Verwaltungsrecht

Erfolgloses Eilverfahren wegen vorläufiger Erteilung einer Ausbildungsduldung und Beschäftigungserlaubnis für vollziehbar ausreisepflichtigen Asylbewerber

Aktenzeichen  M 9 E 19.5879

Datum:
22.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 7973
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
GG Art. 16a Abs. 3
AufenthG § 29a Abs. 2, § 60a, § 60c Abs. 1

 

Leitsatz

Für Inhaber einer Duldung mit dem Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ ist die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt und es besteht somit kein Anordnungsanspruch auf Erteilung einer Ausbildungs-/ Beschäftigungserlaubnis. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses und für das Verfahren M 9 K 19.5877 wird abgelehnt.
II. Der Antrag gemäß § 123 VwGO wird abgelehnt.
III. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
IV. Der Streitwert wird auf 2.500,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die vorläufige Erteilung einer Ausbildungsduldung sowie einer Beschäftigungserlaubnis zum Beginn einer Ausbildung in einem Bäckereibetrieb.
Der Antragsteller stammt nach eigenen Angaben angeblich aus dem Senegal und wurde nach eigenen Angaben am 28. Februar 1993 geboren. Er reiste vermutlich spätestens am 17. Juli 2015 über Italien ohne gültige Papiere in das Bundesgebiet ein. Ausweislich der Büma äußerte er am 6. August 2015 ein Asylgesuch und beantragte am 22. Oktober 2015 formell Asyl. Das Bundesamt erhielt die Mitteilung davon am 6. August 2015. Bei seiner Anhörung am 14. März 2016 gab er gegenüber dem Bundesamt an, er hätte sowohl eine Geburtsurkunde als auch eine ID-Karte besessen, die ihm in Libyen abgenommen worden seien.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 21. Juni 2016, bestätigt mit Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 5. Juli 2016 (M 9 S 16.50438), wurde der Asylantrag auf der Grundlage der Dublin III-VO als unzulässig abgelehnt. Eine Abschiebung nach Italien erfolgte nicht und im nationalen Verfahren wurde der Asylantrag mit Bescheid des Bundesamts vom 8. Juni 2017 als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen. Der Bescheid ist seit dem 14. Dezember 2017 bestandskräftig und der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig. Ebenso abgelehnt wurde ein Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO (M 10 S7 18.30841).
Der Antragsteller hat bis heute keinen Pass. Gesundheitlich liegt ein Befundbericht vom 19. September 2016 vor, wonach fachärztlich bei dem Antragsteller eine Depression vorliege. Der Antragsteller hat wegen fehlender Reisedokumente fortlaufend Duldungen erhalten.
Der Antragsteller wurde mehrfach, zuletzt mit Schreiben vom 6. Dezember 2019 (Bl. 618 d. Behördenakte – BA) aufgefordert, Identitätsdokumente zu beschaffen. Vorgelegt wurde lediglich eine Bescheinigung der Botschaft der Republik Senegal vom 31. Januar 2019 (Bl. 461 BA) über die Vorsprache zur Passbeschaffung. Danach wurde der Antragsteller zur weiteren Bearbeitung seines Reisepasses aufgefordert, Dokumente wie eine Kopie des Personalausweises und eine Kopie des alten Passes nachzureichen. Ausreichend zur Beschaffung eines Reisepasses sei eine ID-Card oder ID-Nummer, ein alter Pass und eine Geburtsurkunde oder die korrekte Nennung der nationalen ID-Nummer und Pass-Nummer mit einer Verlustbescheinigung.
Mit Schreiben vom 10. September 2019 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers eine Ausbildungsduldung für eine Ausbildung zum Bäcker bei der Bäckerei K. in Lenggries sowie eine entsprechende Ausbildungserlaubnis (Bl. 541/542 BA). Vorgelegt wurde mit weiterem Schreiben vom 23. September 2019 eine Kopie des Ausbildungsvertrages (Bl. 558 – 560 BA).
Nach Anhörung des Antragstellers lehnte die Regierung von Oberbayern mit Bescheid vom 22. Oktober 2019 (Bl. 576 – 588) den Antrag auf Erteilung einer Ausbildungserlaubnis als Bäcker bei der Bäckerei K. in L. ab (Ziff. I). Der Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung wurde ebenfalls abgelehnt (Ziff. II). Es läge ein absolutes Erwerbstätigkeitsverbot vor (§ 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG in der damals geltenden Fassung – a.F.). Der Senegal gehöre zu den sicheren Herkunftsländern nach Art. 16a Abs. 3 GG i.V.m. § 29a Abs. 2 AsylG, Anlage II zu § 29a AsylG. Der Asylantrag sei erst am 22. Oktober 2015 beim Bundesamt gestellt worden und damit nach dem maßgeblichen Stichtag „31. August 2015“. Es sei nicht auf die Äußerung eines Asylgesuchs sondern auf die förmliche Stellung des Asylantrages beim Bundesamt abzustellen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers erhob mit am 27. November 2019 beim Verwaltungsgericht München eingegangenem Schriftsatz Klage und beantragte gemäß § 123 VwGO,
