Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag gegen Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet

Aktenzeichen  M 28 S 17.46466

Datum:
2.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 154894
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3e, § 4, § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 36, § 71a
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
VwVfG § 51 Abs. 1, Abs. 3

 

Leitsatz

Angesichts der in Nigeria bestehenden infrastrukturellen Mängel sowie des Fehlens eines flächendeckenden Meldewesens ist nicht erkennbar, dass etwaige Verfolger einen Betroffenen ohne Weiteres landesweit auffinden können. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller, nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger, reiste ebenfalls nach eigenen Angaben am 31. Juli 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 19. August 2016 einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für … (Bundesamt) am 17. Juli 2017 gab er an, er habe Nigeria aus Angst um sein Leben verlassen. Er habe in seinem Heimatland eine muslimische Freundin gehabt, die im April 2013 von ihm schwanger gewesen sei. Die Freundin sei aufgrund der Schwangerschaft von ihrer Familie verstoßen worden und sei dann beim Antragsteller eingezogen. Der Vater habe dem Antragsteller gedroht, ihn zu töten, falls seiner Tochter etwas zustoße. Seine Freundin habe sich bei einem Sturz von einer Treppe schwer verletzt und sei bei einer Operation im Krankenhaus gestorben. Daraufhin habe die Familie der Freundin den Antragsteller aus Rache töten wollen.
Weiter trug der Antragsteller vor, von der Polizei verfolgt zu werden, da er sich am Diebstahl einer Wahlurne am 22. Oktober 2013 beteiligt habe. Er sei von einem Vorsitzenden der Partei „…“ dazu angestiftet worden, eine Wahlurne zu stehlen, ihm sei dafür eine Belohnung versprochen worden. Der Antragsteller sei aber von der Polizei festgenommen, gefesselt und in ein Zimmer gesperrt worden. Er sei von den Polizisten mit Gewehren geschlagen und dabei erheblich am Kopf verletzt worden. Er habe jedoch seine Fesseln lösen können und habe fliehen können. Noch in der selben Nacht sei er zu einem Freund nach B … … gereist und habe sich dort versteckt. Er habe telefonisch von seiner Schwester erfahren, dass die Polizei überall nach ihm suche und auch seine Mutter in Gewahrsam genommen habe. Beim Chef seines Freundes habe er das Geld für seine Ausreise einen Monat lang verdienen wollte. Allerdings seien die Polizei und auch die Familie seiner Freundin bereits eine Woche später zu seinem Freund gekommen und habe dort nach ihm gesucht. Er selber sei zu diesem Zeitpunkt in der Arbeit gewesen. Sein Freund habe in Folge dessen nach Libyen fliehen wollen, er habe ihm gesagt er könne nicht zu ihm nach Hause zurück. Der Antragsteller habe daraufhin dem Arbeitgeber das Geld für die Flucht gestohlen. Er habe Nigeria am 27. April 2014 verlassen. Er sei nach Libyen geflohen, wo er verhaftet worden und in ein Gefängnis gesteckt worden sei. Aus diesem Gefängnis habe er jedoch fliehen können, weil Mitgefangene nach der Essensausgabe ihre Messer, welche sie zum Bestreichen ihrer Brote mit Butter und Honig gehabt hätten, nicht zurückgegeben und damit ein Loch in die Wand gekratzt hätten. Er habe Libyen mit dem Boot verlassen und sei am 1. Juli 2014 in Italien angekommen.
Auf Vorhalt des Bundesamtes, dass die Schilderungen des Antragstellers nicht glaubhaft seien insbesondere in Bezug auf die Zustände in libyschen Gefängnissen und es z.B. wenig glaubhaft sei, dass er dort Butter und Honig bekommen habe, schränkte der Antragsteller ein, einmal habe es dort so etwas ähnliches gegeben.
Nach Eurodac-Abfrage hat der Antragsteller am 17. Juli 2014 in Italien einen Asylantrag gestellt. An Italien gerichtete Anfragen des Bundesamtes über den Ausgang des dortigen Asylverfahrens blieben unbeantwortet.
Bei seiner Anhörung bei der Regierung von Oberbayern am 17. Juli 2017 zur Zulässigkeit des Asylantrags gab der Antragsteller an, er habe in Italien einen Asylantrag gestellt, welcher aber abgelehnt worden sei. Er habe in Italien eine „Permesso di Soggiorno“ bekommen, welche sechs Monate gültig gewesen sei.
Mit Bescheid vom 26. Juli 2017, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.), auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) sowie auf subsidiären Schutz (Ziffer 3.) jeweils als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4.), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls werde er abgeschoben (Ziffer 5.) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6.).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt:
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und der Anerkennung als Asylberechtigter lägen offensichtlich nicht vor.
