Verwaltungsrecht

Erfolgloser Asylantrag eines Ehepaars aus Aserbaidschan – angebliche Unterstützung der Opposition

Aktenzeichen  AN 16 K 17.35985, AN 16 K 16.32508

Datum:
18.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 37862
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 102 Abs. 2, § 108 Abs. 1 S. 1, § 113 Abs. 5 S. 1
GG Art. 16a Abs. 1
AsylG § 3 Abs. 1, § 3a, § 3b, § 3c, §3d, § 4 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Qualifikations-RL Art. 4 Abs. 4

 

Leitsatz

1. Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung iSv § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“). (Rn. 27) (red. LS Andreas Decker)
2. Bei der Prognose, ob dem Ausländer bei einer Rückkehr in den Zielstaat dort eine erhebliche konkrete Gefahr wegen der Verschlimmerung einer individuellen Erkrankung droht, sind alle zielstaatsbezogenen Umstände zu berücksichtigen, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen. (Rn. 49) (red. LS Andreas Decker)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.  

Gründe

Die zulässigen Klagen, über die trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung aufgrund eines entsprechenden Hinweises in der ordnungsgemäßen Ladung entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), bleiben in der Sache ohne Erfolg, da die Bescheide der Beklagten vom 27. Juni 2014 und 15. Dezember 2016 rechtmäßig sind und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Kläger haben weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte gemäß Art. 16a Abs. 1 GG noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG (nachfolgend Ziffer 1) oder auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG (nachfolgend Ziffer 2). Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1
AufenthG liegen insbesondere bzgl. des Klägers zu 1) nicht vor (nachfolgend Ziffer 3). Auch im Übrigen sind die Bescheide der Beklagten rechtmäßig (nachfolgend Ziffern 4 bis 6).
1. Vorliegend ist für beide Kläger kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG und aufgrund der Identität der Schutzgüter auch kein Anspruch nach Art. 16a Abs. 1 GG auf Anerkennung als Asylberechtigte gegeben.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in welchem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Ergänzend hierzu bestimmt § 3a AsylG die Verfolgungshandlungen, § 3b AsylG die Verfolgungsgründe, § 3c AsylG die Akteure, von den Verfolgung ausgehen kann, § 3d AsylG die Akteure, die Schutz bieten können und § 3e AsylG den internen Schutz.
Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende vielfach hinsichtlich asylbegründender Vorgänge außerhalb des Gastlandes in einem gewissen sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich dieser Ereignisse für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung. Dies bedeutet, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen muss, der auch nicht völlig auszuschließende Zweifel mit umfasst (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.1977 – 1 C 33/71 – BVerwGE 55,82 – juris Rn. 15). Dabei ist der Beweiswert der Aussage des Asylbewerbers im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen. Er muss jedoch auch andererseits von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen, detaillierten und widerspruchsfreien Sachverhalt schildern, der seine Verfolgungsfurcht für den Fall der Rückkehr in sein Heimatland begründet. Ein glaubhaftes Vorbringen liegt daher in der Regel nicht vor, wenn der Schutzsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnisse entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 72/89 – juris Rn. 15). Insbesondere bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Schutzsuchenden nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171 – juris Rn. 3).
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“). Erforderlich ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene bei einer Rückkehr verfolgt werden wird. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Sachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegensprechenden Tatsachen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140,22 – juris Rn. 24; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146,67 – juris Rn. 32).
Ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist, besteht gemäß Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU („Qualifikations-Richtlinie“), wenn der Asylsuchende bereits in seinem Heimatland verfolgt worden ist („Vorverfolgung“). Ihm kommt damit eine Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen gesetzlichen Vermutung zugute (vgl. BVerwG, U.v. 27. April 2010 – 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360 ff.); am erforderlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab ändert sich allerdings nichts (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140,22 – juris Rn. 24). Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder solchem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder solchem Schaden bedroht wird.
a) Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft sowie der Asylanerkennung beim Kläger zu 1) nicht vor. Eine begründete Furcht des Klägers zu 1), wegen seiner politischen Aktivitäten in den Jahren 2005 bis 2009 und 2012 in Aserbaidschan bei einer Rückkehr dorthin verfolgt zu werden, lässt sich im Ergebnis nicht zur Überzeugung des Gerichts feststellen. Vielmehr ist das Gericht der Auffassung, dass der Kläger zu 1) unter Zugrundelegung seiner bisherigen oppositionellen Betätigungen und den erlittenen Folgen nach der derzeitigen Auskunftslage keine asylrelevanten Beeinträchtigungen in Aserbaidschan („real risk“) zu erwarten hat. Bei einer zusammenfassenden Würdigung des vorgetragenen Sachverhalts besitzen die gegen eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht als die Anhaltspunkte, die für eine Verfolgung sprechen könnten.
