Verwaltungsrecht

Erfolgloses Schutzersuchen eines jungen arbeitsfähigen Mannes aus Afghanistan

Aktenzeichen  M 17 K 17.32783

Datum:
19.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9367
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 3
AsylG § 3, § 3a, § 3b, § 4, § 34
AufenthG § 59, § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Weder das Asylgesetz noch das Verwaltungsverfahrensgesetz schreiben zwingend vor, dass Anhörung und Entscheidung über den Asylantrag von ein und derselben Person getroffen werden müssen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Auf eine interne Schutzalternative kann der Asylsuchende nur verwiesen werden, wenn er dort für eine gewisse Dauerhaftigkeit Schutz erhalten und sich dort niederlassen sowie ein wirtschaftliches Existenzminimum erlangen kann. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3 Dem volljährigen, jungen, gesunden und arbeitsfähigen Kläger ist eine Rückkehr in eine größere afghanische Stadt als innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar. Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist weit unterhalb der Schwelle beachtlicher Wahrscheinlichkeit. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
4 Für alleinstehende männliche Rückkehrer aus dem Westen besteht keine extreme Gefahrenlage. Durch Sprachkenntnisse sind ihre Chancen, einen Arbeitsplatz zu erhalten, gegenüber Flüchtlingen, die in Nachbarländer geflohen sind, wesentlich höher. (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beteiligten ordnungsgemäß unter dem Hinweis geladen wurden, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 31. Januar 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Er hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Auch ein Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht nicht. Die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung sowie das 30-monatige Einreise- und Aufenthaltsverbot sind nicht zu beanstanden.
Zur Begründung wird auf die zutreffende Begründung in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend hierzu wird ausgeführt:
1. Entgegen der Auffassung der Klägerbevollmächtigten ergibt sich weder aus den maßgeblichen Normen des Asylgesetzes noch aus den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes (§ 24 VwVfG), dass allein der Umstand, dass der zur Entscheidung berufene den jeweiligen Asylbewerber nicht persönlich angehört hat, dazu führt, dass eine Entscheidung über den Asylantrag nicht rechtmäßig getroffen werden könnte. Denn weder das Asylgesetz noch das Verwaltungsverfahrensgesetzes schreibt zwingend vor, dass Anhörung und Entscheidung von ein und derselben Person getroffen werden müssen. Zumal das Bundesamt – entgegen der Auffassung der Klägerbevollmächtigten – seine ablehnende Entscheidung nicht maßgeblich auf einen unglaubhaften Vortrag oder einen unglaubwürdigen Kläger gestützt hat (VGH BW, B.v. 31.1.2017 – A 9 S 1047/16 – juris Rn.10; BVerwG, B.v. 13.05.1996 – 9 B 174.96 – JurionRS 1996, 21040, mit dem Hinweis auf § 5 Abs. 2 Satz 1, § 24 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG a.F.; vgl. auch BayVGH, U.v. 23.07.1997 – 24 B 96.32748 – BeckRS 1997, 25163, und Bodenbender, in: GK AsylG, 109. Aktualisierung 2016, § 25 Rn. 4; VG Kassel, B.v. 28.2.2017 – 1 L 1338/17.KS.A – juris). Die Auffassung der Klägerbevollmächtigten, dass der Entscheider des Bundesamtes zu erkennen gegeben habe, dass es ihm für die Entscheidung auf die näheren Umstände der Ermordung der Onkel des Klägers und die Tätigkeit seines Vaters angekommen wäre, mithin er nicht genug vom Kläger gewusst habe, um über den Antrag entscheiden zu können, wird nicht geteilt. In dem streitgegenständlichen Bescheid wird vielmehr ausgeführt, dass aus dem Sachvortrag des Klägers weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal zu entnehmen sei. Soweit sich der Kläger auf eine Verfolgung durch die Taliban berufen würde, sei festzustellen, dass es sich hierbei um keine individuelle, konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG handele, sondern vielmehr um eine Verfolgungshandlung, welche primär gegen die beiden Onkel des Klägers abzielen sollte. Soweit er sich auf die Vergangenheit seines Vaters als Mujaheddin berufe, könne dies nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen, da es sich nicht um eine Verfolgung in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund gem. § 3b AsylG handele. Er mache keine individuelle, konkrete und gegen sich gerichtete Verfolgung geltend, vielmehr hätten die Probleme seines Vaters seine gesamte Familie betroffen. Insbesondere sei festzustellen, dass der Kläger auch auf internen Schutz in Afghanistan verwiesen werden könne. Die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers stellte das Bundesamt hingegen gerade nicht infrage.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da die Voraussetzungen des § 3 AsylG nicht vorliegen.
2.1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Die einzelnen Verfolgungshandlungen werden in § 3a AsylG näher umschrieben, die einzelnen Verfolgungsgründe werden in § 3b AsylG einer näheren Begriffsbestimmung zugeführt. Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG kann nach § 3c AsylG ausgehen vom Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern der Staat oder die ihn beherrschenden Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die oben genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen. Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft (ebenso wie bei der des subsidiären Schutzes, s.u.) in Orientierung an der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK („real risk“) der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen, wie er vormals auch in Art. 2 Buchst. c) RL 2004/83/EG enthalten war und nunmehr in Art. 2 Buchst. d) RL 2011/95/EU in der Umschreibung „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ zu Grunde liegt (vgl. BVerwG, U.v. 1.3.2012 – 10 C 7.11 – juris). Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht aller Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris; BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90 – juris).
Die Tatsache, dass ein Drittstaatsangehöriger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gem. Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Betroffene erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Zur Privilegierung des Vorverfolgten bzw. Vorgeschädigten wird in Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU (sowohl für die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz als auch für die Gewährung subsidiären Schutzes) eine tatsächliche (aber im Einzelfall widerlegbare) Vermutung normiert, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden, sofern ein innerer Zusammenhang zwischen der erlittenen Verfolgung bzw. dem erlittenen Schaden und der befürchteten Verfolgung bzw. dem befürchteten Schaden besteht. Dadurch wird der Vorverfolgte / Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden (BVerwG, U.v. 07.09.2010 – 10 C 11.09 – juris; BVerwG, U.v. 27.04.2010 – 10 C 5.09 – juris).
2.2. Diese Anforderungen zugrunde gelegt, kann dem Vorbringen des Klägers weder mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit entnommen werden, dass er zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren in Afghanistan aus asylrelevanten Gründen verfolgt worden ist, noch dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit von diesen verfolgt werden würde.
Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtling rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag des Klägers nicht erkennbar.
2.2.1. Soweit der Kläger vorträgt, im Iran schlecht behandelt worden zu sein, ist dies hinsichtlich der angedrohten Abschiebung nach Afghanistan unmaßgeblich. Die Gewährung von Asyl oder Flüchtlingsschutz setzt eine drohende oder erlittene Verfolgung im Herkunftsland voraus. Sein Schutzersuchen ist alleine danach zu beurteilen, ob einem Ausländer in dem Land, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, eine Verfolgung droht. Hingegen kommt es nicht darauf an, ob er in einem Drittland, in dem er seinen gewöhnlichen bzw. letzten Aufenthalt hatte, eine Verfolgung befürchten muss. Regelmäßig ist auch unerheblich, ob er dort bereits einmal einer Verfolgung ausgesetzt gewesen ist (BVerwG, U.v. 18.10.1983 – 9 C 158/80 – BVerwGE 68, 106-109 – juris).
2.2.2. Der Kläger trug im Wesentlichen weiter vor, dass er Afghanistan mit seinen Eltern im Alter von eineinhalb Jahren verlassen und seitdem im Iran gelebt habe. Sein Vater sei früher Mujaheddin gewesen. Als zwei Onkel und sein Großvater getötet worden seien, habe der Vater entschieden, dass die Familie Afghanistan verlassen müsse. Über die frühere Rolle seines Vaters bei den Mujaheddin wisse er nichts. Sein Vater habe über diese Vorfälle nicht gesprochen. Alles was er wisse, wisse er von seiner Mutter. Genaue Umstände könne er allerdings nicht nennen.
Eine konkrete Verfolgungshandlung, die sich in Afghanistan seinem Vater gegenüber zugetragen habe, erwähnte der Kläger damit nicht. Auch der Vater hat bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 26. Oktober 2016 keine unmittelbare, direkte, individuelle Bedrohung vor seiner Ausreise vorgetragen. Grund für das Verlassen seines Heimatlandes sei die Ermordung der Eltern und der beiden Brüder des Vaters gewesen, die als Offiziere gegen die Taliban gekämpft hätten. Der Vater des Klägers sei hingegen selbst kein Offizier, sondern eine „einfache Person“ gewesen (Niederschrift über die Anhörung des Vaters vor dem Bundesamt vom … Oktober 2016, S. 6). Auch der Kläger schilderte keine eigene Vorverfolgung in Afghanistan.
Unter Berücksichtigung dieser individuellen Umstände ist davon auszugehen, dass für den Kläger bei seiner Rückkehr nach Afghanistan nach knapp 20 Jahren gemäß § 3e Abs. 1 AsylG, Art. 8 Abs. 1 QualRL eine sogenannte interne Schutzalternative besteht. Dem Ausländer wird der Flüchtlingsstatus sowie der subsidiäre Schutzstatus (§ 4 Abs. 3 AsylG) nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und von vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Dem Ausländer dürfen in dem in Betracht kommenden Gebiet keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung gleichkommen, sofern diese existenzielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht bestünde (BVerfG, B.v. 10.11.1989 – 2 BvR 403/84 – juris; Hailbronner, Asyl und Ausländerrecht, 4. Aufl. 2017, Rn. 1325). Der Flüchtling muss für eine gewisse Dauerhaftigkeit Schutz erhalten und sich dort niederlassen können. Die Verweisung auf eine interne Fluchtalternative ist daher nur zumutbar, wenn dort nicht andere, unzumutbare Nachteile drohen. Eine drohende konkrete Beeinträchtigung elementarer Menschenrechte kann eine Unzumutbarkeit begründen. Zumutbar ist eine Rückkehr nur dann, wenn der Ort der inländischen Schutzalternative ein wirtschaftliches Existenzminimum ermöglicht, zum Beispiel durch zumutbare Beschäftigung oder auf sonstige Weise, oder durch Mittel der Existenzsicherung aufgrund von Leistungen humanitärer Organisationen. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn den Asylsuchenden am Ort der internen Schutzalternative ein Leben erwartet, dass zu Hunger, Verelendung und zum Tod führt oder wenn er dort nichts anderes zu erwarten hat als ein „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums“ (BVerwG, B.v. 17.5.2006 – 1 B 100/05 – juris; BVerwG, B.v. 21.5.2003 – 1 B 298/02 – juris). Im Hinblick auf den internen Schutz gem. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG muss für den Rückkehrer in dem schutzgewährenden Landesteil auch die Existenzgrundlage damit soweit gesichert sein, dass von ihm erwartet werden kann, dass er sich vernünftigerweise dort aufhält. Dies geht als Zumutbarkeitsmaßstab über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 5 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus, wobei das Bundesverwaltungsgericht bislang offen gelassen hat, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen (vgl. BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 10 C 11.07 – juris Rn. 35; U.v. v. 31.01.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 20, jeweils zu § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 3 AufenthG a. F.; NdsOVG, U.v. 19.09.2016 – 9 LB 100/15 – juris; OVG NW, B.v. 6.6.2016 – 13 A 1882/15.A – juris Rn. 14). Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen vom 19. April 2016 hält eine innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan nur für zumutbar, wenn der betreffende Ausländer dort Zugang zu Obdach, Grundleistungen wie Trinkwasser, sanitären Einrichtungen, Gesundheitsfürsorge und Bildung sowie die Möglichkeit, sich eine Existenzgrundlage zu schaffen, hat. Als Ausnahme vom Erfordernis einer externen Unterstützung sieht er alleinstehende, leistungsfähige Männer und Ehepaare im Arbeitsalter an, die nicht aufgrund persönlicher Umstände auf eine besondere Unterstützung angewiesen sind. Solche Personen können dazu in der Lage sein, ohne die Unterstützung durch die Familie oder durch eine Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten zu leben, die unter staatlicher Kontrolle sind und die nötige Infrastruktur und die Möglichkeit bieten, die Grundbedürfnisse zu befriedigen (vgl. UNHCR, Eligibility Guidelines for accessing the international protection needs of asylum-seekers from Afghanistan, 19.4.2016, S. 83 f.; NdsOVG, U.v. 19.9.2016 – 9 LB 100/15 – juris Rn. 76). Außerdem muss das Zufluchtsgebiet für den Betroffenen sicher und legal erreichbar sein (Hailbronner, Asyl und Ausländerrecht, 4. Aufl. 2017, Rn. 1325).