Ein Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 1 offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes und die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter offensichtlich nicht vorlägen.
Gemäß § 30 Abs. 2 AsylG sei ein Asylantrag insbesondere offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalls offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält.
Der Antragsteller sei offensichtlich kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG: Soweit er vortrage, die Polizei habe ihn aufgrund des versuchten Diebstahls der Wahlurne in Gewahrsam genommen, so sei darin keine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG zu sehen. Nach dem Vorbringen des Antragstellers sei die Inhaftierung nicht aufgrund einer politischen Aktivität erfolgt, sondern weil er versucht habe, die Wahlurne am Wahltag zu stehlen, da er also eine Straftat begangen habe.
Dem Bundesamt lägen auch keine Erkenntnisse über die Partei „APC“ in Nigeria vor.
Auch die Verfolgung durch die Familie seiner Freundin führe nicht zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 AsylG. Denn es fehle an der erforderlichen Verknüpfung der Verfolgung mit eine der in § 3 b Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründen.
Der Flüchtlingsstatus gemäß § 3 AsylG sei daher nicht zuzuerkennen, die Abweisung dieses Antrags dränge sich geradezu auf.
Dem Antragsteller drohe auch kein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 AsylG, die Gewährung subsidiären Schutzes komme daher nicht in Betracht.
Der Antragsteller habe vorgetragen, ihm drohe wegen des Diebstahls der Wahlurne eine Freiheitsstrafe von sechs oder sieben Jahren. Eine Schutzgewährung komme bei einer befürchteten Bestrafung aber nur dann in Betracht, wenn eine völlig unverhältnismäßige Strafe drohe oder wenn die Bestrafung mit eine sogenannten „Polit-Malus“ verbunden sei. Ansonsten würde die Angst vor einem Strafverfahren oder einer Bestrafung nicht zu einer Schutzgewährung führen (arg. ex § 60 Abs. 6 AufenthG). Dem Vorbringen des Antragstellers sei jedoch ein solcher Polit-Malus nicht zu entnehmen, ebenfalls sei nicht ersichtlich, dass eine völlig unverhältnismäßige Strafe drohe.
Ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 AsylG drohe auch nicht durch die vorgetragene Verfolgung durch die Familie der Freundin. Der Antragsteller könne Schutz in anderen Landesteilen Nigerias suchen. Es sein auch davon auszugehen, dass er sich am Ort des internen Schutzes eine ausreichende Lebensgrundlage sichern könne. Der Antragsteller sei zwölf Jahre zur Schule gegangen und verfüge über Berufserfahrung. Er sei gesund und erwerbsfähig. Er habe auf seiner Flucht gezeigt, dass er in mehreren Orten Nigerias über Bekannte verfüge, die bereit seien, ihn aufzunehmen. Nach eigenem Vorbringen habe der Antragsteller für sich und seine Freundin sorgen können, es sei daher davon auszugehen, dass er sich auch künftig selbst versorgen könne.
Darüber hinaus habe der Antragsteller auch die Gefahr eines ernsthaften Schadens nicht glaubhaft gemacht: seine Angaben seien unplausibel und wirkten konstruiert. Unter anderem sei nicht klar, warum der Diebstahl der Wahlurne der Partei „APC“ zu mehr Stimmen habe verhelfen sollen. Darüber hinaus sei wenig wahrscheinlich, dass es dem Antragsteller zweimal gelungen sein solle, aus staatlichem Gewahrsam zu fliehen. Die Umstände, die der Antragsteller in Bezug auf das libysche Gefängnis geschildert habe, seien wenig glaubhaft und würden von den Schilderungen anderer Antragsteller stark abweichen. Die Zustände in libyschen Gefängenissen seien nach Erkenntnissen des Bundesamtes extrem hart, z.B. sei nicht glaubhaft, dass dort Gefangene Messer erhalten würden, damit sie sich Butter und Honig auf das Brot schmieren könnten.
Weiter sei zu erwähnen, dass nach Kenntnis des Bundesamtes die letzten Parlamentswahlen in Nigeria im Jahr 2015 stattgefunden hätten, der Antragsteller habe jedoch angegeben, am 22.10.2013, dem Wahltag die Wahlurne gestohlen zu haben.
Die Voraussetzungen der Asylanerkennung gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG und der Zuerkennung des internationalen Schutzes gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unterschieden sich lediglich dadurch, dass der Schutzbereich des internationalen Schutzes weiter gefasst sei. Somit lägen auch die engeren Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter offensichtlich nicht vor.
