Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag auf Aussetzung der Abschiebung

Aktenzeichen  10 AE 18.1908

Datum:
8.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 30625
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60a Abs. 2
GG Art. 6
EMRK Art. 8
VwGO § 123

 

Leitsatz

Ist ein Ausländer wegen erheblicher BTM-Delikte (hier: Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und 4 Monaten) ausgewiesen worden, werden die gegen den weiteren Verbleib des Ausländers im Inland sprechenden Umstände nicht durch eine Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen aufgewogen, die erst während der Haft und im Wissen um die Straftaten und die bereits erfolgte Ausweisung geschlossen wurde. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 1.250 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist ein afghanischer Staatsangehöriger, der sich seit Oktober 2010 im Bundesgebiet aufhält. Die Ablehnung seines Asylantrags ist seit dem 30. Juni 2014 bestandskräftig; seither wurde er geduldet.
Nach einer Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und 4 Monaten wegen mehrerer Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz wurde er mit Bescheid der zuständigen Ausländerbehörde vom 2. Oktober 2017 aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen; die hiergegen erhobene Klage wies das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 14. Juni 2018 (M 24 K 17.5237) ab. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der Senat mit Beschluss vom 5. November 2018 (10 ZB 18.1710) ab. Der Antragsteller befand sich vom 31. Mai 2016 bis zum 9. August 2018 in Haft; am 25. Mai 2018 heiratete er in der Justizvollzugsanstalt eine deutsche Staatsangehörige.
Am 6. September 2018 beantragte der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durchzuführen und wieder eine Duldungsbescheinigung auszustellen.
Der Antragsteller habe in der Haft seine langjährige Freundin geheiratet. Mit ihr habe er bereits vor seiner Inhaftierung zusammengelebt, dies sei auch nach seiner Haftentlassung wieder der Fall. Der Umstand, dass er mit einer Deutschen verheiratet sei und mit dieser auch in tatsächlicher Lebensgemeinschaft zusammenlebe, habe einen Duldungsanspruch zur Folge.
Mit Beschluss vom 7. September 2018 (M 24 E 18.4445) erklärte sich das Bayerische Verwaltungsgericht München für sachlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten, auch im Verfahren 10 ZB 18.1710, sowie den Beschluss des Senats vom 5. November 2018 verwiesen.
II.
Der Antrag auf einstweilige Anordnung bleibt erfolglos.
Die Antragstellung beinhaltet allerdings keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache. Denn der Antrag ist nach seinem erkennbaren Ziel darauf gerichtet, den Antragsgegner zu verpflichten, vorläufig von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen und dem Antragsteller vorläufig eine Duldung zu erteilen (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO).
Der Antrag ist aber unbegründet, weil der Antragsteller den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) nicht glaubhaft gemacht hat. Aus den von ihm vorgebrachten Gründen ergibt sich nicht, dass ihm der geltend gemachte Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung (Duldung) nach § 60a Abs. 2 AufenthG zusteht.
Das vorgetragene rechtliche Abschiebungshindernis aus Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK besteht nicht. Die Ehe des Antragstellers mit seiner deutschen Ehefrau unterfällt zwar dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK, weil nach seinem unwidersprochenen Vortrag zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eine eheliche Lebensgemeinschaft besteht.
Die in Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach der der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet den Antragsgegner als Ausländerbehörde, bei seiner Entscheidung die familiären Bindungen des den weiteren Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 1.12.2008 – 2 BvR 1830/08 – juris Rn. 26; B.v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08 – juris Rn. 14). Allerdings beinhaltet Art. 6 GG keinen unbedingten Anspruch des betroffenen Ehegatten, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen verschont zu bleiben. Vielmehr ist das Schutzgebot für Ehe und Familie (lediglich) in verhältnismäßiger Weise mit den öffentlichen Interessen abzuwägen (vgl. BVerfG, B. v. 4.12.2007 – 2 BvR 2341/06 – juris Rn. 6).
Auch Art. 8 Abs. 2 EMRK lässt einen Eingriff in das nach Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Privatleben zu, wenn dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratische Gesellschaft für die nationale oder öffentliche Sicherheit notwendig ist. Auch durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte gewichtige familiäre Belange setzen sich bei der einzelfallbezogenen Würdigung und Abwägung der für die Abschiebung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers nicht stets durch (BayVGH, B.v. 21.11.2016 – 10 CS 16.2047 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Das Interesse des Antragstellers, zusammen mit seiner Ehefrau weiterhin im Bundesgebiet verbleiben zu können, besitzt im vorliegenden Fall weniger Gewicht als die gegen einen weiteren Aufenthalt sprechenden Gründe. Von ihm geht nach wie vor die konkrete Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Straftaten aus. Insoweit wird auf die Ausführungen in dem Beschluss des Senats vom 5. November 2018 und in dem vorangegangenen Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 14. Juni 2018 Bezug genommen. Diese gewichtigen, gegen den weiteren Verbleib des Antragstellers im Inland sprechenden Umstände werden nicht durch die Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen aufgewogen, denn die Eheschließung ist erst während der Haft und im Wissen um die Straftaten und damals bereits erfolgte Ausweisung, somit im Wissen um eine unsichere Aufenthaltsperspektive, geschlossen worden (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 10 ZB 14.844 – juris Rn. 18). Dringende Gründe für das Erfordernis einer ununterbrochenen Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Allein aus dem – ohnehin erst kurzzeitigen – Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft kann das Verbot einer Abschiebung nicht abgeleitet werden.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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