Gemessen daran ist das Gericht davon überzeugt, dass sich der Kläger in Afghanistan für ihn zumutbar an einem Ort niederlassen kann, an dem er nach seinem individuellen Risikoprofil verfolgungssicher ist.
Für den Kläger ist es zumutbar, sich z.B. in … oder … niederzulassen, wo er aufgrund der Anonymität der Großstadt und unter Berücksichtigung des Zeitablaufs sowie der Entfernung zu seinem Heimatort von den Taliban nicht aufgefunden würde, da dort auch die Gebietsgewalt beim afghanischen Staat liegt und nicht bei den Taliban. Diese Einschätzung entspricht auch der aktuellen Auskunftslage (vgl. VG Ansbach, U.v. 13.01.2017 – AN 11 K 15.31065 – juris Rn. 29). Nach Angaben des Auswärtigen Amtes bieten größere Städte aufgrund ihrer Anonymität eher Schutz als kleinere Städte oder Dorfgemeinschaften (Lagebericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan vom 19. Oktober 2016 – Stand September 2016 – S. 16). Daher könnte sich der erwerbsfähige Kläger in … oder … niederlassen, ohne einer Verfolgung ausgesetzt zu sein.
Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger heute in das Visier seiner vermeintlichen Verfolger gelangen sollte. Der Vater des Klägers schilderte bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am … Oktober 2016 noch, dass seine Schwester in …, ein Bruder in … und die Cousins in Afghanistan leben würden. Zu seinen Verwandten habe er nicht regelmäßig, aber ab und zu Kontakt. Der Kläger selbst schilderte in der mündlichen Verhandlung, dass seine Großmutter noch in Afghanistan lebe, es aber keinen Kontakt mehr zu ihr oder anderen Verwandten gebe. Bedrohung oder Übergriffe auf die in Afghanistan lebende Familie des Klägers, wurden weder durch den Kläger noch durch seinen Vater geschildert. Wie bereits dargestellt wurde auch weder der Kläger noch sein Vater selbst persönlich in Afghanistan bedroht. Diese Umstände sprechen dagegen, dass die Taliban intensiv und mit Nachdruck auch heute noch nach dem Kläger suchen würden. Selbst, wenn sich der Kläger für den Erhalt einer Tazkira an dem Geburtsort des Vaters registrieren lassen müsste, ist es ihm nicht verwehrt, in einem anderen Landesteil in Afghanistan, an dem er nicht gefunden würde, unterzutauchen. Mangels Meldesystem in Afghanistan besteht keine Pflicht, jeden Wohnortwechsel den staatlichen Behörden mitteilen zu müssen.
Selbst die Mutter des Klägers machte den Vorschlag, ihn und seinen Bruder nach Afghanistan zu schicken. Dies wäre immerhin besser, als in Syrien in den Krieg zu ziehen (Niederschrift über die Anhörung des Klägers am … Oktober 2016, S. 3). Auch diese Überlegung zeigt, dass selbst die Mutter des Klägers dessen Verfolgungsrisiko in Afghanistan als tragbar eingeschätzt hat. Unter Berücksichtigung des geschilderten Verfolgungsschicksals ist nicht nachvollziehbar, dass ein entsprechend hohes Interesse der vermeintlichen Verfolger an der Habhaftwerdung des Klägers auch Jahre nach dessen Ausreise aus Afghanistan noch besteht.
