Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag eines afghanischen Asylbewerbers

Aktenzeichen  13a ZB 17.31160

Datum:
11.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2242
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Es ist davon auszugehen, dass Familien mit minderjährigen Kindern im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Gefahr laufen, einer erniedrigenden Behandlung iSv Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein, die einen Mangel an Respekt für ihre Würde offenbart (vgl. BayVGH BeckRS 2018, 37518). Diese Rechtsauffassung ist nicht auf Asylbewerber übertragbar, die alleine in das Bundesgebiet eingereist sind, jedoch im Heimatland eine Familie mit minderjährigen Kindern haben, der sie unterhaltsverpflichtet sind. (Rn. 5 – 7) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Dem Wortlaut von § 60 Abs. 5 AufenthG lässt sich unmittelbar entnehmen, dass Anknüpfungspunkt die Abschiebung des jeweiligen Ausländers selbst ist, im Heimatland verbliebene Familienmitglieder daher insoweit außer Betracht zu bleiben haben. Schutz kann nur derjenige erhalten, der abgeschoben werden soll und in seiner Person die Anforderungen einer entsprechenden Gefahrenlage erfüllt (vgl. BVerwG BeckRS 2004, 23953).  (Rn. 8) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG sind bei der Rückkehrprognose etwaige Unterhaltspflichten grundsätzlich nur dann berücksichtigungsfähig, soweit sie mit den Unterhaltspflichtigen eingereiste Familienmitglieder betreffen (vgl. BayVGH BeckRS 2015, 42433). (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

RN 8 K 16.31535 2017-07-17 Ent VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 17. Juli 2017 hat keinen Erfolg. Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 AsylG sind nicht gegeben.
Der Kläger hat seinen Zulassungsantrag damit begründet, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. So sei klärungsbedürftig, „ob Familienangehörige, die alleine ins Bundesgebiet eingereist sind, jedoch unterhaltspflichtig für eine im Heimatland verbliebene Familie sind, die auch auf Transferleistungen des Familienangehörigen angewiesen ist, ebenso [wie Familien, die gemeinsam ins Bundesgebiet eingereist sind,] einen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG zugesprochen bekommen.“ So sei die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.30030 – AuAS 2017, 175 – juris), wonach eine Rückkehr von Familien mit minderjährigen Kindern nach Afghanistan aufgrund der dortigen schlechten humanitären Bedingungen derzeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK darstelle, richtigerweise auch für Väter wie ihn von Relevanz, die allein nach Deutschland gekommen seien, jedoch eine Ehefrau und Kinder im Heimatland hätten. Er könne daher nicht – wie durch das Verwaltungsgericht angenommen (UA S. 12) – als alleinstehender männlicher Afghane behandelt werden, da er bei Rückkehr ins Heimatland für die Ehefrau und sechs minderjährige Kinder unterhaltspflichtig sei. Die Ehefrau könne aufgrund der Betreuungsbedürftigkeit der Kinder nicht durch Erwerbstätigkeit zum Lebensunterhalt der Familie beitragen; unabhängig davon dürfe sie als Frau aufgrund kultureller afghanischer Gepflogenheiten auch gar nicht arbeiten. Der Unterhalt für seine in Afghanistan lebende Familie könne er derzeit nur dadurch sichern, dass er monatlich durchschnittlich etwa EUR 200,- nach Afghanistan überweise. Diese Transferleistungen würden bei seiner Rückkehr ins Heimatland denknotwendig entfallen, die Versorgung der Familie mit Lebensmitteln oder Medikamenten wäre sodann nicht mehr gewährleistet. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus etwaigen Rückkehrhilfen, diese würden nur vorübergehend den Lebensunterhalt der Familie sichern. Soweit er in der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht angegeben habe, dass ein Onkel derzeit die Familie in Afghanistan unterstütze, bedeute dies nur, dass dieser der Familie Wohnraum biete. Weiterhin sei auf einen Berufungszulassungsbeschluss des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH BW, B.v. 24.7.2017 – A 11 S 1647/17 – juris) zu verweisen, soweit es die Frage betreffe, ob er und seine Familie in anderen Großstädten Afghanistans ihr Existenzminimum sichern könnten. Ferner stelle sich mit Blick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 – juris) die Frage, „ob [es] im Falle einer Abschiebung des Klägers zu einem ernsthaften, schnellen und unumkehrbaren Verfall der Existenzbedingungen des Klägers und seiner Familie kommt, die zu intensivem Leiden oder einer signifikanten Verkürzung der Lebenserwartung führt.“ Ebenfalls stelle sich die Frage, ob „davon ausgegangen werden [kann], dass der Kläger tatsächlich bei einer Rückkehr ins Heimatland unmittelbar eine Arbeit findet, die es ihm ermöglicht, eine achtköpfige Familie unmittelbar zu versorgen, sei es mit Nahrungsmitteln oder mit sonstigen finanziellen Unterstützungen, die eine medizinische Behandlung ermöglichen.“. Er habe zwar Kenntnisse in der Autoreparatur und habe auch 2015 in Peshawar (Pakistan) eine Anstellung gefunden; jedoch sei vorliegend auf Afghanistan abzustellen. Insoweit sei angesichts der dortigen desolaten wirtschaftlichen Situation nicht davon auszugehen, dass er in Afghanistan unmittelbar eine Anstellung als Kfz-Mechaniker finden würde, die ihm die Sicherung des Lebensunterhalts seiner Familie ermöglichen würde. Angesichts des Umstands, dass er keinerlei finanzielle Rücklagen habe, könne er auch nicht einfach „aus dem Nichts“ eine Kfz-Werkstatt eröffnen.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 36). Die Grundsatzfrage muss nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts (vgl. BayVGH, B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4 m.w.N.).
Hiervon ausgehend hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.
Die erste klägerseitig aufgeworfene Frage ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig. Es ergibt sich bei verständiger Würdigung ohne weiteres aus der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur fehlenden Rückkehrmöglichkeit afghanischer Familien mit minderjährigen Kindern, dass diese nicht auf Asylbewerber übertragbar ist, die allein in das Bundesgebiet eingereist sind, jedoch im Heimatland eine Familie mit minderjährigen Kindern haben, der sie unterhaltsverpflichtet sind.
Die klägerseitig angesprochene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs geht davon aus, dass unter den derzeitigen Rahmenbedingungen in Afghanistan – vor allem mit häufig nur sehr eingeschränktem Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung – die Schaffung einer menschenwürdigen Lebensgrundlage für eine Familie mit Kindern im Allgemeinen nicht möglich ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ehefrau bzw. Mutter die Betreuung für kleine Kinder gewährleisten muss und zum Lebensunterhalt nicht beitragen kann. Bei den geschilderten Verhältnissen liegt im Allgemeinen ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Abschiebung „zwingend“ sind. Für Familien mit minderjährigen Kindern besteht die ernsthafte Gefahr, dass sie keine adäquate Unterkunft finden würden und keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen hätten. Es steht zu erwarten, dass ihnen die zur Befriedigung ihrer elementaren Bedürfnisse erforderlichen finanziellen Mittel fehlen würden. Ohne Hilfe würden sie sich weder ernähren können noch wären die einfachsten hygienischen Voraussetzungen gewährleistet. Da auch keine Aussicht auf Verbesserung der Lage besteht, ist davon auszugehen, dass Familien mit minderjährigen Kindern Gefahr liefen, einer erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein, die einen Mangel an Respekt für ihre Würde offenbart (vgl. EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 – NVwZ 2011, 413; vgl. zum Ganzen: BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.30030 – AuAS 2017, 175 – juris Rn. 27; siehe zuletzt auch BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632).
Diese Rechtsprechung ist nicht auf Asylbewerber übertragbar, die allein in das Bundesgebiet eingereist sind, jedoch im Heimatland eine Familie mit minderjährigen Kindern haben, der sie unterhaltspflichtet sind.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685 – EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Dem Wortlaut des § 60 Abs. 5 AufenthG („darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich … ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist“) lässt sich unmittelbar entnehmen, dass Anknüpfungspunkt die Abschiebung des jeweiligen Ausländers und damit lediglich auf die abzuschiebende Person abzustellen ist, im Heimatland verbliebene Familienmitglieder bleiben insoweit grundsätzlich außer Betracht. Der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf es hierzu nicht. Einen möglichen Schutzstatus kann nur derjenige erhalten, der abgeschoben werden soll und der in seiner Person die Anforderungen einer entsprechenden Gefahrenlage erfüllt (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.2004 – 1 C 27.03 – NVwZ 2004, 1371 – juris Rn. 9 zu § 53 Abs. 6 AuslG; BayVGH, U.v. 21.9.2009 – 21 B 08.30221 – juris Rn. 13-16). Dass der Kläger in der Lage sein wird, in Afghanistan sein Existenzminimum sicherzustellen, hat das Verwaltungsgericht im Urteil festgestellt (UA S. 12; vgl. zum Ganzen bereits BayVGH, B.v. 16.3.2018 – 13a ZB 17.30260).
