Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung in Asylstreitverfahren

Aktenzeichen  13a ZB 16.30630

Datum:
23.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 111577
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3e, § 4, § 78 Abs. 3 Nr. 1
GG Art. 16a Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
RL 2011/95/EU Art. 8
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Es ist sowohl für das Asylgrundrecht als auch für den Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt, dass das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative bzw. internen Schutzes der Gewährung von Asyl und der Zuerkennung von Flüchtlingsschutz entgegensteht.  (Rn. 6 – 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 4 K 16.31979 2016-09-30 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 30. September 2016 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht vorliegen.
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).
Der Kläger hält für klärungsbedürftig, ob „die Regelung in § 3e AsylG (Interner Schutz) den im Grundgesetz garantierten Anspruch auf Gewährung von Asyl und bzw. oder den nach der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehenen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft , wenn demnach die Anerkennung als Flüchtling zu verweigern ist, wenn der Betroffene in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung hat, sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.“
Sowohl das Asylrecht nach dem Grundgesetz als auch der Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling nach internationalem Recht gingen grundsätzlich und aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte davon aus, dass der Betroffene in seinem Heimatland an sich einer Verfolgung und Bedrohung ausgesetzt sei. Ob diese Verfolgung und Bedrohung nur in einem Teil des Herkunftslandes stattfinde bzw. zu befürchten sei, sei daher nicht entscheidungserheblich. Maßstab könne nur das Herkunftsland insgesamt sein, da dieses das territoriale Gebiet abbilde, aus dem der Betroffene komme. Die Verweisung auf eine „interne“ Schutzmöglichkeit entsprechend § 3e AsylG sei unzulässig und verletze die Ansprüche der Betroffenen, da der Ort, an dem interner Schutz gewährt werden solle, zumeist nur wenige Kilometer entfernt von den Orten der Verfolgung und Bedrohung liege und eine Staatsgrenze zur bestmöglichen Abgrenzung fehle. Die Abgrenzung könne daher nur das territoriale Staatsgebiet bilden und nicht einzelne Staatsteile.
Die grundsätzliche Bedeutung der vom Kläger aufgeworfenen Fragestellung ist sowohl hinsichtlich Art. 16a Abs. 1 GG als auch hinsichtlich der Genfer Flüchtlingskonvention zu verneinen, da deren Klärung in einem Berufungsverfahren nicht zu erwarten wäre. Sowohl Art. 16a GG als auch § 3 AsylG in innerstaatlicher Umsetzung der Vorgaben des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. II S. 559 – Genfer Flüchtlingskonvention, vgl. Art. 1 A Nr. 2 GFK) setzen eine politische Verfolgung bzw. eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen der politischen Überzeugung voraus. Der Kläger hat weder bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), noch im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, noch in seinem Zulassungsantrag eine insoweit relevante Verfolgungsgefahr geltend gemacht. Im Hinblick auf die geltend gemachte Furcht vor den Gefahren der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kämen allenfalls ein subsidiärer Schutz nach § 4 AsylG oder nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG in Betracht, die aber weder im Asylgrundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG noch in der Genfer Flüchtlingskonvention wurzeln.
Im Übrigen ist sowohl für das Asylgrundrecht nach Art. 16a Abs. 1 GG als auch den völkerrechtlichen Flüchtlingsschutz der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. deren innerstaatliche Umsetzung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt, dass das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative der Gewährung von Asyl bzw. der Zuerkennung von Flüchtlingsschutz entgegensteht. Asylberechtigt nach Art. 16a Abs. 1 GG ist nur, wer sich landesweit in einer ausweglosen Lage befindet, was dann der Fall ist, wenn er in anderen Teilen seines Heimatstaats eine tatsächlich erreichbare und zumutbare Zuflucht nicht finden kann (vgl. BVerfG, B.v. 10.11.1989 – 2 BvR 403/84 – BVerfGE 81, 58 = NVwZ 1990, 254 = juris Rn. 21; B.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502/86 – BVerfGE 80, 315 = NVwZ 1990, 151 = juris Rn. 61; BVerwG, U.v. 9.9.1997 – 9 C 43.96 – BVerwGE 105, 204 = juris Rn. 26; U.v. 30.4.1996 – 9 C 170.95 – BVerwGE 101, 123 = juris Rn. 21; U.v. 20.11.1990 – 9 C 72.90 – BVerwGE 87, 141 = juris Rn. 8; U.v. 15.5.1990 – 9 C 17.89 – BVerwGE 85, 139 = juris Rn. 14; U.v. 2.8.1983 – 9 C 599.81 – BVerwGE 67, 314 = NJW 1983, 2588 = juris Rn. 10).
Auch gemeinschaftsrechtlich ist die Konzeption des internen Schutzes in Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9 – sog. Qualifikationsrichtlinie) anerkannt worden. Insoweit wurde Art. 8 RL 2011/95/EU inhaltlich identisch vom Bundesgesetzgeber durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) mit Wirkung vom 1. Dezember 2013 in § 3e AsylVfG (mittlerweile § 3e AsylG) umgesetzt.
Auch der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) hat in seinen Publikationen zur Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention das Konzept einer internen Flucht- oder Neuansiedlungsalternative für ein bestimmtes Gebiet des Herkunftslands, in dem keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht und in dem der Person angesichts ihrer persönlichen Umstände zugemutet werden kann, sich niederzulassen und ein normales Leben zu führen, anerkannt (vgl. UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: „Interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative“ im Zusammenhang mit Artikel 1 A (2) des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, vom 23.7.2003; Interpreting Article 1 of the 1951 Convention Relating to the Status of Refugees, April 2001, Rn. 37). Zwar besteht keine Pflicht der Fachgerichte, zur Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention die Publikationen des UNHCR heranzuziehen, da diese keine völkerrechtliche Bindungswirkung entfalten (BVerfG, B.v. 28.9.2006 – 2 BvR 1731/04 – juris Rn. 13). Allerdings ist für die vorliegende Fragestellung nicht ersichtlich, warum von der unverbindlichen, aber die einheitliche Rechtsanwendung in den Mitgliedstaaten fördernden Interpretation des UNHCR abgewichen werden sollte
Schließlich hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Rahmen der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953 – EMRK) keine Bedenken gegen die Abschiebung in interne Schutzzonen, wenn der Betroffene in der Lage ist, dorthin zu reisen und Aufnahme zu finden und er sich dort niederlassen kann. Insoweit hindert Art. 3 EMRK die Konventionsstaaten nicht daran, einen Betroffenen auf das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verweisen (EGMR, U.v. 27.6.2013 – M.Y.H./Sweden, Nr. 50859/10 Rn. 62; U.v. 27.6.2013 – S.A./Sweden, Nr. 66523/10 Rn. 53; U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.


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