Dem Kläger, als gesunden, jungen und arbeitsfähigen Mann, ist nach Überzeugung des Gerichts eine Rückkehr in eine größere afghanische Stadt i.S. einer innerstaatlichen Fluchtalternative nach seinen individuellen Verhältnissen auch zumutbar. Es bestehen keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, z.B. in … oder … einen Lebensunterhalt oberhalb des Existenzminimums insoweit zu verdienen, dass von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, sich dort aufzuhalten (vgl. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 25 ff.; OVG NW, B.v. 8.6.2016 – 13 A 1222/16.A – juris Rn. 10; NdsOVG, U.v. 20.07.2015 – 9 LB 320/14 – juris S. 8; OVG NW, U.v. 27.01.2015 – 13 A 1201/12.A – juris Rn. 46; U.v. 26.08.2014 – 13 A 2998/11.A – juris Rn. 197). Grundsätzlich ist … oder … entgegen der klägerischen Auffassung im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage als Fluchtalternative derzeit geeignet (VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 25 ff.; VG Augsburg, B.v. 14.3.2017 – Au 5 E 17.31264 – juris Rn. 32 ff.). Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris; B.v. 21.8.2017 – 13a ZB 17.30529 – juris Rn. 13; B.v. 6.4.2017 – 13a ZB 17.30254; VG München, U.v. 16.3.2017 – M 17 K 16.35014; BayVGH, B.v. 30.1.2017 – 13a ZB 16.30824 – juris; B.v. 17.8.2016 – 13a ZB 16.30090 – juris, Rn. 10; B.v. 5.2.2015 – 13a ZB 14.30172 – juris, Rn. 7, B.v. 27.5.2014 – 13a ZB 13.30309 – juris Rn. 4, B.v. 19.6.2013 – 13a ZB 12.30386 – juris und B.v. 18.7.2012 – 13a ZB 12.30150 – juris Rn. 7 ff.; OVG NW, U.v. 3.3.2016 – 13 A 1828/09.A – juris, Rn. 73; B.v. 20.7.2015 – 13 A 1531/15.A – juris Rn. 8; VG Lüneburg U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 29 ff.; U.v. 6.2.2017 – 3 A 126/16 – juris Rn. 46 ff.).
In der westlichen Region Afghanistans, zu der neben der Provinz … (Einwohnerzahl: ca. 1.890.200), die z.B. für eine inländische Fluchtalternative in Betracht käme, Farah (Einwohnerzahl: ca. 507.400), Badghis (Einwohnerzahl: ca. 459.960) und Ghor (Einwohnerzahl: ca. 690.300) zählen, besteht keine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit vorliegende existenzielle Gefährdung, insbesondere keine erhebliche individuelle Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben im Rahmen eines bewaffneten Konflikts. Dort gab es gemäß dem UNAMA Jahresbericht für 2017 (UNAMA, Afghanistan, Protection of Civilians in Armed Conflict, Annual Report 2017 vom Februar 2018, https://unama.unmissions.org/protection-of-civilians-reports, S. 7, S. 67) im Jahr 2017 998 Opfer. Bei einer Einwohnerzahl von ca. 3,5 Millionen ergibt sich ein Risiko von ca. 1:3507. Selbst bei einer Verdreifachung der UNAMA-Zahlen aufgrund einer hohen Dunkelziffer ergibt sich eine Wahrscheinlichkeit von 1:1169, was keine erhebliche individuelle Gefahr darstellt.
In der Zentralregion Afghanistans, zu der auch … gehört, wurden laut UNAMA (UNAMA, Afghanistan, Protection of Civilians in Armed Conflict, Annual Report 2017 vom Februar 2018, https://unama.unmissions.org/protection-of-civilians-reports, S. 7, S. 67) im Jahr 2017 2.240 Zivilpersonen getötet oder verletzt (2016: 2.348). Im Verhältnis zur Einwohnerzahl (ca. 6,5 Millionen; vgl. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 32) ergibt sich ein Risiko von 1:2902 (bei Berücksichtigung einer hohen Dunkelziffer von 1:967), verletzt und getötet zu werden (vgl. auch VGH BW, U.v. 9.11.2017 – A 11 S 789/17 – UA S. 45 ff.– juris, wonach in … bei realistischer Betrachtung einer höheren Bevölkerungszahl die nach dem BVerwG als bei weitem nicht ausreichend erachtet Schwelle schon quantitativ nicht erreicht werde und auch in qualitativer Hinsicht zu bedenken sei, dass in … die medizinische Versorgungssituation im Falle von Anschlägen typischerweise besser sei als in anderen Regionen Afghanistans).
Auch ist zu erwarten, dass es dem Kläger bei einer Rückkehr nach … oder … gelingen wird, die genannten Bedürfnisse zu erfüllen und ein Leben oberhalb des Existenzminimums zu führen. Der Kläger ist nach eigenen Angaben 21 Jahre alt, gesund, spricht die Landessprache Dari und ist trotz seines langen Aufenthalts im Iran mit der afghanischen Kultur und den dortigen Lebensumständen vertraut. Allerdings trifft es zu, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan allgemein schwierig ist. So wird die Arbeitslosenrate in Afghanistan auf bis zu 50% geschätzt (Fortschrittsbericht der Bundesregierung von Nov. 2014, Update der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 13.9.2015, S. 20). Jedes Jahr gelangen weitere ca. 500.000 junge Personen auf den Arbeitsmarkt (Update der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 13.9.2015, S. 20). Es gibt kaum legale Erwerbsmöglichkeiten, insbesondere nicht für Menschen ohne qualifizierte Berufsausbildung oder persönliche Beziehungen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 2.3.2015). Hinsichtlich der landesweiten Lebensverhältnisse in Afghanistan und die Situation von Rückkehrern wird auf die Urteile des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 9. November 2017 (A 11 S 789/17 – juris) und vom 17. Januar 2018 (A 11 S 241/17 – juris) verwiesen. Dem Kläger kommt allerdings zugute, dass er jung und arbeitsfähig ist sowie über eine solide Bildung verfügt. Er spricht nach eigenen Angaben Englisch und Farsi. Die Klägerbevollmächtigte legte einen Berufsausbildungsvertrag, eine Bescheinigung des Leistungsstandes des Klägers für das Schuljahr 2015/2016 sowie ein Zwischenzeugnis der Staatlichen Berufsschule Schulzentrum Wasserburg am Inn vor. Diese bescheinigen dem Kläger hervorragende sprachliche und fachliche Leistungen. Auch gesundheitliche Aspekte, die gegen eine Zumutbarkeit einer inländischen Fluchtalternative sprechen würden, sind nicht ersichtlich. Hierfür reicht der Hinweis des Klägers bzw. seiner Bevollmächtigten bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt bzw. in der mündlichen Verhandlung, er habe „orthopädische Probleme“, ohne hierfür allerdings ein ärztliches Attest vorlegen zu können, bei weitem nicht aus. In Gesamtschau kommt der zur Entscheidung berufene Einzelrichter daher zur Überzeugung, dass dem Kläger in seiner Heimat der Aufbau eines Lebens in einer Großstadt wie … oder … zumutbar ist.
