Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung: Zwangsrekrutierung durch Al-Shabaab

Aktenzeichen  20 ZB 17.30575

Datum:
13.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 119311
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3b, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3, Abs. 4 S.4
VwGO § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 S. 1, § 138 Nr. 3

 

Leitsatz

1 Auf die Frage, ob die Führung eines weltoffenen, westlich ausgerichteten Gewerbes (hier: Videostudio) als Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe iSd § 3 Abs. 1 AsylG definiert werden kann, kommt es vorliegend nicht an, da das Verwaltungsgericht das Fluchtschicksal als unglaubhaft bewertet hat.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Klärungsbedürftigkeit der nachvollziehbar begründeten Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Zwangsrekrutierung durch Al-Shabaab nicht an ein flüchtlingsrechtlich relevantes Merkmal anknüpft, hat der Kläger vorliegend nicht dargelegt. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 16.32521 2017-03-23 Ent VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Er ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe schon nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Weise dargelegt sind.
1. Der geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) wurde nicht substantiiert dargelegt. Der Kläger lässt geltend machen, dass das Verwaltungsgericht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe. Dies wird im Wesentlichen damit begründet, dass der Kläger detailreich, nachvollziehbar und glaubwürdig geschildert habe, dass er aufgrund von erlittener Verfolgung durch die Al-Shabaab-Milizen sein Heimatland verlassen musste. Das Verwaltungsgericht habe die Auffassung vertreten, dass die Verfolgung durch Al-Shabaab nicht zur Anerkennung als Flüchtling führen könne, da diese Bedrohung nicht an ein flüchtlingsschutzrelevantes Merkmal anknüpfe. Der Kläger habe jedoch glaubwürdig geschildert, dass er dadurch, dass er ein Videostudio geführt habe, als unrein gegolten habe. Es hätte seitens des Gerichts zumindest geprüft werden müssen, ob der Kläger durch seine Tätigkeit, die nach außen eine bestimmte Geisteshaltung, nämlich Weltoffenheit und Ablehnung der seitens der Al-Shabaab propagierten Ablehnung und Bekämpfung einer offenen Gesellschaft, als Zugehöriger einer sozialen Gruppe i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG zu betrachten sei. Dazu sei das Gericht aber aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes verpflichtet gewesen, insbesondere hätte es in den Entscheidungsgründen zumindest auf den Vortrag des Klägers im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit im Heimatland eingehen müssen.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen. Eine Versagung des rechtlichen Gehörs i.S.d. § 138 Nr. 3 VwGO kann auch in der Verletzung von Verfahrensvorschriften liegen, die der Wahrung des rechtlichen Gehörs dienen. Hierzu gehören allerdings regelmäßig nicht Verstöße gegen die Sachaufklärungspflicht des Gerichts nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder gegen das Gebot der freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Zur Sachaufklärungspflicht und freien Beweiswürdigung zählt grundsätzlich auch die Frage, ob das Gericht auf hinreichend breiter Tatsachengrundlage entschieden hat. Der Anspruch auf rechtliches Gehör kann bei solchen Mängeln im Einzelfall allenfalls bei gravierenden Verstößen verletzt sein (BVerfG, B.v. 8.4.2004 – 2 BvR 743/03 – NJW-RR 2004, 1150), oder wenn es sich um gewichtige Verstöße gegen Beweiswürdigungsgrundsätze handelt, beispielsweise weil die Beteiligten mit der vom Gericht vorgenommenen Würdigung ohne ausdrücklichen Hinweis nicht rechnen mussten (vgl. BVerfG, B.v. 12.6.2003 – 1 BvR 2285/02 – NJW 2003, 2524) oder weil die Würdigung willkürlich erscheint oder gegen die Denkgesetze verstößt (vgl. BVerwG, B.v. 2.11.1995 – 9 B 710.94 – NVwZ-RR 1996, 359). Derartige gravierende Mängel sind hier nicht dargelegt. Der Kläger verkennt, dass das Erstgericht seinen Vortrag bereits als unglaubwürdig eingestuft hat, teilweise unter Bezugnahme auf die insoweit ausführliche Begründung im Bescheid des Bundesamtes, welches nach persönlicher Anhörung des Klägers dieselbe Einschätzung vertreten hat. Nach diesem – für das Vorliegen eines Verfahrensmangels i.S.d. § 138 VwGO maßgeblichen – Standpunkt des Erstgerichts kommt es auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob er wegen des Betreibens eines Videostudios vor seiner ersten Ausreise und der nach seiner ersten Rückkehr angeblich gegenüber Al-Shabaab-Kämpfern geäußerten Absicht, dieses wieder zu eröffnen, in Anknüpfung an ein Merkmal i.S.d. § 3 Abs. 1, 3b AsylG verfolgt wurde bzw. ihm bei erneuter Rückkehr eine solche Verfolgung droht, mangels Glaubhaftigkeit des vorgetragenen Geschehens nicht an.
2. Soweit das Verwaltungsgericht zusätzlich, d.h. selbständig tragend die Auffassung vertreten hat, dass die vorgetragene Gefahr der Zwangsrekrutierung durch Al-Shabaab nicht an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal anknüpfe, wurde ebenfalls kein Zulassungsgrund dargelegt. Wird die angefochtene Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungselemente gestützt, so ist aber in Bezug auf jedes dieser Begründungselemente ein Zulassungsgrund darzulegen, sofern nicht ausnahmsweise ein Fall der Rechtskrafterstreckung vorliegt (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2016 – 3 B 38.16 – juris). Soweit mit der – allerdings im Zusammenhang der Geltendmachung des o.g. Verfahrensverstoßes aufgeworfenen – Frage, „ob die Tatsache, ein weltoffen, westlich ausgerichtetes Gewerbe zu führen, als Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG definiert werden“ könne, eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung geltend gemacht werden soll, fehlt es an der erforderlichen Darlegung gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Die Darlegung einer Grundsatzfrage i.S.d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Ferner muss dargelegt werden, weshalb der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Die gegebene Begründung geht aber nicht darauf ein, weshalb es sich um eine in einem Berufungsverfahren entscheidungserhebliche und damit klärungsfähige Rechtsfrage handelt. Denn das Verwaltungsgericht hat den individuellen Vortrag des Klägers als unglaubhaft eingestuft. Lediglich hinsichtlich der vom Kläger über seine individuellen Gründe hinaus befürchteten Zwangsrekrutierung durch Al-Shabaab hat es die Auffassung vertreten, dass es an dem (für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 AsylG erforderlichen) Anknüpfen an ein Merkmal i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 3b AsylG fehle. Insoweit aber hat der Kläger die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht dargelegt. Denn das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung nachvollziehbar ausgeführt, warum die Zwangsrekrutierungen durch Al-Shabaab nicht an ein bestimmtes Merkmal anknüpfen (vgl. dazu auch die Rechtsprechung des Senats, BayVGH, U.v. 26.1.2012 – 20 B 11.30468 – juris Rn. 25). Damit setzt sich die Begründung des Zulassungsantrags nicht konkret auseinander. Sie übt vielmehr Kritik an der Sachverhaltsermittlung und rechtlichen Würdigung durch das Verwaltungsgericht im Einzelfall und zielt damit (sinngemäß) auf die Geltendmachung ernstlicher Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ab. Letztere kommen aber nach der abschließenden Sondervorschrift des § 78 Abs. 3 AsylG im Asylprozess als Zulassungsgrund nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83b AsylG.
Mit dieser Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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