Verwaltungsrecht

Erfolgloses auf Verletzung rechtlichen Gehörs gestütztes Berufungszulassungsbegehren

Aktenzeichen  11 ZB 17.31689

Datum:
12.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 138401
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG § 78 Abs. 3
VwGO § 95 Abs. 1 S. 1
ZPO § 227 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Auch im Asylrechtsstreit besteht kein genereller Anspruch des anwaltlich vertretenen Klägers auf persönliche Anhörung. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Ablehnung der Terminsaufhebung stellt keine das rechtliche Gehör verletzende Überraschungsentscheidung dar. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 6 k 16.32116 2017-09-27 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist nur zum Teil zulässig und hat im Übrigen in der Sache keinen Erfolg.
Soweit die Kläger ihren Zulassungsantrag auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils und besondere rechtliche Schwierigkeiten stützen, ist er nicht statthaft, weil es sich hierbei nicht um Gründe handelt, die nach der abschließenden Sonderregelung des § 78 Abs. 3 AsylG zur Zulassung der Berufung führen können. Die darüber hinaus angeführte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache kommt als Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zwar grundsätzlich in Betracht, ist aber nicht ansatzweise dargelegt worden (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). In der Antragsschrift finden sich ausschließlich Ausführungen zu einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Da das Gebot der Darlegung eine substanzielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrundes erfordert (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 59), hätte eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt werden müssen, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O., § 124a Rn. 72; Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2016, § 124a Rn. 102 ff.; Berlit in GK-AsylG, Stand Oktober 2017, § 78 Rn. 88 m.w.N.). Dabei bedeutet „darlegen“ schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis; „etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 9.3.1993 – 3 B 105/92 – juris Rn. 3 m.w.N.). Im Übrigen ist der Antrag zulässig, insbesondere innerhalb der Monatsfrist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG gestellt worden, so dass über das Wiedereinsetzungsgesuch nicht entschieden werden musste.
Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) ist nicht hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) und auch nicht gegeben. Das Verwaltungsgericht durfte ohne die anwaltlich vertretenen Kläger verhandeln und entscheiden, nachdem sie über ihre Prozessbevollmächtigten form- und fristgerecht unter Hinweis gemäß § 102 Abs. 2 VwGO geladen worden sind und weder dargelegt worden ist noch Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass ihre persönliche Anhörung notwendig war und ihre damaligen Prozessbevollmächtigten an einer Vertretung im Termin gehindert waren. Es kann daher offen bleiben, ob die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen geeignet waren, eine Verhandlungsunfähigkeit des Klägers zu 1. glaubhaft zu machen, und ob auch die übrigen Kläger am Tag der mündlichen Verhandlung verhandlungsunfähig waren.
Nach § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Termin nur aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Auch im Asylprozess ist ein erheblicher Grund für eine Vertagung nicht bereits dann – quasi automatisch – anzunehmen, wenn ein anwaltlich vertretener Verfahrensbeteiligter wegen Krankheit oder aus anderen persönlichen Gründen verhindert ist, selbst an der Verhandlung teilzunehmen. Vielmehr ist jeweils nach den Umständen des Falles zu prüfen, ob der Verfahrensbeteiligte ohne Terminsaufhebung bzw. -verlegung in seinen Möglichkeiten beschränkt würde, sich in dem der Sache nach gebotenen Umfang zu äußern; das bloße Anwesenheitsinteresse einer anwaltlich ausreichend vertretenen Partei wird dagegen durch ihren Gehörsanspruch nicht geschützt (BVerwG, B.v. 4.2.2002 – 1 B 313/01, 1 PKH 40/01 – Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 31 = juris Rn. 5 m.w.N.; vgl. auch BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 11 ZB 17.30041 – juris Rn. 17; B.v. 25.22.2015 – 15 ZB 15.30229 – juris Rn. 3; B.v. 15.11.2006 – 1 ZB 06.30992 – juris Rn. 4; Geiger in Eyermann‚ VwGO‚ § 102 Rn. 6). Die Prozessordnung sieht auch im Asylrechtsstreit keinen generellen Anspruch des anwaltlich vertretenen Klägers auf eine persönliche Anhörung vor (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2007 – 10 B 74/07 – juris Rn. 8 m.w.N.). Allerdings kann das Unterbleiben einer persönlichen Anhörung je nach den Umständen des Einzelfalles verfahrensfehlerhaft sein, wenn es für die Entscheidung nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts auf den persönlichen Eindruck von dem Asylbewerber ankommt, etwa weil das Gericht auf seine Glaubwürdigkeit oder die Glaubhaftigkeit seiner Angaben abstellt (BVerwG, a.a.O.). Derartige Umstände sind indes weder dargelegt noch erkennbar. Das Verwaltungsgericht hatte das persönliche Erscheinen der Kläger nicht angeordnet (§ 95 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und die Kläger haben dem Gericht auch nicht (substantiiert) mitgeteilt, was für die Notwendigkeit ihrer Anwesenheit gesprochen