Dabei geht das Gericht durchaus davon aus, dass der Kläger zu 1) in der Vergangenheit die (damalige) aserbaidschanische Oppositionspartei ADP als einfaches Parteimitglied bei Wahlbeobachtungen oder bei Demonstrationen unterstützt hat. Das Gericht legt auch zugrunde, dass der Kläger zu 1) anlässlich seines Unterstützungsverhaltens für die Partei von der Polizei oder Zivilbeamten mittels Ladungen gesucht, bedroht und teilweise auch für kurze Zeit festgehalten wurde. Ausweislich der Lageberichte des Auswärtigen Amtes (AA) von 2013 und 2014 waren oppositionelle Aktivisten in dieser Zeit dem Risiko ausgesetzt, aufgrund ihres politischen Engagements Nachteile sogar durch gewaltsame Übergriffe zu erleiden. Sie konnten im Alltag zudem Benachteiligungen erfahren, die in Einzelfällen ein solches Maß erreichten, dass von staatlicher Repression gesprochen werden kann. Die Repressionen betrafen allerdings insbesondere solche Sympathisanten, die sich öffentlich – z.B. bei nicht genehmigten Kundgebungen oder in von den Oppositionsparteien herausgegebenen Zeitungen – zu oppositionellen Parteien oder regierungskritischen Positionen bekannten. Ein derartiges, auch aus anderen Verfahren bekanntes Vorgehen der aserbaidschanischen Sicherheitsbehörden ist zweifellos unangemessen und im Einzelfall verfolgungsrelevant; ob es aber im Fall des Klägers zu 1) die in §§ 3, 3a Abs. 1, 2 AsylG erforderliche Schwelle einer „(Vor-)Verfolgung“ wegen Anwendung physischer Gewalt oder gesetzlicher, administrativer, polizeilicher oder justizieller Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, erfüllt, ist stark zweifelhaft. Dies macht das Gericht u.a. daran fest, dass der Vortrag des Klägers zu 1) gerade in Bezug auf die beiden Ereignisse, bei denen es zu größeren Konfrontationen des Klägers mit der aserbaidschanischen (Zivil-)Polizei aufgrund seiner politischen Aktivität gekommen sein soll, Widersprüche und sonstige Defizite aufweist.
So hat der Kläger zu 1) eine der – nach seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung – schlimmsten Repressalien aufgrund seiner politischen Tätigkeit, nämlich zweimal zuhause und vor den Augen seiner jüngsten Tochter geschlagen worden zu sein, in der Anhörung beim Bundesamt nicht erwähnt. Auch blieb das Ereignis von der Klägerin zu 2) sowie auch der jüngsten Tochter des Klägers zu 1) (AN 4 K 16.31774) bei ihren Anhörungen beim Bundesamt gänzlich unerwähnt. Der Sachverhalt wurde erst im Gerichtsverfahren und der mündlichen Verhandlung vorgebracht, was starke Zweifel am Wahrheitsgehalt des Ereignisses hervorruft.
Darüber hinaus waren die Ausführungen des Klägers zu 1) betreffend die Gewalt auf dem Polizeirevier bzw. dem Hauptquartier der Polizei sowohl in der Anhörung beim Bundesamt („ich bin hin, und die haben mich geschlagen“; „ich wurde einen Tag lang festgehalten, man hat mich geschlagen“) aber zunächst auch in der mündlichen Verhandlung sehr vage und oberflächlich. Erst nach mehrmaliger Nachfrage schilderte der Kläger Genaueres zu diesem Vorfall. In diesem verwickelte sich der Kläger zu 1) jedoch sodann in Widersprüche bzw. steigerte seinen Vortrag um neue, bislang nicht geschilderte Ereignisse, z.B., dass er auch von der Polizei gesucht und auf das Revier mitgenommen worden sei, dass er in einer Art Folterzimmer festgehalten worden sei sowie, dass er bei Wahlen mit Gewalt vom Wahllokal abgehalten und nicht zu den Urnen gelassen worden sei. Unklar bleibt zudem, ob sich die Ereignisse auf dem Hauptquartier der Polizei oder der nahegelegenen Polizeistation zugetragen haben sollen.
