Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung gegen asylrechtliches Urteil mangels Grundsatzbedeutung (Äthiopien)

Aktenzeichen  8 ZB 19.30755

Datum:
11.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 6097
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 1, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4, § 79 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1, § 128a Abs. 1

 

Leitsatz

Eine Abschiebungsverbot kann dann bestehen, wenn ein Ausländer im Zielstaat der Abschiebung seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält; einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung ist das Erfordernis, dass ein gewisses Mindestmaß an Schwere erreicht sein muss, nicht zugänglich (Anschluss an BVerwG BeckRS 2018, 20119). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 17.31265 2019-01-22 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Der von dem Kläger allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor bzw. ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 4 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 30.9.2015 – 1 B 42.15 – juris Rn. 3). Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers nicht.
1. Die vom Kläger aufgeworfene Frage,
„ob die Eigenschaft der äthiopischen Ethnie der Oromo als unterdrückte Minderheit in Äthiopien grundsätzlich die Gefahr einer Verfolgung durch den Staat i.S. des § 3 AsylG zur Folge hat“,
vermag eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht zu begründen. Abgesehen davon, dass der Kläger mit dem Vorbringen, er sei wegen seiner Zugehörigkeit zu der ethnischen Gruppe der Oromo in Äthiopien nach § 3 b Abs. 1 Nr. 1 AsylG von Verfolgung bedroht, nach § 79 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 128 a Abs. 1 VwGO in einem Berufungsverfahren präkludiert sein dürfte, weil er diesen Gesichtspunkt – trotz entsprechender Rechtsmittelbelehrungim angegriffenen Bescheid vom 16. Februar 2017 – nicht innerhalb der Frist des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG im erstinstanzlichen Verfahren, sondern erstmals im Zulassungsverfahren geltend gemacht hat, war die Frage für die Entscheidung des Verwaltungsgericht nicht von Bedeutung. Das Verwaltungsgericht hat sich mit der Frage einer möglichen Gruppenverfolgung der Volkszugehörigen der Oromo nicht befasst und musste dies mangels entsprechenden Klagevortrags auch nicht tun. Eine Rechts- oder Tatsachenfrage, die sich für die Vorinstanz nicht gestellt hat oder auf die sie nicht entscheidend abgehoben hat, kann aber regelmäßig – und auch hier – nicht zur Zulassung der Berufung führen (vgl. BVerwG, B. v. 21.12.2017 – 9 B 65.16 – Rn. 6; vom 12.4.2018 – 9 BN 1.17 – juris Rn. 14 jeweils zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
2. Die vom Kläger weiter aufgeworfene Frage,
„ob Männer wie der Kläger, der über kein ihn tragendes soziales Netzwerk in Äthiopien verfügt, sich in Äthiopien ein menschenwürdiges Existenzminimum erwirtschaften könnte, oder ob nicht vielmehr ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK einschlägig ist, weil es ihm nicht gelingen kann, die elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu befriedigen (BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 – 13a B 14.30285) und die aus den zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist“,
ist einer grundsätzlichen Klärung i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht zugänglich. Sie entzieht sich einer generellen, fallübergreifenden Klärung, weil sie nicht losgelöst von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls beantwortet werden kann. Dies bringt der Kläger bereits selbst zum Ausdruck, indem er bei seiner Fragestellung auf eine „Intensität“ der „Gefährdungen im Einzelfall“ abstellt.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können nach gefestigter Rechtsprechung im Ausnahmefall ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – AuAS 2015, 43 = juris LS und Rn. 17; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 Rn. 23, 25; B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 8). Dies setzt aber voraus, dass im Zielstaat der Abschiebung das für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erforderliche Mindestmaß an Schwere erreicht wird. Das kann der Fall sein, wenn ein Ausländer im Zielstaat seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält. Einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung ist das Erfordernis, dass ein gewisses Mindestmaß an Schwere erreicht sein muss, nicht zugänglich. Vielmehr bedarf es insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris LS 1 und Rn. 9, 11).
Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen solcher extremer Lebensbedingungen mit Blick auf die Jugend, Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und die Berufserfahrungen des Klägers in Äthiopien als Taxifahrer sowie seine Kontakte im Rahmen seiner Großfamilie verneint (vgl. Urteilsabdruck Rn. 32). Soweit der Kläger hiergegen unter Anführung entsprechender Internet-Veröffentlichungen u.a. vorbringt, dass die humanitäre Situation in Äthiopien schwierig sei, dass das Land zu den ärmsten Ländern weltweit zähle (BIP pro Einwohner und Jahr von 910,- Euro), dass die Arbeitslosenquote in Äthiopien 21% betrage und dass 40% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebten, zeigt er keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auf, sondern wendet sich der Sache nach gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Damit wird kein Berufungszulassungsgrund im Sinn von § 78 Abs. 3 AsylG benannt (vgl. BayVGH, B.v. 25.7.2018 – 8 ZB 18.31802 – juris Rn. 7; B.v. 31.10.2018 – 8 ZB 17.30339 – juris Rn. 9 ff.). Gleiches gilt, soweit er auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 21. November 2014 (Az.: 13a B 14.30285 – InfAuslR 2015, 212) Bezug nimmt, mit dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in einem besonderen Einzelfall verpflichtet wurde, einem alleinstehenden Elternteil ohne familiäre Beziehungen in Afghanistan das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistan festzustellen. Durch Mängel der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann allenfalls der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt sein, allerdings nur dann, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, insbesondere wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2018 – 9 B 11.17 – juris; B.v. 12.3.2014 – 5 B 48.13 – NVwZ-RR 2014, 660 = juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 21 ZB 18.30867 – Rn. 4). Dass ein solcher Mangel hier vorliegt, zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.
3. Auch die Frage,
„ob die, wenn auch mutmaßliche, Mitgliedschaft eines Verwandten des Klägers in der ULF (gemeint wohl: OLF) eine Gefahr willkürlicher Verhaftungen und Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung des Klägers als Familienangehörigen eines mutmaßlichen ULF-Mitglieds (gemeint wohl: OLF-Mitglieds) gem. § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nach sich zieht“,
entzieht sich einer generellen, fallübergreifenden Klärung. Sie kann nur auf der Grundlage der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beantwortet werden. Darüber hinaus hat der Kläger insoweit in keiner Weise dargetan, inwiefern diese Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig sein soll.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

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