2.2.3. Den in der mündlichen Verhandlung am 14. März 2018 gestellten bedingten Beweisanträgen Nrn. 5 bis 7 war, ungeachtet dessen, dass sie schon nicht innerhalb der Frist des § 74 Abs. 2 AsylG gestellt wurden (vgl. § 74 Abs. 2 Satz 2 AsylG, § 87 b Abs. 3 VwGO), mangels Entscheidungserheblichkeit nicht nachzugehen.
Der Beweisantrag Nr. 5, zum Nachweis der Tatsache, dass der Vater des Klägers, … …, Mujaheddin war, und dass der Großvater des Klägers, … …, sowie zwei Onkel im Kampf gegen die Taliban umgekommen sind, die Bundesamtsakte des Vaters beizuziehen sowie den Vater als Zeugen einzuvernehmen und eine Stellungnahme der Deutschen Botschaft einzuholen, war nicht entscheidungserheblich. Der unter Beweis gestellte Sachverhalt kann als wahr unterstellt werden. Gleichwohl der unter Beweis gestellten Tatsachen, kommt für den Kläger eine inländische Fluchtalternative – wie oben bereits dargestellt – in Betracht.
Dem Beweisantrag Nr. 6, zum Nachweis der Tatsache, dass gerade in … aufgrund der Kontinuität der Strukturen der Taliban mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Erkenntnisse über die Mujaheddin-Eigenschaft des Vaters bei den Taliban sowie die Umstände des Todes seines Großvaters und des Onkels vorhanden seien, ein Sachverständigengutachten bzw. eine Auskunft der Deutschen Botschaft einzuholen, war ebenfalls mangels Entscheidungserheblichkeit nicht nachzugehen. Zudem ist der Beweisantrag sowohl ungeeignet als auch unbestimmt. Es wurde im Beweisantrag nicht ausgeführt und ist dem Gericht auch nicht klar, wo der Sachverständige mit seinen Untersuchungen hinsichtlich der Frage, ob Erkenntnisse über die Mujaheddin-Eigenschaft des Vaters und die Umstände des Todes des Großvaters und der Onkel des Klägers „bei den Taliban“ vorhanden sind, anknüpfen soll. Zudem kann auch dieser unter Beweis gestellte Sachverhalt als wahr unterstellt werden, da er nach Überzeugung des Gerichts die Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative für den Kläger nach den unter 2.2.2. aufgezeigten Gründen nicht infrage stellt.
Der Beweisantrag Nr. 7 Halbsatz 1, zur Frage, wem die Identität des Klägers bekannt werden würde, wird gleichfalls abgelehnt, da er zu unbestimmt ist. Ein Beweisantrag setzt die Behauptung einer hinreichend bestimmten Beweistatsache voraus. Eine Tatsache muss als feststehend bezeichnet werden. Fragen danach „wem die Identität des Klägers bekannt werden würde“ kann mangels einer bestimmten tatsächlichen Behauptung nicht Gegenstand eines Beweisantrages sein. Auch der Beweisantrag Nr. 7 Halbsatz 2, zum Nachweis der Tatsache, dass den Urkundsbeamten des Bezirks Baghlan, die mit der Bearbeitung des Antrags des Klägers auf Ausstellung von Ausweisdokumenten, die Identität des Klägers bekannt werde und damit die Tatsache, dass sich der Kläger in Afghanistan aufhalte, ein Sachverständigengutachten einzuholen, war ebenfalls nicht nachzugehen, da auch dieser unter Beweis gestellte Sachverhalt als wahr unterstellt werden kann. Selbst wenn einem Urkundsbeamten des Bezirks … die Identität des Klägers bekannt werde sollte, besteht nach Überzeugung des Gerichts angesichts seines individuellen Risikoprofils (s.o. unter 2.2.2.) eine inländische Fluchtalternative für den Kläger.
2.2.4. Auch die Rückkehr des Klägers aus einem westlichen Land nach Afghanistan, z.B. wegen der Gefahr entführt oder von den Taliban rekrutiert zu werden, führt nicht zu einer dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden (Gruppen-) Verfolgung (VG Lüneburg, U.v. 15.5.2017 – 3 A 102/16 – juris Rn. 36). Konkrete, seine Person betreffende Umstände, die zu seiner Gefährdung im Falle der Rückkehr führen würden, hat der Kläger weder dargelegt noch sind solche sonst ersichtlich. Hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Gruppenverfolgung mangelt es jedenfalls an der hierfür erforderlichen Verfolgungsdichte. Weder etwa dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016 (S. 21 – 25) bzw. Stand Juli 2017 oder dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Bundesrepublik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 30.01.2018 noch dem Amnesty Report 2016 (S. 3) oder der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update Die aktuelle Sicherheitslage vom 30. September 2016 (S. 26 – 29) ist hierzu etwas zu entnehmen. Zwar gehen aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 (S. 46 f.) ein Fall im Jahr 2016, in dem einige aus einer Gruppe rückgeführter junger Männer einem beträchtlichen Risiko gewaltsamer Angriffe ausgesetzt gewesen seien, und ein Fall aus 2014, in dem die Taliban einen abgeschobenen afghanischen Asylsuchenden wegen Fotos aus Australien auf seinem Handy gefoltert hätten, hervor und nimmt Stahlmann in ihrem Aufsatz (Überleben in Afghanistan, Asylmagazin 3/2017, unter III.3. Besondere Situation Rückkehrender aus Europa, S. 80) auf Einzelfälle Bezug. Diese dokumentierten Fälle von Rechtsgutsbeeinträchtigungen weisen jedoch – auch unter Berücksichtigung einer Dunkelziffer – keine solche Häufigkeit auf, dass jeder einzelne Asylrückkehrer die begründete Furcht herleiten kann, selbst alsbald ein Opfer solcher Verfolgungsmaßnahmen zu werden, sich somit jeder von ihnen ständig der Gefährdung an Leib, Leben oder persönlicher Freiheit ausgesetzt sehen kann.
