Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag mangels Vorliegens einer Divergenz

Aktenzeichen  8 ZB 17.31813

Datum:
31.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21898
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 4 S. 4, § 83b
VwGO § 60 Abs. 1, Abs. 4, § 124a Abs. 4 S. 4
RVG § 30 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Werden mehrere Aussagen eines Verwaltungsgerichtshofs mehreren Aussagen eines Verwaltungsgerichts gegenübergestellt, ohne dass präzise angegeben wurde, welche mit welcher in Widerspruch stehen soll,ist schon kein konkreter Tatsachensatz des Verwaltungsgerichtshofs herausgearbeitet, dem die Ausführungen des Verwaltungsgerichts widersprechen könnten, sodass der  Zulassungsgrund der Divergenz nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG nicht begründet werden kann. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ebenso wie ein abstrakter Rechtssatz nur bei einer fallübergreifenden, nicht lediglich auf Würdigung des Einzelfalls bezogenen rechtlichen Aussage anzunehmen ist, setzt ein Tatsachensatz iSd § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG voraus, dass nicht nur eine rein fallspezifische, individuelle Tatsache festgestellt wird, sondern dass eine generelle, verallgemeinerungsfähige Tatsachenentscheidung getroffen, also ein verbindlicher Grundsatz tatsächlicher Art aufgestellt wird. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die als grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage,„ob sich für den Rückkehrfall die Gefahrensituation für in Deutschland exilpolitisch tätige äthiopische Staatsangehörige verschärft hat“, ist in dieser Allgemeinheit nicht klärungsfähig und damit nicht entscheidungserheblich (so bereits BayVGH BeckRS 2018, 20060). Gleiches gilt für die Frage, „unter welchen Voraussetzungen die der Gruppe der exilpolitisch tätigen äthiopischen Staatsangehörigen zugehörenden Personen bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit dem Grad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG zu rechnen haben“. (Rn. 30 – 35) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 3 K 16.30472 2017-11-02 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
I.
Der von der Beklagten geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt bzw. liegt nicht vor.
Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten übergeordneten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz oder einer verallgemeinerungsfähigen Tatsachenfeststellung von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechts- oder Tatsachensatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bzw. über den Tatsachensatz bestehen. Es kommt darauf an, ob das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung einen Rechts- oder Tatsachensatz zugrunde gelegt hat, der mit einem die Entscheidung tragenden Rechts- bzw. Tatsachensatz nicht übereinstimmt, den eines dieser Gerichte aufgestellt hat, nicht aber darauf, ob unterschiedliche oder ähnlich gelagerte Sachverhalte verschieden beurteilt worden sind (vgl. BVerwG, B.v. 11.8.1998 – 2 B 74.98 – NVwZ 1999, 406 = juris Rn. 2; B.v. 22.6.2015 – 4 B 59.14 – NuR 2015, 772 = juris Rn. 15; B.v. 31.7.2017 – 2 B 30.17 – juris Rn. 5 ff.).
Die Darlegung des Zulassungsgrunds der Divergenz nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG setzt dementsprechend voraus, dass ein inhaltlich bestimmter, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender abstrakter Rechts- oder verallgemeinerungsfähiger Tatsachensatz benannt wird, mit dem dieses von einem in der Rechtsprechung des Divergenzgerichts in Anwendung derselben Vorschrift aufgestellten und entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz abgewichen sein soll. Die divergierenden Sätze müssen präzise einander gegenübergestellt werden, sodass die Abweichung erkennbar wird (vgl. BVerwG, B.v. 27.4.2017 – 1 B 68.17 – juris Rn. 14 m.w.N.; BayVGH, B.v. 6.11.2017 – 6 ZB 17.1011 – juris Rn. 27; OVG NRW, B.v. 8.6.2015 – 4 A 361/15.A – juris Rn. 2). Das bloße Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen eines Obergerichts genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (vgl. BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 16).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kommt nach Auffassung des Senats eine Zulassung der Berufung wegen einer Abweichung des erstinstanzlichen Urteils von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs weder im Hinblick auf den von der Beklagten angeführten Beschluss vom 14. Juli 2015 – 21 ZB 15.30119 – juris (vgl. dazu unten 1.) noch im Hinblick auf den Beschluss vom 8. November 2002 – 9 B 00.31236 – juris in Betracht (vgl. dazu unten 2.). Daran vermag auch die anderweitige Beurteilung dieser Frage im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 14. November 2017 (Az. 21 ZB 17.31340 – juris Rn. 2) nichts zu ändern, der der Senat nicht zu folgen vermag. Auch in Bezug auf diese Entscheidung liegt eine Abweichung nicht vor (vgl. dazu unten 3.).
