Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung in Asylstreitverfahren (Afghanistan)

Aktenzeichen  13a ZB 17.30010

Datum:
14.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 103942
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3e, § 4 Abs. 3 S. 1, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3
VwGO § 138 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Frage, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, ist einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich.  (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör wegen Nichtberücksichtigung des Vorbringens eines Beteiligten kann nur dann festgestellt werden, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 5 K 16.31962 2016-10-31 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 31. Oktober 2016 ist unbegründet.
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).
Der Kläger hält für klärungsbedürftig, ob „die Annahme des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Urteil zutrifft, dass ein afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volkszugehörigkeit – bei unterstellter Vorverfolgung mit Rekrutierungsmaßnahmen durch die Taliban in Afghanistan – im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinn des § 3e AsylG bzw. § 4 Abs. 3 Satz 1, § 3e AsylG hat“. Er habe mitgeteilt, dass ihm eine Verfolgung durch Mitglieder der Taliban drohe, nachdem auch sein Bruder getötet worden sei. Hierzu seien in der mündlichen Verhandlung Originalschriftsätze vorgelegt und vom Dolmetscher übersetzt worden. Das Verwaltungsgericht habe sein Vorbringen als wahr unterstellt und seinen Beweisantrag zur Authentizität dieser Dokumente abgelehnt mit der Begründung, der Beweisantrag sei nicht entscheidungserheblich, weil eine Fluchtalternative in Afghanistan bestehe. Ohne Überprüfung weiterer Beurteilungsgrundlagen berufe sich das Gericht allein auf die Anonymität der Großstadt Kabul. Insbesondere werde die Stellungnahme des Dr. D. vom 30. April 2016 (richtig wohl 2013), auf die das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seinem Urteil vom 28. Juli 2014 (9 LB 2/13 – Asylmagazin 2014, 378) Bezug nehme, nicht berücksichtigt.
Die Frage, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, ist einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich. Das Verwaltungsgericht hat sich mit den persönlichen Verhältnissen des Klägers auseinandergesetzt und ist zur Auffassung gelangt, dass er sich in Kabul niederlassen könne, ohne der Gefahr einer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt zu sein. Mit 19 Jahren sei er auch in der Lage, eine Arbeit zu finden (UA S. 6). Die Beurteilung, ob eine Fluchtalternative besteht, hängt maßgeblich davon ab, in welchem Ausmaß ein Betroffener vorverfolgt ist, und wie sehr er ins Visier seiner Verfolger gelangt ist. Inwieweit die Gefahr besteht, dass der Betroffene bei einer Rückkehr an einem anderen Ort in Afghanistan ebenfalls aufgespürt werden könnte und von Neuem verfolgt würde, lässt sich nicht allgemein beantworten. Für die Beurteilung von maßgeblicher Bedeutung sind dabei vielmehr die konkreten Umstände. Mit seinem Verweis auf den Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19. Oktober 2016 bestätigt auch der Kläger im Grunde das Erfordernis einer Einzelfallprüfung. Seine Rüge, das Verwaltungsgericht habe den Lagebericht unvollständig zitiert, weil dort weiter erwähnt sei, dass die Ausweichmöglichkeiten für verfolgte Personen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage abhingen, kann nur dahingehend verstanden werden, dass die konkreten persönlichen Verhältnisse in die Beurteilung mit einfließen müssen.
Soweit sich der Kläger auf die im Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (a.a.O.) genannte Stellungnahme von Dr. D. beruft, gilt nichts anderes. Gegenstand der Stellungnahme sind die Aktivitäten der Taliban in Kabul, unter anderem auch die Zwangsrekrutierung von Binnenflüchtlingen. Bezogen auf den dortigen Kläger wird ausgeführt, wie groß die Gefahr sei, dass jener in Kabul erkannt und identifiziert werden könne. Ob sich diese Einschätzung allerdings auch auf die Verfolgungssituation des hiesigen Klägers und eine eventuelle Ausweichmöglichkeit übertragen lässt, hängt von den konkreten Umständen ab. Es lässt sich nicht allgemein beantworten, inwieweit die in der Stellungnahme genannten Kriterien eine Fluchtalternative ausschließen.
Die vorgetragene Abweichung von der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts kann damit ebenso wenig zu einer grundsätzlichen Bedeutung führen.
Aber auch wenn das Vorbringen des Klägers, das Verwaltungsgericht habe für die Annahme einer Fluchtalternative die Anonymität des Betroffenen in einer größeren Stadt ausreichen lassen, ohne weitere Beurteilungsgrundlagen zu überprüfen, als Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör verstanden wird, ist der Antrag unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO nicht vorliegen.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Es gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes, dass ein Kläger die Möglichkeit haben muss, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (BVerfG, B.v. 21.4.1982 – 2 BvR 810/81 – BVerfGE 60, 305/310). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wonach vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat, kann allerdings nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte von ihnen entgegengenommenes Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen, damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt werden kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrages schließen (BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238), sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, B.v. 23.7.2003 – 2 BvR 624/01 – NVwZ-RR 2004, 3; B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133/146; BayVerfGH, E.v. 7.7.2015 – Vf. 3-VI-15 – BayVBl 2015, 853).
Gemessen an diesen höchstrichterlichen Grundsätzen war dem Kläger das rechtliche Gehör nicht versagt. Wie aus dem angefochtenen Urteil hervorgeht, hat sich das Verwaltungsgericht mit den vom Kläger geschilderten persönlichen Verhältnissen befasst (UA S. 5 f.). Es ist aber zu der Einschätzung gelangt, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch für subsidiären Schutz vorliegen. Dabei hat es auch zur Kenntnis genommen, dass sein Bruder in der Armee gedient habe und getötet worden sei, nachdem er es abgelehnt habe, sich den Taliban anzuschließen (UA S. 3). In Wahrheit macht der Kläger geltend, wesentliche Umstände seien bei der Entscheidung nicht erwogen und sein Vorbringen nicht ausreichend gewürdigt worden. Mit der Kritik an der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör jedoch grundsätzlich nicht begründet werden (BVerfG, B.v. 19.7.1967 – 2 BvR 639/66 – BVerfGE 22, 267/273; BVerwG, B.v. 30.7.2014 – 5 B 25.14 – juris; B.v. 15.5.2014 – 9 B 14.14 – juris Rn. 8). Auch unter dem Aspekt der Ablehnung des Beweisantrags, zur Authentizität der vorgelegten Schriftstücke ein Sachverständigengutachten einzuholen, liegt keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor. Da das Verwaltungsgericht das Vorbringen des Klägers als wahr unterstellt hat, bestehen keine Bedenken gegen die Ablehnung des bedingt gestellten Beweisantrags.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.


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