Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung in asylrechtlicher Streitigkeit

Aktenzeichen  9 ZB 18.50045

Datum:
28.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21912
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Art. 17
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3

 

Leitsatz

Es ist nicht überraschend, dass das Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit eines Dublin-Bescheides unter allen rechtlichen Gesichtspunkten prüft und somit auch Ausführungen zu zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen macht.  (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 6 K 18.50471 2018-06-12 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung des Klägers zu 1 wird abgelehnt. Die Anträge auf Zulassung der Berufung der Klägerinnen zu 2 und 3 werden verworfen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens zu je einem Drittel. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Kläger sind türkische Staatsangehörige. Die Kläger zu 1 und 2 reisten im Dezember 2017 mit gültigem Schengen-Visum, ausgestellt von der Republik Österreich, auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Das Übernahmeersuchen für die Kläger an Österreich wurde von dort am 14. März 2018 angenommen. Die Kläger begehren, dass die Beklagte von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte mit Bescheid vom 16. März 2018 die Anträge als unzulässig ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen. Zudem wurde die Abschiebung nach Österreich angedroht. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 12. Juni 2018 ab. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung des Klägers zu 1 ist unbegründet; es liegt kein nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO erheblicher Verfahrensmangel vor. Die Anträge auf Zulassung der Berufung der Klägerinnen zu 2 und 3 sind unzulässig.
1. Der hinsichtlich des Klägers zu 1 allein geltend gemachte Zulassungsgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) ist nicht gegeben, weil das Verwaltungsgericht keine überraschende Entscheidung getroffen hat.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht gemäß Art. 103 Abs. 1 GG sichert den Beteiligten im gerichtlichen Verfahren ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist aber nicht verpflichtet, auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe des Verfahrens vorgebracht worden sind. Nur wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war. Art. 103 Abs. 1 GG enthält darüber hinaus ein Verbot von Überraschungsentscheidungen (BayVGH, B.v. 26.10.2016 – 9 NE 16.1860 – juris Rn. 2 m.w.N.). Ein unzulässiges „Überraschungsurteil“ liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BayVGH B.v. 21.3.2013 – 9 ZB 11.30284 – juris Rn. 3 m.w.N.). Der Kläger trägt vor, die Wertung des Verwaltungsgerichts, die Kläger hätten weder vorgetragen noch sei sonst ersichtlich, dass zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote vorliegen, sei überraschend erfolgt; der Kläger hätte sonst außergewöhnliche humanitäre Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts wegen Zugehörigkeit zur Gülen-Bewegung in seinem Heimatland angeführt. Daraus ergibt sich die behauptete Verletzung rechtlichen Gehörs aber nicht.
Abgesehen davon, dass der anwaltlich vertretene Kläger zu 1 in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 12. Juni 2018 informatorisch gehört wurde und Gelegenheit zu Ausführungen hatte, ist der Asylbewerber selbst für die Darlegung seiner Asylgründe verantwortlich (BVerwG, B.v. 26.11.2001 – 1 B 347.01 – juris Rn. 5 m.w.N.). Nach der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 12. Juni 2018 hat der Kläger zu 1 hinsichtlich der Gründe, weshalb sie nicht wollen, dass ihre Asylverfahren in Österreich durchgeführt werden, darauf verwiesen, dass diese dem Gericht bekannt sind. Dementsprechend setzt sich das Verwaltungsgericht in den Urteilsgründen auch umfassend mit dem von den Klägern geltend gemachten Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin-III-VO auseinander. Es ist nicht überraschend, dass das Verwaltungsgericht das Begehren des Klägers und die Rechtmäßigkeit des Bescheides des Bundesamts vom 16. April 2018 unter allen rechtlichen Gesichtspunkten prüft und somit auch Ausführungen zu zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen macht. Eine Pflicht des Verwaltungsgerichts, die anwaltlich vertretenen Kläger dabei unter allen möglichen rechtlichen Gesichtspunkten zu beraten, besteht darüber hinaus nicht (vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2016 – 9 ZB 13.2539 – juris Rn. 24 m.w.N.).
Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse sind Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung – hier Österreich – drohen (vgl. BVerwG, U.v. 11.11.1997 – 9 C 13.96 – juris Rn. 8). Das Verwaltungsgericht setzt sich in seinem Urteil ausführlich mit dem vorübergehenden Abschiebungshindernis aufgrund der am 22. März 2018 im Bundesgebiet neugeborenen Tochter der Kläger zu 1 und 2 auseinander. Soweit das Zulassungsvorbringen anführt, die Zugehörigkeit des Klägers zu 1 zur Gülen-Bewegung stelle einen außergewöhnlichen humanitären Grund dar, der einer Abschiebung entgegenstehe und die Beklagte zum Selbsteintritt verpflichte, ist nicht dargelegt, dass dies nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts bezüglich einer Abschiebung nach Österreich entscheidungserheblich war. Mit dem pauschalen Vortrag, die Kläger hätten bei Zweifel des Verwaltungsgerichts am Vorbringen im Zusammenhang mit dem Selbsteintrittsrecht die genaueren Umstände ihrer Flucht und Gründe gegen eine Überstellung nach Österreich schildern können und vorgetragen, die Anhänger der Gülen-Bewegung würden derzeit in vielen Ländern verfolgt, in Deutschland jedoch aufgrund der guten Vernetzung eine hohe Sicherheit genießen, wendet sich das Zulassungsvorbringen vielmehr im Gewand einer Gehörsrüge gegen die Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht; damit wird jedoch kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund angesprochen (vgl. BayVGH, B.v. 9.11.2017 – 9 ZB 17.30403 – juris Rn. 9).
2. Die Anträge auf Zulassung der Berufung der Klägerinnen zu 2 und 3 sind unzulässig, da es bereits an der Darlegung von Zulassungsgründen fehlt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Dem Zulassungsvorbringen, das ausschließlich auf den Kläger zu 1 abstellt, lassen sich keine relevanten Ausführungen betreffend die Klägerinnen zu 2 und 3 entnehmen, so dass deren Anträge bereits aus diesem Grund in entsprechender Anwendung von § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu verwerfen sind (vgl. BayVGH, B.v. 2.10.2015 – 9 ZB 15.30097 – juris Rn. 3). Sofern der Antrag auf Zulassung der Berufung – entgegen seiner Einschränkung bei der Wortwahl – auch auf die Klägerinnen zu 2 und 3 zu beziehen wäre, bleibt er jedenfalls aus den oben genannten Gründen ebenfalls erfolglos.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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