1. Eine Zulassung der Berufung wegen einer Abweichung von der Entscheidung vom 14. Juli 2015 – 21 ZB 15.30119 – juris scheidet aus.
Die Beklagte führt zur Darlegung ihres Zulassungsantrags in einer zusammenfassenden Darstellung des erstinstanzlichen Urteils aus, das Verwaltungsgericht gehe davon aus,
„dass sich die Gefahrensituation für in Deutschland exilpolitisch tätige äthiopische Staatsangehörige verschärft habe. Bei Mitgliedschaft in oder als Anhänger von Organisationen, die einer vom äthiopischen Staat als terroristisch eingeordneten Organisation nahestehe, seien nun auch Mitläufer bzw. diejenigen, die untergeordnete Aktivitäten entfaltet hätten, beachtlich wahrscheinlich von Verfolgung bedroht. Es genüge ein Mindestmaß an exilpolitischen Aktivitäten.“
Damit weiche das Verwaltungsgericht von folgenden Aussagen in der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 14. Juli 2015 ab, in der er zu der dort grundsätzlich geltend gemachten Frage, ob nicht herausragend im deutschen Exil aktive Oromos und Mitglieder der Organisation der UOSG im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien mit politscher Verfolgung zu rechnen haben:
„Die (…) aufgeworfene Frage nach einer Rückkehrgefährdung von äthiopischen Asylbewerbern, die sich in Deutschland exilpolitisch betätigt haben, ist nicht (mehr) klärungsbedürftig. Der Senat hat sie im Verfahren eines Klägers, der ebenfalls der Volksgruppe der Oromos angehörte, mit Urteil vom 25. Februar 2008 (21 B 07.30363) beantwortet, soweit das über den Einzelfall hinausgreifend möglich ist. Danach müssen Personen bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen rechnen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland derart exponiert politisch betätigt haben, dass die äthiopischen Behörden sie als ernsthafte Oppositionsangehörige einstufen (ebenso OVG NRW, U.v. 17.8.2010 – 8 A 4063/06.A – juris). Das Verwaltungsgericht ist dem der Sache nach gefolgt, wenn es in dem angegriffenen Urteil (UA S. 15) feststellt:,Der Kläger stellt sich in der Gesamtschau als bloßer Mitläufer dar, der von einer Exponierung weit entfernt ist.‘“
Mit diesem Vorbringen wird jedoch aus mehreren Gründen keine Divergenz aufgezeigt:
a) Zum einen ist schon kein konkreter Tatsachensatz des Verwaltungsgerichtshofs herausgearbeitet, dem die oben stehenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts widersprechen könnten. Vielmehr sind mehrere Aussagen des Verwaltungsgerichtshofs mehreren Aussagen des Verwaltungsgerichts gegenübergestellt, ohne dass präzise angegeben wurde, welche mit welcher in Widerspruch stehen soll. Zum anderen lässt sich ein Widerspruch der Entscheidungen in diesen Passagen nicht feststellen. Denn während das Verwaltungsgericht zur Rückkehrgefährdung von sog. „Mitläufern“ und Personen mit „untergeordneter exilpolitischer Tätigkeit“ im Fall ihrer Mitgliedschaft in oder Anhängerschaft bei Organisationen Stellung nimmt, die einer vom äthiopischen Staat als terroristisch eingeordneten Organisation nahestehen, hat sich der Verwaltungsgerichthof lediglich zur Gefährdung von „exponiert“ politisch tätigen Personen geäußert. Einen divergenzfähigen, abstrakten Tatsachensatz mit dem Inhalt, dass bloße „Mitläufer“ und Personen mit untergeordneter exilpolitischer Tätigkeit im Fall ihrer Rückkehr nach Äthiopien keiner Verfolgungsgefahr ausgesetzt sind, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht aufgestellt. Dafür spricht nicht zuletzt auch die Tatsache, dass der in dieser Entscheidung in Bezug genommene Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Februar 2008 (Az. 21 B 07.30363 – juris) selbst nur Personen in den Blick nimmt („jedenfalls“), die sich in der Bundesrepublik Deutschland exponiert politisch betätigt haben. Von sog. „Mitläufern“ oder Personen mit „untergeordneter exilpolitischer Tätigkeit“ ist in dieser Entscheidung keine Rede.
