Verwaltungsrecht

Erfolgloses Asylverfahren eines afghanischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  AN 18 K 17.30162

Datum:
21.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 29397
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3e, § 4, § 76 Abs. 1
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass Ismailiten als Zweig des schiitischen Islams in Afghanistan einer Gruppenverfolgung unterliegen. Sie werden weder verfolgt noch generell diskriminiert, auch wenn sie in einigen Regionen gewissen Gefahren in Form von Belästigungen und Schikanen ausgesetzt sind; Verfolgungshandlungen sind jedoch nicht in so großer Zahl und so hoher Dichte erkennbar, dass sie sich auf nahezu alle Mitglieder dieser Gruppe erstrecken würden (VG Würzburg BeckRS 2018, 9411). (Rn. 19) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Es ist davon auszugehen, dass für einen aus dem Distrikt Doshi (Provinz Baghlan) stammenden afghanischer Asylbewerber in Teilen seines Herkunftslands – z.B. in der Provinz Herat, insbesondere in der Provinzhauptstadt – Furcht vor Verfolgung nicht begründet ist bzw. dort Zugang zu Schutz vor Verfolgung i.S.v. § 3d AsylG besteht, und er auch sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise auch erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (interner Schutz nach § 3e AsylG). (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Die Sicherheitslage und die Situation der allgemeinen Gewalt erreicht in der Provinz Herat noch nicht das eine Verletzung von Art. 3 EMRK begründende Maß eines außergewöhnlichen Schädigungsrisikos. Bei einer Einwohnerzahl von geschätzt 1,96 Millionen und 495 zivilen Opfern im Jahr 2017 in der Provinz Herat lag die Wahrscheinlichkeit, dort in diesem Zeitraum ein ziviles Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, bei 0,026 % (vgl. VGH München BeckRS 2017, 136946). (Rn. 24) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Der Einschätzung, dass alleinstehende junge gesunde Männer ihr Überleben aus eigener Kraft in der Provinz Herat nicht sichern können, weil die Bewertung der humanitären Lage inzwischen grundlegend infrage gestellt bzw. überholt sei, trifft nicht zu (vgl. BayVGH BeckRS 2019, 3432). (Rn. 31) (red. LS Clemens Kurzidem)
5. Für die Provinz Baghlan besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass ein zurückkehrender Asylbewerber dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung i.S.v. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt ist. Es ist weiterhin davon auszugehen, dass für keine Region Afghanistans die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG vorliegen (VGH München BeckRS 2018, 37516). (Rn. 40) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

Über die Klage zu dessen Entscheidung die Einzelrichterin gemäß § 76 Abs. 1 AsylG berufen ist, konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2019 entschieden werden, obwohl für die Beklagte niemand zum Termin erschienen ist. Auf die Möglichkeit, auch in Abwesenheit von Beteiligten entscheiden zu können, wurde in der Ladung hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 20. Dezember 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dem Kläger steht nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (dazu 1.) noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes (dazu 2.) oder auf Feststellung von Abschiebungsverboten (dazu 3.) zu. Ebenso erweisen sich sowohl die Ausreiseaufforderung samt Abschiebungsandrohung als auch das Einreise- und Aufenthaltsverbot als rechtmäßig (dazu 4.).
Das Gericht nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Feststellungen und die Begründung der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und schließt sich diesen an. Ergänzt wird im Hinblick auf den maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) insbesondere mit Blick auf den im Verwaltungsprozess erfolgten klägerischen Vortrag und der aktuellen Lage in Afghanistan Folgendes:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 Alt. 1 AsylG.
Soweit sich der Kläger diesbezüglich auf einen Streit mit Usbeken um ein Stück Land bei Mazar-e Sharif dem insbesondere der gewaltsame Tod des Vaters vorausgegangen sein soll, beruft, kann hierin schon kein flüchtlingsrelevanter Verfolgungsgrund i.S.d. § 3b AsylG gesehen werden. Die behauptete Verfolgung knüpft weder an die Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe an.
Soweit der Kläger diesbezüglich erstmals in der mündlichen Verhandlung ausführt, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er aufgrund seiner Angehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Ismailiten einer Gruppenverfolgung ausgesetzt zu sein, kann hierin ebenfalls kein Verfolgungsgrund i.S.v. § 3b AsylG gesehen werden. Aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass Ismailiten als Zweig des schiitischen Islams einer Gruppenverfolgung unterliegen. Sie werden weder verfolgt noch generell diskriminiert, auch wenn sie in einigen Regionen gewissen Gefahren in Form von Belästigungen und Schikanen ausgesetzt sind. Verfolgungshandlungen sind jedoch nicht in so großer Zahl und so hoher Dichte erkennbar, dass sie sich auf nahezu alle Mitglieder dieser Gruppe erstrecken würden (vgl. VG Würzburg, U.v. 28.3.2018 – W 1 K 18.30127 – juris Rn. 20 und 22).
