Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung – Verwertung von amtlichen Auskünften des Auswärtigen Amtes

Aktenzeichen  10 ZB 19.32567

Datum:
18.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15898
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3, Abs. 4, § 80, § 83b
VwGO § 98, § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3
ZPO § 412

 

Leitsatz

1. Amtliche Auskünfte des Auswärtigen Amtes können im Wege des Freibeweises von den Gerichten verwertet werden. Das Gericht hat den Inhalt und das Gewicht der Auskünfte anhand anderer Erkenntnisquellen erst dann nachzuprüfen, wenn ihre Richtigkeit fallbezogen und hinreichend konkretisiert in Zweifel gezogen wird. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Angebliche Fehler bei der Sachverhaltsermittlung und Beweiswürdigung des Tatsachengerichts sind nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können daher nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG zur Zulassung der Berufung führen. Die im einfachen Prozessrecht verankerten Aufklärungs- und Erörterungspflichten des Gerichts (§ 86 Abs. 1 VwGO) sind, soweit sie über die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen hinausgehen, nicht von der Schutzwirkung des Rechts auf Gehör umfasst. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aus dem Prozessgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG folgt keine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts. Ein Aufklärungsmangel begründet grundsätzlich keinen Gehörsverstoß iSd § 138 VwGO. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 7 K 17.35719 2019-05-24 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) und der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) nicht hinreichend dargelegt sind (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) bzw. nicht vorliegen.
1. Die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) verlangt, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht.
Als grundsätzlich klärungsbedürftig hat der Kläger die Frage formuliert, ob das Verwaltungsgericht Auskünfte des Auswärtigen Amtes, welche nicht die allgemeine politische Lage und die Lebensumstände im Heimatland des Asylbewerbers betreffen, sondern sich auf die konkreten Angaben des Asylsuchenden beziehen, dahingehend überprüfen muss, welcher Art die Quellen sind, wenn durch bestimmte Anhaltspunkte direkte Zweifel an der Zuverlässigkeit der in der Auskunft verwerteten Informationen erkennbar geworden sind.
Damit wirft der Kläger jedoch keine entscheidungserhebliche Grundsatzfrage auf. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ergaben sich aus den Einwänden des Klägers gerade keine Zweifel an der Zuverlässigkeit der in der Auskunft verwerteten Informationen, so dass sich die vom Kläger formulierte Frage nicht stellt.
Im Übrigen hätte die gestellte Frage keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung. Sowohl das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, B.v. 14.10.2013 – 10 B 20.12 – juris Rn. 4) als auch das Bundesverfassungsgericht (B.v. 18.1.1990 – 2 BvR 760/88 – InfAuslR 1990, 161) gehen in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass amtliche Auskünfte des Auswärtigen Amtes im Wege des Freibeweises von den Gerichten verwertet werden können. Das Gericht hat den Inhalt und das Gewicht der Auskünfte anhand anderer Erkenntnisquellen erst dann nachzuprüfen, wenn ihre Richtigkeit fallbezogen und hinreichend konkretisiert in Zweifel gezogen wird (vgl. BVerwG, B.v. 18.2.1983 – 9 B 3597.82 – juris Rn. 2; Berlit in GK-AsylG, Stand Januar 2019, § 78 Rn. 400, 403 m.w.N.). Zudem entscheidet das Verwaltungsgericht gemäß § 98 VwGO i.V.m. § 412 ZPO nach seinem tatrichterlichen Ermessen, ob es weitere Auskünfte oder Gutachten einholt, wenn zu einer erheblichen Tatsache bereits amtliche Auskünfte oder gutachtliche Stellungnahmen vorliegen (BVerwG, B.v. 4.3.2015 – 1 B 9.15 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 12.2.2018 – 11 ZB 18.30008 – juris 12). Ob ein Gericht eine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes überprüfen oder ergänzende Auskünfte einholen muss, hängt somit vom jeweiligen Vorbringen im Klageverfahren ab und ist daher einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.
2. Auch der Zulassungsgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) wird nicht hinreichend im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt bzw. liegt nicht vor.
Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO besteht darin, jedem Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit zu geben, sich zu dem gesamten, nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblichen Stoff des gerichtlichen Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern. Sie verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, jedoch nicht, ihnen in der Sache zu folgen. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist von vornherein nicht geeignet, eine vermeintlich fehlerhafte Feststellung und Bewertung des Sachverhalts sowie seine rechtliche Würdigung zu beanstanden (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 29.1.2018 – 10 ZB 17.31788 – juris Rn. 2; B.v. 29.11.2018 – 10 ZB 18.31413 – Rn. 8 jew. m.w.N.).
Soweit der Kläger vorbringt, er habe im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gerügt, dass die vorliegenden Auskünfte des Auswärtigen Amtes nicht prüffähig und im Ergebnis falsch seien, ergeben sich hieraus keine Anhaltspunkte dafür, dass das Verwaltungsgericht entscheidungsrelevantes Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen hätte. Denn das Verwaltungsgericht führt in den Entscheidungsgründen (UA S. 23/24) aus, dass sich aus den Einwänden des Klägers keine Zweifel an der Richtigkeit der Auskunft des Auswärtigen Amtes ergeben hätten, denen durch eine weitere Nachfrage nachzugehen gewesen wäre. Wenn das Gericht – wie hier – bei seiner Bewertung der klägerischen Ausführungen zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, als dies der Kläger wünschte, ist darin keine Verletzung rechtlichen Gehörs zu sehen. Angebliche Fehler bei der Sachverhaltsermittlung und Beweiswürdigung des Tatsachengerichts sind nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können daher nicht gemäß § 78 Abs. 3 Abs. 3 AsylG zur Zulassung der Berufung führen (BayVGH, B.v. 9.1.2018 – 10 ZB 16.30102 – juris Rn. 11). Die im einfachen Prozessrecht verankerten Aufklärungs- und Erörterungspflichten des Gerichts (§ 86 Abs. 1 VwGO) sind, soweit sie über die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen hinausgehen, nicht von der Schutzwirkung des Rechts auf Gehör umfasst (BayVerfGH, E.v. 29.1.2014 – Vf. 18-VI-12 – juris Rn. 15; Berlit in GK AsylG, Stand Nov. 2018, § 78 Rn. 262).
Mit der Rüge, das Verwaltungsgericht habe den Prozessstoff nicht hinreichend aufgeklärt und folglich falsch bewertet, zeigt der Kläger ebenfalls keinen Gehörsverstoß auf. Denn aus dem Prozessgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG folgt keine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts (vgl. BVerwG, B.v. 15.7.2016 – 5 P 4.16 – juris Rn. 3 m.w.N.; B.v. 16.8.2011 – 6 B 18.11 – juris Rn. 9 m.w.N.). Ein Aufklärungsmangel begründet grundsätzlich keinen Gehörsverstoß im Sinne des § 138 VwGO (OVG NW, B.v. 26.9.2018 – 4 A 2730/17.A – juris Rn. 8). Einen entsprechenden Beweisantrag hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt. Dem Verwaltungsgericht musste sich aufgrund des Vortrags des Klägers eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht aufdrängen. Er hat die Richtigkeit der Angaben in der Auskunft des Auswärtigen Amtes in Frage gestellt, ohne selbst konkrete – nachprüfbare – Tatsachen zu benennen, die seinen Sachvortrag untermauert hätten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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