Wörtlich heißt es in der einschlägigen Passage (juris Rn. 16):
„Aus diesen Auskünften und Stellungnahmen lässt sich zur Überzeugung des Senats entnehmen, dass jedenfalls Personen, die sich – wie die Klägerin – hier in der Bundesrepublik Deutschland exponiert politisch betätigt haben, bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit politisch motivierten Verfolgungsmaßen zu rechnen haben, zumal der äthiopische Staat in der Bundesrepublik Deutschland die Aktivitäten äthiopischer Staatsangehöriger überwacht. Da den äthiopischen Behörden aufgrund ihrer Überwachungstätigkeit bekannt wird, dass die Klägerin sich hier in der Bundesrepublik Deutschland überaus aktiv und an hervorgehobener Stelle politisch für die EPRP betätigt und regimekritische Gedichte veröffentlicht, so muss aufgrund der Auskunftslage nach Auffassung des Senats davon ausgegangen werden, dass die äthiopischen Behörden die Klägerin als ernsthafte Oppositionsangehörige einstufen werden mit der Folge, dass sie bei einer Rückkehr mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hat. Die Beklagte war unter diesen Umständen zu verpflichten, das Verbot der Abschiebung nach § 60 Abs. 1 AufnG hinsichtlich Äthiopiens festzustellen.“
Ein abstrakter Tatsachensatz zur Verfolgungsgefährdung von „Mitläufern“ oder Personen mit „untergeordneter exilpolitischer Tätigkeit“ lässt sich auch nicht den Formulierungen in der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 14. Juli 2015 entnehmen, dass „das (dort betroffene) Verwaltungsgericht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs der Sache nach gefolgt ist, wenn es in dem angegriffenen Urteil feststellt, dass der Kläger sich in der Gesamtschau als bloßer Mitläufer darstellt, der von einer Exponierung weit entfernt ist“. Denn diese Aussage kann nicht als abstrakter verallgemeinerungsfähiger Tatsachensatz im Sinn des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG qualifiziert werden. Ebenso wie ein abstrakter Rechtssatz nur bei einer fallübergreifenden, nicht lediglich auf Würdigung des Einzelfalls bezogenen rechtlichen Aussage anzunehmen ist, setzt ein Tatsachensatz im Sinn des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG voraus, dass nicht nur eine rein fallspezifische, individuelle Tatsache festgestellt wird, sondern dass eine generelle, verallgemeinerungsfähige Tatsachenentscheidung getroffen, also ein verbindlicher Grundsatz tatsächlicher Art aufgestellt wird (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124 Rn. 11; Roth in Posser/Wolff, VwGO, 2. Aufl. 2014, § 124 Rn. 74; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 78 Rn. 19 f.). Ein solcher genereller Tatsachensatz kann der oben stehenden Aussage aber nicht entnommen werden. Vielmehr wertet der Verwaltungsgerichtshof in dem konkreten Verfahren die Ausführungen des Verwaltungsgerichts als mit seiner Rechtsprechung übereinstimmend, ohne dabei über eine abstrakten Rechts- oder Tatsachenfrage sachlich zu entscheiden und hierzu einen generellen Grundsatz aufzustellen.