Hinsichtlich der vom Kläger geschilderten Geschehnisse im Zusammenhang mit dem Anschlag im … Hotel Kabul im März 2014, den nachfolgenden Drohungen und hierzu vorgelegten Dokumenten bestehen beim Gericht schon gewisse Zweifel an den Darstellungen des Klägers. So ist insbesondere nicht nachvollziehbar, warum die Taliban den Kläger mit Schreiben vom 19. August 1393, also vom 10. November 2014, aufgefordert haben sollen, die Arbeit im Hotel … niederzulegen. Zu diesem Zeitpunkt hat der Kläger bereits seit mehr als drei Monaten nicht mehr dort gearbeitet, da er bereits am 4. August 2014 Afghanistan verlassen haben will. Sofern die Taliban tatsächlich ein (gesteigertes) Interesse an seiner Verfolgung gehabt hätten, wäre zu erwarten gewesen, dass ihnen der Umstand, dass der Kläger die Arbeit im Hotel bereits vor Monaten niedergelegt hat, aufgefallen wäre. Letztlich kommt es hierauf nicht streitentscheidend an, da selbst bei Wahrunterstellung des klägerischen Vortrags und bei Bejahung einer Verfolgungssituation sein Begehren, als Flüchtling anerkannt zu werden, daran scheitert, dass für den Kläger nach Überzeugung des Gerichtes eine die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausschließende Möglichkeit des internen Schutzes nach § 3e AsylG besteht.
Das Gericht geht davon aus, dass für den Kläger auch unter Berücksichtigung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (§ 3e Abs. 2 AsylG) jedenfalls für Teile seines Herkunftslandes – z.B. der Provinz Herat insbesondere in der Provinzhauptstadt – eine Furcht vor Verfolgung nicht begründet ist bzw. dort Zugang zu Schutz vor Verfolgung i.S.d. § 3d AsylG besteht, und der Kläger auch sicher sowie legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise auch erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (vgl. § 3e Abs. 1 AsylG; sog. inländische Fluchtalternative).
Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger landesweit ins Visier der Taliban gelangen wird. Der Kläger hat sich durch seine Angaben im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen nach dem Attentat im … Hotel Kabul im März 2014 nicht so weit exponiert, dass damit zu rechnen wäre, dass die Taliban ihn noch Jahre später landesweit insbesondere in einer Großstadt aufzuspüren versuchen. Zwar ist bekannt, dass die Taliban gerade in größeren Städten Netzwerke unterhalten. Allerdings richtet sich ihr Interesse wegen ihrer personell begrenzten Möglichkeiten dort auf prominente Personen wie Parlamentsmitglieder, Regierungsmitglieder und höherrangige Angehörige der Streitkräfte; nicht prominente Personen und ihre Familienangehörigen bleiben bis auf spezifische persönliche Feindschaften und Rivalitäten unbehelligt. Beobachter für EASO schätzen die Zahl derer, die von den Taliban in größeren Städten Afghanistans gezielt gesucht und verfolgt würden, auf wenige Dutzend, höchstens 100 Personen (vgl. insgesamt EASO, Afghanistan, Individuals targeted by armed actors in the conflict, Dezember 2017, S. 63 f.). Setzt man diese Zahl an Personen, die eben nicht nur lokal oder regional, sondern gerade landesweit von den Taliban verfolgt werden, ins Verhältnis zur Gesamtbevölkerung Afghanistans, wird deutlich, welch hoher Grad an Exposition erforderlich ist, dass mit einer derartigen räumlich extensiven Verfolgung durch die Taliban zu rechnen ist. Diesen Expositionsgrad konnte der Kläger bei weitem nicht darlegen. Da der Kläger selbst nie aktiv gegen die Taliban gearbeitet oder deren Gegner unterstützt hat, ist er schon aus diesem Grund nicht als hochrangiges Angriffsziel für die Taliban anzusehen. Auch soweit er darauf verweist, dass er im Zuge des Anschlages im … Hotel Kabul bei polizeilichen Befragungen Angaben zu ihm verdächtig erscheinenden Personen getätigt hat, ergibt sich hieraus bei Würdigung der Gesamtumstände nichts anderes. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass der Kläger sich seinen Angaben entsprechend schon nicht aktiv mit seinen Hinweisen an die Polizei gewandt hat, sondern sich lediglich als einer unter vielen im Rahmen von routinemäßigen Befragungen der Angestellten des Hotels äußerte, sich mithin nicht in irgendeiner Weise derart auffällig verhalten hat, dass er hierdurch im Vergleich zu den anderen Befragten in gesteigertem Maße in den Fokus der Taliban geraden wäre. Zudem hat der Kläger nichts dazu vorgetragen, dass es sich bei den von ihm der Polizei gegenüber benannten Personen um hochrangige Taliban gehandelt hätte, was zumindest ein besonderes Interesse der Taliban an der Verfolgung seiner Person plausibel erscheinen lassen hätte können.
