Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung in einem Asylverfahren (Libanon, wirtschaftliche Verhältnisse)

Aktenzeichen  15 ZB 21.31689

Datum:
8.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41416
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 1 Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Eine generelle Entscheidung über das Vorliegen nationaler Abschiebungsverbote für alle Menschen, deren Abschiebung in ein bestimmtes Land in Betracht kommt, ist im Rahmen eines Berufungsverfahrens nicht möglich; selbst dann, selbst für leistungsfähige, erwachsene Männer ohne Unterhaltsverpflichtungen eine Abschiebungsverbot für möglich erachtet wird, bleibt es stets bei einer Betrachtung und Bewertung der individuellen Lage des Betroffenen im jeweiligen Einzelfall. (Rn. 8 – 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 5 K 19.30503 2021-08-24 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Gründe

I.
Die Kläger – nach eigenen Angaben libanesische Staatsangehörige – wenden sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 20. März 2019, mit dem ihre Anträge auf Asylanerkennung abgelehnt, ihnen die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung in den Libanon oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Mit Urteil vom 24. August 2021 wies das Verwaltungsgericht Augsburg die von den Klägern erhobene Klage mit den gestellten Anträgen, die Beklagte unter (teilweiser) Aufhebung des Bescheids vom 20. März 2019 zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, sowie hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihnen den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie (weiter hilfsweise) das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, ab. Mit ihrem Antrag, die Berufung gegen das Urteil vom 24. August 2021 insoweit zuzulassen, als die Zuerkennung subsidiären Schutzes sowie das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG verneint worden ist, verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache i. S. v. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG liegt nicht vor bzw. ist nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden.
Grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und der Entscheidungserheblichkeit muss hinreichend substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu entscheiden sein könnte (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2019 – 15 ZB 19.33299 – juris Rn. 9 m.w.N.; B.v. 2.10.2020 – 15 ZB 20.31851 – juris Rn. 3; OVG NW, B.v. 8.2.2019 – 13 A 1776/18.A – juris Rn. 5; B.v. 19.2.2020 – 6 A 1502/19.A – juris Rn. 5 m.w.N.).
Hinsichtlich der von den Klägern als grundsätzlich angesehene Frage,
„ob Libanesen im Fall einer Rückkehr eine existenzielle Notlage drohe“,
wird zur Begründung des Antrags auf Zulassung darauf verwiesen, dass sich aus den mit der Antragsbegründung vorgelegten Presseberichten ergebe, dass der Libanon in der größten Wirtschaftskrise seiner Geschichte stecke und dass eine Hungersnot drohe. Den aktuellen Berichten sei zu entnehmen, dass die Grundversorgung der libanesischen Bevölkerung nicht gesichert sei, dass von der Wirtschaftskrise die gesamte Bevölkerung gleich betroffen sei und dass es im ganzen Land kaum Strom, keinen Treibstoff und kaum Essen gebe. Die durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof noch nicht entschiedene und sich bei allen libanesischen Asylbewerbern stellende Frage einer existenziellen Notlage im Libanon müsse nicht im Einzelfall geklärt werden.
Mit dieser Argumentation und mit der aufgeworfenen Frage vermögen die Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im o.g. Sinn nicht darzulegen. Die gestellte Frage ist in dieser Allgemeinheit einer grundsätzlichen Klärung i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht zugänglich, weil ihre Beantwortung von einer Vielzahl einzelner Umstände und Faktoren abhängig ist, sie deshalb nicht hinreichend konkret gefasst ist und sich in dieser Allgemeinheit somit in einem Berufungsverfahren in entscheidungserheblicher Weise nicht stellen würde. Die Fragen zielt auf eine generelle Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG für alle Menschen – unabhängig von ihrer körperlichen Konstitution, ihren sozialen Bindungen und ihren pekuniären Verhältnisse -, deren Abschiebung in den Libanon in Betracht kommt. Ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, hängt aber von einer Vielzahl von individuellen Faktoren des jeweiligen Einzelfalls ab, so z.B. und insbesondere vom Alter, von den Vermögensverhältnissen, vom Gesundheitszustand, der Volkszugehörigkeit, vom (Aus-) Bildungsstand und anderen auf dem Arbeitsmarkt nützlichen Eigenschaften sowie von bestehenden oder fehlenden familiären, freundschaftlichen und beruflichen Verbindungen ab. Daher lässt sich die mit der jeweiligen Fragestellung erstrebte Klärung nicht losgelöst von den tatsächlichen Umständen des konkreten Einzelfalls mit der Durchführung eines Berufungsverfahrens erreichen, zumal § 4 Abs. 1 AsylG ebenso wie § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG auf die individuelle Bedrohungssituation abstellt (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2019 – 15 ZB 19.31245 – juris Rn. 6 m.w.N.; B.v. 10.7.2019 – 8 ZB 19.32052 – juris Rn. 8; B.v. 3.12.2020 – 15 ZB 20.32306 – juris Rn. 12; OVG NW, B.v. 8.2.2019 – 13 A 1776/18.A – juris Rn. 25 f. m.w.N.; vgl. auch BVerwG, B.v. 2.9.2010 – 9 B 12.10 – juris Rn. 9 ff.).
Soweit in besonderen Ausnahmesituationen wegen momentan bestehender, gravierend schlechter wirtschaftlichen Rahmenbedingungen selbst für (grundsätzlich keiner vulnerablen Gruppe zuzurechnenden) leistungsfähige, erwachsene Männer ohne Unterhaltsverpflichtung ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK für möglich gehalten wird (so – umstritten – für Afghanistan auch infolge der COVID-19-Pandemie vgl. VGH BW, U.v. 17.12.2020 – A 11 S 2042/20 – ZAR 2021, 128 – juris Rn. 21 ff.), bleibt es stets bei einer Betrachtung und Bewertung der individuellen Lage des oder der Betroffenen im jeweiligen Einzelfall, als es neben (in extrem schlechten wirtschaftlichen Lagen auch bei guter beruflicher Qualifikation für viele, aber ggf. nicht für alle Berufszweige fehlenden) Möglichkeiten der Einkommenserzielung auch auf die Frage des Vorliegens individueller begünstigender Umstände ankommt, wie z.B. auf das Bestehen eines hinreichend tragfähigen und erreichbaren familiären oder sozialen Netzes, auf eine finanzielle oder materielle Unterstützung durch Dritte oder auf ein ausreichendes Vermögen (vgl. VGH BW, U.v. 17.12.2020 a.a.O. Rn. 105 ff.). Soweit sich die Kläger auf (im Zulassungsverfahren vorgelegte) aktuellere Berichte aus dem Internet berufen (Tagesschau vom 6. Mai 2021, vom 12. September 2021, vom 14. Oktober 2021 sowie epo vom 16. Juli 2020), wonach
– im Libanon derzeit mehr als die Hälfte der etwa sieben Millionen Einwohner an oder unterhalb der Armutsgrenze bzw. mehr als 20% in großer Armut lebe,
– mehr als die Hälfte der libanesischen Bevölkerung keinen oder nur einen sehr eingeschränkten Zugang zu Lebensmitteln habe,
– die Preise für Nahrungsmittel erheblich gestiegen seien,
– konfessionelle Gräben wieder aufbrächen,
– in der Hauptstadt Beirut bereits einzelne Feuergefechte stattgefunden hätten (wobei bei einem Gefecht sechs Menschen gestorben und 23 verletzt worden seien),
– der Libanon in einer erheblichen („nie dagewesenen“) Wirtschaftskrise stecke,
– eine erhebliche Inflation zu verzeichnen sei,
– viele Libanesen sich schwer täten, das Nötigste resp. „ihr täglich Brot“ zu besorgen,
– die Stromversorgung derzeit rund 22 Stunden am Tagt unterbrochen sei,
– Benzin / Treibstoff teuer und Mangelware sei sowie
– aufs Ganze gesehen eine Hungersnot drohe,
so spricht dies durchaus dafür, dass derzeit viele Menschen im Libanon notleidend sind, dass die Grundversorgung für die Gesamtbevölkerung im Libanon nicht gesichert ist und dass die humanitäre Lage im Libanon angespannt ist. Andererseits geht hieraus nicht hervor, dass generell für j e d e n Libanesen im Libanon unabhängig von den individuellen Verhältnissen (s.o.) zwangsläufig bei Rückkehr hierhin eine Notlage i.S. von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK und / oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht.