3. Darüber hinaus besteht auch kein Anspruch auf Zuerkennung eines subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Dabei gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
3.1. Dass dem Kläger in Afghanistan die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe droht, ist nicht ersichtlich. Ferner hat der Kläger auch nicht glaubhaft vorgetragen, dass er mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit befürchten muss, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan von staatlichen bzw. nichtstaatlichen Stellen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Auf die Ausführungen unter 2., insbesondere zur inländischen Fluchtalternative, wird insoweit verwiesen.
3.2. Aber auch eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG kann nicht bejaht werden (vgl. auch BayVGH, B.v. 21.8.2017 – 13a ZB 17.30529 – juris; B.v. 14.8.2017 – 13a ZB 17.30807 – juris).
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist rechtsgrundsätzlich geklärt, dass und unter welchen Voraussetzungen eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Entsprechend ist zu prüfen, ob von einem bewaffneten Konflikt in der Zielregion für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr ausgeht, die sich in der Person des Klägers so verdichtet, dass sie für diesen eine erhebliche individuelle Gefahr darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30182 – juris Rn. 4; BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – NVwZ-RR 2014, 487 = juris Rn. 23; BVerwG, U.v. 17.11.2011 –10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 = juris Rn. 17; BVerwG, B.v. 27.6.2013 – 10 B 11.13 – juris Rn. 7; U.v. 17.11.2011 a.a.O.; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – BVerwGE 136, 360; U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – BVerwGE 131, 198).
Das Bestehen individueller, gefahrerhöhender Umstände, die eine Gefährdung im o.g. Sinne dennoch begründen könnten, ergibt sich für den Kläger nach dessen Vorbringen nicht in einem rechtlich relevanten Maße.
Die Wahrscheinlichkeit für eine Zivilperson in der Provinz … in der Nordostregion Afghanistans (vgl. zur Einteilung: UN, UNAMA, Afghanistan Annual Report on the Protection of Civilians in Armed Conflict, 2009, January 2010, Appendix II, S. 27), woher der Kläger ursprünglich stammt, verletzt oder getötet zu werden ist nicht so hoch, dass jeder Zivilperson aus … subsidiärer Schutz zuzuerkennen wäre. In der Nordostregion leben ca. 3,8 Mio Menschen. Dort gab es gemäß dem UNAMA Jahresbericht für 2017 (UNAMA, Afghanistan, Protection of Civilians in Armed Conflict, Annual Report 2017 vom Februar 2018, https://unama.unmissions.org/protection-of-civilians-reports, S. 7, S. 67) im Jahr 2017 758 Opfer (2016: 1.271 Opfer). Bei einer Einwohnerzahl von ca. 3,8 Millionen ergibt sich ein Risiko von ca. 1:5013. Selbst bei einer Verdreifachung der UNAMA-Zahlen aufgrund einer hohen Dunkelziffer ergebe sich eine Wahrscheinlichkeit von 1:1671, was keine erhebliche individuelle Gefahr darstellt.
Eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, B.v. 20.2.2018 – 13a ZB 17.31970; B.v. 14.8.2017 – 13a ZB 17.30807 – jeweils juris) für keine Region Afghanistans angenommen und die Lage in Afghanistan nicht derart eingeschätzt, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG anzunehmen wäre (für die Stadt …: BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris – unter Bezugnahme auf U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris – und Verweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167; BayVGH, B.v. 3.2.2017 – 13a ZB 16.31045 – juris – zur Nordostregion; B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris).
Hieran ändert auch nichts, dass der Security Council der General Assembly der UN in den Berichten des Generalsekretärs „The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security” vom 03.03. und 15.06.2017 im Zeitraum vom 18.11.2016 bis 14.02.2017 5.160 security-related incidents (sicherheitsbezogene Vorfälle), von Januar bis einschließlich März 2017 5.687 security-related incidents und im Zeitraum vom 01.03. bis 31.05.2017 6.252 security-related incidents (S. 4) verzeichnete. Insoweit spricht er von einem zehnprozentigen Zuwachs im Zeitraum vom November 2016 bis Februar 2017 im Vergleich zur selben Periode im Jahr 2015 und einem dreiprozentigen Zuwachs im Vergleich zum Jahr 2014 sowie einem zweiprozentigen Zuwachs für den Zeitraum vom 01.03. bis 31.05.2017 im Vergleich zum Vorjahr.