Ob die seitens des Klägers zu 1) erlebten Repressalien tatsächlich die Intensität einer (Vor-)verfolgung im Sinne der rechtlichen Reglungen erfüllen und dem Kläger damit die Beweiserleichterungen der Qualifikations-Richtlinie zugutekommen, kann jedoch im Ergebnis dahinstehen. Denn selbst bei vollumfänglicher Wahrunterstellung der seitens des Klägers zu 1) vorgetragenen Ereignisse, insbesondere der Suche nach dem Kläger (auch mittels Ladungen der Polizei) oder der physischen Gewalt durch die Polizei, steht aufgrund der aktuellen Auskunftslage zu Aserbaidschan nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger zu 1) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) auch bei einer Rückkehr mit einer Verfolgung rechnen muss und seine Furcht vor Verfolgung daher begründet ist. Sowohl die aktuelle Auskunftslage als auch die individuelle Situation des Klägers zu 1) liefern stichhaltige Gründe, weshalb an seiner Sicherheit vor Verfolgung bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan keine ernstlichen Zweifel bestehen. Es musste daher seitens des Gerichts auch kein Beweis betreffend die Echtheit der polizeilichen Ladungen oder die Anwendung von Gewalt gegenüber dem Kläger zu 1) vor den Augen seiner Tochter erhoben werden (Beweisanregungen des Klägerbevollmächtigten).
Ausweislich des aktuellen Lageberichts des Auswärtigen Amtes, Stand November 2020, sind insbesondere politisch aktive Parteimitglieder bzw. Funktionäre der Opposition im Alltag immer noch Benachteiligungen ausgesetzt. Auch wird die exilpolitische Aktivität von oppositionellen Aktivisten und Führungspersönlichkeiten in Deutschland von aserbaidschanischen Behörden beobachtet. Zu dieser ggf. gefährdeten Gruppe gehört der Kläger zu 1) jedoch nicht. Die politischen Aktivitäten des Klägers zu 1) liegen 9 Jahre und länger zurück. Er war zudem nur einfaches Parteimitglied der ADP und in keiner Weise herausgehoben öffentlich tätig. Mit seinen Betätigungen als Wahlbeobachter oder Demonstrationsteilnehmer dürfte er sich schon damals kaum aus der Masse der Oppositionellen herausgehoben und ein nachhaltiges, auch heute noch bestehendes Verfolgungsinteresse des Staates ausgelöst haben. Während seines gesamten Aufenthalts in Deutschland war der Kläger zu 1) nicht mehr politisch aktiv. Dass er sich in Aserbaidschan erneut politisch engagieren möchte, hat der Kläger zu 1) nicht vorgetragen und ist aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen und diesbzgl. Aussagen in der mündlichen Verhandlung („meine Gesundheit lässt es nicht zu“) nicht anzunehmen. Hinweise darauf, dass ehemalige Unterstützter der Opposition, v.a. wenn es sich nicht um herausgehobene Parteifunktionäre gehandelt hat und die Unterstützung zeitlich sehr weit zurückliegt, noch mit Benachteiligungen durch den aserbaidschanischen Staat zu rechnen haben, weil sie immer noch als Regimekritiker angesehen werden, liegen dem Gericht nach der aktuellen Auskunftslage und auch sonst nicht im Ansatz vor (vgl. in diesem Sinne auch VG Schleswig-Holstein, U.v. 28.04.2021 – 4 A 10/18 – juris). Auch liegen keinerlei Erkenntnisse vor, dass die bloße (ehemalige oder noch bestehende) Mitgliedschaft in einer Oppositionspartei verfolgungsrelevant sein könnte. Hinzukommt, dass sich die Parteienlandschaft in Aserbaidschan mittlerweile verändert hat und die vom Kläger unterstützte ADP inzwischen nicht mehr als echte Oppositionspartei eingestuft wird, da sie sich im Wesentlichen loyal zur Regierung verhält (Länderreport 23 Aserbaidschan, Das Parteiensystem, S. 8). Der Kläger wie auch seine Familie haben zudem keinen Hinweis darauf, dass in Aserbaidschan nach dem Kläger gesucht wird oder er mit Bedrohungen zu rechnen habe. Zwar geben die Kläger an, inzwischen keinen Kontakt mehr zu ihren Familien in Aserbaidschan zu haben, es ist jedoch nach aller Lebenswahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass eine solche Information die Kläger z.B. auch über den stellvertretenden Parteivorsitzenden … erreicht hätte. Jedoch hat die Polizei bereits zeitnah zu dem letzten politischen Engagement des Klägers zu 1) im Jahr 2012 keinen nachhaltigen Verfolgungswillen gegenüber dem Kläger oder Sympathisanten der Opposition gezeigt. Nach eigener Aussage des Klägers zu 1) sei es nach den Vorfällen rund um den Eurovision Song Contest in Baku ruhig gewesen, er sei nicht mehr bedrängt oder bedroht worden. Dass er dennoch – auch nach einer zeitlichen Zäsur – im Juli 2012 von dem stellvertretenden Parteivorsitzenden gewarnt worden sei, dass seine Festnahme im September 2012 bevorstehe, ist vor diesem Hintergrund und auch sonst nicht glaubhaft. Dieser Sachverhalt wirkt konstruiert (siehe auch vermeintlicher Zeitungsartikel einer online Zeitung mit falschem Ausreisedatum), um einen tatsächlichen Ausreisegrund hervorbringen zu können. Er ähnelt zum einen stark dem Vorbringen anderer Asylbewerber Aserbaidschans. Zum anderen ist nicht verständlich, weshalb staatlicherseits ein derartiges Verhalten, das gesuchten Personen genügend Zeit gibt, um unterzutauchen oder auszureisen, praktiziert werden sollte. Unschlüssig ist auch, dass der Kläger zu 1), aber auch die Klägerin zu 2) und deren beiden Töchter, problemlos aus Aserbaidschan ausreisen konnten, obwohl sie regelmäßig nach dem Aufenthalt des Klägers gefragt worden seien und aserbaidschanische Staatsangehörige ausweislich des Lageberichts des AA mit Stand 2014 (Ziffer 4. Ausreisekontrollen) damals strengen Kontrollen bei der Ausreise unterworfen waren. So wäre Personen die Ausreise verweigert worden, wenn sie in einen laufenden Rechtsstreit – vom Kläger zu 1) mit den 2012 erhaltenen Ladungen aufgrund eines Ermittlungsverfahrens selbst vorgetragen – verwickelt oder zur Fahndung ausgeschrieben waren. Dass sowohl die Kläger als auch ihre beiden Töchter zu unterschiedlichen Zeitpunkten jeweils ohne Probleme ausreisen konnten, unterstützt auch das fehlende Verfolgungsinteresse des Staates. Allein die Tatsache, dass die Polizei noch bis ins Jahr 2015 bei der Klägerin zu 2) und deren Tochter nach dem Aufenthalt des Klägers zu 1) gefragt haben soll, begründet bei einer Gesamtwürdigung des vorstehend Ausgeführten keine begründete Furcht („real risk“) vor einer Verfolgung des Klägers zu 1) bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan. Für das Vorliegen einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist nämlich gerade nicht ausreichend, dass eine solche möglich ist oder nicht ausgeschlossen werden kann.
b) Nach alledem ist auch bzgl. der Klägerin zu 2), die ihre Asylgründe ausschließlich auf die mutmaßliche Verfolgung des Klägers zu 1) stützt, kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG oder nach Art. 16a Abs. 1 GG auf Anerkennung als Asylberechtigte gegeben. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass auch der Klägerin zu 2) wegen der politischen Aktivitäten des Klägers zu 1) nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei ihrer Rückkehr nach Aserbaidschan die Gefahr droht, verfolgt zu werden. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass bereits bzgl. des Klägers zu 1) keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung gegeben ist. Zum anderen war die Klägerin zu 2) selbst während ihres Verbleibs in Aserbaidschan nicht ansatzweise einer Verfolgung der Intensität des § 3 AsylG ausgesetzt. Nicht ausreichend ist, dass sie nach dem Aufenthaltsort ihres Mannes gefragt und auf diese Weise nach ihrer Aussage „Druck auf sie ausgeübt“ worden sei. Dies ist ggf. unangemessen, erfüllt aber nicht den Tatbestand der (Vor-)Verfolgung. Dem Gericht sind nach der aktuellen Auskunftslage auch keinerlei Maßnahmen gegen Familienangehörige von (ehemaligen) Sympathisanten der Opposition bekannt.