Im Übrigen – ohne dass es noch darauf ankommt – bleibt der Vortrag in der Antragsbegründung zur individuellen Betroffenheit der Kläger pauschal, unkonkret und unsubstantiiert, als gerade nicht detailliert z.B. die eigene Vermögenslage sowie die individuelle finanzielle Situation der einzelnen möglichen familiären Ansprechpersonen im Libanon dargelegt wird, sondern sich der diesbezügliche Vortrag im Schriftsatz vom 26. November 2021 (dort im Zusammenhang mit Erwägungen zur Divergenzrüge, vgl. im Folgenden) auf die folgenden vagen, oberflächlichen Informationen beschränkt:
„Zwar haben die Kläger noch Verwandte im Libanon. Diese können die Kläger aber nicht unterstützen, weil auch sie von der Wirtschaftskrise betroffen sind und selbst kaum zu essen haben. Dass der Kläger zu 1 ausgebildeter Kraftfahrzeugmechaniker ist, hilft ihm wenig. Aufgrund der allgemeinen Wirtschaftslage hat kaum jemand Geld für die Reparatur seines Autos. Jeder überlegt nur noch, wie er an seine nächste Mahlzeit kommt. Der Kläger wäre damit nicht in der Lage, für den Lebensunterhalt seiner Familie aufzukommen.“
Soweit die Fragestellung – über ihren eigentlichen Wortlaut – unter Berücksichtigung der im Berufungszulassungsverfahren vorgelegten Presseberichte sowie des Vortrags zur Divergenzrüge (vgl. im Folgenden) auch die Frage beinhalten sollte, ob in Bezug auf die S i c h e r h e i t s l a g e resp. aufgrund wiederaufflammender Gefechte Rückkehrern nach Libanon eine Gefahr i.S. von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und / oder i.S. von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK droht, fehlte es für eine Berufungszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung auch diesbezüglich an einer hinreichenden Darlegung des Gewaltniveaus bzw. der Gefahrendichte (zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 -1 C 11/19 – NVwZ 2021, 327= juris Rn. 18 ff.; zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK vgl. HambOVG, U.v. 25.3.2021 – 1 Bf 388/19.A – juris Rn. 27 ff.).
2. Die Berufung ist auch nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG wegen Divergenz zuzulassen.
Gem. § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG ist die Berufung wegen „Divergenz“ zuzulassen, wenn das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Der Zulassungsgrund der Divergenz soll die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gewährleisten. Zur Herstellung materieller Gerechtigkeit ist er nicht gedacht. Eine Abweichung im Sinne der Vorschrift liegt nur vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. In dem angefochtenen Urteil muss zum Ausdruck kommen, dass das Verwaltungsgericht einen bundes- oder obergerichtlich aufgestellten Rechtssatz ablehnt, weil es ihn für unrichtig hält. Eine Divergenz liegt hingegen nicht vor, wenn das Verwaltungsgericht einen solchen Rechtssatz im Einzelfall übergeht, rechtsfehlerhaft für nicht anwendbar erachtet oder daraus nicht die gebotenen Folgerungen zieht. Im Zulassungsantrag muss daher ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden. Die bloße Behauptung einer schlicht fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die die betreffenden Gerichte in ihrer Rechtsprechung aufgestellt haben, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht (zum Ganzen vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2019 – 15 ZB 19.32569 – juris Rn. 6 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 23.5.2018 – 3 A 507/18.A – juris Rn. 12 m.w.N.).
Soweit sich die Kläger unter Bezugnahme auf die im Zulassungsverfahren vorgelegten Presseberichte der Tagesschau und von epo (s.o.) auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2021 (BVerfG, B.v. 9.2.2021 – 2 BvQ 8/21 – BayVBl. 2021, 340 = juris Rn. 5 ff.) berufen, haben sie hiermit nicht die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG vorgetragen. In der zitierten Entscheidung wird – worauf die Antragsbegründung auch ausdrücklich abstellt – anknüpfend an ältere verfassungsrechtliche Rechtsprechung (vgl. auch BVerfG, B.v. 27.3.2017 – 2 BvR 681/17 – NVwZ 2017, 1702 = juris Rn. 11 m.w.N.; B.v. 15.12.2020 – 2 BvR 2187/20 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 13.4.2021 – 1 B 1.12 – juris Rn. 11) ausgeführt, dass sich Behörden und Gerichte mit Blick auf die Sachverhaltsaufklärungspflicht gem. § 86 Abs. 1 VwGO und im Lichte von Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bei der Beantwortung der Frage, ob ein Asylsuchender in ein Land abgeschoben werden darf, in dem wegen einer Verschlechterung der Sicherheitslage die Gefahr besteht, dass die Schwelle des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG oder des § 60 Abs. 5 und / oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG überschritten sein könnte, laufend über die tatsächlichen Entwicklungen unterrichten müssen und nur auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse entscheiden dürfen. Mit ihrer Argumentation und dem Verweis auf die Entscheidung BVerfG, B.v. 9.2.2021 – 2 BvQ 8/21 haben die Kläger schon nicht i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt, dass das Verwaltungsgericht einen dieser Entscheidung widersprechenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Vielmehr tragen sie in der Sache vor, das Verwaltungsgericht habe keine aktuellen Erkenntnismittel in die Entscheidung einbezogen. In der Sache rügen sie mithin nicht, dass das Verwaltungsgericht einen das Urteil tragenden divergierenden Rechtssatz aufgestellt hat, sondern das konkrete Ergebnis der Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht. Damit machen sie aber keine Divergenz, sondern allenfalls ernstliche Zweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend, die in § 78 Abs. 3 AsylG vom Gesetzgeber nicht als asylrechtlicher Berufungszulassungsgrund implementiert worden sind (SächsOVG, B.v. 23.5.2018 – 3 A 507/18.A – juris Rn. 12).
3. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass das Verwaltungsgericht im gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (23. August 2021) die im Zulassungsverfahren vorgelegten Presseberichte der Tagesschau vom 12. September 2021 und vom 14. Oktober 2021 noch nicht berücksichtigen konnte. Sollte das Verwaltungsgericht im Übrigen tatsächlich einen Aufklärungsfehler (Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO) oder einen sonstigen Verfahrensfehler begangen haben, weil es seiner Entscheidung nicht die aktuellsten Erkenntnismittel herangezogen hat – im Zulassungsverfahren gerügt: Nichtberücksichtigung von (im Internet recherchierten) Presseberichten der Tagesschau vom 6. Mai 2021 und von epo vom 16. Juli 2020; im Zulassungsverfahren nicht gerügt: Heranziehung des veralteten Lageberichts des Auswärtigen Amts für den Libanon vom 24. Januar 2020 (Stand: November 2021) anstelle des aktuelleren Lageberichts vom 4. Januar 2021 (Stand: Dezember 2020) -, so kann allein deswegen die Berufung vorliegend nicht zugelassen werden. Denn die Kläger haben diesbezüglich mit ihrer Antragsbegründung weder ausdrücklich noch der Sache nach eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör oder einen anderen Verfahrensmangel i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit § 138 VwGO geltend gemacht (vgl. OVG NW, B.v. 21.12.2018 – 4 A 909/18.A – juris Rn. 19).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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