Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung wegen Versäumung der Begründungsfrist

Aktenzeichen  10 ZB 17.1782

Datum:
18.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 138381
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 60 Abs. 1, § 173 S. 1, § 124a Abs. 4 S. 4
ZPO § 85 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Die Ermittlung bzw. Prüfung, Überwachung und Einhaltung der Frist zur Begründung eines Berufungszulassungsantrages obliegt dem Rechtsanwalt grundsätzlich persönlich; er trägt insoweit die alleinige Verantwortung, die er selbst dann nicht auf sein Büropersonal verlagern kann, wenn dieses zuverlässig und gut geschult ist (Anschluss an BayVGH BeckRS 2013, 52273). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Wird ein neuer Prozessbevollmächtigter erstmals für das Rechtsmittelverfahren bestellt, darf er sich nicht nur auf die Angaben seines Mandanten verlassen, wann dieser das anzufechtende Urteil von seinem früheren Bevollmächtigten erhalten hat. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3 Allein mit einem zusammen mit dem Zulassungsantrag gestellten Akteneinsichtsgesuch und einer entsprechenden Erinnerung wird der eigenverantwortlichen Sorgfaltspflicht des Prozessbevollmächtigten nicht hinreichend genügt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 4 K 16.1203 2017-07-04 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist für den Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
IV. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Ausweisungsbescheid der Beklagten vom 26. Februar 2016 weiterverfolgt, ist unzulässig, weil er nicht fristgerecht begründet worden ist (1.) und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) wegen Versäumung der Begründungsfrist nicht vorliegen. Demgemäß bleibt auch der betreffende Wiedereinsetzungsantrag des Klägers ohne Erfolg (2.).
1. Der durch die Bevollmächtigte des Klägers am 1. September 2017 innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingereichte Antrag auf Zulassung der Berufung ist nicht fristgerecht begründet worden. Nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist, soweit sie wie hier nicht bereits mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung vorgelegt worden ist, nach § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO beim Verwaltungsgerichtshof einzureichen.
Das vollständige Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 4. Juli 2017 ist den (früheren) Bevollmächtigten des Klägers ausweislich des bei den Gerichtsakten befindlichen Empfangsbekenntnisses am 23. August 2017 zugestellt worden. Die Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) endete daher nach § 57 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 222 Abs. 1 ZPO und §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 1. Alt. BGB mit Ablauf des 23. Oktober 2017. Die Begründung des Zulassungsantrags erfolgte jedoch erst mit dem am 30. Oktober 2017 beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Schriftsatz der (nunmehrigen) Bevollmächtigten des Klägers zusammen mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung.
2. Dem Kläger ist bezüglich der Frist zur Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung jedoch nicht nach § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Vielmehr ist (auch) sein betreffender Antrag abzulehnen, weil die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht erfüllt sind.
Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm nach § 60 Abs. 1 VwGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Vorbringen des Klägers bzw. seiner Prozessbevollmächtigten im Wiedereinsetzungsantrag lässt jedoch nicht erkennen, dass dem Kläger in Bezug auf die Versäumung der Zulassungsbegründungsfrist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) kein eigenes oder ihm gemäß § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden seiner Bevollmächtigten trifft. Schuldhaft im Sinne der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand handelt, wer diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und sachgemäß Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles auch zuzumuten war (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 24.7.2012 – 11 CS 12.1606 – juris Rn. 11 m.w.N.).
Da die Zulässigkeit der Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung in einer höheren Instanz von der gewissenhaften Einhaltung der Rechtsmittelfristen abhängt, ist jeder Rechtsanwalt grundsätzlich verpflichtet, Fristsachen mit größter Genauigkeit zu behandeln. Die Ermittlung bzw. Prüfung, Überwachung und Einhaltung der Frist zur Begründung eines Berufungszulassungsantrages gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO obliegt dem Rechtsanwalt grundsätzlich persönlich; er trägt insoweit die alleinige Verantwortung, die er selbst dann nicht auf sein Büropersonal verlagern kann, wenn dieses zuverlässig und gut geschult ist (BayVGH, B.v. 28.5.2013 – 10 ZB 13.559 – juris Rn. 7 m.w.N.; Bier/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand Juni 2017, VwGO § 60 Rn. 45 m. Rspr-nachweisen). Demgemäß obliegt es ihm auch, das für den Lauf der Rechtsmittelfrist und der Rechtsmittelbegründungsfrist maßgebliche Datum der Urteilszustellung (s. § 124a Abs. 4 Satz 1 und 4 VwGO) in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise zu ermitteln (BayVGH, B.v. 24.7.2012 – 11 CS 12.1606 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Wird – wie im vorliegenden Fall – der neue Prozessbevollmächtigte erstmals für das Rechtsmittelverfahren bestellt, darf sich dieser insoweit nicht nur auf die Angaben seines Mandanten – hier: bei dessen Vorsprache am 31. August 2017 – verlassen, wann er das anzufechtende Urteil (angeblich) von seinem früheren Rechtsanwalt erhalten hat. Vielmehr wäre die neue Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Blick auf die oben dargelegte Verpflichtung zur Ermittlung des Zustellungsdatums der bereits vom 4. Juli 2017 datierenden Entscheidung gehalten gewesen, umgehend ergänzende Nachforschungen anzustellen. In Betracht gekommen wären insbesondere eine schriftliche oder fernmündliche Anfrage unmittelbar beim Verwaltungsgericht oder eine Nachfrage beim erstinstanzlichen Bevollmächtigten des Klägers, zu dessen Pflichten es gehörte, das Datum der an ihn erfolgten Zustellung einer gerichtlichen Entscheidung in zuverlässiger Weise festzuhalten (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2012 – 11 CS 12.1606 – juris Rn. 17 ff. m.w.N.). Beide Nachforschungen wären der Prozessbevollmächtigten des Klägers ohne nennenswerten Mehraufwand möglich und zumutbar gewesen. Allein mit dem zusammen mit dem Zulassungsantrag gestellten Akteneinsichtsgesuch des Klägers (§ 100 Abs. 1 VwGO) und der diesbezüglichen Erinnerung an dieses Verlangen mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2017 wird der eigenverantwortlichen Sorgfaltspflicht der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht hinreichend genügt, zumal ihr mit gerichtlichem Schreiben vom 12. Oktober 2017 (Bl. 27 f. der Gerichtsakte) – noch rechtzeitig – mitgeteilt worden ist, sie könne nach vorheriger Terminabsprache mit der Geschäftsstelle jederzeit Akteneinsicht beim Verwaltungsgerichtshof nehmen.
Nach diesen Maßstäben ist die Versäumung der Zulassungsbegründungsfrist jedenfalls dann verschuldet, wenn sie wie hier auf Kommunikationsmängeln im Verhältnis zwischen dem Kläger und seiner (neuen) Prozessbevollmächtigten beruht und diese sich bei den gebotenen Nachforschungen bezüglich des Zustellungsdatums der anzufechtenden Entscheidung allein auf ein Akteneinsichtsgesuch beim Rechtsmittelgericht beschränkt.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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