Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung in asylrechtlicher Streitigkeit

Aktenzeichen  20 ZB 17.30363

Datum:
13.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7829
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3e, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

1 In der Region Telkef besteht aktuell kein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Zumutbarkeit einer inländischen Fluchtalternative ist einzelfallbezogen zu prüfen. Das Ergebnis der Prüfung kann innerhalb eines Familienverbandes für jede betroffene Person unterschiedlich ausfallen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 K 16.31547 2017-02-10 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ist unbegründet, weil die als Zulassungsgrund geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht vorliegt.
1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten (Klärungsfähigkeit) und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (Klärungsbedürftigkeit; vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Diese Voraussetzungen liegen bezüglich der von dem Kläger aufgeworfenen Fragen nicht vor.
a) Der Kläger wirft als grundsätzlich klärungsbedürftig zunächst die Fragen auf:
„Droht in der Stadt Telkef (Tel Keppe) bzw. in der Provinz Ninewa aufgrund eines bewaffneten Konfliktes eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit eine[r] Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes?
Stellt daher Telkef (Tel Keppe) bzw. die Provinz Ninewa eine innerstaatliche Fluchtalternative da[r]?“
Damit will der Kläger bei verständiger Würdigung (§ 88 VwGO) geklärt haben, ob es einer Zivilperson trotz der ihr dort ggf. drohenden Gefahr eines ernsthaften Schadens infolge eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zumutbar ist, auf die Provinz Ninive bzw. die dazu gehörende Stadt Telkef als innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne der §§ 3e, 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG verwiesen zu werden. Diese Frage war auch für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich, denn es hat offen gelassen (UA S. 8), ob in der Herkunftsregion des Klägers ein regionaler innerstaatlicher oder internationaler bewaffneter Konflikt festgestellt werden kann, und hat es dem Kläger ausdrücklich zugestanden, dass aufgrund der im Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) geplanten Bemühungen um eine Rückeroberung von Mossul vom sog. Islamischen Staat (IS) mit einer Verdichtung der Gefahrensituation in dieser Region zu rechnen sei. Sodann hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung, dass dem Kläger der begehrte subsidiäre Schutzstatus nicht zustehe, auf die Erwägung gestützt, dass dem Kläger eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in der – ebenfalls in der Provinz Ninive, etwa 20 km nordöstlich der Provinzhauptstadt Mossul gelegenen – Stadt Telkef zur Verfügung stehe, weil dort seine Eltern lebten (UA S. 9). Die Frage, ob dem Kläger diese vom Verwaltungsgericht angenommene Fluchtalternative wegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG unzumutbar ist, bedarf jedoch keiner Klärung in einem Berufungsverfahren. Denn in dem für den Senat gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung über den Antrag auf Berufungszulassung kann in der Region Telkef nicht mehr von einem bewaffneten innerstaatlichen Konflikt ausgegangen werden (vgl. zur Definition BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 20 B 15.30110 – juris Rn. 24 m.w.N.). Die Stadt Telkef wurde in der Schlacht von Mossul von Oktober 2016 bis Juli 2017 durch zentralirakische Streitkräfte mit Unterstützung der kurdischen Peschmerga vom sog. IS befreit und befindet sich aktuell unter der Kontrolle der irakischen Regierungstruppen (vgl. zum Ganzen Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, Stand Dezember 2017, S. 9; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Irak v. 24.8.2017, S. 7; Migrationsverket, Lifos – Centre for Country of Origin Information and Analysis, The Security Situation in Iraq: July 2016 – November 2017, S. 24 ff.). Mittlerweile haben sich in der Provinz Ninewa, dem Herkunftsgebiet des Klägers, die kurdischen Peschmerga vor den heranrückenden irakischen Streitkräften (und Volksmobilisierungseinheiten) zurückgezogen. Bis auf Einzelfälle wurden keine Konfrontationen zwischen den jeweiligen Streitkräften gemeldet (vgl. hierzu Lifos a.a.O., S. 29; zum Ganzen BayVGH, B.v. 22.1.2018 – 20 ZB 18.30667).
b) Des Weiteren stellt der Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage:
„Stellt es einen Grundrechtsverstoß dar, wenn sich im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidung das Verwaltungsgericht ausschließlich mit individuellen innerstaatlichen Fluchtalternativen der klagenden Partei (hier des Klägers als Familienvater) befasst, ohne sich mit den individuellen innerstaatlichen Fluchtalternativen übrige[r] enger Familienmitglieder der klagenden Partei (hier der Ehefrau des Klägers und den 5 Kindern) in einem parallel beim selben Gericht laufenden Verfahren zu befassen, sodass im Ergebnis zwei verschiedene innerstaatliche Fluchtalternativen vom Verwaltungsgericht benannt werden (hier in Bezug auf den Kläger Teflek [gemeint wohl: Telkef] im kurdisch kontrollierten Gebiet und in Bezug auf die Ehefrau und der 5 Kinder Dohuk im autonomen kurdischen Volksgebiet) mit der Folge, dass die Familie getrennt wird bzw. getrennt werden soll?“
Diese Frage bedarf jedoch nicht der grundsätzlichen Klärung, da sich die Antwort bereits aus dem Gesetz ergibt. Gegenstand eines Asylverfahrens ist grundsätzlich die individuelle Schutzberechtigung eines Antragstellers, die sich nach dem durch § 30 Abs. 2 AsylG vorgegebenen Prüfprogramm u.a. auf die internationale Schutzberechtigung im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG erstreckt, welche wiederum die Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 ff. AsylG sowie den subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG umfasst. Das Vorliegen internen Schutzes bzw. einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative als Ausschlussgrund nach § 3e AsylG, welcher Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie (QRL) umsetzt und gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG auch im Rahmen des subsidiären Schutzes anzuwenden ist, bildet somit ein Element dieses Prüfprogramms. Dabei sind nach § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG die im sicheren Teil des Herkunftslandes vorhandenen allgemeinen Gegebenheiten sowie die persönlichen Umstände des Klägers gemäß Art. 4 QRL zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichtes (§ 77 Abs. 1 AsylG) zu berücksichtigen. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass der Zumutbarkeitsmaßstab über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinausgehe, es hat allerdings offen gelassen, welche weiteren wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 20 m.w.N.). Es handelt sich somit um eine einzelfallbezogene Prüfung, die – wie auch die Entscheidung über die individuelle Schutzberechtigung an sich – im Ergebnis auch innerhalb eines Familienverbandes für jede betroffene Person unterschiedlich ausfallen kann. Dadurch werden auch keine Grundrechte des Klägers verletzt. Ob es diesem im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK zumutbar ist, ohne seine Familienangehörigen in das Herkunftsland bzw. einen bestimmten Teil desselben zurückzukehren bzw. ob es seinen Familienangehörigen zumutbar ist, von ihm getrennt zurückzukehren, wäre ggf. im Rahmen der tatsächlichen Aufenthaltsbeendigung von der Ausländerbehörde zu prüfen.
c) Außerdem hält der Kläger folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:
„Kann einem irakischen Staatsangehörigen, kurdischer Volkszugehörigkeit, der ausschließlich seit Geburt im irakischen Kerngebiet (um Mosul) gelebt hat, eine innerirakische Migration in die autonome Region Kurdistan-Irak zugemutet werden und ihm hieraus der subsidiäre Schutzstatus versagt werden?“
Diese Frage ist jedoch nicht entscheidungserheblich und damit nicht klärungsfähig. Denn das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil zwar einerseits ausgeführt, dass von dem Kläger als kurdischem Volkszugehörigen erwartet werden könne, sich in anderen Gebieten im Norden Kurdistans in der Region Kurdistan-Irak niederzulassen. Andererseits hat das Verwaltungsgericht aber auch darauf abgestellt, dass die Eltern des Klägers (nach seinen Angaben) in Telkef lebten, das in der Provinz Ninive und damit zwar – im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts – faktisch noch im kurdischen Einflussbereich, aber außerhalb der kurdisch verwalteten Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya (Kurdische Autonomieregion) liegt. Das Verwaltungsgericht hat weiter angenommen, dass es dem Kläger zuzumuten sei, Kontakt zu seinen Eltern aufzunehmen und bei ihnen unterzukommen. Sodann legt das Verwaltungsgericht dar, weshalb dem Kläger eine innerirakische Migration in der Region Kurdistan-Irak grundsätzlich möglich sowie unter den Gesichtspunkten der tatsächlichen Erreichbarkeit, der hinreichenden Sicherheit vor der Gefahr eines ernsthaften Schadens sowie der Sicherung des wirtschaftlichen Existenzminimums zumutbar sei. Aus diesen Ausführungen ist somit erkennbar, dass das Verwaltungsgericht hinsichtlich einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative jedenfalls in erster Linie auf die Stadt bzw. Region Telkef abgestellt hat, wenngleich die Unterscheidung zwischen den faktischen kurdischen Einflussgebieten und der Kurdischen Autonomieregion nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt. Dennoch führt der Umstand, dass das Verwaltungsgericht auf Telkef als Fluchtalternative abgestellt hat dazu, dass es auf die Zumutbarkeit einer Fluchtalternative in der Kurdischen Autonomieregion letztlich nicht entscheidungserheblich ankam. Dass der Kläger die Zumutbarkeit der Fluchtalternative anders beurteilt als das Verwaltungsgericht, bedeutet letztlich, dass er ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung geltend macht. Diese sind jedoch im Asylprozess kein Zulassungsgrund (§ 78 Abs. 3 AsylG, vgl. auch BayVGH, B.v. 27.2.2017 – 20 ZB 17.30078 – juris Rn. 3 m.w.N.).
d) Abschließend wirft der Kläger noch die Frage auf:
„Ist eine Abschiebung eines irakischen Staatsangehörigen, kurdischer Volkszugehörigkeit, der ausschließlich im irakischen Staatsgebiet (Kerngebiet) gelebt hat, in die autonome Region Kurdistan völkerrechtlich überhaupt zulässig bzw. grundsätzlich möglich?“
Auch auf diese Frage kommt es nicht entscheidungserheblich an, weil das Verwaltungsgericht den Kläger primär auf eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in seiner Heimatprovinz Ninive und somit außerhalb der Kurdischen Autonomieregion verwiesen hat (siehe oben c)).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.


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