Auch soweit der Kläger zur Unterstützung seines Vortrages auf zwei ggf. öffentlich ausgehangene Schreiben verweist, in denen er aufgefordert wird, seine Arbeit im Hotel niederzulegen, bzw. darauf hingewiesen wird, er sei – egal wo er sich befinde – festzunehmen und zu bestrafen, führt dies – ungeachtet der Frage der Echtheit dieser Dokumente – nicht dazu, dass hier bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger landesweit insbesondere in der Provinz Herat verfolgt wird. Denn laut Kläger stammen diese Schreiben lediglich aus einer Moschee in seinem Heimatdorf im Distrikt Doshi (Provinz Baghlan), welches weit über 500 km von der Provinz Herat entfernt ist. Der Kläger hat auch nicht vorgetragen, dass es auch in Moscheen oder anderen Einrichtungen an anderen Orten des Landes vergleichbare Schreiben gegeben habe. Im Hinblick auf das oben Gesagte, wonach selbst in den Großstädten nur wenige exponierte Personen mit gezielter Verfolgung zu rechnen haben, erscheint es dem Gericht auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger insbesondere in … Stadt aufgrund dieser Schreiben mit Verfolgung zu rechnen hat, zumal die Schreiben zwischenzeitlich vier bzw. fünf Jahre alt sind und diese lediglich den Namen des Klägers (ohne weitere Identifikationsmerkmale, wie z.B. Geburtsdatum, Lichtbild usw.) beinhalteten, so dass gerade auch mit Blick auf ein fehlendes zentrales Bevölkerungsregister (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung Juni 2018, S. 335 f.) nicht davon auszugehen, dass die Taliban den Kläger zum jetzigen Zeitpunkt gezielt und landesweit verfolgen werden.
Die Provinz Herat ist im Hinblick auf die gegenwärtige Sicherheitslage auch nach wie vor allgemein als Fluchtalternative geeignet. Die Sicherheitslage und die Situation der allgemeinen Gewalt erreicht noch nicht das eine Verletzung von Art. 3 EMRK begründende Maß eines außergewöhnlichen Schädigungsrisikos (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/13 – juris, wonach eine Wahrscheinlichkeit von 1:800 weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, entfernt ist). Bei einer Einwohnerzahl von geschätzt 1,96 Millionen und 495 zivilen Opfern (238 Tote und 257 Verletzte) im Jahr 2017 in der Provinz Herat lag die Wahrscheinlichkeit, dort in diesem Zeitraum ein ziviles Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, bei 0,026% (vgl. zum Zahlenmaterial der Provinz Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung Juni 2018, S. 91 ff.). Damit ist in der Provinz Herat eine Gefahrendichte zu konstatieren, die ganz erheblich unter dem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als indiziell für die Annahme der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer erheblichen individuellen Gefährdung anerkannten statistischen Auslösewertes des Tötungs- und Verletzungsrisikos von 1:800 bzw. 0,125% liegt (vgl. dazu auch BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 7). In der Provinz Herat hat sich die Opferzahl 2018 im Vergleich zu 2017 überdies sogar deutlich verringert (- 48%; zum Ganzen UNAMA, Annual Report 2018, S. 67).
Selbst unter Einbeziehung eines gewissen „Sicherheitszuschlags“ wird die kritische Gefahrendichte bei Weitem nicht erreicht. Individuelle, gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers, aufgrund derer hier eine andere Einschätzung geboten wäre, sind weder konkret vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr hat sich die Gefahr für den Kläger nach Überzeugung des Gerichts auch mit Blick auf die vorliegenden für die Jahre 2018/2019 verfügbaren Informationen bzw. Erkenntnismittel und die Zahl der gezielten Anschläge noch nicht in einer Weise verdichtet, dass dem Kläger – auch unter Berücksichtigung seiner Volks- oder Religionszugehörigkeit – ein die Verletzung des Art. 3 EMRK begründenden Maßes eines außergewöhnlichen Schädigungsrisikos mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen würde.
Das Gericht geht auch davon aus, dass der Kläger die Provinz Herat – trotz zweifellos vorhandener Gefahren – von Kabul als Zielort einer Rückreise oder auch (möglichen) Abschiebung bereits auf dem Landweg sicher und legal erreichen kann. Das Gericht hat jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass Zivilisten auf den Hauptrouten zwischen Kabul und den größeren Städten Gefahren von wesentlicher Intensität drohen würden. Jedenfalls aber verfügt die Provinzhauptstadt Herat über einen Flughäfen, der jedenfalls von Kabul aus angeflogen wird (vgl. EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators – Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 18 f., nachfolgend „EASO, Key socio-economic indicators 2019“).