Darüber hinaus wäre es beiden Klägern möglich, sich im äußerst unwahrscheinlichen Fall, dass weiterhin nach dem Kläger zu 1) gesucht werden sollte, einen anderen Wohnsitz außerhalb von …- ggf. erneut bei den Eltern der Klägerin zu 2) – zu nehmen, wo die Klägerin zu 2) (wie bereits vor ihrer Ausreise nach Deutschland, siehe Ausführungen in der mündlichen Verhandlung) vor der Suche nach ihrem Mann sicher gewesen sei.
2. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.
Subsidiär schutzberechtigt ist nach dieser Vorschrift, wer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, ihm drohe in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die vorgenannten Gefahren müssen dabei gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG in der Regel von dem in Rede stehenden Staat oder den ihn beherrschenden Parteien oder Organisationen ausgehen. Die Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure kann hingegen nur dann zu subsidiärem Schutz führen, wenn der betreffende Staat selbst nicht willens oder nicht in der Lage ist Schutz zu gewähren.
Das Vorliegen einer diesen Grundsätzen entsprechenden Gefahr lässt sich auf der Grundlage des Vortrags der Kläger zu 1) und 2) nicht feststellen. Insoweit kann auf die Ausführungen unter Ziffer 1. sowie die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten (§ 77 Abs. 2 AsylG) verwiesen werden.
3. Auch die Voraussetzungen eines (zielstaatsbezogenen) Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 AufenthG liegen nicht vor.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. In diesem Zusammenhang kommt vor allem eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Frage (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris Rn. 15 ff.), wonach niemand unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf.
Dies ist bei den Klägern zu 1) und 2) aufgrund der obigen Ausführungen sowie der Feststellungen im Bescheid der Beklagten nicht zu befürchten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine unmenschliche Behandlung und damit eine Verletzung des Art. 3 EMRK aber auch allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen möglich (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C.15.12 – juris; U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – juris). Da eine Verletzung des Art. 3 EMRK nur in außergewöhnlichen Fällen angenommen werden kann, ist jedoch ein sehr hoher Gefährdungsgrad zu fordern (BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris Rn. 19).
Die allgemeine humanitäre Lage in Aserbaidschan begründet ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG nicht. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln ist gesichert, einkommensschwache Familien erhalten Sozialleistungen. Insgesamt sind die allgemeinen humanitären Verhältnisse in Aserbaidschan nicht generell derartig defizitär, als dass aufgrund dessen unterschiedslos für alle Personen bzw. den Personenkreis, dem die Kläger angehörten, von einer Verletzung von Art. 3 EMRK auszugehen ist.
Vorliegend haben die Kläger auch vor ihrer Ausreise nach Deutschland ihren Lebensunterhalt (nach eigenen Angaben wirtschaftliche Situation durchschnittlich, Eigentumswohnung in Baku) hinreichend sichern können. Da die Klägerin zu 2) ausgebildete Ärztin ist, ist davon auszugehen, dass sie ggf. gemeinsam mit ihren Töchtern oder anderen Verwandten in der Lage sein wird, für sich und den Kläger zu 1) eine Lebensgrundlage mithilfe einer eigenen beruflichen Tätigkeit und gegebenenfalls unter zusätzlicher Inanspruchnahme des Sozialsystems sowie des vorhandenen familiären Netzwerks aufzubauen.
Rückgeführte oder freiwillig zurückkehrende aserbaidschanische Staatsangehörige haben bei einer Rückkehr auch nicht mit staatlichen Zwangsmaßnahmen zu rechnen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 22. Februar 2019, S. 17; Länderinformationsblatt Aserbaidschan vom Bundesamt für Fremdwesen und Asyl, Österreich, Gesamtaktualisierung vom 25. Juli 2019, zuletzt geändert am 16. April 2020, S. 47).