Abschiebeverbote lägen nicht vor. Hinsichtlich des § 60 Abs. 5 AufenthG komme in erster Linie eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Betracht. Wie bereits im Rahmen der Prüfung des § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG festgestellt, drohe dem Antragsteller keine, durch einen staatlichen oder nicht staatlichen Akteur verursachte, Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. In Bezug auf Gefahren einer Verletzung des Art. 3 EMRK, die individuell durch einen konkret handelnden Täter drohten, sei keine andere Bewertung als bei der Prüfung des subsidiären Schutzes denkbar. Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Nigeria führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Antragsteller sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich.
Beim Antragsteller handele es sich um einen gesunden, arbeitsfähigen Mann, der vor seiner Ausreise aus Nigeria in seinem Beruf gearbeitet habe und in der Lage gewesen sei, sich seine Existenz zu sichern und seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Dem Antragsteller drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde.
Gründe sich die von einem Ausländer geltend gemachte Furcht ausschließlich auf Gefahren, die die ganze Bevölkerung oder ein Bevölkerungsgruppe, der der Antragsteller angehört, allgemein beträfen, so sei die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Verfahren bei Bundesamt gesperrt und bleibe Schutzanordnungen der obersten Landesbehörden für den betroffenen Personenkreis vorbehalten (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Die durch Bundesverwaltungsgericht entwickelte Rechtsprechung zur verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG komme nach der dargestellten neuen Auslegung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht mehr in Betracht. Die durch eine schlechte humanitäre Situation bedingten Gefahren fänden bereits im Rahmen der Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK Berücksichtigung.
Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG werde nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Die vorgetragene Schwangerschaft der Freundin des Antragstellers gebiete keine Verkürzung der Regelfrist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot. Zum einen habe der Antragsteller nicht nachgewiesen, dass er Vater des zu erwartenden Kindes sei, zum anderen sei das Kind noch nicht geboren, so dass es derzeit bei der Ermessensausübung nicht zu berücksichtigen sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte am 31. Juli 2017 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte, den Bescheid des Bundesamtes vom 26. Juli 2017 aufzuheben, die Beklagte zu verpflichten, den Antragsteller als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise dem Antragsteller den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG und § 60 Abs. 7 Satz vorlägen.
Über diese Klage wurde noch nicht entschieden.
Ferner beantragte er ebenfalls am 31. Juli 2017,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Eine Begründung von Klage und Eilantrag erfolgte trotz Ankündigung nicht.
Die Beklagte äußerte sich abgesehen von der Aktenvorlage nicht zum Verfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten des Klage- und des Eilverfahrens und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung zulässig (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG; § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG), jedoch unbegründet.
Die Aussetzung der Abschiebung darf nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (Art. 16 a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (BVerfGE 94, 166, 194). Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG).
Vorliegend bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffen Bescheids vom 26. Juli 2017. Das Bundesamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und für die Zuerkennung internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Nicht zu beanstanden ist auch, dass das Bundesamt keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG festgestellt hat (die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG wurde vom Bevollmächtigten des Antragstellers nicht beantragt). Dem Antragsteller droht offensichtlich weder im Hinblick auf die allgemeine Situation in Nigeria noch aufgrund besonderer individueller Umstände eine asylerhebliche Bedrohung, Verfolgung oder Gefährdung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG sowie der §§ 3 ff. AsylG, § 4 AsylG und § 60 Abs. 5 AufenthG.
Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamts 26. Juli 2017 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist noch auszuführen:
Es ist nach derzeitigem Kenntnisstand nicht davon auszugehen, dass ein anderer Staat (hier Italien) dem Antragsteller bereits internationalen Schutz gewährt hat (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG), der Asylantrag des Antragstellers also bereits unzulässig ist und die Abschiebungsandrohung nicht in Bezug auf Nigeria sondern Italien hätte ausgesprochen werden müssen (§ 35 AsylG). Der Antragsteller selber hat angegeben, dass der Stand seines Asylverfahrens in Italien „negativ“ sei. Hierfür spricht auch die nach seinen Angaben nur für sechs Monate ausgestellte „Permesso di soggiorno“: anerkannte Flüchtlinge erhalten ausweislich Angaben des Bundesamtes im „Leitfaden Italien“ eine Aufenthaltserlaubnis von fünf Jahren, subsidiär geschützte Personen eine von drei Jahren (vgl. Bundesamt „Leitfaden Italien“ Fassung Oktober 2014). Entsprechende Anfragen des Bundesamtes an Italien über den Stand des dortigen Asylverfahrens des Antragstellers blieben unbeantwortet. Das Bundesamt ist seiner Ermittlungspflicht mit den Anfragen nachgekommen.
