Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag mangels hinreichender Darlegung eines Verfahrensmangels

Aktenzeichen  11 ZB 17.31186

Datum:
5.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 127995
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO § 78 Abs. 4 S. 4, § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 2, § 138

 

Leitsatz

1. Kein Gehörsverstoß, wenn sich eine Parteivernehmung nicht aufträngen musste, da es auf den persönlichen Eindruck nicht ankam. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrages, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen PTBS zum Gegenstand hat, ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BVerwG BeckRS 2012, 55084) regelmäßig ein gewissen Mindestanforderungen genügendes fachärztliches Attest vorzulegen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Aufklärungsmangel begründet keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, sondern betrifft nur den vom Gericht ermittelten bzw. zu ermittelnden (§ 86 Abs. 1 VwGO) bzw. den zu Grunde gelegten Sachverhalt (§ 108 Abs. 1 VwGO). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 9 K 17.33769 2017-08-02 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der allein geltend gemachte Verfahrensmangel gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt worden ist.
Nach obergerichtlicher Rechtsprechung besteht die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO darin, jedem Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit zu geben, sich zu dem gesamten Stoff des gerichtlichen Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern (BVerwG, B.v. 7.6.2017 – 5 C 5/17 D u.a. – juris Rn. 8 m.w.N.). Sie verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Findet eine mündliche Verhandlung statt, begründet der Anspruch auf rechtliches Gehör vor allem das Recht des Beteiligten, sich in dieser Verhandlung zu äußern, wobei es ihm unbenommen bleibt, inwieweit er hiervon Gebrauch macht. Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird durch die prozessuale Mitverantwortung begrenzt, d.h. dass der Beteiligte alles in seinen Kräften Stehende und nach Lage der Dinge Erforderliche zu tun hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Unterlässt er es, von den prozessual gebotenen Möglichkeiten Gebrauch zu machen, wird sein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt (BVerwG, a.a.O., m.w.N.; U.v. 30.8.1982 – 9 C 1/81 – Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 41 = juris Rn. 12).
Der Kläger rügt, dass ihn eine Erkrankung daran gehindert habe, seine Asylgründe im Wege der Parteieinvernahme vorzubringen und dem Gericht erster Instanz die Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG in entsprechender Weise vorzutragen. Durch die Versagung des Wiedereintritts in die mündliche Verhandlung sei sein rechtliches Gehör verletzt worden.
Es ist bereits nicht hinreichend dargelegt, dass der Kläger nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen konnte. Der Prozessbevollmächtigte nimmt insoweit auf einen Arztbericht vom 1. August 2017 Bezug, aus dem sich indes – entgegen der Darstellung in dem Wiedereröffnungsantrag vom 2. August 2017 – gerade nicht ergibt, dass der Kläger am 20. Juli 2017 in das Bezirksklinikum Regensburg „eingeliefert“ worden ist. Vielmehr wurde er von seiner Hausärztin an die Ambulanz des Klinikums „überwiesen“. Von einer stationären Aufnahme ist in dem „Ambulanten Bericht“ des Bezirksklinikums vom 1. August 2017 nicht die Rede, sondern lediglich davon, dass er in der Ambulanz „vorstellig“ geworden sei. Es wurde unter anderem eine klinische Beobachtung empfohlen, um eine endgültige Entscheidung über die erforderlichen medizinischen Maßnahmen stellen und die Reisefähigkeit beurteilen zu können. Der Kläger hat sich mithin am 20. Juli 2017 selbst von seinem Wohnort in Amberg nach Regensburg in die Ambulanz begeben und dies seinem Bevollmächtigten offenbar nicht mitgeteilt. Weiter hat das Bezirksklinikum gerade nicht den Verdacht der behandelnden Allgemeinärztin des Klägers auf eine schwere Depression mit Suizidalität bestätigt. Nach dem Arztbericht, der mit dem Ergebnis eines Verdachts auf eine mittelschwere depressive Episode sowie auf eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) schloss, zeigten sich leicht bis mittelschwer ausgeprägte Symptome einer affektiven Störung, „am ehesten einer Depression“. Hieraus ergibt sich noch kein Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger nicht zu einer mündlichen Verhandlung nach Regensburg hätte reisen können oder gar verhandlungsunfähig gewesen ist.