Dass die Opferzahlen – bei anderer Zählweise – höher liegen können, wie teils eingewandt wird (vgl. Stahlmann, Asylmagazin 2017, 82 mit Fn. 2), ändert an dieser Bewertung nichts, denn die von UNAMA mitgeteilten Daten sind methodisch nachvollziehbar ermittelt und auch deswegen belastbar, da sie von einer von der internationalen Staatengemeinschaft getragenen Organisation stammen (VG Bayreuth, U.v. 26.7.2017 – B 6 K 17.30520 – juris 49). Dass die Methodik der UNAMA überholt wäre, die Informationen an offen erkennbaren inhaltlichen Defiziten litten, insbesondere an entscheidungserheblichen unzutreffenden Tatsachenannahmen, unlösbaren Widersprüchen, sich aus den Stellungnahmen ergebenden Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit oder eines speziellen, hier nicht vorhandenen Fachwissens bedürften (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.2015 – 7 C 15.13 – NVwZ 2016, 308/312 Rn. 47 m.w.N.), ist weder ersichtlich noch substantiiert gerügt. Im Gegenteil liegen für Afghanistan mangels Einwohnermeldewesens auch für die Bevölkerungszahlen nur Schätzungen vor (dies räumt auch Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73/74 ein), so dass jede Datenerhebung schon deswegen an tatsächliche Grenzen stößt. Dass und weshalb andere Auskunftsquellen methodisch belastbarere Primärdaten hätten, ist nicht ersichtlich, so dass die Daten von UNAMA weiterhin zu Grunde gelegt werden.
Auch die medial sehr präsenten Anschläge in Afghanistan seit Mai 2017 (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19.06.2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt …, S. 4 ff; http://www.zeit.de/thema/afghanistan) vermögen es nicht, diese Einschätzung zu widerlegen (so etwa auch: OVG NW, B. v. 10.7.2017, Az. 13 A 1385 (17.A); VGH BW, U.v. 9.11.2017 – A 11 S 789/17 – juris; s. auch AA, Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31.5.2017 vom 28.7.2017, Rn. 30 ff). Die aktuelle Entwicklung der Opferzahlen in Afghanistan lässt keine einheitliche Tendenz erkennen. Während die Opferzahlen für das erste Halbjahr 2017 in einigen Regionen gegenüber dem Vorjahr Steigerungen aufweisen, können in der Zentralregion, der östlichen, der südöstlichen, der nördlichen und der nordöstlichen Region Afghanistans leichte Rückgänge verzeichnet werden (vgl. UNAMA, United Nations Assistance Mission in Afghanistan, Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Midyear Report 2017, Juli 2017 S. 10).
Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar entschieden, dass es neben der quantitativen Ermittlung des Risikos, in der Rückkehrprovinz verletzt oder getötet zu werden, auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung bedarf. Ist allerdings die Höhe des quantitativ festgestellten Risikos eines dem Kläger drohenden Schadens – wie hier – weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, vermöge sich das Unterbleiben einer wertenden Gesamtbetrachtung im Ergebnis nicht auszuwirken. Zudem sei die wertende Gesamtbetrachtung erst auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung der Gefahrendichte möglich (U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris Rn. 24; 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 23; 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 33).
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den aktuellen Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern vom Dezember 2016. Die Bewertung beruht auf den vom UNHCR selbst angelegten Maßstäben, die sich nicht mit den dargelegten Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an einen bewaffneten Konflikt und eine erhebliche individuelle Gefährdung decken (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris Rn. 6 f.; B.v. 4.4.2017 – 13a ZB 17.30231 – juris Rn. 12; B.v. 28.3.2017 – 13a ZB 17.30212 – juris Rn. 5; B.v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rn. 11; B.v. 20.1.2017 – 13a ZB 16.30996 – juris Rn. 9; VG Augsburg, U.v.19.12.2016 – Au 5 K 16. 31939 – juris Rn. 42).
Aus den sonstigen Ausführungen der Klägerbevollmächtigten ergeben sich keine anderen Ausgangsdaten, die darauf schließen ließen, dass die vom Gericht zugrunde gelegten Erkenntnisse zwischenzeitlich unrichtig oder überholt wären (vgl. VGH BW, U.v. 9.11.2017 – A 11 S 789/17 – juris). Auch der jüngste Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. Juli 2017 nimmt Bezug auf die UNAMA-Angaben. Das Auswärtige Amt kommt dabei zu der Schlussfolgerung, dass sich die Bedrohungslage für Zivilisten seit Ende der ISAF-Mission nicht wesentlich verändert habe (Lagebericht vom 28. Juli 2017, S. 8). Auch in den von Taliban beherrschten Gebieten würden diese selten unmittelbar gegen die lokale Bevölkerung vorgehen. Im Vergleich zu Sicherheitskräften, Vertretern der afghanischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft werde daher die unmittelbare militante Bedrohung für die afghanische Bevölkerung – selbst in den Gebieten unter Taliban-Kontrolle – als niedrig bewertet (Lagebericht vom 28. Juli 2017, S. 9). Die Bedrohungslage für Zivilisten in … habe mit 3 zivilen Opfern auf 10.000 Einwohner im Jahr 2016 im landesweiten Durchschnitt gelegen und sei damit deutlich weniger angespannt gewesen als in der südlichen oder der östlichen Region (Lagebericht vom 28. Juli 2017, S. 10). Laut UNHCR haben seit Anfang 2017 ca. 150.000 Personen aufgrund innerstaatlicher Konflikte ihren Wohnort innerhalb Afghanistans verlassen. Die meisten dieser Binnenvertriebenen stammen aus den von Kämpfen betroffenen Provinzen im Nordosten und Süden des Landes (über 100.000 Personen), weniger aus den Provinzen im Zentrum sowie im Westen des Landes (ca. 25.000 Personen). Sie suchen mehrheitlich innerhalb ihrer Provinz Zuflucht, daneben sind allerdings auch Fluchtbewegungen in die Provinz … zu verzeichnen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist die Zahl der neu hinzugekommenen Binnenflüchtlinge um fast 25% gesunken (Lagebericht vom 28. Juli 2017, S. 10).