Vom Kläger kann unter Berücksichtigung seiner individuellen Verhältnisse auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in der Provinz Herat insbesondere in der Provinzhauptstadt niederlässt. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die allgemeine Versorgungslage dort wie im Rest Afghanistans schwierig ist: So gehört Afghanistan weiterhin zu den ärmsten Ländern der Welt (Human Development Index 2016: Platz 169 von 188 Staaten). Auch die Analphabetenquote ist noch immer sehr hoch; nach Internetrecherche der Einzelrichterin beträgt diese jedenfalls über 50%. Die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung ist in den letzten Jahren zwar gesunken, bleibt aber auf hohem Niveau und lag 2017 bei 11,2% (vgl. zum Ganzen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2.9.2019, S. 28). Es wird angenommen, dass ca. 40% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben bzw. diese Zahl sich derzeit sogar auf knapp 55% erhöht habe (vgl. ACCORD, Afghanistan: Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018, Dezember 2018, S. 147, 160 jeweils m.w.N., nachfolgend „ACCORD 2018“). Sofern der Lebensunterhalt gewährleistet ist, stehen in Herat Stadt zwar Unterkünfte und Nahrung grundsätzlich zur Verfügung, der Zugang zu angemessenen Unterkünften soll jedoch eine Herausforderung sein. Auch sind Einrichtungen zur Gesundheitsversorgung vorhanden. Diese sind aufgrund des Anstiegs der Zahl der Flüchtlinge und Rückkehrer jedoch überlastet und teilweise auch abhängig vom Vorhandensein finanzieller Mittel (zum Ganzen EASO, Afghanistan: Guidance note and common analysis, Juni 2018, S. 104 f.). Rückkehrer, die sich in Herat niederlassen, soll es zwar – trotz Schwierigkeiten bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen wie Unterkunft, Zugang zu Wasser, Hygiene und Bildung – besser gehen, als solchen in anderen Großstädten Afghanistans; allerdings sind auch dort schätzungsweise 30% der Bevölkerung von Lebensmittelunsicherheit betroffen (ACCORD 2018, S. 37).
Trotz der bestehenden Schwierigkeiten ist das Gericht nach Würdigung der Umstände des Einzelfalls der Überzeugung, dass es dem jungen und ledigen Kläger bei einer Rückkehr in urbane und semi-urbane Umgebungen wie insbesondere in die Stadt Herat gelingen wird, zumindest durch Gelegenheitsarbeiten seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Kläger hat eigenen Angaben zufolge seine Schulausbildung mit Abitur abgeschlossen und danach in … (Pakistan) als Medienkaufmann und Programmierer gearbeitet bzw. danach etwa 4 Jahren im … Hotel Kabul (Afghanistan) als Logistiksachbearbeiter bzw. Assistant Credit Controller. Durch seinen Aufenthalt in Europa hat der Kläger weitere berufliche Erfahrungen insbesondere im IT-Bereich sowie gute deutsche Sprachkenntnisse erworben. Seit September absolviert er darüber hinaus eine Ausbildung zum Fachinformatiker. Insofern befindet sich der Kläger im Gegensatz zu Rückkehrern, die einst in Nachbarländer Afghanistans geflüchtet sind, in einer vergleichsweise guten Position (vgl. dazu auch BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 14; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris 21).
Das Gericht geht vor diesem Hintergrund davon aus, dass der Kläger sich selbst in der für ihn fremden afghanischen Provinz Herat bzw. in Herat Stadt trotz der für die dortige Bevölkerung schlechten Situation vergleichsweise gut zurechtfinden würde. Zudem leben nach wie vor mehrere seiner Verwanden in Afghanistan, die ihn vor allem in der schwierigen Anfangszeit unterstützen könnten. Es ist jedenfalls nichts dafür ersichtlich, dass dem Kläger die Aufnahme einer Tätigkeit in seinem Heimatland, wo er geboren und mit dessen Verhältnissen er vertraut ist, nicht gelingen sollte.
Der Kläger kann dem auch nicht eine ggf. insb. finanziell schwere Anfangsphase entgegenhalten, da es an ihm liegt, insoweit eine anfängliche Unterstützung durch eine freiwillige Rückkehr unter Inanspruchnahme von Start- und Reintegrationshilfen (bspw. im Rahmen des REAG/GARP- und des ERRIN-Programms) und damit einen vorübergehenden Ausgleich zu erhalten. Das „REAG/GARP-Programm 2018“ umfasst für einen alleinstehenden Mann neben der Übernahme der Beförderungskosten, eine Reisebeihilfe in Höhe von 200 EUR sowie eine Starthilfe in Höhe von 1.000 EUR (vgl. REAG/GARP-Programm, Stand Mai 2019). Hinzu kommen die kumulativ zur Verfügung stehenden Leistungen nach dem Europäischen Reintegrationsprogramm „ERRIN“. Diese beinhalten z.B. Services bei der Ankunft, Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und karitativen Einrichtungen, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Unterstützung bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche sowie Hilfestellungen bei der Existenzgründung. Die Unterstützung wird über eine vor Ort tätige Partnerorganisation in Form von Sachleistungen gewährt und kann bei einer freiwilligen Rückkehr Leistungen im Wert von bis zu 2.000 EUR umfassen (ERRIN-Programmflyer 06/2018-05/2020 zu Afghanistan, Stand Mai 2019). Angesichts dieser Rückkehr- und Starthilfe im Gegenwert von jedenfalls bis zu 3.200 EUR sowie professioneller Unterstützung bei Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche sind weitere Umstände gegeben, aufgrund derer es dem Kläger zumutbar ist, einen Neustart durch Niederlassung in eine für ihn fremde Provinz wie Herat zu wagen.
Mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen folgt das Gericht auch nicht der Einschätzung, wonach die Annahme, dass alleinstehende junge gesunde Männer ihr Überleben aus eigener Kraft sichern könnten, durch die derzeitige humanitäre Lage inzwischen grundlegend infrage gestellt bzw. überholt sei (so insbesondere Friederike Stahlmann, Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff.). Das Gericht schließt sich vielmehr – auch unter Berücksichtigung der vorliegenden neuesten Erkenntnismittel – vollumfänglich der obergerichtlichen Rechtsprechung an (stRspr, z.B. BayVGH, B.v. 25.2.2019 – 13a ZB 18.32487; U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris; Nds.OVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris; OVG NRW, U.v. 3.3.2016 – 13 A 1828/09.A – juris; SächsOVG, B.v. 21.10.2015 – 1 A 144/15.A – juris) und insbesondere dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom 12. Oktober 2018. In dieser hier zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Entscheidung hat sich der Verwaltungsgerichtshof ausführlich und umfassend unter Bezugnahme auf verschiedene Einschätzungen der Gutachterin Stahlmann (neben dem Bericht im Asylmagazin 3/2017 insbesondere auch mit dem schriftliches Gutachten an das Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 28. März 2018) mit der wirtschaftlichen Situation in Afghanistan auseinander gesetzt und kam – wie auch die anderen vorstehend genannten Obergerichte – zu dem Schluss, dass sich aus den Erkenntnismitteln zu Afghanistan derzeit nicht ergebe, dass es insbesondere leistungsfähigen, erwachsenen Männern – soweit nicht besondere, individuell erschwerende Umstände festgestellt werden können – selbst ohne bestehendes familiäres oder soziales Netzwerk möglich sei, bei der Rückkehr aus dem westlichen Ausland ihr Existenzminimum zu sichern (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 437). Diese Einschätzung deckt sich im Übrigen auch mit der des UNHCR in seinen neuesten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 (vgl. dort S. 125).
Auch die Bewertung von Frau Stahlmann, die abweichend hiervon unter Bezugnahme auf eine von ihr erst kürzlich durchgeführte Studie zum Verbleib und den Erfahrungen abgeschobener Afghanen vertritt, Rückkehrern aus Europa sei es in Afghanistan per se nicht möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen, da ihnen dort eine unmenschliche Behandlung infolge von Gewalt, Arbeits- oder Wohnungslosigkeit drohe (vgl. Friederike Stahlmann, Asylmagazin 8-9/2019, S. 276 ff.), vermag hier kein anderes Ergebnis herbeizuführen. Auch wenn die Repräsentativität der Studie von der Bereitschaft und Erreichbarkeit der Rückkehrer abhängig ist, hilft dies nicht darüber hinweg, dass sich die von Stahlmann untersuchte Gruppe bezogen auf die zwischen Dezember 2016 und April 2019 aus Deutschland abgeschobenen Asylsuchenden (laut Stahlmann 547 Männer) deutlich unter 50% bewegt und letztlich gerade einmal ca. 10% ausmacht. Dass die nicht in die Untersuchung eingebundenen restlichen Rückkehrer vergleichbar schlechte Erfahrungen gemacht haben wie die interviewten Rückkehrer, steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest. Soweit dies in der Studie behauptet wird, beruht dies auf bloßen Mutmaßungen und eigenen Bewertungen ohne valide Tatsachengrundlage. Überdies handelt es sich bei dem von Frau Stahlmann gefundenen Ergebnis um eine allein dem erkennenden Gericht vorbehaltene rechtliche Würdigung.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG, da keine stichhaltigen Gründe für die Annahme eines ihm in seinem Herkunftsland drohenden ernsthaften Schadens vorgebracht wurden.
2.1 So ist weder etwas dafür vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dem Kläger im Fall der Rückkehr nach Afghanistan die Todesstrafe drohen würde (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG).
Ähnlich verhält es sich auch mit einer drohenden Folter bzw. unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Soweit man letzteres aus den vorgetragenen Geschehnissen im Zusammenhang mit den Taliban ableiten wollte, scheitert dies bereits aus den oben dargestellten Gründen. Der Kläger wäre auch insoweit auf die Möglichkeit des internen Schutzes in der Provinz Herat zu verweisen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m § 3e Abs. 1 AsylG). Eine Zuerkennung des subsidiären Schutzes unter dem Gesichtspunkt einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in Afghanistan in Betracht. Selbst wenn eine solche anzunehmen wäre, könnte dies dennoch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes vermitteln, da es insoweit an einem erforderlichen Akteur i.S.d. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG fehlen würde, von dem die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung des Klägers ausgehen müsste (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 54 ff.). Die humanitären Verhältnisse in Afghanistan beruhen gerade auf einer Vielzahl von Faktoren, zu denen die allgemeine wirtschaftliche Lage, Umweltbedingungen wie Klima und Naturkatastrophen ebenso wie die Sicherheitslage gehören. Es ist jedenfalls nicht feststellbar, dass der afghanische Staat, die in Afghanistan aktiven internationalen Streitkräfte oder ein sonstiger (nichtstaatlicher) Akteur die maßgebliche Verantwortung tragen. Insbesondere ist nicht feststellbar, dass die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten würde (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 176; OVG NRW, U.v. 13.6.2019 – 13 A 3741/18.A – juris Rn. 71). Allenfalls bestünde diesbezüglich lediglich ein Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebeverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m Art. 3 EMRK (dazu unten).
2.2 Die vom Kläger vorgebrachten Gründe sind auch nicht ausreichend für die Annahme eines ihn in Afghanistan drohenden ernsthaften Schadens i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Voraussetzung hierfür wäre, dass sich die von einem bewaffneten Konflikt in der Zielregion für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende allgemeine Gefahr in der Person des Klägers derart verdichtet, dass sie für diesen eine individuelle Bedrohungssituation darstellt.
In der Person des Klägers sind jedoch weder gefahrerhöhende persönliche Umstände erkennbar (wie etwa der berufsbedingten Nähe zu einer Gefahrenquelle z.B. als Arzt oder Journalist oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten von Verfolgung bedrohten Religion), die eine solche individuelle Bedrohung in erster Linie hervorrufen könnten.
Zudem hat sich vorliegend die allgemeine Gefahrenlage nicht derart besonders verdichtet (Gefahrendichte), dass der den bestehenden bewaffneten Konflikt (einen solchen hier unterstellt) kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau (Gewaltniveau) erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein, was ausnahmsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes unabhängig von individuellen gefahrerhöhenden Umständen begründen könnte (vgl. zu den Voraussetzungen einer individuellen Bedrohungssituation EuGH, U.v. 17.2.2009 – Rs. C 465/07 (Elgafaji) – juris, Rn. 35 und 39 und U.v. 30.1.2014 – Rs. C 285/12 (Diakité) – juris, Rn. 30; BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 32 und U.v. vom 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris, Rn. 18 ff.). Zur Beurteilung, ob eine derartige Gefahrendichte vorliegt, ist neben einer quantitativen Ermittlung der verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl (sog. Gewaltniveau; vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/13 – juris Rn. 22 und 10 C 11.10 – juris Rn. 20, wonach, bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres, eine Wahrscheinlichkeit von 1:800 bzw. 1:1.000 weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, entfernt ist) auch eine wertende Gesamtbetrachtung notwendig. Zu dieser Gesamtbetrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet. Von deren Qualität und Erreichbarkeit kann auch die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungen abhängen (zum Ganzen vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22 f.).
Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird. Denn für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 100). Abzustellen ist danach vorrangig auf die Provinz Baghlan (Distrikt Doshi), wo der Kläger geboren ist und wo seine Familie lebt.
Für die Provinz Baghlan besteht jedoch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt ist. Das Gericht schließt sich auch diesbezüglich vollumfänglich der obergerichtlichen Rechtsprechung an. So geht insbesondere der Bayerische Verwaltungsgerichtshof weiterhin davon aus, dass für keine Region Afghanistans die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegen (vgl. U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 43 ff.). Auch unter Berücksichtigung von Erkenntnismitteln neueren Datums ergibt sich nichts anderes: In der Provinz Baghlan wurden im Jahr 2017 bei einer geschätzten Einwohnerzahl von ca. 943 Tausend 222 zivile Opfer registriert; davon 66 getötete Zivilisten und 156 Verletzte (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung Juni 2018, S. 87 ff.). Die Anschlagswahrscheinlichkeit im Jahr 2017 lag damit auch in der Provinz Baghlan bei deutlich unter 1:800 und damit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/13 – juris). Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2.9.2019, S. 20 ff.) hat sich die Bedrohungslage für Zivilisten in jüngster Zeit nicht wesentlich verändert. Auch wenn sich die Zahl der zivilen Opfer im Gesamtjahr 2018 im Vergleich zum Jahr 2017 in der Provinz Baghlan um 17% erhöht hat (68 Tote und 193 Verletzte), liegt sie in Relation zu den geschätzten Einwohner noch weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlich, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden. (vgl. UNAMA, Annual Report 2018, S. 67). Damit ist derzeit noch nicht davon auszugehen, dass bei Unterstellung eines bewaffneten Konflikts praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre. Gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind darüber hinaus nicht erkennbar. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
Eine andere Bewertung ist auch nicht vor dem Hintergrund der Einschätzung der Gutachterin Stahlmann insbesondere im Gutachten zu Afghanistan an das Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 28. März 2018 geboten. Soweit diese darauf hinweist, dass Sorge bestehe, in den UNAMA-Berichten sei die Anzahl ziviler Opfer nicht hinreichend erfasst, so wäre – wie schon vorstehend im Zusammenhang mit der Beleuchtung der inländischen Fluchtalternativen ausgeführt – selbst unter Einrechnung eines gewissen „Sicherheitszuschlages“ die kritische Gefahrendichte keinesfalls erreicht. Soweit Frau Stahlmann vertritt, es bestehe allein aufgrund der Anwesenheit in Afghanistan im gesamten Staatsgebiet die Gefahr, einen ernsthaften Schaden hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit zu erleiden (vgl. Gutachten zu Afghanistan an das VG Wiesbaden vom 28. März 2018, S. 9), handelt es sich um eine allein dem erkennenden Gericht vorbehaltene rechtliche Würdigung, der auch keine Indizwirkung zukommen kann. Die von ihr darüber hinaus geschilderten Tatsachen betreffen weit überwiegend Umstände, die allein bei der qualitativen Gesamtbetrachtung zu würdigen sind, die sich hier jedoch aufgrund der – gemessen an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – verhältnismäßig niedrigen Opferzahlen unter keinen Umständen auswirken können (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 153).
