Verwaltungsrecht

Erfolgloser Asylantrag eines sunnitischen Arabers aus Bagdad

Aktenzeichen  AN 2 K 16.31951

Datum:
5.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7809
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 25
AufenthG § 11 Abs. 3, § 59, § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Eine etwaige Bestrafung wegen Desertion stellt grundsätzlich keine politische Verfolgung iSv § 3 AsylG dar, soweit sie sich auf die Verhängung einer reinen Kriminalstrafe beschränkt (wie BayVGH BeckRS 2017, 105498). (Rn. 12) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Nach der aktuellen Auskunftslage ist nicht davon auszugehen, dass einem irakischen Asylbewerber allein wegen seiner Desertion bei einer Rückkehr in den Irak eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iSv § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG oder die Todesstrafe iSv § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 droht. Dass ein Rückkehrer möglicherweise mit einer Haftstrafe rechnen müsste, stellt für sich gesehen keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar, sondern erweist sich als eine Sanktionierung rechtswidrigen Verhaltens (vgl. VG Ansbach BeckRS 2017, 128940). (Rn. 15) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Trotz einer stark angespannten Sicherheitslage im Irak und wiederholter Terroranschläge auch in Bagdad ist nicht vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts iSv § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG auszugehen. Nach aktuellen Erkenntnisquellen besteht daher für einen irakischen Asylbewerber als Zivilperson im Falle seiner Rückkehr in den Irak keine Gefahr, allein durch seine Anwesenheit dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. (Rn. 16) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage ist zulässig aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 9. November 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus im Sinne von § 4 AsylG und auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7, § 113 Abs. 5  VwGO.
Die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG ist nicht Gegenstand der Klage, da die Asylanerkennung im Klageverfahren nicht mehr beantragt wurde.
Das Bundesamt hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger kein Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG ist. Gemäß § 3 AsylG ist ein Ausländer ein Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Die Schilderungen des Klägers, er müsse auf Grund seiner Desertion mit einer ungewissen Haftstrafe oder mit dem Tod rechnen, rechtfertigen keine begründete Verfolgungsfurcht gemäß § 3 AsylG, da bereits keine Anknüpfung an ein Verfolgungsmerkmal im Sinne von § 3b AsylG vorliegt. Eine etwaige Bestrafung wegen Desertion stellt grundsätzlich keine Verfolgung (vgl. BayVGH, U.v. 14.2.2017 – 21 B 16.31001 – juris Rn. 86) im Sinne von § 3 AsylG dar, soweit sich die Bestrafung auf eine reine Kriminalstrafe beschränkt. Dass der Kläger wegen eines flüchtlingsrechtlich relevanten Merkmals besonders hart bestraft wird, wurde nicht vorgetragen und ist auch nach der Auskunftslage nicht erkennbar. Die Angabe des Klägers, er würde in Haft auf Grund der religiösen Konflikte getötet, ist auf Grund ihrer Pauschalität nicht geeignet, eine Anknüpfung an ein Verfolgungsmerkmal darzulegen.
Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG besteht nicht, da dem Kläger in seinem Herkunftsland, insbesondere in seiner Herkunftsregion, kein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG droht.
Der Kläger brachte keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vor, dass ihm bei einer Rückkehr in den Irak eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht. Im Rahmen des Asylverfahrens gehört es gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 2 VwGO i.V.m. § 25 Abs. 1 AsylG zu den Obliegenheiten des Klägers, seine Gründe darzulegen und unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 AsylG mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1990 -9 C 72.89 – juris Rn. 15).
Nach der dem Verfahren zu Grunde gelegten Auskunftslage ist nicht davon auszugehen, dass dem Kläger alleine wegen seiner Desertion bei einer Rückkehr in den Irak eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG oder die Todesstrafe im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG droht. Dass der Kläger im Irak möglicherweise mit einer Haftstrafe rechnen müsste, stellt für sich gesehen, keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar, sondern ist eine Sanktionierung wegen eines rechtswidrigen Verhaltens (vgl. VG Ansbach, U.v. 8.6.2017 – AN 2 K 16.31196 – juris Rn. 16), das beispielsweise auch in der Bundesrepublik mit Strafe belegt ist, vgl. § 16 Wehrstrafgesetz. Insoweit können auch die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Dokumente im Hinblick auf eine Haftstrafe, die ohnehin zum größten Teil wegen Unleserlichkeit nicht übersetzt werden konnten, nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG begründen. Die zum Verfahren beigezogenen Erkenntnisquellen, insbesondere der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 20017, liefern auch keine Hinweise dazu, dass in Fällen der Desertion beziehungsweise der Wehrpflichtentziehung im Irak unmenschliche beziehungsweise besonders drastische Strafen oder gar die Todesstrafe droht. Der Kläger konnte darüber hinaus auch kein besonderes Verfolgungsinteresse des irakischen Staates oder schiitischer Milizen substantiiert darlegen. Nur auf konkrete Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, dass nach seiner Ausreise einmal bei ihm zu Hause nach ihm gesucht worden sei. Dass sein Bruder angeschossen wurde, schilderte der Kläger erst nach mehrfacher Nachfrage in der mündlichen Verhandlung, so dass an der Glaubhaftigkeit dieser Schilderungen erhebliche Zweifel bestehen. Zudem geht der Kläger nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung in erster Linie davon aus, dass sein Bruder wegen dessen sunnitischer Religionszugehörigkeit angeschossen wurde und nicht wegen seiner Desertion.
Dem Kläger droht bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland, insbesondere in seine Herkunftsregion, auch kein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Der Kläger stammt aus … und hat dort grundsätzlich bis zu seiner Ausreise aus dem Irak gelebt. In … liegt kein innerstaatlicher Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vor. Von einem innerstaatlichen Konflikt im Sinne dieser Vorschrift ist auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen (EuGH, U.v. 30.1.2014 – C-285/12 – juris Rn. 35). Dem Ausländer droht dann ein ernsthafter Schaden auf Grund des Konflikts, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (EuGH, U.v. 30.1.2014 – C-285/12 – juris Rn. 30). Zwar ist die Sicherheitslage im Irak stark angespannt und kommt es gerade auch in … immer wieder zu terroristischen Anschlägen. Die angespannte Sicherheitslage resultiert jedoch aus inneren Unruhen und Spannungen, die nicht die Intensität und Dauerhaftigkeit eines Bürgerkriegs aufweisen. Das erkennende Gericht sieht unter Zugrundelegung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Kläger als Zivilperson bei seiner etwaigen Rückkehr in den Irak, speziell nach …, allein durch seine Anwesenheit in dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer hier verfahrensrelevanten Bedrohung ausgesetzt zu sein.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist nicht festzustellen. Es liegen insbesondere keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der erwerbsfähige Kläger im Irak nicht zumindest das notwendige Existenzminimum erwirtschaften kann. Für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG trug der Kläger keine relevanten Umstände vor.
Die in Ziffer 5 des Bescheides vom 9. November 2016 ausgesprochene Abschiebungsandrohung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und ist rechtmäßig, da die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Die im Rahmen von § 11 Abs. 3 AufenthG zu treffende Ermessensentscheidung über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG ist nicht zu beanstanden, § 114 Satz 1 VwGO.
Die Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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