den Antragsgegner zu verpflichten, im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO bis zur Entscheidung der Hauptsache die Ausbildungsduldung nebst Beschäftigungserlaubnis gemäß § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG (a.F.) zu erteilen.
Hilfsweise:
Den Antragsgegner zu verpflichten, im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO bis zur Entscheidung in der Hauptsache die Ausbildung nebst Beschäftigungserlaubnis zu erteilen.
Wegen Ermessensreduzierung auf Null habe der Antragsteller einen Anspruch auf die Erteilung einer Ausbildungsduldung und Beschäftigungserlaubnis. Die notwendigen Unterlagen lägen vor und seien der Regierung von Oberbayern bereits mit Schreiben vom 15. Oktober 2019 übermittelt worden. Maßgeblich sei nicht der förmliche Asylantrag sondern die Kenntnis des Bundesamtes vom Asylgesuch; dies folge daraus, dass der Antragsteller keinen Einfluss darauf habe, wie schnell er einen förmlichen Asylantrag beim Bundesamt stellen könne.
Der Antragsgegner beantragte,
Antragsablehnung.
Der Antragsteller habe seine Mitwirkungspflichten zur Beschaffung eines Passes oder Passersatzpapieres nach wie vor nicht erfüllt; mit Schreiben vom 6. Dezember 2019 wurde ihm dafür erneut eine Frist bis zum 16. März 2020 gewährt. Er habe keinen Anspruch auf die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis bzw. einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG (a.F.).
Ergänzend zu den Ablehnungsgründen im Bescheid, auf den verwiesen werde, unterliege der Antragsteller auch dem Beschäftigungsverbot des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG (a.F.). Es lägen von dem Antragsteller zu vertretende Gründe vor, weshalb aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden könnten. Der Antragsteller habe eine Duldung wegen fehlender Reisedokumente. Gemäß § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG (a.F.) habe ein Ausländer die Gründe nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG (a.F.) insbesondere dann zu vertreten, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Der Antragsteller habe selbst angegeben, dass er eine ID-Karte und eine Geburtsurkunde besessen habe. Daraus folge, dass er über seine Familie im Senegal erneut eine ID-Karte sowie eine beglaubigte Geburtsurkunde erlangen könne, da er beides bereits einmal besessen habe.
Auch nach pflichtgemäßem Ermessen sei die Gestattung der Ausbildung zu versagen gewesen, da er nach Ablehnung des Asylantrags als „offensichtlich unbegründet“ keine Bleibeperspektive im Bundesgebiet habe.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, insbesondere um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich ist die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes, d.h. der Eilbedürftigkeit, sowie eines Anordnungsanspruchs, d.h. der materiell-rechtliche Anspruch in der Hauptsache (§ 123 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Daher sind Rechtsänderungen im gerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen. Deshalb findet vorliegend das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), gültig ab dem 1. März 2020 sowohl für die Ausbildungsduldung als auch für die Beschäftigungserlaubnis Anwendung (VGH BW, B.v. 14.1.2020 – 11 F 2956/19 m.w.N.).
Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erteilung einer vorläufigen Ausbildungsduldung gemäß § 60c Abs. 1 AufenthG i.V.m .§ 60a AufenthG. Nach § 60 c Abs. 1 AufenthG ist eine Duldung aus dringenden persönlichen Gründen gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu erteilen, wenn der Ausländer als Asylbewerber eine qualifizierte Berufsausbildung aufgenommen hat (§ 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstab. a AufenthG) oder im Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG ist und eine qualifizierte Berufsausbildung aufnimmt (§ 60c Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Nach § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG wird die Ausbildungsduldung nicht erteilt, wenn die Identität nicht geklärt ist und zwar bei einer Einreise in das Bundesgebiet bis zum 31. Dezember 2016 bis zur Beantragung der Ausbildungsduldung (§ 60c Abs. 2 Nr. 3a AufenthG). Dabei gilt die Frist als gewahrt, wenn der Betreffende innerhalb dieser Frist alle erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen hat und die Identität erst nach dieser Frist geklärt werden kann, ohne dass der Ausländer dies zu vertreten hat.