Im Übrigen geht auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan nicht derart ist, dass jede Überstellung dorthin notwendig Art. 3 EMRK verletze (vgl. z.B. EGMR, U.v. 11.7.2017 – S.M.A./Netherlands, Nr. 46051/13 – Rn. 53). Auch aus dem, dem Gericht vorliegenden zusätzlichen Erkenntnismaterial mit neuerem Datum lässt sich nichts dafür entnehmen, dass hier zwischenzeitlich eine andere Einschätzung zur Sicherheitslage geboten wäre.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes und zwar weder auf Grundlage von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (dazu 3.1) noch auf Grundlage von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (dazu 3.2).
3.1 Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG wegen Verletzung der EMRK besteht weder mit Blick auf die Sicherheitslage in Afghanistan – hierzu kann vollumfänglich auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden – noch aufgrund der dortigen schlechten humanitären Bedingungen.
Die humanitäre Lage und die Lebensbedingungen, die der Kläger in Afghanistan insgesamt bzw. in der Provinz Herat oder auch in seiner Herkunftsprovinz Baghlan zu erwarten hat, sind gerade nicht derart schlecht, dass davon ausgegangen werden müsste, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich der Schutz nach Art. 3 EMRK nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen erstreckt. Insofern können schlechte humanitäre Bedingungen, die – wie hier – nicht auf einen verantwortlichen Akteur, sondern in erster Linie auf Armut oder fehlende staatliche Mittel, zurückzuführen sind, eine erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK nur in extrem Ausnahmefällen begründen. Ein solcher Ausnahmefall kann allenfalls dann vorliegen, wenn zu solchen schlechten humanitären Bedingungen ganz außerordentliche individuelle Gründe hinzutreten und humanitäre Gründe zwingend gegen eine Abschiebung sprechen (siehe BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 10 unter Verweis insbesondere auf EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 und 11449/07 – Rn. 282).
Ein solcher Ausnahmefall besteht vorliegend nicht. Auch diesbezüglich kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Das Schicksal des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan lässt sich nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit dahingehend prognostizieren, dass er mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten hätte; die hohen Anforderungen aus Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sind daher nicht erfüllt.
3.2 Ein Verbot, den Kläger nach Afghanistan abzuschieben, folgt auch nicht aus § 60 Abs. 7 AufenthG. Eine dem Ausländer bei Abschiebung drohende erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit, ist nicht ersichtlich.
Die allgemeine Gefahrenlage in Afghanistan reicht hierfür jedenfalls nicht aus. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die drohenden Gefahren müssten nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies setzt voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Einreise in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann, der Ausländer somit gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – juris Rn. 15.). Eine solche Gefahrenlage liegt, wie oben zu § 60 Abs. 5 AufenthG bereits ausgeführt, nicht vor.
Ein Abschiebungsverbot zugunsten des Klägers ergibt sich auch nicht aufgrund seines Gesundheitszustandes. Voraussetzung für die Bejahung einer erheblichen konkreten Gefahr aus gesundheitlichen Gründen ist nämlich, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit alsbald nach der Rückkehr ins Heimatland die wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlimmerung einer Krankheit zu erwarten ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und zur Anwendung dieses Prognosemaßstabes vgl. BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58.97 – juris), wobei in zeitlicher Hinsicht ein Prognosezeitraum von etwa einem Jahr angemessen sein dürfte (vgl. NdsOVG, B.v. 22.3.2006 – 10 LA 287/05). Diese Voraussetzung ist ebenfalls nicht erfüllt. Dass beim Kläger eine derart gravierende Erkrankung vorliegt, wurde nicht schlüssig dargelegt.
