Verwaltungsrecht

Erfolgloses Rechtsmittel eines Asylsuchenden aus Somalia

Aktenzeichen  23 ZB 21.30003

Datum:
25.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4220
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, Nr. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
VwGO § 166

 

Leitsatz

1. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die Frage, ob ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot besteht oder nicht, nur unter Berücksichtigung der individuellen Person und bei Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden kann, in denen sich die Person nach Rückkehr befinden wird. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein auf die grundsätzliche Bedeutung einer Tatsachenfrage gestützter Zulassungsantrag genügt bereits dann nicht den Darlegungsanforderungen, wenn in ihm lediglich die Behauptung aufgestellt wird, die für die Beurteilung maßgeblichen Verhältnisse stellten sich anders dar als vom Verwaltungsgericht angenommen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der vorinstanzlichen Entscheidung stellen im Asylverfahren gemäß § 78 Abs. 3 AsylG keinen Zulassungsgrund dar. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 12 K 18.32357 2020-08-11 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren – unter Beiordnung von Rechtsanwalt H1. K., Roßmarkt 20, … S. – wird abgelehnt.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG ist nicht im Sinne von § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt und liegt auch nicht vor.
a) Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer erstens eine konkrete und gleichzeitig verallgemeinerungsfähige Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, zweitens ausführt, aus welchen Gründen diese klärungsfähig ist, also für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich war, und drittens erläutert, aus welchen Gründen sie klärungsbedürftig ist, mithin aus welchen Gründen die ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 3; B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 17.30487 – juris Rn. 2; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 36. EL, Februar 2019, § 124a Rn. 102 ff.). Die Grundsatzfrage muss zudem anhand des verwaltungsgerichtlichen Urteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig, dass der Rechtsmittelführer die Materie durchdringt und sich mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 3; B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer zudem Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2017 – 11 ZB 17.30602 – juris Rn. 2; OVG NW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/ 17.A – juris Rn. 5).
b) Die Klägerseite hat die Fragen aufgeworfen,
„ob eine Kumulierung der gegebenen persönlichen, wirtschaftlichen, staatlichen, sozialpolitischen, nationalen und internationalen Gründe einen Flüchtlingsschutz bedingt, zumindest subsidiären Schutz, zumindest Abschiebungsverbote gemäß § 60 AufenthG.“
Die Klägerseite hat hierzu im Wesentlichen vorgetragen, dass Somalia zu den ärmsten Ländern der Welt zähle und unter Dürre, Überschwemmungen sowie einer Heuschreckenplage leide, so dass der Kläger bei einer Rückkehr dorthin sein Existenzminimum nicht sichern könne. Der Kläger könne weder in das Gebiet bzw. den Ort seines früheren Wohnsitzes zurückkehren, da ihm dort das gleiche Schicksaal wie seinem Vater (Inhaftierung wegen unrichtiger Beschuldigungen und/oder Tötung durch den Dieb des väterlichen Grundstücks) drohe bzw. er von der Al-Shabaab als Spitzel verdächtigt werde. Der Kläger habe auch keine inländische Fluchtalternative, da er dort mit den gleichen Maßnahmen rechnen müsse, wenn er das väterliche Grundstück zurückverlangen würde. Hinzu komme die Corona Pandemie in Somalia. Nach Informationen der Flüchtlingshelfer und des Geschäftsführers von Pro Asyl seien nur 15 Intensivbetten für 15 Mio. Menschen in Somalia vorhanden. Die Anzahl der tatsächlich an Corona erkrankten Personen in Somalia sei unbekannt.
c) Das klägerische Vorbringen genügt den vorgenannten Anforderungen nicht.
aa) Das klägerische Vorbringen ist bereits nicht entscheidungserheblich für die angefochtene Entscheidung, vielmehr hat das Verwaltungsgericht ausführlich erläutert, dass ein Anspruch aus § 3 AsylG mangels flüchtlingsrelevanter Verfolgungsgründe ausscheide, da es an der Motivation der Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe fehle (UA S. 4 und 5 Absatz 1). Ein Anspruch aus § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG sei wegen bestehender erheblicher Zweifel am Sachvortrag des Klägers, der sowohl unschlüssig als auch widersprüchlich und zudem emotionslos vom Kläger geschildert worden sei, zu verneinen. Außerdem habe der Kläger nach eigenen Angaben sowohl in Mogadishu als auch in Kismayo jeweils einen Onkel, so dass er über eine inländische Fluchtalternative verfüge (UA S. 5 ff.). Auch ein Anspruch nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG scheide mangels entsprechender Gefahrendichte sowie wegen fehlender gefahrerhöhender individueller Umstände in der Person des Klägers aus (UA S. 7 ff.). Die Voraussetzungen für die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG seien ebenfalls nicht gegeben, da der Kläger selbst vortrage, dass sein Vater nach der Wegnahme des Grundstücks wieder eine Lebensgrundlage gefunden habe. Der Kläger habe zudem in den wirtschaftlich aufstrebenden Städten Mogadishu und Kismayo mit seinen beiden Onkeln eine Anlaufstelle (UA S. 13). Unabhängig davon, ob die abstrakte Ansteckungsgefahr mit dem Corona-Virus überhaupt eine konkrete Gefahr darstelle, bestehe insoweit die Sperrwirkung nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG (UA S. 15).