Außerdem war der Kläger – seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs wahrend – in der mündlichen Verhandlung durch seinen Prozessbevollmächtigten vertreten und hat auch nicht von den prozessualen Möglichkeiten Gebrauch gemacht, auf seine persönliche Anhörung hinzuwirken oder sich auf sonstige Weise rechtliches Gehör verschafft. Daher kann er sich insoweit auch nicht auf eine Verletzung dieses Rechts berufen. Nachdem das Verwaltungsgericht das persönliche Erscheinen des Klägers nicht angeordnet hatte, war für den Prozessbevollmächtigten seit dem Zugang der Ladung ersichtlich, dass es eine Parteieinvernahme nicht für erforderlich hielt. Dennoch hat er in der mündlichen Verhandlung keinen förmlichen Beweisantrag gestellt, der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO zu verbescheiden gewesen wäre. Die schriftliche Anregung einer Parteieinvernahme führt noch nicht dazu, dass sich diese Maßnahme dem Gericht hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 27.1.2006 – 5 B 98/05 u.a. – juris Rn. 9), insbesondere als das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Vorbringen des Klägers keine als Verfolgung zu qualifizierende Handlung entnommen und ihn wegen eines gesetzwidrigen Fehlverhaltens einzelner Militär- bzw. Milizangehöriger auf die innerstaatlichen Schutzmöglichkeiten verwiesen hatte. Es ging folglich um die rechtliche Bewertung eines als wahr unterstellten Sachvortrags. Da das Verwaltungsgericht dieser Einschätzung gefolgt ist, bestand aus seiner Sicht kein Anlass, die nur aufgrund eines persönlichen Eindrucks feststellbare (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.1011 – 14 ZB 11.30358 – juris Rn. 5) Glaubwürdigkeit des Klägers näher zu prüfen. In dem erstinstanzlichen Urteil findet sich neben der Bezugnahme gemäß § 77 Abs. 2 AsylG lediglich der Zusatz, dass der Kläger mittlerweile nicht mehr der Wehrpflicht unterliege.
Schließlich war der Kläger auch nicht daran gehindert, zu Abschiebungsverboten vorzutragen. Soweit sein Bevollmächtigter im Klageverfahren erstmals schriftlich geltend gemacht hat, der am 1. Oktober 2015 ins Bundesgebiet eingereiste Kläger leide aufgrund der Misshandlungen durch Militär- bzw. Milizangehörige an einer behandlungsbedürftigen PTBS, hat er hierzu bis zur mündlichen Verhandlung nichts Näheres vorgetragen und kein den Anforderungen an die Feststellung einer PTBS genügendes Attest vorgelegt, denen im Übrigen auch der Arztbericht des Bezirksklinikums vom 1. August 2017 nicht ansatzweise gerecht würde. Zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrages, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen PTBS zum Gegenstand hat, ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung regelmäßig ein gewissen Mindestanforderungen genügendes fachärztliches Attest vorzulegen, aus dem sich nachvollziehbar ergeben muss, auf welcher Grundlage der Arzt zu seiner Diagnose gelangt ist und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt (BVerwG, B.v. 26.7.2012 – 10 B 21.12 – juris Rn. 7 m.w.N.). Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren soll das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome – wie hier – erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (BVerwG, a.a.O.). Vor diesem Hintergrund bestand für
das Verwaltungsgericht auch kein Anlass, Ermittlungen zum Gesundheitszustand des Klägers anzustellen, was im Übrigen allenfalls einen Aufklärungsmangel darstellen könnte, der keine Verletzung des rechtlichen Gehörs begründen würde, sondern letztlich nur den vom Gericht ermittelten bzw. zu ermittelnden (§ 86 Abs. 1 VwGO) bzw. den zu Grunde gelegten Sachverhalt (§ 108 Abs. 1 VwGO) betrifft. Behauptete Verstöße gegen diese Vorschriften gehören im Asylprozess jedoch nicht zu den Verfahrensfehlern, die gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO zur Zulassung der Berufung führen können. Zudem wäre auch insoweit zur Begründung eines Gehörsverstoßes ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag zum Gesundheitszustand des Klägers erforderlich gewesen. Allein eine Ablehnung eines solchen Beweisantrags, die keine Stütze im Prozessrecht findet, wäre geeignet, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu begründen, die zu einer Zulassung der Berufung im Asylprozess führen kann.
Soweit der Prozessbevollmächtigte mit seinem Zulassungsantrag nunmehr von Exilpolitikern ausgestellte Bestätigungen vorlegt, die keinen konkreten Sachverhalt bezeugen, sondern vor allem die Einschätzung wiedergeben, dass der Kläger politisch verfolgt sei, zielt der Antrag darauf, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung geltend zu machen, was jedoch gemäß § 78 Abs. 3 AsylG kein Zulassungsgrund ist. Im Übrigen wird nicht dargelegt, weshalb das Dokument vom 25. Juni 2017 nicht bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vorgelegt worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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