Im vorliegenden Fall erfüllt der Antragsteller diese Voraussetzungen bereits tatbestandlich nicht. Er hat aktuell keine qualifizierte Berufsausbildung als Asylbewerber aufgenommen. Er ist nicht im Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG, sondern hat als vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer eine Duldung für „Personen mit ungeklärter Identität“ nach § 60b AufenthG. Seine Identität ist nach wie vor nicht geklärt. Der Antragsteller ist vor dem 31. Dezember 2016 in das Bundesgebiet eingereist und hat bis zur Beantragung der Ausbildungsduldung und danach nicht alle erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen. Aus diesem Grunde fehlt es vorliegend an einem Anordnungsanspruch, sodass es auf einen Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen vorläufigen Regelung nicht mehr ankommt.
Ohne dass es im Verfahren nach § 123 VwGO darauf ankommt, ist nach Durchsicht der Akten und dem Vortrag der Beteiligten aktuell dokumentiert, dass der Antragsteller seiner Verpflichtung, sich Heimreisepapiere aus dem Senegal zu besorgen, aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht nachgekommen ist. Ausweislich der Akte wurde der Bevollmächtigte des Antragstellers bereits mit Schreiben vom 3. Januar 2018 nach Ablehnung seines Asylantrages als „offensichtlich unbegründet“ aufgefordert, einen beigefügten Antrag auf Ausstellung eines Passersatzes auszufüllen, mit Passbildern einzureichen und einen Termin für die Abnahme von Fingerabdrücken beim Landratsamt zu vereinbaren oder alternativ bei der senegalesischen Vertretung zwecks Passbeantragung vorzusprechen und einen Nachweis darüber vorzulegen (Bl. 374 BA).
Mit weiterem Schreiben vom 22. November 2018 wurde der Antragsteller erneut unter Belehrung über seine Mitwirkungspflichten und gesetzlichen Verpflichtungen zur Passbeschaffung mit Frist bis zum 25. Februar 2019 aufgefordert (Bl. 445 BA). Vorgelegt wurde lediglich eine Bescheinigung der Botschaft der Republik Senegal zur Vorlage bei der Behörde vom 31. Januar 2019 über die Vorsprache. Ausweislich dieses Schreibens hat der Antragsteller nach eigenen Angaben die Dokumente zur Ausstellung eines Reisepasses nicht vorgelegt und sei aufgefordert worden, Dokumente wie die Kopie des Personalausweises, eine Kopie des alten Passes, eine ID-Card oder ID-Nummer oder alten Pass und Geburtsurkunde vorzulegen; ausreichend sei die Nennung der nationalen ID-Nummer und Passnummer mit einer Verlustbescheinigung. Nach Bescheidserlass wurde der Antragsteller mit weiterem Schreiben vom 6. Dezember 2019 (Bl. 618 BA) nochmals zur Passbeschaffung unter erneuter Fristsetzung aufgefordert. Bis zum Fristablauf und bis zur Entscheidung über den Eilantrag ist nichts geschehen. Der Antragsgegner hat in diesem Schreiben – gestützt auf die Angaben des Antragstellers – zutreffend angenommen, dass es den Antragsteller möglich sei, über seine Familie im Senegal erneut eine Geburtsurkunde und eine ID-Nummer zu beschaffen, da er beides bereits hatte. Der Antragsteller hat angegeben, dass ihm diese Papiere in Libyen abhandengekommen seien. Unter Berücksichtigung dieser Sachlage ist nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller alle erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen hat. Eine Ausbildungsduldung ist damit nach § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG ausgeschlossen, ohne dass der Behörde ein Ermessen eingeräumt wäre.
Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch auf Erteilung einer Ausbildungs-/ Beschäftigungserlaubnis gemäß § 4a Abs. 2 AufenthG. Nach § 60b Abs. 5 Satz 2 AufenthG darf dem Inhaber einer Duldung mit dem Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten war wegen der fehlenden Erfolgsaussichten ebenfalls abzulehnen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog.
Gegen Ziff. I des Tenors, Ablehnung des PKH-Antrags:


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben