Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag bzgl. Ausweisung

Aktenzeichen  19 ZB 17.1535

Datum:
10.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7795
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2
AufenthG § 53 Abs. 3, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1
ARB 1/80 Art. 7, Art. 14
GG Art. 6
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zur Rechtfertigung der Berufungszulassung sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt wird, dass sich die gesicherte Möglichkeit der Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergibt (zB BVerfG  BeckRS 2011, 48156), mithin diese Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG BeckRS 2004, 21684). (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Feststellung der für eine Ausweisung erforderlichen Sicherheitsgefahr bzw. der schwerwiegenden Gefahr handelt es sich um eine Prognose, die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eigenständig zu treffen haben. (Rn. 5 und 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Unerlässlichkeit einer Ausweisung ist nicht im Sinne einer „ultima ratio“ zu verstehen, sondern bringt den in der Rspr. des EuGH für die Ausweisung von Unionsbürgern entwickelten Grundsatz zum Ausdruck, dass das nationale Gericht eine sorgfältige und umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen hat. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Anwendung der auf eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung abstellenden Ausweisungstatbestände erfordert keine Prüfung, ob der Betroffene tatsächlich eine Straftat begangen hat und es besteht keine strikte Bindung an eine rechtskräftige Verurteilung; die Ausländerbehörden und die Verwaltungsgerichte können ohne Weiteres in aller Regel von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen und die darin getroffenen Feststellungen ihrer Entscheidung zugrunde legen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 5 K 16.96 2017-06-22 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
Der am … 1969 in der Türkei geborene Kläger türkischer Staatsangehörigkeit, der als Sohn eines türkischen Arbeitnehmers im Jahr 1979 ins Bundesgebiet eingereist und seit 26. September 2003 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (fortgeltend als Niederlassungserlaubnis seit 2005) ist und dessen 1989, 2002 und 2003 geborene Kinder deutsche Staatsangehörige sind, begehrt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 22. Juni 2017, durch das seine Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2015 abgewiesen worden ist. Mit diesem Bescheid wurde der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen (Nr. I. des Bescheides), die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet (Nr. II.), wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von sieben Jahren ab Ausreise/Abschiebung befristet (Nr. III.), wurde die Abschiebung aus Haft heraus in die Türkei angeordnet (Nr. IV.) und der Kläger für den Fall, dass die Abschiebung unmittelbar aus dem Vollzug heraus nicht möglich ist und er aus dem Vollzug entlassen wird, aufgefordert, das Bundesgebiet unter Fristsetzung von einer Woche nach Haftentlassung zu verlassen, andernfalls er in die Türkei oder einen anderen aufnahmebereiten Staat abgeschoben werde (Nr. V.). Den Ausweisungsanlass bildet eine strafrechtliche Verurteilung durch das Landgericht N.-F. vom 23. März 2011 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Der Verurteilung liegt ein Rauschgiftgeschäft in Mittäterschaft über drei Kilogramm Aphetaminzubereitung zu 4.500 Euro zugrunde. Der Kläger ist seit 1988 wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, Unterschlagung, Betrug, versuchte Nötigung, fahrlässige Trunkenheit im Verkehr, veruntreuende Unterschlagung, Fahren ohne Fahrerlaubnis, Waffendelikt). Am 27. Mai 2013 wurde der Kläger wegen uneidlicher Falschaussage zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Ein Freispruch vom Vorwurf der uneidlichen Falschaussage durch Urteil des Amtsgerichts A. wurde auf Berufung der Staatsanwaltschaft durch Urteil des Landgerichts A. vom 27. April 2016 aufgehoben und der Kläger wegen uneidlicher Falschaussage zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt. Den Verurteilungen wegen uneidlicher Falschaussage lag zugrunde, dass der Kläger vor Gericht als Zeuge seinem der Verurteilung vom 23. März 2011 zugrunde liegenden Geständnis widersprechende Aussagen gemacht hatte.
Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers gemäß §§ 53 ff. AufenthG (in der seit 1.1.2016 geltenden Fassung) als rechtmäßig angesehen. Sie sei nach § 53 Abs. 3 AufenthG zulässig, weil das persönliche Verhalten des Klägers eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland berühre und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses nach der unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmenden Abwägung unerlässlich sei. Der Kläger sei aufgrund unterschiedlichster Delikte seit dem Jahr 1998 immer wieder und regelmäßig strafrechtlich belangt worden. Die Erfahrung von Jugendarrest, Untersuchungshaft und Strafhaft habe zu keinem inneren Wandel geführt. Die der Ausweisung zugrunde liegende Anlasstat habe der Kläger während dreifach laufender Bewährung begangen. Aufgrund der Vielzahl von unterschiedlichen Straftaten über einen Zeitraum von knapp 30 Jahren hinweg sei von der Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger auszugehen. Während der Haft hätten mehrfach Disziplinarmaßnahmen gegenüber dem Kläger ergriffen werden müssen. Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG stehe ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG aufgrund der Niederlassungserlaubnis des Klägers und seinem Aufenthalt im Bundesgebiet seit seinem 10. Lebensjahr gegenüber. Im Rahmen der Abwägung sei zu Gunsten des Klägers einzustellen, dass er sich seit 1979 im Bundesgebiet befinde und zwei noch minderjährige Kinder deutscher Staatsangehörigkeit im Bundesgebiet habe, für die ein gemeinsames Sorgerecht zusammen mit der Kindsmutter bestehe. Aufgrund der vielfachen Verurteilungen, verbüßter Haftstrafen und der sich auch nach Geburt der Kinder steigernden Delinquenz gehe die Abwägung zu Lasten des Klägers aus. Auch die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf sieben Jahre begegne keinen durchgreifenden Bedenken.
Der dagegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.), noch hat der Kläger den weiter angeführten Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) in einer den Anforderungen gemäß § 124 Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO genügenden Weise dargelegt (2.).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt wird, dass sich die gesicherte Möglichkeit der Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergibt (z.B. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/547), mithin diese Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – DVBl 2004, 838/839). Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsentscheidung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung nicht.
Zur Begründung des Zulassungsbegehrens wird vorgetragen, der Kläger lebe seit seinem 10. Lebensjahr im Bundesgebiet, beherrsche die deutsche Sprache perfekt, habe hier Schule und Ausbildung absolviert und sei immer berufstätig gewesen. Zu seinen minderjährigen Kindern bestehe eine tiefe familiäre Verbundenheit, was sich auch durch die Haftzeit nicht geändert habe. Der Kläger sei faktischer Inländer, zum Land seiner Staatsangehörigkeit fehle jeder Bezug. Die der Ausweisung zugrunde liegende Verurteilung beruhe auf einem Geständnis, das der Kläger widerrufen habe. Die nachfolgenden Verfahren wegen uneidlicher Falschaussage stünden damit im Zusammenhang. Im Zusammenhang mit der Verurteilung durch das Landgericht N.-F. vom 23. März 2011 sei von einer äußerst komplexen und schwierigen Verfahrenssituation auszugehen. Der damalige strafprozessuale Deal habe nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an strafprozessuale Vereinbarungen entsprochen. Die Widersprüchlichkeiten des Hauptbelastungszeugen seien niemals aufgeklärt worden. Der Kläger sei von seinem damaligen Bevollmächtigten dazu gedrängt worden, einem Geständnis zuzustimmen. Da er nachfolgend in weiteren Verfahren als Zeuge aussagen habe müssen, seien diese Aussagen im Widerspruch zu dem vorherigen Geständnis gestanden, was zu den Strafverfahren wegen Falschaussage geführt habe. Auch wenn der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht geäußert habe, gegen die Verurteilung durch das Landgericht N.-F. kein Wiederaufnahmeverfahren anstrengen zu wollen, werde die Begehung des der Verurteilung und Ausweisung zugrundeliegenden Betäubungsmitteldelikts vom Kläger weiterhin bestritten. Die Vorstrafenbelastung des Klägers liege größtenteils im Bagatellbereich. Das hohe Bleibeinteresse des Klägers aufgrund der familiären Verbundenheit zu seinen minderjährigen Kindern im Bundesgebiet sei vom Verwaltungsgericht unzureichend gewichtet worden. Die Ausweisung sei für den Kläger ein Eingriff von ungeheurer Intensität. Die Entscheidungsgründe ließen nicht erkennen, ob das Verwaltungsgericht den Kläger als faktischen Inländer angesehen habe. Bei einem faktischen Inländer könne auch bei mehrjährigen Haftstrafen eine Ausweisung unverhältnismäßig sein. Der Kläger würde in ein Land abgeschoben werden, das politisch auf der Kippe stehe und ihm fremd sei. Ob der Kläger jemals von seinen Kindern dort besucht werden könne, sei fraglich. Der Kläger habe aus den zurückliegenden Erfahrungen gelernt. Es besteht keine Gefahr für die Begehung von Straftaten.
Das Zulassungsvorbringen ist nicht geeignet, die verwaltungsgerichtliche Annahme zu widerlegen, dass das persönliche Verhalten des Klägers gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nach § 53 Abs. 3 AufenthG darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (1.1), und dass die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorzunehmende Abwägung ein Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Ausreise ergibt (1.2.).
1.1. Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Steht dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation EWG-Türkei (ARB 1/80) zu, sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen. Er darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und wenn die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Im Falle der Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen führt § 53 Abs. 3 AufenthG nicht zu einer Verdrängung der wertenden und gewichtenden Ausweisungsbestimmungen nach §§ 53 Abs. 1, 54, 55 AufenthG; ihnen kommt auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG die Bedeutung von gesetzlichen Umschreibungen spezieller Interessen mit dem jeweiligen Gewicht zu (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 24). Soweit die Entwurfsbegründung von einer „Sonderregelung“ spricht (BT-Drs. 18/4097, S. 50), bezieht sich diese Wendung jedoch ersichtlich auf das in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegte Maß der Sicherheitsgefahr und statuiert im Übrigen keine Verdrängung der wertenden und gewichtenden Ausweisungsbestimmungen. Das Verwaltungsgericht hat die angefochtene Ausweisungsverfügung unter Zugrundelegung eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts des Klägers nach Art. 7 ARB 1/80 zu Recht am Maßstab des § 53 Abs. 3 AufenthG gemessen, der exakt die Voraussetzungen wiedergibt, die nach ständiger Rechtsprechung (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 – C-371/08, „Ziebell“ – Rn. 82 ff., und vom 29.3.2012 – C-7/10 und C-9/10, „Kahveci“ und „Inan“ – Rn. 40) für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen gemäß Art. 14 ARB 1/80 erfüllt sein mussten (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, U.v. 28.3.2017 – 10 BV 16.1601 – juris Rn. 31 m.w.N.; B.v. 20.2.2019 – 10 ZB 18.2343 – juris Rn. 6).
Bei der Feststellung der für eine Ausweisung erforderlichen Sicherheitsgefahr bzw. der schwerwiegenden Gefahr i.S.v. § 53 Abs. 3 AufenthG handelt es sich um eine Prognose, die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eigenständig zu treffen haben (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Die Indizien, die für diese Prognose heranzuziehen sind, ergeben sich nicht nur aus dem Verhalten im Strafvollzug und danach. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2000 – 9 C 6/00 – BVerwGE 112, 185, juris Rn. 14; vgl. auch BVerwG, B.v. 4.5.1990 – 1 B 82/89 – NVwZ-RR 1990, 649, juris Rn. 4). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – Rn. 18).
Betäubungsmitteldelikte gehören zu den schweren, die Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten (Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV). Die Folgen insbesondere für junge Menschen können äußerst gravierend sein. In ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 13.12 – juris Rn. 12 mit Nachweisen zur Rspr. des EuGH und des EGMR; vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2019 – 10 ZB 18.2272 – juris Rn. 7). Die von unerlaubten Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren betreffen die Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit, welche in der Werteordnung der Grundrechte einen sehr hohen Rang einnehmen. Rauschgift bedroht diese Schutzgüter in hohem Maße und trägt dazu bei, dass soziale Beziehungen zerbrechen und die Einbindung in wirtschaftliche Strukturen zerstört wird. Die mit dem Drogenkonsum häufig einhergehende Beschaffungskriminalität schädigt zudem die Allgemeinheit, welche ferner auch für die medizinischen Folgekosten aufkommen muss (BayVGH, B.v. 14.3.2013 – 19 ZB 12.1877 und B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2636 – juris Rn. 8).
Das mit einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten geahndete Betäubungsmitteldelikt des Klägers wiegt schwer, insbesondere in Anbetracht der wiederholten strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers (15 Einträge im Zentralregister seit 1988 laut Auskunft vom 10.2.2017). Die Delinquenz des Klägers reiht sich ein in vorangegangene strafrechtliche Verurteilungen, die im Hinblick auf den Ausspruch und den Vollzug von Freiheitsstrafen nicht nur als „Bagatelldelikte“ anzusehen sind. Die jahrelange Begehung von Straftaten und das beharrliche Hinwegsetzen des Klägers über strafrechtliche Vorschriften auf ganz unterschiedlichen Feldern begründet eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung und berührt dadurch in schwerwiegender Weise das Grundinteresse der Gesellschaft an der Einhaltung der Strafrechtsnormen als Grundregeln für eine friedliche menschliche Koexistenz. Der Kläger hat gezeigt, dass er sich von den Sanktionen des Rechtsstaats nicht beeindrucken lässt.
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts A. hat mit Beschluss vom 30. Oktober 2017 die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes mit der Begründung abgelehnt, dass eine vorzeitige Entlassung unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit nicht verantwortet werden könne. Der Kläger sei vorbestraft, habe sich durch erlittene Strafhaft nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten lassen, eingeräumte Bewährungen nicht durchgestanden, habe sich während der Strafhaft nicht beanstandungsfrei geführt und weise eine hohe Rückfallgeschwindigkeit auf. Es könne keine ausreichend günstige Prognose gestellt und eine bedingte Entlassung nicht verantwortet werden.
Der Kläger ist am 9. März 2018 nach Vollverbüßung aus der Haft entlassen und mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 11. Januar 2018 mit der Höchstdauer von fünf Jahren unter Führungsaufsicht gestellt worden. Zur Begründung wird ausgeführt, ein Entfallen der Führungsaufsicht nach § 68f Abs. 2 StGB komme nicht in Betracht. Der Kläger sei erheblich vorbestraft, eine positive Sozialprognose könne nicht mehr gestellt werden. Abstinenz-, Kontroll- und Vorstellungsweisungen wurden nicht festgesetzt, da aus keiner Verurteilung hervorgehe, dass ein Suchtmittelproblem in kausalem Zusammenhang mit den begangenen Straftaten stehe.
Zwar sind seit der Entlassung vom 9. März 2018 strafrechtlich relevante Vorkommnisse nicht bekannt. Dieser Zeitraum von etwa einem Jahr ist jedoch angesichts der vielfältigen Delinquenz des Klägers und des Umstandes, dass eine Strafrestaussetzung nicht gewährt werden konnte – mithin nicht einmal die für die Strafrestaussetzung erforderliche reale Chance einer Resozialisierung gesehen wurde (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2017 – 19 CS 16.2466 – juris Rn. 10) -, ungeeignet, eine positive Prognose zu begründen. Die bislang straffreie Führung von einem Jahr lässt auch wegen der Anordnung von Führungsaufsicht mit der Maximaldauer von fünf Jahren und wegen des noch offenen Ausweisungsverfahrens die Annahme einer Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Abzustellen ist bei der Überprüfung der Gefahrenprognose bei einer Ausweisungsentscheidung ausschließlich auf den aktuellen Zeitpunkt und nicht darauf, wie sich die Prognose später einmal darstellen könnte (vgl. BayVGH, B.v. 20.11.2017 – 10 ZB 17.1961 – juris Rn. 10). Eine drohende Ausweisung erzeugt regelmäßig einen Legalbewährungsdruck, der nach den Erfahrungen des Senats über denjenigen einer drohenden Inhaftierung hinausgeht; hierzu trägt auch der Umstand bei, dass im Ausweisungsrechtsstreit aktuelle Entwicklungen zu berücksichtigen sind. Demzufolge ist Legalverhalten in einer Zeit, in der die Ausweisung gedroht hat und droht, zwar grundsätzlich als günstiges Indiz für die ausweisungsrechtliche Prognose heranzuziehen. Jedoch kommt diesem Indiz nur ein relatives Gewicht zu, weil es angesichts des Abstinenz- und Legalbewährungsdrucks, der während des (hier zudem nur ein Jahr anhaltenden) rechtstreuen Verhaltens besteht, nach allgemeiner Erfahrung und auch nach der Auffassung der Strafgesetzgebers nicht den Schluss auf ein gleichartiges Verhalten in Zeiträumen gewährleistet, in denen dieser Druck nicht besteht. Ein zeitweise bestehender Legalbewährungsdruck ist nicht geeignet, das Unterlassen von Straftaten auf Dauer zu gewährleisten, und bewirkt in einem großen Teil der Fälle keinen inneren Wandel, sondern nur ein druckmittelbedingtes Anpassungsverhalten ohne Nachhaltigkeit. Für Letzteres spricht vorliegend die anhaltende, sich steigernde Delinquenz des Klägers. Zudem hat der Kläger derzeit den Auflagen und Weisungen aus dem Beschluss zur Führungsaufsicht nachzukommen, so dass sein Verhalten einer Kontrolle unterliegt. Auch wenn von der strafgerichtlichen Entscheidung über die Anordnung der Führungsaufsicht keine Bindungswirkung für das Aufenthaltsrecht ausgeht, kann der Senat nicht außer Acht lassen, dass die Anordnung nach § 68 Abs. 1 StGB voraussetzt, dass trotz Verbüßung der Freiheitsstrafe nach wie vor die konkrete Gefahr der Begehung weiterer Straftaten besteht. Schließlich kann nicht übersehen werden, dass im Falle des Klägers die gesetzliche Höchstdauer von fünf Jahre vollständig ausgeschöpft worden ist und bislang eine Verkürzung nicht verfügt wurde (vgl. § 68c Abs. 1 StGB; vgl. VGH BW, U.v. 9.12.2015 – 11 S 1857/15 – juris Rn. 35).
Mit dem Verweis auf die komplexe und schwierige Situation im Strafverfahen und dem Zulassungsvorbringen, wonach er das der Verurteilung vom 23. März 2011 zugrunde liegende Geständnis widerrufen habe und nunmehr die Tat bestreite, zieht der Kläger die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht ernsthaft in Zweifel. Er ist strafgerichtlich mit rechtskräftigem Urteil vom 23. März 2011 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden. Diese strafrechtliche Verurteilung durfte das Verwaltungsgericht bei der Prüfung der Frage einer Wiederholungsgefahr nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weitere Nachprüfung zugrunde legen. Daher kommt es nicht mehr darauf an, dass der Kläger gegen die nach seiner nunmehrigen Behauptung unrichtige strafrechtliche Verurteilung kein Wiederaufnahmeverfahren angestrengt hat und er aufgrund der dem Geständnis widersprechenden Zeugenaussagen wegen uneidlicher Falschaussage belangt wurde. Nach der klägerischen Einlassung müssten drei rechtskräftige strafrechtliche, auf umfangreichen Beweiserhebungen (einschließlich Telefonüberwachung) beruhende Verurteilungen trotz der Ausschöpfung des Rechtsweges bis zum Bundesgerichtshof unrichtig sein.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, B.v. 24.2.1998 – 1 B 21.98 – juris zu § 47 Abs. 1 AuslG 1990; B. v. 8.5.1989 – 1 B 77.89 – InfAuslR 1989, 269 zu § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1965, jeweils m.w.N., vgl. auch BayVGH, B.v. 5.9.2018 – 10 ZB 18.1121 – juris Rn. 6 sowie OVG NRW, B.v. 8.12.2015 – 18 A 2462/13 – juris Rn. 11) erfordert die Anwendung der auf eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung abstellenden Ausweisungstatbestände keine Prüfung, ob der Betroffene tatsächlich eine Straftat begangen hat. Soweit es bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung etwa auf die Umstände der Tatbegehung ankommt (z.B. im Rahmen der Feststellung einer Wiederholungsgefahr oder bei der Ermessensausübung) besteht zwar keine strikte Bindung an eine rechtskräftige Verurteilung. Es ist aber geklärt, dass die Ausländerbehörden – und demzufolge auch die zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung berufenen Gerichte – in dieser Beziehung ohne weiteres in aller Regel von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen können und die darin getroffenen Feststellungen ihrer Entscheidung zugrunde legen dürfen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn strafgerichtliche Feststellungen offensichtlich unrichtig sind oder die Ausländerbehörden oder Verwaltungsgerichte über bessere Erkenntnismöglichkeiten als die Strafgerichte verfügen. Dies ergibt sich vorliegend weder aus dem Vorbringen in der ersten Instanz noch aus dem pauschalen Bestreiten der Tatbegehung im Zulassungsvorbringen.
Insgesamt kommt unter Berücksichtigung der massiven Vorstrafen, der jeweiligen strafrechtlichen Rückfallgeschwindigkeit und der über einen Zeitraum von 30 Jahren sich erstreckenden, regelmäßigen Delinquenz des Klägers die Annahme eines Entfallens der Wiederholungsgefahr nicht in Betracht.
1.2. Das persönliche Verhalten des Klägers berührt ein Grundinteresse der Gesellschaft und die Ausweisung ist für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich (§ 53 Abs. 3 AufenthG).
Im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit der Ausweisung nach § 53 Abs. 3 AufenthG ist zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen, wobei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen kennzeichnend sind, zu berücksichtigen sind (vgl. BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 BV 13.421 – juris Rn. 77 m.w.N.). Unerlässlichkeit ist dabei nicht im Sinne einer „ultima ratio“ zu verstehen, sondern bringt den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die Ausweisung von Unionsbürgern entwickelten Grundsatz zum Ausdruck, dass das nationale Gericht eine sorgfältige und umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen hat (BayVGH, B.v. 27.9.2017 – 10 ZB 16.823 – juris Rn. 20). Auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG ist unter Berücksichtigung des besonderen Gefährdungsmaßstabs für die darin bezeichneten Gruppen von Ausländern eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1 (i.V.m. Abs. 2) AufenthG durchzuführen.
Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung vor allem mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG und des Art. 8 Abs. 1 EMRK ergibt, dass das Interesse des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an der Ausreise nicht überwiegt.
Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse (i.S.v. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) ist beim Kläger infolge seiner rechtskräftigen Verurteilung vom 23. März 2011 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gegeben. Das in § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vertypte Ausweisungsinteresse setzt ein Strafmaß von zwei Jahren voraus; der Kläger ist jedoch mehr als doppelt so schwer bestraft worden. Dem steht ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 AufenthG gegenüber, weil der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Darüber hinaus ist das Verwaltungsgericht, ohne das vertypte besonders schwerwiegende Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG zu benennen, zugunsten des Klägers von der Ausübung des gemeinsamen elterlichen Personensorgerechts für die minderjährigen Kinder ausgegangen.
Dem mit der Ausweisung verfolgten Ziel, eine schwere Gefahr (durch weitere Straftaten des Klägers) für ein Grundinteresse der Gesellschaft abzuwehren, kommt angesichts der vorliegenden Einzelfallumstände, insbesondere unter Berücksichtigung der vielfachen Straffälligkeit des Klägers trotz mehrfacher Hafterfahrung, seines mehrfachen Bewährungsversagens und der beachtlichen Rückfallgeschwindigkeit sowie des hohen Rangs des durch Betäubungsmittel gefährdeten Rechtsgutes (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ein das besonders schwerwiegende Bleibeinteresse des Klägers überwiegendes Gewicht zu. Entgegen dem Zulassungsvorbringen hat das Verwaltungsgericht die familiäre Beziehung des Klägers zu seinem im Bundesgebiet lebenden (minderjährigen) Kindern zutreffend gewürdigt und gewichtet.
Im Rahmen der Ermittlung der privaten Belange ist in Rechnung zu stellen, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. Als Gesichtspunkte für das Vorhandensein von anerkennenswerten Bindungen können Integrationsleistungen in persönlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht von Bedeutung sein, der rechtliche Status, die Beachtung gesetzlicher Pflichten und Verbote, der Grund für die Dauer des Aufenthalts und Kenntnisse der deutschen Sprache. Diese Bindungen des Ausländers im Inland sind in Beziehung zu setzen zu den (noch vorhandenen) Bindungen an seinen Heimatstaat. Hierzu gehört die Prüfung, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters, seiner persönlichen Befähigung und seiner familiären Anbindung im Heimatland von dem Land seiner Staatsangehörigkeit bzw. Herkunft entwurzelt ist.
Das Zulassungsvorbringen zeigt keine Lebensumstände auf, die zu einer Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung wegen einer die Sicherheitsbedrohung überwiegenden Verwurzelung im Bundesgebiet, insbesondere unter Berücksichtigung der familiären Beziehungen des Klägers zu seinen im Bundesgebiet lebenden minderjährigen Kindern, führen könnten.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass auch die elterliche Verantwortung des Klägers diesen nicht von der Begehung weiterer Straftaten mit zunehmender Schwere hat abhalten können. Unter Berücksichtigung des bereits jugendlichen Alters der Kinder erscheint es zumutbar, die Bindung durch Besuchskontakte oder unter Inanspruchnahme moderner Kommunikationsmittel aufrecht zu erhalten, zumal die Kinder bereits während der langjährigen Haft des Klägers auf Besuchskontakte verwiesen waren, was diese jedoch ausweislich der Besuchsliste der Justizvollzugsanstalt nur selten in Anspruch genommen haben. Nach der Besuchsliste hat die nunmehr 30-jährige Tochter den Kläger im Zeitraum von Oktober 2010 bis März 2018 insgesamt 18 mal besucht (2010: 1 Besuch, 2011: 8 Besuche, 2012: 2 Besuche, 2013: 1 Besuch, 2014: 4 Besuche, 2015: 1 Besuch, 2016: 1 Besuch), die 15-jährige Tochter lediglich 5 mal (2017: 4 Besuche, 2018: 1 Besuch) und der nunmehr 16-jährige Sohn den Vater im gesamten Zeitraum von Oktober 2010 bis März 2018 nur 2 mal (im Jahr 2017) besucht. Insofern war bereits während der langjährigen Haftzeit der Kontakt der Kinder zu ihrem Vater stark eingeschränkt.
Soweit von der geschiedenen Ehefrau des Klägers in einer Vorsprache vom 24. September 2018 bei der Ausländerbehörde der Beklagten darauf hingewiesen wird, dass der im Jahr 2002 geborene Sohn des Klägers im September 2016 an einem Gehirntumor mit nachfolgender Operation erkrankt sei, weshalb Flugreisen zu vermeiden seien, begründet auch dieses (nicht durch ärztliche Stellungnahmen belegte) Vorbringen keine Unzumutbarkeit der Ausweisung aus Sicht der minderjährigen Kinder.
Die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm gebietet es zwar, bei Entscheidungen über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen und die sich für Familienangehörige ergebenden Folgen einer Aufenthaltsbeendigung angemessen zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 – 2 BvR 1001/04 – juris Rn. 17; U.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris Rn. 16; B.v. 1.12.2008 – 2 BvR 1830/08 – juris Rn. 26; B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12). Dabei ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen (BVerfG, B.v. 8.12.2005 – 2 BvR 1001/04 – juris Rn. 25; B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris Rn. 18; B.v. 1.12.2008 – 2 BvR 1830/08 – juris Rn. 31; B.v 25.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 14).
Nach diesen Maßgaben erscheint es unter Berücksichtigung des Alters der Kinder des Klägers (30, 16 und 15 Jahre) und der Tatsache, dass die Erkrankung des 16-jährigen Sohnes des Klägers nahezu drei Jahre zurück liegt und der persönliche Kontakt des Sohnes während der Haft von 2010 bis 2018 auf zwei Besuche beschränkt war, in Würdigung der Vielzahl der vom Kläger verübten Straftaten über einen langen Zeitraum hinweg auch für die (minderjährigen, bei der Mutter lebenden) Familienangehörigen zumutbar, die Bindung zum Vater für einen im Hinblick auf die Befristung der Wirkungen der Ausweisung perspektivisch begrenzten Zeitraum in räumlicher Distanz aufrecht zu erhalten. Auf die Möglichkeit einer ausnahmsweisen Erlaubnis zum Betreten des Bundesgebiets vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 8 AufenthG, das zu Besuchszwecken im Falle einer tatsächlich bestehenden Reiseunfähigkeit des Sohnes zum Tragen kommen könnte, wird hingewiesen.
Auch das geltend gemachte Maß der Verwurzelung im Bundesgebiet steht einer Ausweisung nicht entgegen. Der Kläger ist nicht im Bundesgebiet geboren, sondern erst im Jahr 1979 im Alter von knapp 10 Jahren ins Bundesgebiet eingereist. Von 1983 bis 1985 hat er erneut in der Türkei gelebt und dort die Schule besucht. Er hat somit einen Großteil seiner Schulbildung in der Türkei erfahren. Der Begriff “faktischer Inländer“ ist nicht einheitlich definiert, sondern wird in der Rechtsprechung unterschiedlich umschrieben. Das Bundesverwaltungsgericht bezeichnet faktische Inländer als “im Bundesgebiet geborene und aufgewachsene Kinder, deren Eltern sich hier erlaubt aufhalten“ (vgl. BVerwG, U.v. 16.7.2002, 1 C 8/02, BVerwGE 116, 378, juris Rn. 23). Das Bundesverfassungsgericht umschreibt den Begriff mit “hier geborene bzw. als Kleinkinder nach Deutschland gekommene Ausländer“ (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016, 2 BvR 1943/16, InfAuslR 2017, 8, juris Rn. 19). Bei Ausländern, die im Alter von 13 bzw. 14 Jahren eingereist waren und eine gelungene Integration in die Gesellschaft und Rechtsordnung nicht zu verzeichnen war, wurde die Stellung als „faktischer Inländer“ verneint (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2018 – 19 CE 17.2454 – juris Rn. 24; B.v. 7.3.2019 – 10 ZB 18.2272 – juris Rn. 10).