b) Eine Divergenz läge aber auch dann nicht vor, wenn man die Aussage, dass „das Verwaltungsgericht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs der Sache nach gefolgt sei, wenn es in dem angegriffenen Urteil feststelle, dass der Kläger sich in der Gesamtschau als bloßer Mitläufer dar stelle, der von einer Exponierung weit entfernt sei“ als einen abstrakten Tatsachensatz verstehen würde. Denn das Verwaltungsgericht ist hiervon nicht abgewichen. Eine Abweichung setzt ein bewusstes ausdrücklich oder zumindest konkludentes Abrücken des Verwaltungsgerichts von dem Tatsachensatz des übergeordneten Gerichts voraus. Dagegen reicht es nicht aus, wenn das Verwaltungsgericht unbewusst einen im Einzelfall nicht infrage gestellten Tatsachensatz des Verwaltungsgerichtshofs übergeht oder sonst rechtsfehlerhaft anwendet (vgl. Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 179 m.w.N.). Das wäre hier aber anzunehmen, weil sich das Verwaltungsgericht bezüglich der Frage der Verfolgung von bloßen „Mitläufern“ in keiner Weise mit einer gegenteiligen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auseinandergesetzt und dieser bewusst widersprochen hat. Vielmehr hat es sich nach eigener Anschauung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage der Verfolgung von exponiert exilpolitisch tätigen Personen sogar ausdrücklich angeschlossen (vgl. Urteilsabdruck S. 10). Abgewichen ist es nur von der eigenen ständigen Rechtsprechung in früheren Entscheidungen (vgl. Urteilsabdruck S. 11), nicht jedoch von der eines übergeordneten Divergenzgerichts.
c) Schließlich scheitert die Annahme einer Divergenz auch daran, dass die tatsächlichen Verhältnisse in Äthiopien nach dem Erlass der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 14. Juli 2015 eine Änderung erfahren haben und sich das Verwaltungsgericht unter Anführung entsprechender Erkenntnismittel explizit hierauf berufen hat. Eine Abweichung ist nur dann gegeben, wenn das Verwaltungsgericht einen gleichen, vergleichbaren oder gleich gelagerten Sachverhalt zu beurteilen hatte (vgl. Pietzner/Buchheister in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Juni 2017, § 132 Rn. 73). Daher müssen sich bei Tatsachenfragen die sich widersprechenden Tatsachensätze im Wesentlichen auf denselben Zeitraum beziehen. Eine Divergenzzulassung kommt dann nicht mehr in Betracht, wenn sich die der früheren obergerichtlichen Grundsatzentscheidung zugrunde liegenden Verhältnisse nicht nur unwesentlich verändert haben und das Verwaltungsgericht seine abweichende Bewertung der Verfolgungslage unter Bezeichnung neu herangezogener Erkenntnismittel auf diese Veränderungen stützt (vgl. HessVGH, B.v. 21.3.2000 – 12 UZ 4014/99.A – NVwZ 2000, 1433 = juris Rn. 9 m.w.N.; NdsOVG, B.v. 13.1.2009 – 11 LA 471/08 – juris Rn. 2; OVG SA, B.v. 4.4.2017 – 3 L 69/17 – juris Rn. 8 ff.; Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 167 und 171 m.w.N.). Das ist hier der Fall. Das Verwaltungsgericht hat unter Bezugnahme des im Oktober 2016 verhängten Ausnahmezustands und dem aus seiner Sicht anschließend verschärften Vorgehen der äthiopischen Sicherheitskräfte gegen die Oromogemeinschaft und gegen vermeintliche Unterstützer und Mitglieder der von der äthiopischen Regierung als terroristisch eingestuften Vereinigungen und unter Anführung neuer Erkenntnismittel ausgeführt, dass die neuesten politischen Entwicklungen in Äthiopien zu einer neuen Einschätzung der Gefahrensituation für äthiopische Staatsbürger führe, die sich in Deutschland exilpolitisch betätigt hätten. Auf dieser Grundlage ist das Verwaltungsgericht zu der Auffassung gelangt, dass sich die Gefahrensituation für in Deutschland exilpolitisch tätige äthiopische Staatsangehörige zumindest für Mitglieder und Anhänger von Organisationen, die vom äthiopischen Staat als terroristisch eingeordnet werden, verschärft habe. Ob sich aus der Veränderung der Verhältnisse tatsächlich auch eine Änderung der Verfolgungslage nach § 3 Abs. 1 AsylG ergeben hat, ist für das Vorliegen einer Abweichung unerheblich.