Zwar soll der Kläger laut dem Fachmedizinischen Gutachten des Herrn Dr. … vom 18. Mai 2017 psychische erkrankt sein. Konkret wurde eine schwere depressive Episode (F 32.2), eine posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1), eine chronische Insomnie (F51.0), eine depressive Anpassungsstörung (F 43.2) sowie Angst- und Panikattacken (F 41.9) diagnostiziert. Unabhängig davon, dass das Fachmedizinische Gutachten zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits mehr als zwei Jahre alt und damit schon nicht mehr hinreichend aktuell ist, fehlt es vorliegend an einem aussagekräftigen fachärztlichen Attest, das den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Mindestanforderungen genügt (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – juris Rn. 15).
Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes einer posttraumatische Belastungsstörung sowie seiner vielfältigen Symptome muss sich aus der fachärztlichen Stellungnahme nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren soll das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Zudem kommt es für die Diagnose des schwer fassbaren Krankheitsbildes der posttraumatische Belastungsstörung, das sich einer Erhebung äußerlich objektiver Befundtatsachen häufig weitgehend entzieht und auf innerpsychischen Vorgängen beruht, entscheidend auf die Glaubhaftigkeit und Schlüssigkeit der dem psychischen Erleben zu Grunde liegenden äußeren Tatsachen an. Die von dem betreffenden Asylsuchenden abgegebenen Erklärungen zu den traumatisierenden Erlebnissen im Heimatland können daher nicht unbesehen und ohne weitere Überprüfung sowie unter Verzicht auf eine eigenständige Exploration zur Grundlage einer ärztlichen Stellungnahme herangezogen werden. Sachverständigenbescheinigungen, die unkritisch und ohne die erforderliche Distanz allein auf den vorgetragenen Angaben beruhen, begründen daher keine hinreichende Tatsachengrundlage für die Annahme, der betreffende Asylsuchenden leide an einer posttraumatische Belastungsstörung. Diese Grundsätze zur Substantiierung gelten prinzipiell auch für andere psychische Erkrankungen.
Das nur eine Seite umfassende Fachmedizinische Gutachten genügt diesen Anforderungen nicht. Es enthält schon keine konkreten Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztliche Behandlung befunden hat und welche Medikamente erforderlich sind. Es wird lediglich pauschal behauptet, dass der Kläger in regelmäßiger Behandlung bei dem Unterzeichnenden stehe und eine intensive medikamentöse Therapie erfolge. Obwohl der Kläger mit Schreiben des Gerichts vom 28. August 2019 hierzu aufgefordert wurde, erfolgte kein weiterer substantiierter Vortrag zu einer eventuell auch derzeit noch stattfindenden Therapie und der momentanen Medikation des Klägers. Das Gericht konnte auf Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Tatsachen letztlich nicht die Überzeugung gewinnen, dass dem Kläger im Zuge seiner Rückführung in sein Heimatland eine obigen Anforderungen entsprechende qualifizierte Gefahr mit überwiegender Wahrscheinlichkeit droht. Dem Gericht kommt auch im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes keine Pflicht zur Anstellung weitere Ermittlungen hierzu zu, da der Untersuchungsgrundsatz insofern durch die prozessualen Mitwirkungspflichten des Klägers begrenzt wird. Es obliegt nämlich gerade dem Asylsuchenden, Umstände, die zu einer drohenden Gesundheitsverschlechterung führen und die ein Abschiebungsverbot begründen können, substantiiert darzulegen (vgl. § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO, § 25 Abs. 2 AsylG). Da das Bestehen der psychischen Erkrankungen mithin schon nicht hinreichend schlüssig dargelegt wurde, kommt es vorliegend weder auf deren Behandlungsmöglichkeiten in Afghanistan an noch darauf, ob diese Erkrankungen überhaupt zu einer wesentlichen bzw. lebensbedrohlichen Gesundheitsbeeinträchtigung führen können. Soweit das Gutachten dem Kläger bescheinigt, dass bei stärkeren psychischen Belastungen zum Beispiel einer Abschiebung mit einer besonderen Intensität der Gesundheitsbeeinträchtigung zu rechnen sei und in diesem Fall akute Suizidalität drohe, der Kläger mithin keineswegs transport- und reisefähig sei, wäre – ungeachtet der Tatsache, dass das Gutachten mangels Aktualität schon nicht tauglich ist – eine solche Suizidgefahr auf eine anstehende Abschiebung bzw. deren Vollzug zurückzuführen, so dass es sich um kein zielstaatsbezogenes, sondern allenfalls um ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis handeln würde, dass nur von der Ausländerbehörde berücksichtigt werden kann (vgl. OVG NRW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 84, 86).
4. Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung (Ziffer 5 des Bescheides) bestehen im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken. Schließlich ist auch das verhängte Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 AufenthG (Ziffer 6 des Bescheides), welches als Anordnung eines Verbots bestimmter Dauer zu verstehen ist (vgl. BVerwG, B.v. 13.7.2017 – VR 3.17 – juris Rn. 71 f.) rechtmäßig. Insbesondere sind keine Ermessensfehler des Bundesamts bei der Bemessung der Frist nach § 11 Abs. 3 AufenthG zu erkennen.
5. Nach alledem ist die Klage vollumfänglich mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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