Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung in asylrechtlicher Streitigkeit

Aktenzeichen  9 ZB 20.31730

Datum:
15.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24835
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

Die Darlegung einer grundsätzlich bedeutsamen Tatfrage muss aufzeigen, dass die aufgeworfene Frage einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich ist und damit einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 14 K 18.31677 2020-06-25 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 22.7.2020 – 9 ZB 20.31403 – juris Rn. 3). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Zu der Frage, ob es angesichts der landesweiten Verbreitung von Geheimbünden und des bestehenden sozialen und gesellschaftlichen Drucks zur Durchführung der weiblichen Genitalbeschneidung in Sierra Leone und einer Beschneidungsquote von geschätzt 90 bis 96% bei Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren hinreichend wahrscheinlich ist, dass sich einzelne Personen auf Dauer dem sozialen und gesellschaftliche Druck zur Durchführung einer Beschneidung, unabhängig von ihrem Aufenthaltsort, nicht entziehen können, ist jedenfalls die grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichend dargelegt.
Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil nach der von ihm herangezogenen Auskunftslage darauf abgestellt, dass die weibliche Genitalverstümmelung oder FGM (Female Genital Mutilation) in weiten Teilen Sierra Leones, auch in größeren Städten, noch immer übliche Praxis sei. International zirkulierten weitgehend akzeptierte Schätzungen, denen zufolge 80 bis 90% der Mädchen und Frauen in Sierra Leone von FGM betroffen seien. Die Akzeptanz von FGM sei aber umso wahrscheinlicher, je ländlicher, je geringer gebildet und je stärker verwurzelt die betreffende Person in der afrikanischen Tradition sei. In der Hauptstadt Freetown gebe es die traditionellen Bindungen und Zwänge der heimischen Ethnie nicht, insbesondere wenn einzelne Personen dorthin ziehen und für sich leben würden. Für die betreffenden Personen bedeute dies allerdings einen weitgehenden Bruch mit der Familie. Eine Rückkehr in ihre Dörfer sei nicht mehr möglich, da sie einer sozialen Ächtung anheimfielen. Von FGM bedrohte Frauen könnten sich somit innerhalb Sierra Leones der Genitalverstümmelung entziehen, indem sie die Kontakte zur Familie und Dorfgemeinschaft abbrechen und sich in eine größere Stadt begeben, in der die Familie und die örtliche Geheimgesellschaft keinen Einfluss habe. Das Verwaltungsgericht hat danach eine inländische Fluchtalternative für die erwachsene Klägerin festgestellt. Sie sei nicht von einer zwangsweisen Beschneidung bedroht, wenn sie sich mit ihrer Familie nicht in ihrer Heimatregion, sondern insbesondere in einer der größeren Städte Sierra Leones, wie etwa Waterloo, Makeni, Bo, Kenema oder Port Loko, niederlasse. Sie selbst habe sich einer Beschneidung entzogen und sie sowie ihr Lebensgefährte hätten in der mündlichen Verhandlung angegeben, gegen FGM eingestellt zu sein. Ihre Tochter würden sie niemals beschneiden lassen. Hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht näher auseinander.
Eine über die konkrete Einzelfallwürdigung des Verwaltungsgerichts hinausgehende Bedeutung zeigt das Zulassungsvorbringen auch deshalb nicht auf, weil sich ihm keine überprüfbaren Hinweise auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- oder Erkenntnisquellen entnehmen lassen, die den Schluss zulassen, dass die aufgeworfene Frage einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich ist und damit einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2019 – 9 ZB 19.31227 – juris Rn. 4). Der Verweis auf eine bundesverwaltungsgerichtliche Entscheidung aus Österreich vom 24. Mai 2019 (Az. 1403 2214043-1), wonach die weibliche Genitalbeschneidung (FGM) bislang nicht verboten und sehr weit verbreitet sei (90% aller Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren, im Norden sogar 96%), erfüllt diese Voraussetzungen nicht. In der benannten erstinstanzlichen Entscheidung aus Österreich werden die die Beschneidung verantwortenden Geheimbünde „Bondo society“ und „Sande“ als derart mächtig beschrieben, dass Politiker kaum wagten, ihnen entgegenzutreten. Außerdem wird darauf verwiesen, dass Frauen, die sich dem Beitritt und damit der FGM wiedersetzen, Diskriminierung, Stigma und Bedrohungen begegneten sowie als Kinder gelten würden, und der soziale Druck, sich einer Genitalverstümmelung zu unterziehen, der von allen Richtungen komme, von den Eltern und der weiteren Familie, von Freundinnen und der Dorfgemeinschaft, sehr hoch sei, was das Verwaltungsgericht, wenn auch anders formuliert, im Wesentlichen ebenfalls so festgestellt hat. Es ist ausdrücklich ebenso davon ausgegangen, dass Genitalverstümmelung landesweit praktiziert wird. Auch das Bundesverwaltungsgericht in Österreich hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass der soziale Druck in den Städten „etwas geringer“ sei, hat aber – anders als das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall – in dem von ihm entschiedenen Fall aufgrund der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass es für die Mutter der zweijährigen Zweitbeschwerdeführerin, welche selbst genitalverstümmelt wurde, nicht vorstellbar erscheine, sich dem gesellschaftlichen Druck widersetzen zu können. Die Mutter habe angegeben, dass ihre Familie die Tochter als uneheliches Kind diskriminieren würde, die Genitalverstümmelung Tradition sei und die Mutter sowie ihr Lebensgefährte gegen diese Tradition nicht ankämpfen könnten. In Übereinstimmung mit den Länderfeststellungen sei davon auszugehen, dass die Eltern der Zweitbeschwerdeführerin sich dem gesellschaftlichen Druck beugen würden. Soweit das Verwaltungsgericht abweichend von der österreichischen gerichtlichen Entscheidung davon ausging, dass die weibliche Genitalverstümmelung in Sierra Leone zwischenzeitlich verboten sei, kommt es hierauf nicht an, weil das Verwaltungsgericht gleichwohl nicht angenommen hat, dass die Praxis der FGM kurzfristig eingedämmt werden könne, und die Annahme einer Fluchtalternative darauf somit erkennbar nicht tragend gestützt hat.
Der Verweis der Klägerin auf eine Studie der Vereinigung von Terre des Femmes e.V. aus dem November 2019, wonach von einer Beschneidungsquote von minimal 74% und maximal 97% (durchschnittlich 86%) auszugehen sei, und in der der mitunter unmittelbare gesellschaftliche Zwang zur Durchführung der Beschneidung beschrieben werde, führt aus den zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Österreich benannten Gründen ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Die Klägerin kritisiert letztlich nur die Bewertung der herangezogenen Erkenntnismittel durch das Verwaltungsgericht und damit dessen tatrichterliche Sachverhaltswürdigung. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind nach § 78 Abs. 3 AsylG aber kein Grund für die Zulassung der Berufung (vgl. BayVGH, B.v. 2.7.2019 – 9 ZB 19.32226 – juris Rn. 3).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben