Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag in asylrechtlicher Streitigkeit

Aktenzeichen  9 ZB 20.30497

Datum:
4.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4593
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3
VwGO § 138 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Aus dem Gebot des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 GG iVmdem Rechtsstaatsprinzip) dürfte abzuleiten sein, dass eine Gehörsverletzung in Gestalt einer Überraschungsentscheidung vorliegen kann, wenn das Gericht dem Kläger durch einen irreführenden oder missverständlichen Hinweis von weiterem entscheidungserheblichen Vortrag abgehalten hat. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Annahme eines insoweit relevanten Verfahrensfehlers ist eine substantiierten Darlegung erforderlich, was der Kläger ohne den Gehörsverstoß zu betreffenden Einzelaspekten der Urteilsbegründung mit Aussicht auf Erfolg vorgetragen hätte. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 14 K 18.30798 2019-11-26 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor.
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.30489 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Dem genügt das Zulassungsvorbringen, mit dem schon keine Frage formuliert, sondern lediglich auf den Vortrag des Klägers zu seinem individuellen Verfolgungsschicksal verwiesen wird, nicht. Der Kläger wendet sich im Gewand einer Grundsatzrüge gegen die Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht, womit jedoch kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund angesprochen wird (vgl. BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 9 ZB 20.30185 – juris Rn. 5).
2. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO), weil das Verwaltungsgericht dem Kläger in der mündlichen Verhandlung außerhalb des Protokolls versichert habe, seinem Vortrag und den vorgelegten Beweismitteln Glauben zu schenken sowie mit seiner Entscheidung dafür Sorge zu tragen, dass der Kläger entweder einen Schutzstatus oder aber ein Abschiebungsverbot erhalte, überraschenderweise dann aber ablehnend entschieden und in dieser Weise gegen den Grundsatz des fair trial verstoßen habe.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 8 m.w.N.). Solches kann der Fall sein, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat, und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2019 – 15 ZB 19.34099 – juris Rn. 9 m.w.N.). Aus dem Zulassungsvorbringen geht danach nicht hervor, dass die Voraussetzungen eines Gehörsverstoßes vorliegend gegeben sein könnten.
Das Verwaltungsgericht hat die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung konkretisierten Gründe, aus denen er eine bis heute bestehende Verfolgungsgefahr in Sierra Leone ableitet, nicht etwa als unglaubhaft bewertet und deshalb seine Asylklage abgewiesen, sondern seiner sorgfältig begründeten Entscheidung die Angaben des Klägers zugrunde gelegt, dass die Adoptiveltern des Klägers 1999 von Rebellen der Revolutionary United Front (RUF) getötet worden seien, er bis zu seiner Ausreise im Jahr 2002 gegen Bestrebungen der RUF und deren Gründer Foday Sankoh in Sierra Leone demonstriert habe und er seit jener Zeit als Menschenrechtsaktivist tätig sei. Es hat aber nach Bewertung der Erkenntnislage eine asylrechtlich relevante Verfolgung des Klägers wegen der stabilen allgemeinen politischen Situation und Sicherheitslage in Sierra Leone, der heutigen Bedeutungslosigkeit der RUF und dem Umstand, dass der Kläger nach seinem Vortrag seinerzeit nicht als Person in den Fokus der Rebellen gerückt ist, nicht als beachtlich wahrscheinlich angesehen. Soweit der Kläger Schwierigkeiten mit seiner leiblichen muslimischen Familie befürchtet, weil er christlich geprägt aufgewachsen sei, hat es auf die in Sierra Leone geltende und allgemein respektierte Religionsfreiheit abgestellt und auf dieser Grundlage dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen können, von asylrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen bedroht zu sein.
Zudem ist selbst bei Wahrunterstellung, dass das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung einen für den Kläger positiven Ausgang des gerichtlichen Verfahrens in Aussicht gestellt haben sollte, ein Gehörsverstoß wegen einer unzulässigen Überraschungsentscheidung bzw. wegen einer Verletzung des Gebotes eines rechtstaatlichen, fairen Verfahrens nicht substantiiert dargelegt.
Eine unzulässige Überraschungsentscheidung ist anzunehmen, wenn das Gericht einen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der der Beteiligte nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste (vgl. BVerfG, B.v. 13.2.2019 – 2 BvR 633/16 – juris Rn. 24 m.w.N.). Sie liegt dagegen nicht vor, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten – wie hier – äußern konnten, in einer Weise würdigt, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligten entspricht oder die von ihm für unrichtig gehalten werden (vgl. BVerwG, B.v. 7.6.2017 – 5 C 5.17 D – juris Rn. 9 m.w.N.). Nach ständiger Rechtsprechung besteht auch keine, auch nicht aus Art. 103 Abs. 1 GG abzuleitende, generelle Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die mögliche Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, weil sich die tatsächliche oder rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt (s. z.B. BVerfG, B.v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 6; BVerwG, B.v. 2.5.2017 – 5 B 75.15 D – juris Rn. 11).
Aus dem Gebot des fairen Verfahrens aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfG, B.v. 17.1.2006 – 1 BvR 2558/05 – juris Rn. 8) dürfte zwar abzuleiten sein, dass eine Gehörsverletzung in Gestalt einer Überraschungsentscheidung vorliegen kann, wenn das Gericht den Betroffenen durch einen irreführenden oder missverständlichen Hinweis von weiterem entscheidungserheblichem Vortrag abgehalten hat (vgl. VGH BW, B.v. 16.10.2019 – A 12 S 2881/18 – juris Rn. 7).
Allerdings wäre – wie stets – für die Annahme eines relevanten, d.h. zur Zulassung der Berufung führenden Verfahrensfehlers im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO eine substantiierten Darlegung erforderlich, was der Kläger ohne den Gehörsverstoß zu betreffenden Einzelaspekten der Urteilsbegründung mit Aussicht auf Erfolg vorgetragen hätte (vgl. BVerwG, B.v. 29.1.2018 – 3 B 25.17 – juris Rn. 24; B.v. 16.2.1998 – 4 B 2.98 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 25.6.2019 – 8 ZB 19.32121 – juris Rn. 14 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen, welches hierzu keine Angaben enthält, nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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