Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag weil der Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels wegen der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht vorliegt

Aktenzeichen  20 ZB 17.31514

Datum:
8.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 132467
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG § 78 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 S. 4
VwGO § 108 Abs. 2, § 124 Abs. 2 Nr. 5

 

Leitsatz

1. Es besteht keine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, seine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des vom Kläger vorgetragenen Sachverhalts in der Verhandlung zu äußern. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die (abschließende) Beurteilung der Glaubhaftigkeit des (gesamten) klägerischen Vortrags ist der abschließenden Beratung des Gerichtes nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung vorbehalten. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Gehörsverletzung kann nicht automatisch daraus geschlossen werden, dass im schriftlichen Urteil tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten nicht verarbeitet wurde, weil das Verwaltungsgericht nur zur Angabe der die richterliche Überzeugung leitenden Gründe verpflichtet ist. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften, die der Wahrung des Gebot auf rechtliches Gehör dienen, kann regelmäßig nicht mit Verstößen gegen die Sachaufklärungspflicht des Gerichts oder gegen das Gebot der freien richterlichen Beweiswürdigung begründet werden. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 12 K 17.30337 2017-08-29 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. August 2017 (Az. RO 12 K 17.30337) bleibt ohne Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund (§ 78 Abs. 3 AsylG) nicht vorliegt beziehungsweise schon nicht entsprechend § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG ausreichend dargelegt ist.
1. Der Kläger rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Der damit geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO liegt jedoch nicht vor.
a) Soweit der Kläger bemängelt, das Verwaltungsgericht habe ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag gestellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht habe rechnen müssen, ergibt sich daraus keine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Zum Grundsatz des rechtlichen Gehörs gehört auch das Verbot von Überraschungsentscheidungen. Das Gericht darf einen bisher nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt nicht ohne einen Hinweis zur Grundlage seiner Entscheidung machen, wenn dieser dem Prozess eine so überraschende Wendung gibt, dass auch ein sorgfältiger Prozessbeteiligter damit nicht rechnen muss (Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 283 ff.). Allerdings muss das Gericht nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die von ihm beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen. Falls es jedoch eine vorläufige Einschätzung der Rechtslage zu erkennen gegeben hat, muss es deutlich machen, wenn es hiervon wieder abweichen will (vgl. zum Ganzen Kraft in Eyermann, VwGO, § 138 Rn. 33 m.w.N.). Das Verwaltungsgericht war deshalb nicht verpflichtet, in der Verhandlung seine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des vom Kläger vorgetragenen Sachverhalts zu äußern. Es hat den Kläger jedoch ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 29. August 2017 ausführlich angehört, ihm Unstimmigkeiten in seinem Vortrag vorgehalten und ihm damit ausreichend Gelegenheit gegeben, etwaige Widersprüche auszuräumen. Die (abschließende) Beurteilung der Glaubhaftigkeit des (gesamten) klägerischen Vortrags bleibt jedoch der abschließenden Beratung des Gerichtes nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung vorbehalten; ihr Ergebnis kann nicht in der mündlichen Verhandlung vorweggenommen und mit den Beteiligten erörtert werden. Im Übrigen musste der Kläger auch mit den vom Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit seines Vortrags (sinngemäß) angewendeten Maßstäben rechnen, da sie sich aus der ständigen asylrechtlichen Rechtsprechung ergeben (vgl. BVerfG, B.v. 19.7.1990 – 2 BvR 2005/89 – juris; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris; U.v. 30.10.1990 – 9 C 72.89 – juris; B.v. 21.7.1989 – 9 B 239.89 – juris).