bb) Im Übrigen hat die Klägerseite keine verallgemeinerungsfähige Frage formuliert, da der Kläger ausdrücklich auf seine persönlichen Umstände abstellt. Soweit sich die klägerische Frage auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG bezieht, ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die Frage, ob ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot besteht oder nicht, nur unter Berücksichtigung der individuellen Person und bei Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden kann, in denen sich die Person nach Rückkehr befinden wird (vgl. zu § 60 Abs. 5 AufenthG: BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 11 a.E.; vgl. zu § 60 Abs. 7 AufenthG: BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 38). Dazu gehören etwa das Alter, das Geschlecht, der Gesundheitszustand, die Ausbildung, die finanziellen Verhältnisse sowie familiäre Verbindungen und sonstige Netzwerke (vgl. BayVGH, B.v. 25.3.2020 – 21 ZB 119.32508 – juris Rn. 4; B.v. 9.1.2020 – 20 ZB 18.32705 – juris Rn. 5 ff.; OVG Saarl, B.v. 9.3.2020 – 2 A 158/19 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 9.1.2020 – 20 ZB 18.32705 – juris Rn. 5 ff.).
cc) Des Weiteren fehlt es an einer rechtlichen Aufarbeitung. Die Zulassungsschrift setzt sich nicht mit den relevanten Feststellungen des Verwaltungsgerichts auseinander, sondern stellt allein davon losgelöste Behauptungen in den Raum. Die vom Rechtsmittelführer aufgeworfene Grundsatzfrage muss jedoch nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts (vgl. BayVGH, B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4 m.w.N.). Diese Anforderungen erfüllt der Antrag auf Zulassung der Berufung indes nicht. Eine auf tatsächliche Verhältnisse gestützte Grundsatzrüge erfordert zudem die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind (BayVGH, B.v. 25.1.2019 – 13a ZB 19.30064 – juris Rn. 5; OVG NW, B.v. 26.4.2018 – 4 A 869/16.A – juris Rn. 6). Insoweit ist es Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung von bestimmten begründeten Informationen, Auskünften, Presseberichten oder sonstigen Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Zulassungsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 13a ZB 18.30490 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Der Zulassungsantrag zeigt nicht auf, dass die Situation in Somalia bzw. in Mogadischu oder Kismayo bzw. in der Heimatstadt des Klägers Bardheere mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit anders als in dem angefochtenen Verwaltungsgerichtsurteil zu beurteilen wäre (vgl. BayVGH, U.v. 5.8.2019 – 8 B 19.30998 – Rn. 27). Ein auf die grundsätzliche Bedeutung einer Tatsachenfrage gestützter Zulassungsantrag genügt bereits dann nicht den Darlegungsanforderungen, wenn in ihm lediglich die Behauptung aufgestellt wird, die für die Beurteilung maßgeblichen Verhältnisse stellten sich anders dar als vom Verwaltungsgericht angenommen (vgl. OVG des Saarlandes, B.v. 20.5.2019 – 2 A 194/19 – juris Rn. 13). Das klägerische Vorbringen ist insoweit vage, pauschal und unsubstantiiert. Die Zulassungsschrift entbehrt konkreter Ausführungen zu der Situation in Somalia und beschränkt sich auf allgemein gehaltene Behauptungen, ohne hierfür konkrete Erkenntnismittel vorzulegen. Mit diesem Vortrag regt die Klägerseite allenfalls an, seine nicht näher belegten Vermutungen und Behauptungen als Anlass zu Ausforschungen der allgemeinen Situation für Rückkehrer in Somalia und insbesondere in Mogadischu, Kismayo bzw. Bardheere zu machen. Daher fehlt es, ungeachtet der Entscheidungserheblichkeit und der über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der vom Kläger aufgeworfenen Frage jedenfalls an der gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG erforderlichen, ausreichenden Darlegung der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung (zu den Darlegungsanforderungen vgl. BayVGH, B.v. 18.1.2018 – 8 ZB 17.31372 – juris Rn. 5; OVG NRW, B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris Rn. 4 f., jeweils m.w.N.).
Insgesamt macht der Kläger mit seinem Vorbringen daher allenfalls ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung geltend, die jedoch im Asylverfahren gemäß § 78 Abs. 3 AsylG keinen Zulassungsgrund darstellen.
2. Da der Antrag auf Zulassung der Berufung keinen Erfolg hat, ist auch der für das Zulassungsverfahren gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen. Ungeachtet der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers bietet die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht die nach § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
4. Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts nach § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG rechtskräftig.


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