Wie das Bundesamt zu Recht angenommen hat, handelt sich vorliegend auch nicht um einen Zweitantrag (§ 71 a AsylG), mit der Folge, dass das Vorbringen des Antragstellers nur im Rahmen von § 51 Abs. 1 und 3 VwVfG zu berücksichtigen wäre. Für ein Vorliegen eines Zweitantrags müssten entsprechende Informationen in Bezug auf ein erfolglos durchgeführtes Asylverfahren in Italien vorliegen. Hierfür gibt es zwar entsprechende Anhaltspunkte (s.o.), mangels Rückmeldung von Seiten Italiens kann jedoch hiervon nicht gesichert ausgegangen werden, zumal der Asylbewerber in aller Regel mit rechtlichen Details oder Begrifflichkeiten des Asylverfahrens nicht vertraut ist und daher seiner Aussage insoweit nur ein eingeschränkter Hinweiswert zukommt (vgl. VG München, Beschl. vom 22.08.2017 – M 21 S 17.443719).
Zum Vortrag des Antragstellers in Bezug auf seine Flucht aus seinem Heimatland ist noch anzufügen:
Es ist schon nicht nachvollziehbar, warum sich der Antragsteller nach dem behaupteten Vorfall mit der Wahlurne noch sechs Monate in Nigeria aufhalten konnte, ohne von der Polizei festgenommen oder sonst wie belangt zu werden. Der behauptete Diebstahl der Urne war am 22.10.2013, die Ausreise aus Nigeria erfolgte erst am 27. April 2014, obwohl er – so ergibt es sich zumindest aus seinem Vortrag beim Bundesamtdas Geld für die Ausreise bereits relativ kurze Zeit nach dem Vorfall gestohlen haben will.
Das Gericht konnte Hinweise zu einer Wahl im Jahr 2013 in Nigeria trotz intensiver Recherche in Erkenntnismitteln (so z.B. Lageberichte des Auswärtiges Amtes aus den Jahren 2014 und 2013) und Internet nicht finden.
Die letzten Wahlen in Nigeria haben im Jahr 2015 stattgefunden (vgl. Auswärtiges Amt Lagebericht vom 21. November 2016, S. 6) und zwar sowohl die des Präsidenten und der Nationalversammlung als auch die des Parlaments- und der Gouverneure (vgl. auch http://www.tagesspiegel.de/politik/wahl-in-nigeria-nigerias-armee-erzwingt-wahlverschiebung/11342970.html). Bei dieser Wahl gewann die seit dem Jahr 2013 im „All Progessives‘ Congress“ (APC) vereinigte Opposition neben der Präsidentschaftswahl auch eine klare Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments (vgl. Auswärtiges Amt Lagebericht vom 21. November 2016, S. 6). In Nigeria finden alle vier Jahre Wahlen statt (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4sidentschaftswahl_in_Nigeria_2015 sowie http://nigeriaembassygermany.org/regierung…politik.htm). Dass es sich um einen Übersetzungsfehler oder Flüchtigkeitsfehler handelt, und der Antragsteller möglicherweise die Wahlen im März/April 2015 meinte, scheint ausgeschlossen: zum einen wurde ihm das Anhörungsprotokoll ausweislich der Niederschrift nochmals rückübersetzt. Zum anderen ist er ja nach eigenen Angaben bereits im April 2014, mithin vor den entsprechenden Parlamentswahlen, ausgereist.
Das Bundesamt hat weiter zu Recht ausgeführt, dass dem Antragsteller eine inländische Fluchtalternative in Bezug auf die behauptete Verfolgung durch die Familie der Freundin zur Verfügung stehe. Hierzu nur ergänzend: Angesichts der in Nigeria bestehenden infrastrukturellen Mängel sowie des Fehlens eines flächendeckenden Meldewesens ist nicht einmal ansatzweise erkennbar, wie etwaige Verfolger, soweit diese noch ein Interesse am Antragsteller haben sollten, ihn ohne weiteres auffinden können sollte (vgl. dazu AA Lagebericht vom 21. November 2016 S. 25; VG Minden Urteil vom 14.03.2017 – 10 K 2413/16.A).
Gegen einen „Politmalus“ bei einer möglichen Bestrafung des Antragstellers spricht auch, dass er mit seiner Tat ja die derzeit den Präsidenten und die Mehrheit im Parlament stellende „APC“ unterstützen sollte.
In Bezug auf eine inländische Fluchtalternative ist zudem in die Erwägung einzustellen, dass der Antragsteller ausweislich seiner Angaben beim Bundesamt mehrere Tanten und Onkel hat, die nicht in U … leben, aber in Nigeria. Dies ist auch im Hinblick auf die Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG und die Frage des künftigen Auskommens des Antragstellers zu berücksichtigen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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