Ob der Kläger als „faktischer Inländer“ anzusehen ist, kann letztlich dahinstehen, da die Bezeichnung eines Ausländers als „faktischer Inländer“ nicht davon entbindet, die im jeweiligen Einzelfall gegebenen Merkmale der Verwurzelung zu prüfen, und auch für faktische Inländer kein generelles Ausweisungsverbot besteht (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016, 2 BvR 1943/16, InfAuslR 2017, 8, juris Rn. 19). Es wird nicht verkannt, dass sich die streitgegenständliche Ausweisung in Anbetracht der langen Aufenthaltsdauer des Klägers im Bundesgebiet und seiner hier bestehenden familiären und sozialen Bindungen als gravierender Grundrechtseingriff darstellt. In Anbetracht der Schwere des die Ausweisung veranlassenden Betäubungsmitteldelikts und der zahlreichen Vorstrafen des Klägers, die entgegen dem Zulassungsvorbringen keineswegs nur Bagatelldelikte betreffen und sich nahezu über den gesamten Aufenthalt des Klägers als Erwachsener im Bundesgebiet erstrecken, kann jedoch nicht von einer gelungenen Integration in die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen werden. Er hat zwar im Bundesgebiet eine Ausbildung absolviert und war beruflich tätig. Ausweislich der Feststellungen des Landgerichts A. vom 27. April 2016 war der Kläger seit 2005 jedoch nicht mehr in Freiheit beruflich tätig. Eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt ist somit nicht gelungen.
Dem Kläger ist es zumutbar, im Land seiner Staatsangehörigkeit zu leben. Der Kläger beherrscht die türkische Sprache, ist jedenfalls durch seine Familie und die Schulbildung den heimatstaatlichen Lebensverhältnissen näher gebracht worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Eingewöhnung in die aktuellen Gegebenheiten und sozialen Strukturen in der Türkei und der Aufbau eines Privatlebens für den 49-jährigen Kläger unmöglich oder unzumutbar sein könnten, werden mit dem Zulassungsantrag nicht geltend gemacht; sie ergeben sich auch nicht aus dem pauschalen Verweis auf die aktuellen politischen Verhältnisse in der Türkei.
2. Soweit sich der Kläger weiter auf den Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO beruft, wonach die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweise, ist dieser Zulassungsgrund schon nicht in der nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO gebotenen Weise dargelegt.
Zur Darlegung der besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sind die entscheidungserheblichen tatsächlichen oder rechtlichen Fragen in fallbezogener Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts konkret zu benennen, die diese Schwierigkeiten aufwerfen, und es ist anzugeben, dass und aus welchen Gründen die Beantwortung dieser Fragen besondere Schwierigkeiten bereitet. Es ist eine Begründung dafür zu geben, weshalb die Rechtssache an den entscheidenden Richter (wesentlich) höhere Anforderungen stellt als im Normalfall (Roth in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand: 1.10.2018, § 124a Rn. 75 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Der Kläger legt nicht dar, inwiefern insbesondere die Gefahrenprognose und die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung in seinem Fall wesentlich höhere Anforderungen als in sonstigen Ausweisungsfällen stellen könnten. Im Zulassungsverfahren wird nichts Detailliertes vorgetragen, was besondere Schwierigkeiten aufwerfen könnte. Derartige besondere Schwierigkeiten der Rechtssache ergeben sich auch nicht aus dem Widerruf des Geständnisses und dem nunmehrigen Bestreiten der Straftat. Soweit auf die sich aus der Rechtsstellung aufgrund des Assoziationsabkommens EWG/Türkei ergebenden Maßstäbe für die Gefahrenprognose hingewiesen wird, lässt sich diese Frage ohne weiteres in Anwendung des § 53 Abs. 3 AufenthG im Zulassungsverfahren beantworten. Auch aus der behaupteten Stellung als „faktischem Inländer“ ergeben sich solche erhöhten Anforderungen nicht (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 10 ZB 18.2343 – juris Rn. 18 und B.v. 27.9.2017 – 10 ZB 16.823 – juris Rn. 25).
Hat das Berufungsgericht – wie vorliegend – keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils, so kann die Rechtsfrage regelmäßig keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweisen (vgl. BayVGH, B.v. 28.6.1999 – 19 ZB 97.1557 – juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 3, Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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