Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag mangels hinreichender Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung

Aktenzeichen  20 ZB 17.30604

Datum:
11.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 119316
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Darlegung einer Grundsatzfrage iSd § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG, die anders als vom Verwaltungsgericht im Berufungsverfahren beantwortet werden soll, erfordert, dass sich der Antrag auf Zulassung der Berufung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts substantiell auseinandersetzt und eine gewisse Wahrscheinlichkeit aufzeigt, dass die Frage von grundsätzlicher Bedeutung anders zu beantworten ist als vom Verwaltungsgericht. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird mit dem Berufungszulassungsantrag in Wahrheit die Würdigung des klägerischen Vortrags durch das Verwaltungsgericht angegriffen, das den Vortrag als widersprüchlich und damit unglaubhaft eingestuft hat, stellt dies keine Frage des rechtlichen Gehörs dar, sondern der – im Rahmen von § 78 Abs. 3 AsylVfG nicht einschlägigen – Beweiswürdigung. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 10 K 16.30430 2017-03-03 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg. Er ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Weise dargetan sind.
Die Klägerin hält die Frage,
ob Rückkehrer nach Irak allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG i.V.m Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt zu sein, und inwieweit für Rückkehrer nach Irak aufgrund der allgemeinen Not- und Gefahrenlage Abschiebungsverbote nach §§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen,
für grundsätzlich klärungsbedürftig (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Ferner muss dargelegt werden, weshalb der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Dies ist darzulegen. „Darlegen“ bedeutet schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als lediglich ein allgemeiner Hinweis; „etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 2.10.1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90, 91; B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825). Orientierungspunkt dieser Erfordernisse ist die Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, mit der sich die Begründung des Zulassungsantrags substantiiert auseinandersetzen muss. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs hat die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung nicht dargelegt. Es wird schon nicht aufgezeigt, dass die aufgeworfene(n) Frage(n) aus Sicht des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich war(en). Daneben wird auch die Klärungsbedürftigkeit der Frage(n) nicht dargelegt. Das Verwaltungsgericht ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass eine ernsthafte, individuelle Bedrohung des Lebens und der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts hier nicht in Betracht komme, da nach der aktuellen Auskunftslage des Auswärtigen Amtes (Lagebericht vom 7. Februar 2017, Seite 16) in Bagdad, woher die Klägerin stamme, selbst kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrsche. Auch sei nach der Auskunftslage nicht anzunehmen, dass die derzeitigen humanitären Bedingungen im Irak nicht dergestalt sind, dass bei einer Abschiebung in dieses Land eine im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG beachtliche Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Weiter sei nach der Erlasslage davon auszugehen, dass diese hinsichtlich allgemeiner Gefahren derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebungen vermittele, sodass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedürfe. Mit diesen Gründen der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung setzt sich die Klägerin in ihrem Zulassungsantrag nicht auseinander. Zur Darlegung einer Grundsatzfrage, die anders als vom Verwaltungsgericht im Berufungsverfahren beantwortet werden soll, gehört es jedoch, dass sich der Antrag auf Zulassung der Berufung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts substantiell auseinandersetzt und eine gewisse Wahrscheinlichkeit aufzeigt, dass die Frage von grundsätzlicher Bedeutung anders zu beantworten ist als vom Verwaltungsgericht. Dies hat die Klägerin in ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung jedoch nicht getan. Sie hat sich vielmehr darauf beschränkt, die Ansicht des Verwaltungsgerichts zu bestreiten und in diesem Zusammenhang ihr vorgetragenes individuelles Verfolgungsschicksal noch einmal zu bekräftigen. Damit hat sie aber keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt, welche die Durchführung eines Berufungsverfahrens rechtfertigen würde.
Die Klägerin macht weiter geltend, ihr sei das rechtliche Gehör versagt worden. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei eine Überraschung gewesen. Das Gericht hätte, falls es die Ausführungen der Klägerin als detailarm beschreibe, Fragen stellen können. Auf alle Fragen hätte die Klägerin geantwortet. Das Gericht hätte ihre Aussagen und die ihres Bruders unzutreffend bewertet. Diese Begründung vermag die Zulassung der Berufung jedoch nicht zu rechtfertigen.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 –1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wonach vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat, könnte nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich keine generelle Pflicht des Gerichts, den Beteiligten vorab mitzuteilen, wie es bestimmte Erkenntnismittel oder den Tatsachenvortrag des Asylbewerbers einschätzt. Das Tatsachengericht ist grundsätzlich nicht gehalten, vorab auf Ungereimtheiten und Widersprüche in seinem Vorbringen hinzuweisen, da die Beweiswürdigung der Schlussberatung des Gerichts vorbehalten bleibt und sich deshalb einer Voraberörterung mit den Beteiligten entzieht. Aus den asylspezifischen Anforderungen an die gerichtliche Ermittlungstiefe nach § 86 Abs. 1 VwGO folgen keine weitergehenden Anforderungen an die gerichtliche Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO (BVerwG, B.v. 26.11.2001 – 1 B 347.01 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52). Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht in seiner Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt abstellt, der weder im Verwaltungsverfahren noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erörtert wurde und der zunächst als fernliegend anzusehen war und damit dem Rechtsstreit eine unerwartete Wende gibt (BVerwG, B.v. 19.7.2010 – 6 B 20.10 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 54 = NVwZ 2011, 372; B.v. 19.6.1998 – 6 B 70.97 – Buchholz 448.6 § 1 KDVG Nr. 56 = NVwZ-RR 1998, 759). Gemessen an diesen höchstrichterlichen Grundsätzen hat die Klägerin keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör dargelegt. Die Klägerin greift mit ihren Zulassungsantrag in Wahrheit die Würdigung ihres Vortrags durch das Verwaltungsgericht an, das ihren Vortrag als widersprüchlich und damit unglaubhaft eingestuft hat. Die von der Auffassung der Klägerin abweichende Bewertung ihres Vortrags stellt jedoch keine Frage des rechtlichen Gehörs dar, sondern der – im Rahmen von § 78 Abs. 3 AsylVfG nicht einschlägigen – Beweiswürdigung.
Soweit die Klägerin noch rügt, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden, weil über einen gestellten Beweisantrag leider nicht entschieden worden sei, ist aus dem Antrag auf Zulassung der Berufung bereits nicht ersichtlich, um welchen Beweisantrag es sich handelt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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