2. Aus denselben Gründen ist eine Zulassung der Berufung wegen der geltend gemachten Abweichung von der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 8. November 2002 (Az. 9 B 00.31263 – juris) abzulehnen. Eine Abweichung der oben (unter 1.) genannten Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils von folgenden in der Zulassungsbegründung angeführten Aussagen des Verwaltungsgerichtshofs (juris Rn. 25 f.) ist nicht gegeben:
„Aus der vom Senat gewürdigten Auskunftslage hat sich schon bisher stets ergeben, dass die Toleranzschwelle der äthiopischen Regierung gegenüber den zahlreichen Gruppierungen der politischen Opposition nicht davon abhängig ist, welche Ziele die jeweilige oppositionelle Organisation verfolgt. Staatliche Sicherheitskräfte und Stellen greifen erst dann ein, wenn politische Gegner der Regierung ihre abweichende Überzeugung unter Anwendung von Gewalt durchsetzen wollen oder Straftaten des organisierten bewaffneten Aufstandes zu bekämpfen oder zu ahnden sind. [Auch wenn etwaige Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Stellen wegen einer noch unzureichenden Verwaltung und Justiz in Äthiopien nicht im gebotenen Umfang unterbunden oder verfolgt werden,] kann nicht festgestellt werden, dass die äthiopische Regierung Menschenrechtsverletzungen generell als Mittel der politischen Kontrolle und zur Unterdrückung Andersdenkender einsetzt. Für staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Mitglieder oppositioneller Organisationen wie auch exilpolitischer Gruppierungen in nicht gehobener Position besteht kein Anlass, zumal dann, wenn diese ihre Ziele auf demokratischem Weg – ohne Anwendung von Waffengewalt oder Einsatz terroristischer Mittel – erreichen wollen.“
Zwar mag zumindest in der Aussage, dass „für staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Mitglieder oppositioneller Organisationen wie auch exilpolitischer Gruppierungen in nicht gehobener Position kein Anlass bestehe“ ein Widerspruch zu der Feststellung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen, dass „nunmehr auch für äthiopische Staatsangehörige, die sich zu Organisationen bekennen, die vom äthiopischen Staat als terroristisch eingestuft werden und die ein Mindestmaß an Aktivität im Rahmen dieser Organisationen vorweisen können, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefahr bei einer Rückführung nach Äthiopien besteht“ (vgl. Urteilsabdruck S. 15). Abgesehen davon, dass sich auch hier die Beklagte auf eine Vielzahl von Sätzen beruft, ohne im Einzelnen darzulegen, welcher Tatsachensatz im rechtlichen Sinn welchem ebensolchen Tatsachensatz des Verwaltungsgerichts widersprechen soll, gilt das zur Veränderung der Verhältnisse Gesagte. Dass sich die tatsächlichen Verhältnisse in Äthiopien seit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 8. November 2002 nicht nur unwesentlich verändert haben, steht außer Frage.
