Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung in einem Ausweisungsverfahren

Aktenzeichen  10 ZB 18.2371

Datum:
12.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 6037
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242
VwGO § 60 Abs. 1, § 74 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1
BayVwZVG Art. 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Ein Zustellungsversuch vor Anordnung der öffentlichen Zustellung kann unterlassen werden, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass sie erfolglos bleiben wird. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2 Verursacht ein Adressat eine öffentliche Zustellung selbst, indem er sich an einem unbekannten Ort aufgehalten hat, ohne Vorsorge dafür zu treffen, dass ihm Schriftstücke zugeleitet werden konnten, liegt ein Verschulden der Fristversäumnis vor, so dass keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 4 K 18.1076 2018-10-23 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 29. März 2017 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf zehn Jahre befristet und seine Abschiebung in die Republik Bosnien-Herzegowina für den Fall, dass er das Bundesgebiet nicht verlassen haben oder dorthin wieder einreisen sollte, angedroht wurde.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die vom Kläger am 6. März 2018 erhobene Klage als verfristet erachtet. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Die Zustellung habe durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen können, weil der Aufenthaltsort des Klägers unbekannt gewesen sei. Die Beklagte habe sich gründlich bemüht, den Aufenthaltsort des Klägers herauszufinden und erfolglos versucht, den streitgegenständlichen Bescheid an die von der Polizei ermittelte Auslandsadresse zuzustellen. Erst nachdem dieses Einschreiben als unzustellbar zurückgekommen sei, sei die öffentliche Zustellung angeordnet worden. In der mündlichen Verhandlung habe der Kläger eingeräumt, sich bis zur Rückkehr Ende Mai/Juni 2017 nicht im Bundesgebiet aufgehalten zu haben. Ein Zustellungsversuch an die Meldeadresse sei bei dieser Sachlage weder notwendig noch sinnvoll und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich gewesen. Die Versäumung der Klagefrist sei nicht unverschuldet gewesen, weil der Kläger im Januar 2017 untergetaucht sei, obwohl er aufgrund der Anhörung gewusst habe, dass eine Ausweisung im Raum gestanden habe. Er habe durch sein Verhalten eine Zustellung verhindert, so dass eine Berufung auf Zustellungsmängel darüber hinaus rechtsmissbräuchlich wäre. Im Übrigen wäre die Klage auch unbegründet.
Die vom Kläger in der Zulassungsbegründung dagegen vorgebrachten Einwendungen begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils.
Soweit der Kläger geltend macht, sich nur vorübergehend im Ausland aufgehalten, seine Wohnung aber nicht aufgegeben zu haben, ist dieser Einwand nicht geeignet, die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Aufenthaltsort des Empfängers im Sinne des Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZVG unbekannt gewesen sei, ernstlich in Frage zu stellen. Denn unstreitig war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung der öffentlichen Zustellung Anfang Mai 2017 (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2016 – 10 C 15.723 – juris Rn. 8, 14; B.v. 19.9.2017 – 10 C 17.1434 – juris Rn. 4; VG München, U.v. 28.2.2018 – M 25 K 15.4886 – juris Rn. 21; Hasser/Kugele/ Thum/Tegethoff, Verwaltungsrecht in Bayern, Stand November 2018, Art. 15 Erl. 2; zum gleichlautenden § 10 VwZG Ronellenfitsch in BeckOK VwVfG, Stand 1.10.2018, § 10 VwZG Rn. 15; Sadler in VwVG/VwZG, 9. Auflage 2014, § 10 VwZG Rn. 8; Schlatmann in Engelhart/App/Schlatmann, VwVfG/VwZG, 11. Auflage 2017, § 10 VwZG Rn. 5) der Beklagten der Aufenthaltsort nach den polizeilichen Mitteilungen unbekannt. Von daher ist es unerheblich, ob die Abwesenheit nur vorübergehend oder länger dauernd gewesen ist oder ob die bisherige Wohnung „aufgegeben“ wurde.
Aufgrund des Ergebnisses der polizeilichen Ermittlungen, wonach sich der Kläger spätestens Anfang Januar 2017 nach Bosnien-Herzegowina abgesetzt hat, sowie der Tatsache, dass die Zustellung eines anderen Schreibens der Ausländerbehörde per Postzustellungsurkunde am 1. März 2017 an die bisherige Meldeadresse unbeantwortet blieb, war ein (erneuter) Zustellungsversuch nicht angezeigt. Denn ein Zustellungsversuch vor Anordnung der öffentlichen Zustellung kann unterlassen werden, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass sie erfolglos bleiben wird (BayVGH, U.v. 29.7.1970 – 6 VIII 70 – VGHE 23, 143/144; Hasser/Kugele/Thum/Tegethoff, Verwaltungsrecht in Bayern, Stand November 2018, Art. 15 Erl. 2).
Fehl geht schließlich auch der Einwand des Klägers, dass eine Zustellung an eine in der Wohnung befindliche Person wie bspw. seine Tochter möglich gewesen wäre. Dass diese vom Kläger bevollmächtigt gewesen wäre, ihn gegenüber der Beklagten zu vertreten oder etwaige ihn betreffende Schreiben und Bescheide entgegenzunehmen, ist weder vom Kläger vorgetragen noch ergibt sich dies aus den Angaben der Tochter bei ihrer Zeugenvernehmung durch die Polizei noch befindet sich eine entsprechende Vollmacht in den Behördenakten (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2016 – 10 C 15.723 – juris Rn. 16).
Dem Kläger war auch nicht nach § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne Verschulden verhindert gewesen wäre, die Klagefrist einzuhalten. Ein Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO ist dann anzunehmen, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. BVerwG, B.v. 4.10.2002 – 5 C 47.01, 5 B 33.01 – juris Rn. 2 m.w.N.). Der Kläger hat dadurch, dass er sich nicht mehr in seiner bisherigen, der Beklagten bekannten Wohnung, sondern an einem unbekannten Ort aufgehalten hat, ohne Vorsorge dafür zu treffen, dass ihm Schriftstücke der Beklagten zugeleitet werden konnten, die öffentliche Zustellung selbst verursacht und damit diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Betroffenen geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war.
Dessen ungeachtet hat das Verwaltungsgericht nicht nur ein Verschulden des Klägers angenommen, sondern darüber hinaus das Berufen auf die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung als rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB) und damit als unbeachtlich erachtet (vgl. BGH, B.v. 28.4.2008 – II ZR 61/07 – juris -Ls-; U.v. 19.12.2001 – VIII ZR 282/00 – juris Rn. 36). Zu dieser selbständig tragenden Begründung verhält sich das Zulassungsvorbringen indes nicht.
Da der Kläger die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht gewahrt hat und die Klage demzufolge unzulässig ist, gehen seine Ausführungen, mit denen er in materiell-rechtlicher Hinsicht die Richtigkeit der Entscheidung des Erstgerichts angreift, von vornherein ins Leere.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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