Unabhängig davon wird bereits aus dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 23. März 2017 (13a B 17.30030 – AuAS 2017, 175 – juris Rn. 27: „Schaffung einer menschenwürdigen Lebensgrundlage für eine Familie mit Kindern“; Hervorhebung nicht im Original) deutlich, dass dieser zugrunde liegt, dass eine Familie mit minderjährigen Kindern ihre Lebensgrundlage in Afghanistan aufgegeben hat und sodann gemeinsam nach Deutschland gereist ist, um dort einen Asylantrag zu stellen; denn (nur) eine solche Familie müsste sich bei Rückkehr ins Heimatland dort eine menschenwürdige Lebensgrundlage wieder neu schaffen. Anders verhält es sich jedoch, soweit nur der Vater in das Bundesgebiet eingereist ist, um hier einen Asylantrag zu stellen, die Kernfamilie (Ehefrau, Kinder) hingegen im Heimatland verblieben ist. Denn hier besteht im Heimatland grundsätzlich noch eine familiäre Versorgungsstruktur nebst Unterkunft und damit eine Lebensgrundlage fort, in die der jeweilige Asylbewerber – so auch der hiesige Kläger – zurückkehren kann, ohne sich und seiner Familie unter besonderen Schwierigkeiten eine wirtschaftliche Existenz gänzlich neu schaffen zu müssen. Mit Blick auf den Verbleib der Kernfamilie im Heimatland besteht in dieser Konstellation der Rückkehr nur des Vaters grundsätzlich nicht in gleichem Maße die Gefahr, dass die Kernfamilie keine adäquate Unterkunft finden würde und keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen hätte; denn die Ehefrau und die Kinder haben ja auch in der Abwesenheit des Vaters ihr Existenzminimum in Afghanistan bestreiten können, im Allgemeinen – so auch im Fall des Klägers – durch Unterstützung der Großfamilie. In diesem Zusammenhang kann auch der klägerische Verweis darauf nicht überzeugen, dass der Unterhalt der Familie im Heimatland oft – so auch in seinem Fall – maßgeblich nur durch Transferleistungen des Asylbewerbers aus Deutschland sichergestellt werde. Würde man dem folgen, so würde dies im Ergebnis ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG für eine Vielzahl alleinreisender Afghanen begründen, für das letztlich allein wirtschaftliche Gründe in Form einer erforderlichen Versorgung der Kernfamilie im Heimatland bestünden. Dies entspräche jedoch ersichtlich weder dem Wortlaut der Norm (siehe oben) noch der gesetzlichen Intention in § 60 Abs. 5 AufenthG. Denn die Vorschrift soll verhindern, dass aus Deutschland in ihr Heimatland zurückgeführte Personen nach Rückkehr in eine im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention stehende Gefahrenlage geraten. Ziel ist jedoch insoweit nicht, mittelbar den Lebensunterhalt von im Heimatland verbliebenen Familienmitgliedern zu sichern, die niemals im Bundesgebiet gewesen sind. Dementsprechend sind im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG bei der Rückkehrprognose etwaige Unterhaltspflichten grundsätzlich nur berücksichtigungsfähig, soweit es mit dem Unterhaltspflichtigen eingereiste Familienmitglieder betrifft (vgl. allg. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – Asylmagazin 2015, 197 – juris Rn. 20 f.).
Soweit es die weiteren klägerseitig aufgeworfenen Fragen betrifft, so sind diese bereits nicht grundsätzlich klärungsfähig, da sie sich ausweislich ihrer Formulierung ersichtlich allein auf den Einzelfall des Klägers beziehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.


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