hätte. Nachdem es ihnen obliegt, Gebrauch von den verfahrensrechtlich gebotenen Möglichkeiten zu machen, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, bleibt ihre Rüge bereits deshalb ohne Erfolg (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.1982 – 9 C 912/80 – juris Rn. 11 f. m.w.N.; B.v. 18.4.1983 – 9 B 2337/80 – juris Rn. 1). Ferner haben sowohl das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als auch das Verwaltungsgericht ihre ablehnenden Entscheidungen nicht auf die Unglaubhaftigkeit des klägerischen Sachvortrags zum Fluchtgeschehen, sondern auf das Fehlen eines asylrelevanten Anknüpfungsmerkmals im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gestützt und die Kläger im Übrigen auf die Inanspruchnahme staatlichen Schutzes durch ihren Heimatsstaat und eine innerstaatliche Fluchtalternative verwiesen. Das Gericht hat sich dabei im Wesentlichen die Bescheidsgründe durch Bezugnahme gemäß § 77 Abs. 2 AsylG zu eigen gemacht. Aus der ergänzenden Sachverhaltswürdigung lässt sich die Notwendigkeit der persönlichen Anwesenheit der Kläger im Termin ebenfalls nicht herleiten. Das Gericht hat aus seiner Anmerkung, es verwundere, dass sich der Kläger zu 1. freiwillig mit den ihn bedrohenden Geschäftspartnern getroffen und nicht andernorts Zuflucht gefunden habe, keine negativen Schlüsse bezüglich der Glaubhaftigkeit des Klagevortrags gezogen. Abgesehen davon, dass diese Anmerkung nicht tragend ist und eine Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung zu einer nachfolgenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung in den Urteilsgründen ohnehin nicht möglich wäre, haben die Kläger bereits in ihrer Anhörung beim Bundesamt (Bl. 100, 105 der Behördenakte) geltend gemacht, dass ihr Umzug innerhalb der Ukraine aus ihrer Sicht nur vorübergehenden Schutz bot. Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) schützt nicht davor, dass das Gericht dem Vortrag der Beteiligten in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht die aus deren Sicht richtige Bedeutung beimisst (BVerfG, B.v. 4.8.2004 – 1 BvR 1557/01 – juris Rn. 17). Schließlich hatten die Kläger in dem seit Mai 2015 währenden Asylverfahren auch hinreichend Gelegenheit, ihrer Mitwirkungspflicht nachzukommen und ihre Asylgründe umfassend darzulegen und ggf. zu ergänzen (vgl. dazu BVerwG, U.v. 22.3.1983 – 9 C 68/81 – Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 44 = juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 26.10.1989 – 9 B 405/89 – juris Rn. 8; B.v. 15.8.2003 – 1 B 107/03, 1 PKH 28/03 – juris Rn. 5; U.v. 10.5.1994 – 9 C 434/93 – NVwZ 1994, 1123/1124 = juris Rn. 8), wovon ihre Bevollmächtigten im Klageverfahren auch Gebrauch gemacht haben. Dass die Bevollmächtigten aus eigener Entscheidung der mündlichen Verhandlung ferngeblieben sind und sich damit der Möglichkeit begeben haben, ggf. Weiteres für die Kläger vorzutragen, ist den Klägern gemäß § 85 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 173 VwGO zuzurechnen (vgl. BVerfG, B.v. 20.4.1982 – 2 BvL 26/8 – BVerfGE 60, 253 = juris Rn. 48, 121 ff. zur Verfassungsmäßigkeit des § 85 Abs. 2 ZPO auch im Asylrechtsstreit).
Ebenso wenig stellt die Ablehnung der Terminsaufhebung eine das rechtliche Gehör verletzende Überraschungsentscheidung dar. Es trifft schon die Auffassung der Kläger nicht zu, dass das Verwaltungsgericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an die ärztliche Stellungnahme im Hinblick auf die Verhandlungsunfähigkeit des Klägers zu 1. gestellt hat, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht habe rechnen müssen. Denn bereits mit Schreiben vom 15. September 2017 und danach noch wiederholt hat das Gericht den Klägerbevollmächtigten im Vorfeld der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass sich aus den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen nicht die Verhandlungsunfähigkeit des Klägers zu 1. ergebe und nichts gegen die Verhandlungsfähigkeit der übrigen Kläger spreche. Im Übrigen wird der unbestimmte Rechtsbegriff der erheblichen Gründe im Sinne von § 227 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 173 VwGO durch die Rechtsprechung konkretisiert. Nur wenn das Verwaltungsgericht diese Maßstäbe verfehlt hätte, hätte es den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
Die übrigen Einwände gegen die rechtliche Würdigung der Nachstellungen durch die organisierte Kriminalität und der psychischen Erkrankung des Klägers zu 1. durch das Gericht sind dem sachlichen Recht zuzurechnen (vgl. BVerwG, B.v. 1.2.2010 – 10 B 21/09 – juris Rn. 13 m.w.N.) und zeigen keine Verletzung der Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO auf. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung besteht diese darin, jedem Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit zu geben, sich zu dem gesamten, nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblichen Stoff des gerichtlichen Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern (BVerwG, B.v. 7.6.2017 – 5 C 5/17 D u.a. – juris Rn. 8 m.w.N.; Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 272, 274). Sie verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht aber, ihnen in der Sache zu folgen (Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 261).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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