b) Des Weiteren macht der Kläger geltend, er sei mit seinem begründeten Vorbringen nicht gehört worden, und stellt zur Erläuterung die Wiedergabe seiner Angaben in der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sowie weitere Feststellungen des Verwaltungsgerichts aus den vorgelegten Behördenakten im Tatbestand des angefochtenen Urteils der Würdigung derselben in den Entscheidungsgründen gegenüber. Dabei bemängelt er, es ergebe sich aus den Entscheidungsgründen nicht eindeutig, ob das Gericht wesentliche Teile des klägerischen Vorbringens richtig verstanden und eingeordnet habe.
Darin liegt jedoch kein Gehörsverstoß. Zum Anspruch auf rechtliches Gehör gehört zum einen, dass der Beteiligte Gelegenheit hat, das aus seiner Sicht für seine Rechtsverfolgung oder -verteidigung Notwendige in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorzutragen. Zum anderen hat das Gericht diesen Vortrag zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Wird in dem schriftlichen Urteil tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten nicht verarbeitet, so lässt sich daraus nicht automatisch auf eine Gehörsverletzung schließen. Denn § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verpflichtet nur zur Angabe der die richterliche Überzeugung leitenden Gründe. Deshalb muss nicht jedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich beschieden werden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen auch in seine Erwägungen einbezogen hat, sodass nur bei Vorliegen deutlich gegenteiliger Anhaltspunkte ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör angenommen werden kann (Kraft in Eyermann, VwGO, § 138 Rn. 31/32 m.w.N.). Derartige Mängel sind hier weder dargelegt noch erkennbar. Zum einen hat das Verwaltungsgericht den Kläger ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ausführlich angehört und ihm damit ausreichend Gelegenheit gegeben, seine individuellen Verhältnisse sowie seine Beurteilung der Sicherheitslage in Somalia allgemein und in seiner Herkunftsregion im Speziellen darzustellen. Zum anderen hat der Kläger nicht dargelegt, inwiefern er an einem ausreichenden Vortrag gehindert gewesen wäre, was er darüber hinaus noch hätte vorgetragen wollen, welche Feststellungen das Gericht seinerseits hätte treffen müssen und welche Schlüsse zu seinen Gunsten daraus zu ziehen gewesen wären.
c) Soweit der Kläger mit den unter b) dargestellten Ausführungen darüber hinaus bemängelt, das Gericht habe wesentliche Teile seines Vorbringens (möglicherweise) nicht richtig verstanden und eingeordnet, ist damit ebenfalls schon kein Verfahrensfehler entsprechend den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt. Zwar kann eine Versagung des rechtlichen Gehörs i.S.d. § 138 Nr. 3 VwGO auch in der Verletzung von Verfahrensvorschriften liegen, die der Wahrung des rechtlichen Gehörs dienen. Hierzu gehören allerdings regelmäßig nicht Verstöße gegen die Sachaufklärungspflicht des Gerichts nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder gegen das Gebot der freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Zur Sachaufklärungspflicht und freien Beweiswürdigung zählt grundsätzlich auch die Frage, ob das Gericht auf hinreichend breiter Tatsachengrundlage entschieden hat. Der Anspruch auf rechtliches Gehör kann bei solchen Mängeln im Einzelfall allenfalls bei gravierenden Verstößen verletzt sein (BVerfG, B.v. 8.4.2004 – 2 BvR 743/03 – NJW-RR 2004, 1150), oder wenn es sich um gewichtige Verstöße gegen Beweiswürdigungsgrundsätze handelt, beispielsweise weil die Beteiligten mit der vom Gericht vorgenommenen Würdigung ohne ausdrücklichen Hinweis nicht rechnen mussten (vgl. BVerfG, B.v. 12.6.2003 – 1 BvR 2285/02 – NJW 2003, 2524) oder weil die Würdigung willkürlich erscheint oder gegen die Denkgesetze verstößt (vgl. BVerwG, B.v. 2.11.1995 – 9 B 710.94 – NVwZ-RR 1996, 359). Derartige gravierende Mängel sind hier jedoch nicht dargelegt. Im Ergebnis hält der Kläger die Sachverhaltswürdigung des Gerichts für falsch. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind jedoch nach der abschließenden Sonderregelung in § 78 Abs. 3 AsylG für den Asylprozess kein Grund für die Zulassung der Berufung.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83b AsylG.
Mit dieser Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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