3. Schließlich kann die Zulassung der Berufung auch nicht auf eine Abweichung des erstinstanzlichen Urteils von den in der Zulassungsbegründung angeführten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 14. November 2017 (Az. 21 ZB 14.31340 – juris Rn. 2) gestützt werden:
„Dem angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts liegt (…) folgender Tatsachensatz zugrunde: Bekennen sich äthiopische Asylbewerber zu einer Exilorganisation (hier: TBOJ/UOSG), die einer vom äthiopischen Staat als terroristisch eingestuften Vereinigung nahesteht, und weisen sie für diese Exilorganisation ein Mindestmaß an Aktivität vor, haben sie für den Fall der Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG zu erwarten. Das Urteil weicht damit von der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ab und beruht auf dieser Abweichung. Der Senat hat mit Beschluss vom 14. Juli 2015 (21 B 15.30119 – juris) seine bisherige Rechtsprechung (vgl. U.v. 25.2.2008 – 21 B 07.30363 und 21 B 05.31082 – juris) fortgeführt und bezüglich eines Mitglieds der UOSG (TBOJ) auf folgende engere tatsächliche Voraussetzungen für eine Rückkehrgefährdung bei exilpolitischer Betätigung äthiopischer Staatsangehöriger verwiesen: Bei einer Rückkehr nach Äthiopien müssen solche Personen mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen rechnen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland derart exponiert politisch betätigt haben, dass die äthiopischen Behörden sie als ernsthafte Oppositionsangehörige einstufen.“
Auch wenn sich aus diesen Ausführungen ein Widerspruch zu der Feststellung der erstinstanzlichen Entscheidung entnehmen lässt, reicht das für eine Zulassung der Berufung wegen einer Abweichung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG nicht aus. Denn abgesehen davon, dass es an einer Gegenüberstellung konkreter Tatsachensätze des Verwaltungsgerichts einerseits und des Verwaltungsgerichtshofs andererseits fehlt und zudem der Verwaltungsgerichtshof in dieser Entscheidung keine eigene generelle, verallgemeinerungsfähige Tatsachenentscheidung getroffen hat, sondern lediglich seine bisherige Rechtsprechung näher erläutert hat, handelt es sich bei diesem Beschluss um eine ein Rechtsmittel zulassende und damit nicht divergenzfähige Entscheidung. Die Aufstellung eines Rechts- oder Tatsachensatzes muss abschließend oder verbindlich erfolgt sein. Das ist bei rechtsmittelzulassenden Entscheidungen nicht der Fall, weil die Zulassung eines Rechtsmittels zur Klärung einer bestimmten Rechts- oder Tatsachenfrage noch keine Entscheidung zur Sache selbst enthält (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.1998 – 2 B 70.98 – NVwZ 1999, 406 = juris Rn. 4; HessVGH, 15.6.1999 – 10 UZ 1052/99.A = juris Rn. 9 m.w.N.; Berlit in GK-AsylVfG § 78 Rn. 162).
II.
Die Berufung kann auch nicht wegen einer von der Beklagten geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zugelassen werden.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtlich Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 4 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 30.9.2015 – 1 B 42.15 – juris Rn. 3). Daran fehlt es hier.
1. Es kann dahingestellt bleiben, ob den Ausführungen der Beklagten, die sie innerhalb der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zum Zulassungsgrund der Divergenz vorgebracht hat, nach ihrem sachlichen Gehalt tatsächlich die im Schriftsatz vom 17. August 2018 angeführte Tatsachenfrage entnommen werden kann,
„ob in Äthiopien eine derartige Veränderung der Verhältnisse eingetreten ist, so dass untergeordnete exilpolitische Aktivitäten äthiopischer Asylbewerber im Bundesgebiet, die letztlich nicht über die Mitgliedschaft bei den hier tätigen Exilorganisationen und eine – ggf. auch häufige – Teilnahme an von diesen Gruppierungen durchgeführten Demonstrationen und sonstigen Veranstaltungen hinausgeht, bei Rückkehr mit dem Grad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgung i.S.d § 3 Abs. 1 AsylG befürchten lässt“,
und ob infolgedessen der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz in einen solchen der grundsätzlichen Bedeutung „umgedeutet“ werden kann (vgl. NdsOVG, B.v. 13.1.2009 – 11 LA 471/08 – juris Rn. 4). Selbst wenn man dies zugunsten der Beklagten unterstellt, wäre der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung wegen dieser Frage nicht gegeben, weil sie in einem Berufungsverfahren nicht klärungsfähig wäre. Es kommt insofern nämlich nicht nur darauf an, ob sich im angestrebten Berufungsverfahren eine bestimmte Frage entscheidungserheblich stellen würde, sondern auch darauf, ob sie für die Vorinstanz entscheidungserheblich gewesen ist (vgl. BVerwG, B. v. 25.4.2014 – 8 B 87/13 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 9.3.2017 – 20 ZB 17.30213 – juris Rn. 4; B.v. 19.2.2018 – 20 ZB 18.30003 – juris Rn. 4; Seibert in Sodan/Ziekow, 4. Aufl. 2014, § 124 Rn. 152). Das ist hier nicht der Fall. Denn das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung, dass die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. April 2016 verpflichtet ist, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, maßgeblich nicht nur auf solche exilpolitische Aktivitäten der Klägerin gestützt, die „nicht über die Mitgliedschaft bei den hier tätigen Exilorganisationen und eine Teilnahme an von diesen Gruppierungen durchgeführten Demonstrationen und sonstigen Veranstaltungen hinausgehen“. Vielmehr hat es seine Entscheidung ebenso darauf abgestellt („Neben der Vielzahl…“), dass die Klägerin nachweislich einen Vorstandsposten der EPPFG in Zeil am Main inne hat (vgl. Urteilsabdruck S. 18). Hiergegen hat die Beklagte keinen durchgreifenden Zulassungsgrund geltend gemacht.
2. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 bis 4 VwGO wegen unverschuldeter Verhinderung der Einhaltung der Begründungsfrist für den Antrag auf Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG im Hinblick auf die nach dem Ablauf dieser Frist mit Schriftsatz vom 17. August 2018 geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu gewähren ist. Denn auch die dort aufgeworfenen Fragen können die Zulassung der Berufung nicht begründen.
a) Die von der Beklagten als grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage,
„ob sich für den Rückkehrfall die Gefahrensituation für in Deutschland exilpolitisch tätige äthiopische Staatsangehörige verschärft hat“,
ist in dieser Allgemeinheit nicht klärungsfähig und damit nicht entscheidungserheblich (so bereits BayVGH, B.v. 16.8.2018 – 8 ZB 18.30133 – nicht veröffentlicht). Die Frage ist sowohl zeitlich als auch inhaltlich viel zu allgemein gefasst, um in einem Berufungsverfahren abstrakt beantwortet werden zu können. Sie zielt letztlich auf die Fragestellung, ob exilpolitisch tätige äthiopische Staatsangehörige gegenwärtig im Fall ihrer Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG führt. Die Antwort auf diese Frage hängt von einer Vielzahl von Einzelfragen und individuellen Faktoren ab, etwa davon, um welche Art der exilpolitischen Tätigkeit es sich im Einzelfall handelt, und ist daher einer generellen, allgemeingültigen Klärung nicht zugänglich.
b) Aus demselben Grund ist auch die weiter aufgeworfene Frage,
„unter welchen Voraussetzungen die der Gruppe der exilpolitisch tätigen äthiopischen Staatsangehörigen zugehörenden Personen bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit dem Grad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG zu rechnen haben“
nicht klärungsfähig. Auch diese Frage ist nicht hinreichend konkret gefasst und würde sich daher in dieser Allgemeinheit in einem Berufungsverfahren in entscheidungserheblicher Weise nicht stellen.
c) Schließlich kann auch die Frage,
„ob exilpolitisch tätige äthiopische Staatsangehörigen bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit dem Grad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG zu rechnen haben, wenn sich ihre nach außen zum Ausdruck kommenden Aktivitäten in der Mitgliedschaft in oder Anhängerschaft von Organisationen, die vom äthiopischen Staat als terroristisch eingeordneten Gruppierungen nahestehen, sowie der Teilnahme an Veranstaltungen und Demonstrationen solcher Organisationen zeigen“,
der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung verleihen, weil sie im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich ist. Denn das Verwaltungsgericht hat – wie oben ausgeführt – seine Entscheidung nicht allein darauf gestützt, dass die Klägerin Mitglied oder Anhängerin einer vom äthiopischen Staat als terroristisch eingeordneten Gruppierung nahestehenden Organisation ist und an Veranstaltungen und Demonstrationen einer solchen Organisation teilgenommen hat, sondern maßgeblich auch darauf, dass sie nachweislich einen Vorstandsposten der EPPFG in Zeil am Main inne hat.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG. Da der Klägerin keine Kosten entstehen, weil die Kosten des Zulassungsverfahrens von der Beklagten zu tragen sind, braucht über den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO) nicht entschieden zu werden.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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