Auch die Corona-Pandemie begründet hier keine abweichende Entscheidung. Zwar sind auch in Aserbaidschan das öffentliche Leben sowie die Wirtschaft von der weltweiten Pandemie betroffen. Der Staat hat jedoch Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie getroffen und Hilfspakete beschlossen, die finanzielle Engpässe der Unternehmen und der Bevölkerung partiell abfedern sollen (vgl. BAMF, Länderinformation Aserbaidschan, Gesundheitssystem und Covid-19-Pandemie, Januar 2021). Es ist nicht ersichtlich, dass aufgrund der Covid-19-Pandemie, die in Deutschland angesichts der 4. Welle derzeit wohl mit drastischeren Maßnahmen, Einschränkungen und auch Gefahren verbunden ist (Vergleich der aktuellen Inzidenzen von Deutschland ca. 300 im November 2021 und Aserbaidschan ca. 120 im November 2021, vgl. jeweils https://www.corona-in-zahlen.de/weltweit/aserbaidschan/), ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründet werden könnte.
b) Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich für den Kläger zu 1) auch nicht aufgrund seines Gesundheitszustands.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt insoweit nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Bei der Prognose, ob dem Ausländer bei einer Rückkehr in den Zielstaat dort eine erhebliche konkrete Gefahr wegen der Verschlimmerung einer individuellen Erkrankung droht, sind alle zielstaatsbezogenen Umstände zu berücksichtigen, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BVerwGE 127, 33). Dabei ist der Begriff der Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Entstehungsgrundes nicht einschränkend auszulegen. Eine Gefahr für die Rechtsgüter Leib und Leben kann auch dann vorliegen, wenn sie durch die bereits vorhandene Krankheit konstitutionell mitbedingt ist. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift ist, dass sich die Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt.
Eine Gefahr ist erheblich, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 15 ZB 18.30851 – juris Rn. 13; U.v. 23.9.2019 – 8 B 19.32560 – juris Rn. 16). Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris Rn. 8). Eine solche Gefahr kann sich im Einzelfall auch daraus ergeben, dass der erkrankte Ausländer eine an sich im Zielstaat verfügbare medizinische Behandlung tatsächlich nicht erlangen kann. Die mögliche Unterstützung durch Familienangehörige ist dabei in die gerichtliche Prognose, ob eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes droht, einzubeziehen (BVerwG, B.v. 17.1.2019 -1 B 85/18 u.a. – juris Rn. 5).
Unter Anwendung dieser Maßstäbe liegt kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Klägers zu 1) vor. Die seitens des Klägers zu 1) im behördlichen und gerichtlichen Verfahren vorgelegten zahlreichen Atteste bieten unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Erkenntnislage zur medizinischen Versorgungslage in Aserbaidschan keine überzeugenden Anhaltspunkte für die Annahme einer sich alsbald nach Rückkehr aufgrund zielstaatsbezogener Umstände verwirklichenden außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Gesundheitsgefahr.
Zwar gilt die medizinische Versorgung in Aserbaidschan als prekär und insbesondere außerhalb der Hauptstadt Baku als unzureichend. Die Regierung hat jedoch in den letzten Jahren erhebliche Investitionen im Gesundheitssystem vorgenommen. So wurde Anfang 2020 eine allgemeine Krankenversicherung eingeführt mit dem Ziel, die medizinische Versorgung insgesamt zu verbessern. Wegen der Covid-19-Pandemie wurde die schrittweise Einführung auf 2021 verschoben; wie weit diese fortgeschritten ist, ist nicht bekannt. Hinsichtlich der Verfügbarkeit von Medikamenten gilt jedoch, dass die gängigen, auf dem europäischen Markt registrierten Medikamente im Land erhältlich sind. Während Medikamente für die stationäre Behandlung kostenfrei sind, müssen Patienten, die ambulant behandelt werden, die Medikamente – außer bei Krebserkrankungen und psychischen Erkrankungen – selbst bezahlen. Medikamente sind in Aserbaidschan verhältnismäßig teuer, ihre Erhältlichkeit ist – ggf. unter einem anderen Namen als in der EU – jedoch meist gewährleistet (vgl. zu alledem BAMF, Länderinformation Aserbaidschan, Gesundheitssystem und Covid-19-Pandemie, Januar 2021). „Volkskrankheiten“ wie Diabetes, Bluthochdruck, Asthma, Anämie, Gelenk- und Rückenschmerzen, Herzkreislauferkrankungen wie die koronare Herzkrankheit und Herzrhythmusstörungen und auch psychiatrische Leiden wie Depressionen, Drogenmissbrauch und posttraumatische Belastungsstörungen können laut der Botschaft Baku (Auskunft vom 29.04.2016 zur medizinischen Versorgung in Aserbaidschan) in Aserbaidschan adäquat behandelt werden. Auch die notwendigen Medikamente seien bis auf wenige Ausnahmen erhältlich. In der Regel können nicht vorhandene Medikamente durch andere, wirkungsgleiche ersetzt werden.
Beim Kläger zu 1) liegen zwar zahlreiche gesundheitliche Einschränkungen vor („Polymorbidität“), allerdings sind diese weder für sich genommen noch in ihrer Gesamtheit derart schwerwiegend, dass bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan und einer ggf. schlechteren Versorgung als in Deutschland oder einer Umstellungsphase auf andere Medikamente unmittelbar damit zu rechnen wäre, dass dem Kläger zu 1) eine außergewöhnlich schwere körperliche oder psychische Gesundheitsgefahr droht.
Insbesondere schwere depressive Störungen und posttraumatische Belastungsstörungen sind in Aserbaidschan behandelbar (vgl. z.B. Auskunft des AA an das BAMF vom 14.05.2018). Sofern klägerseits geltend gemacht wird, dass Tilidin (Opioid, Schmerzmittel gegen mittelstarke Schmerzen) und Lorazepam (Benzodiazepin zur Behandlung von schweren Angststörungen, Muskelzuckungen, Krämpfen, Epilepsie und als Beruhigungsmittel) nicht erhältlich seien, ist der Kläger zu 1) gehalten, sich andere, stattdessen verfügbare schmerzstillende Medikamente bzw. Psychopharmaka (Antidepressiva, Antipsychotika) verschreiben zu lassen. Dass der Kläger zu 1) zwingend und ausschließlich auf Tilidin bzw. Lorazepam angewiesen wäre, um außergewöhnlich schwere körperliche oder psychische Gesundheitsgefahr zu vermeiden, wurde ärztlicherseits nicht in den Attesten bescheinigt. Insgesamt muss der Kläger zu 1) auch in Kauf nehmen, dass die Behandlung und Medikation in Aserbaidschan ggf. hinter der medizinischen Versorgung in Deutschland zurückbleibt. Es begründet für sich genommen kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, wenn gewisse Behandlungsangebote im Herkunftsland qualitativ hinter denjenigen in der Bundesrepublik Deutschland zurückbleiben sollten (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Dass dem Kläger eine außergewöhnlich schwere körperliche oder psychische Gesundheitsgefahr droht, weil seine Erkrankungen in Aserbaidschan gar nicht behandelt werden können oder Medikamente gänzlich nicht vorhanden sind, ist nicht ersichtlich.
Bezüglich des individuellen Zugangs zu den erforderlichen Medikamenten muss der Kläger zu 1) auf die Arbeitskraft seiner Familie, insbesondere die der Klägerin zu 2), die ausgebildete Ärztin ist und unter keinen gesundheitlichen Einschränkungen leidet, und die seiner erwachsenen Töchter (ggf. auch von Deutschland aus) verwiesen werden, siehe bereits vorstehend unter Ziffer 3a. Dass der Kläger zu 1) aufgrund seiner Mittellosigkeit in Aserbaidschan der Zugang zur medizinischen Versorgung versperrt wäre, ist nicht glaubhaft dargetan und als bloße Schutzbehauptung zu werten.
Die Klägerin zu 2) hat nichts dahingehend vorgetragen, dass bei ihr ein Abschiebungsverbot vorliegen könnte.
4. Die in den Bescheiden der Beklagten jeweils unter Ziffer 5 enthaltene Abschiebungsandrohung und die Ausreisefrist von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens im Falle einer Klageerhebung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
5. Die Anordnung und Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots hinsichtlich der Klägerin zu 2) beruht auf § 11 Abs. 1, Abs. 2 Sätze 2 und 3, Abs. 3 AufenthG. Ermessenfehler sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
6. Die Klagen waren deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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