresse überwiege das Bleibeinteresse. Der 41-jährige, im Bundesgebiet geborene Kläger genieße zwar die Stellung eines sog. faktischen Inländers. Allerdings sei er sein gesamtes Jugendlichen- und Erwachsenenleben durchgehend straffällig gewesen, wobei seine Drogensucht wesentliches Motiv der Beschaffungskriminalität gewesen sei. Die Befristungsentscheidung sei ermessensfehlerfrei getroffen worden.
Im Zulassungsverfahren bringt der Kläger demgegenüber vor, eine Wiederholungsgefahr sei nicht anzunehmen, weil er erstmals im Rahmen einer Unterbringung nach § 64 StGB eine Therapie absolviere, welche sehr gut verlaufe. Im Bezirkskrankenhaus sei bereits die „C-Stufe“ beantragt worden. Es werde in Kürze ein erfolgreicher Abschluss der Therapie erwartet. Die Befristungsentscheidung von fünf Jahren sei unangemessen hoch. Der Kläger sei faktischer Inländer und habe sein gesamtes Leben in der Bundesrepublik verbracht, wo er auch sein soziales Umfeld habe.
Damit wird die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils jedoch nicht ernstlich in Zweifel gezogen. Denn das Verwaltungsgericht hat berücksichtigt, dass die Straftaten des Klägers zu einem wesentlichen Teil auf seiner Betäubungsmittelabhängigkeit beruhten, und den Umstand, dass der Kläger im angeordneten Maßregelvollzug in Drogentherapie ist, zu seinen Gunsten gewertet. Gleichwohl hat es bei seiner Gefahrenprognose unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 8.4.2019 – 10 ZB 18.2284 – juris Rn. 12 m.w.N.; B.v. 6.6.2019 – 10 C 19.801 – juris Rn. 7; U.v. 23.7.2019 – 10 B 18.2464 – juris Rn. 27; B.v. 26.7.2019 – 10 ZB 19.1207 – juris Rn. 25 m.w.N.) auf die noch nicht abgeschlossene Therapie und die fehlende hinreichende Bewährungszeit nach Therapieende sowie die wiederholten Rückfälle nach früheren Drogentherapien verwiesen. Es hat vor diesem Hintergrund zutreffend festgestellt, dass nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung des Klägers geschlossen werden könne, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde. Selbst wenn zugunsten des Klägers von einem positiven Verlauf der derzeit zu absolvierenden Therapie ausgegangen würde, ist vorliegend in den Blick zu nehmen, dass sich sein diesbezügliches Vorbringen auf die derzeitige Situation im Rahmen des Maßregelvollzugs bezieht und sich daraus keine belastbaren Aussagen darüber entnehmen lassen, wie sich der Kläger ohne die Protektivfaktoren einer stationären Unterbringung in der Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB verhalten wird. Das Verwaltungsgericht hat daher ohne Rechtsfehler die nach wie vor bestehende Wiederholungsgefahr bejaht. Entgegen seinem Vortrag befand sich der Kläger im Übrigen schon einmal in Unterbringung nach § 64 StGB, ist aber ein bis zwei Jahre danach wieder rückfällig geworden (s. hierzu Bl. 325, 343, 368, 373, 381, 476 der Behördenakte).
Soweit der Kläger „die Frist von 5 Jahren (als) unangemessen“ erachtet, wird schon nicht den Anforderungen des § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt, weshalb die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts ernstlich in Frage gestellt wird. Jedenfalls übersieht der Kläger, soweit er sich auf seiner Ansicht nach zu seinen Gunsten zu berücksichtigende Umstände (faktischer Inländer) beruft, dass die Entscheidung über die Länge der Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung im Ermessen der Beklagten steht (§ 11 Abs. 3 AufenthG in der damaligen Fassung bzw. § 11 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 AufenthG in der seit 21.8.2019 geltenden Fassung) und diese gemäß § 114 VwGO nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist. Inwiefern das Gericht hierbei rechtfehlerhaft vorgegangen sein soll, wird vom Kläger in seiner Zulassungsbegründung nicht dargetan.
2. Soweit der Kläger als weiteren Zulassungsgrund § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO benennt (s. Schriftsatz v. 8.8.2019, S. 3 oben), fehlt es ebenfalls an einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Begründung. Denn um den Zulassungsgrund der Divergenz darzulegen, muss der Kläger einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechts- oder Tatsachensatz bezeichnen, mit dem die Vorinstanz von einem in der Rechtsprechung eines übergeordneten Gerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift abgewichen ist. Die divergierenden Sätze sind einander so gegenüberzustellen, dass die Abweichung erkennbar wird (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 22.3.2019 – 10 ZB 18.2598 – juris Rn. 18; B.v. 18.4.2019 – 10 ZB 18.2660 – juris Rn. 9 m.w.N.). Es genügt nicht, wenn in der angegriffenen Entscheidung ein in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt worden ist (BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35.16 – juris Rn. 12 m.w.N).
Diesen Anforderungen wird die Zulassungsbegründung nicht ansatzweise gerecht. Der Kläger arbeitet keine tragende Rechts- oder Tatsachensätze heraus oder benennt solche.
Auch soweit der Kläger der Sache nach Richtigkeitszweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO anbringt, weil er meint, dass „rechtfehlerhaft“ von einem das Bleibeinteresse überwiegenden Ausweisungsinteresse ausgegangen worden sei, dringt er damit nicht durch. Denn insofern fehlt es bereits an einer substantiierten Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird (vgl. BayVGH, B.v. 2.7.2019 – 20 ZB 18.1040 – juris Rn. 6 m.w.N.). Sowohl die Stellung des Klägers als sog. faktischer Inländer wie auch seine persönlichen Beziehungen im Bundesgebiet wurden vom Verwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung gewürdigt und zu seinen Gunsten berücksichtigt (s. UA Rn. 51). Das Gericht hat jedoch ausführlich dargelegt und begründet, weshalb trotz dieser für den Kläger sprechenden Umstände das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse überwiegt und warum es auch unter Berücksichtigung von Art. 6 und 2 Abs. 1 GG sowie Art. 8 EMRK die Ausweisung als verhältnismäßig erachtet. Hierzu verhält sich das Zulassungsvorbringen indes nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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