Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag in asylrechtlicher Streitigkeit

Aktenzeichen  8 ZB 19.32052

Datum:
10.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15931
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Bei einer kumulativen Mehrfachbegründung muss hinsichtlich jedes Begründungsstrangs ein Zulassungsgrund dargelegt sein und vorliegen, um dem Antrag auf Zulassung der Berufung zum Erfolg zu verhelfen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Mängel der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung können einem Berufungszulassungsantrag in einer Asylstreitigkeit nur dann zum Erfolg verhelfen, wenn der Mangel den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Dies setzt einen besonders schwerwiegender Verstoß voraus, etwa wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 7 K 17.32299 2019-03-13 Ent VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 4 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 30.9.2015 – 1 B 42.15 – juris Rn. 3). Darzulegen sind mithin die konkrete Frage sowie ihre Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und allgemeine Bedeutung (vgl. OVG NRW, B.v. 15.12.2017 – 13 A 2841/17.A – juris Rn. 3 ff.).
Diesen Anforderungen wird das klägerische Vorbringen nicht gerecht.
Die vom Kläger für grundsätzlich bedeutsam erachtete Tatsachenfrage,
„der Bewertung des Bürgerkrieges in Somalia, der zumindest zu einem unionsrechtlichen subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG für den Kläger führt“,
weist keinen Klärungsbedarf auf, weil sie auf der Grundlage der aktuellen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann. Der Verwaltungsgerichtshof hat entschieden, dass nicht in allen Regionen Somalias ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht und dass für die Gefahrenprognose bei einem nicht landesweiten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr abzustellen ist (vgl. BayVGH, U.v. 17.7.2018 – 20 B 17.31659 – juris Rn. 25; U.v. 5.7.2018 – 20 B 17.31636 – juris Rn. 22 ff.). Der Zulassungsantrag zeigt nicht auf, dass die aufgeworfene Tatsachenfrage inzwischen infolge einer Verschlechterung der politischen Lage in Somalia mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit anders als in den vorgenannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs zu beantworten wäre (zu den Darlegungsanforderungen vgl. BayVGH, B.v. 18.1.2018 – 8 ZB 17.31372 – juris Rn. 5; OVG NRW, B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris Rn. 4 f., jeweils m.w.N.). Der Kläger beruft sich hauptsächlich auf Erkenntnisse aus den Jahren 2013 bis 2017, welche auch der vom Kläger zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichts München (U.v. 27.2.2017 – M 11 K 16.34746) zu Grunde gelegt werden. Dabei kommt das Verwaltungsgericht München zu dem Ergebnis, dass allenfalls in Süd- und Zentralsomalia nach wie vor von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG auszugehen sei.
Zudem entzieht sich die Frage einer generellen, fallübergreifenden Klärung, weil sie nicht losgelöst von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls beantwortet werden kann. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG stellt gerade ab auf die individuelle Bedrohungssituation.
Im Übrigen fehlt es auch an einer Darlegung der Entscheidungserheblichkeit und damit Klärungsfähigkeit dieser Frage, weil das Verwaltungsgericht kumulativ auf die Erwägung abgestellt hat, dass dem Kläger eine interne Fluchtmöglichkeit offen steht (vgl. UA S. 14). Bei einer sogenannten kumulativen Mehrfachbegründung muss jedoch hinsichtlich jedes Begründungsstranges ein Zulassungsgrund dargelegt sein und vorliegen, um dem Antrag auf Zulassung der Berufung zum Erfolg zu verhelfen (BayVGH, B.v. 7.11.2017 – 20 ZB 17.30683 – juris Rn. 7).
2. Sollte in dem klägerischen Vortrag, die beim Kläger vorliegenden individuellen Tatsachen, die zu einem Abschiebungsverbot führten, seien nicht ins Urteil eingeflossen, die sinngemäße Rüge eines Verfahrensmangels nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG zu sehen sein, wäre diese ebenfalls nicht nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG hinreichend dargelegt worden (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2018 – 8 ZB 18.31801 – juris Rn. 12 m.w.N.). Die dem Gericht im Rahmen seiner Überzeugungsbildung obliegende Sachverhalts- und Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist grundsätzlich dem materiellen Recht zuzuordnen. Im Asylprozess kann die Verletzung materiellen Rechts als solche nicht zu einer Berufungszulassung führen, weil § 78 Abs. 3 AsylG – anders als § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO – den Zulassungsgrund der „ernstlichen Zweifel“ an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gerade nicht vorsieht. Durch Mängel der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann allenfalls der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt sein, allerdings nur dann, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, vor allem wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. BVerwG, B.v. 12.3.2014 – 5 B 48.13 – NVwZ-RR 2014, 660 = juris Rn. 22; B.v. 31.1.2018 – 9 B 11.17 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 21 ZB 18.30867 – juris Rn. 4). Dass ein solcher Mangel vorliegt, zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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