Nach alledem ist es angesichts der Bevölkerungszahl auf der einen und den Verletzten und getöteten Zivilpersonen auf der anderen Seite für eine Zivilperson auch bei einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände in … oder … nicht beachtlich wahrscheinlich, aufgrund eines sicherheitsrelevanten Vorfalls verletzt oder getötet zu werden (vgl. auch BayVGH, B.v. 17.08.2016 – 13a ZB 16.30090 – juris Rn. 10; OVG NW, B.v. 8.6.2016 – 13 A 1222/16.A – juris Rn. 10; NdsOVG, B.v. 27.4.2016 – 9 LA 46/16; B.v. 13.4.2015 – 9 LA 58/13).
4. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG liegen nicht vor.
Bei den national begründeten Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK und dem nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 16f.).
4.1. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung entgegen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Maßgeblich sind die Gesamtumstände des jeweiligen Falls und Prognosemaßstab ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit. Ein Abschiebungsverbot infolge der allgemeinen Situation der Gewalt im Herkunftsland kommt nur in Fällen ganz extremer Gewalt in Betracht und auch schlechte humanitäre Bedingungen können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen.
Für einen leistungsfähigen, erwachsenen, afghanischen Mann ohne Unterhaltsverpflichtung besteht im Allgemeinen – wenn nicht besondere, individuell erschwerende Umstände hinzukommen – in Afghanistan, insbesondere auch in …, trotz der schlechten humanitären Bedingungen und Sicherheitslage keine Gefahrenlage, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK und infolgedessen zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führt. Dies gilt auch, wenn keine familiären oder sozialen Unterstützungsnetzwerke vorhanden sind (BayVGH, B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 17.31652 – juris; VGH BW, U.v. 9.11.2017 – A 11 S 789/17 – juris; U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris; VG München, U.v. 9.3.2017 – M 17 K 16.35022; VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 55 ff.; vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn.12). Besondere, individuell erschwerende Umstände, die zu einem Abschiebeverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG führen würden liegen beim Kläger nicht vor (s.o. 2.2.2.). Insbesondere spricht der Kläger Dari, Farsi, Englisch und Deutsch. Zwar sind Nachteile bei Unterkunfts- und Arbeitssuche durchaus nicht ausgeschlossen, zwangsläufig eintreten werden diese indes nicht. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Situation auch im Falle des Klägers realisieren würde, vermag der zur Entscheidung berufene Einzelrichter nicht festzustellen. Auch die pauschal, ohne Vorlage von Attesten behaupteten körperlichen Beschwerden des Klägers genügen nicht, um begründete Zweifel daran zu haben, dass der Kläger in der Lage sein wird, in Afghanistan seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Eine Einschränkung des Klägers in seiner Erwerbs- und Leistungsfähigkeit liegt daher nicht vor. Ausgehend von den derzeit in Afghanistan sowie insbesondere in der Stadt … als Endbzw. Ankunftsort einer Abschiebung vorherrschenden Lage ist im Falle des Klägers ein ganz außergewöhnlicher Fall, in dem humanitäre Gründe zwingend gegen seine Abschiebung sprächen, nicht festzustellen. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der prekären Sicherheitslage, eines gegebenenfalls fehlenden familiären und sozialen Netzwerkes des Klägers in Afghanistan, der angespannten Arbeitsmarktsituation und der besonderen Herausforderungen, denen sich Rückkehrer aus Europa in Afghanistan ausgesetzt sehen (vgl. dazu ausführlich VGH BW, U.v. 9.11.2017 – A 11 S 789/17 – juris; U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris). Zudem lebt noch ein Onkel in … und eine Tante in Kundus, zu den der Vater des Klägers jedenfalls im Oktober 2016 noch Kontakt hatte. Auch ist damit zu rechnen, dass der Kläger grundsätzlich von seinen in Deutschland lebenden Eltern, die nach Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ein Abschiebungsverbot und eine Aufenthaltserlaubnis zuerkannt bekommen haben sollen, finanzielle Unterstützung erhalten könnte.
4.2. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegen nicht vor.
Die allgemeine Gefahr in Afghanistan hat sich für den Kläger nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die drohenden Gefahren müssten nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies setzt voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Ausreise in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann, der Ausländer somit gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – juris Rn. 15).
Arbeitsfähige, gesunde junge Männer sind auch ohne besondere Qualifikation, nennenswertes Vermögen und familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erwirtschaften und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten, so dass für alleinstehende männliche Staatsangehörige keine extreme Gefahrenlage besteht (BayVGH, B.v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rn. 12; B.v. 23.1.2017 – 13a ZB 17.30044 – juris Rn. 5; B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30929 – juris Rn. 2; B.v. 22.12.2016 – 13a ZB 16.30684 – juris Rn. 7; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 17; VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 60). Gerade Rückkehrer aus dem Westen sind dabei in einer vergleichsweise guten Position. Allein schon durch die Sprachkenntnisse sind ihre Chancen, einen Arbeitsplatz zu erhalten, gegenüber den Flüchtlingen, die in Nachbarländer Afghanistans geflohen sind, wesentlich höher (BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 21). Zwar berichten Rückkehrer von Problemen mit Behörden oder Sicherheitskräften, insbesondere weil sie als anders aussehend wahrgenommen werden, weil sie keine Tazkira haben, aber auch, weil sie als Sicherheitsrisiko empfunden werden, da sie mangels Ausbildung und mangels Chancen auf Arbeit als potentielle Drogenhändler oder durch bewaffnete regierungsfeindliche Kräfte leicht zu rekrutierende Personen gesehen werden. Andererseits können Rückkehrer – anders als die übrige Bevölkerung – von Unterstützungsmaßnahmen profitieren (dazu ausführlich VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 411 ff.).
Im Hinblick auf eine mögliche Eigenexistenzsicherung hat der Kläger die hierfür erforderliche Leistungsfähigkeit eines im Wesentlichen gesunden jungen Mannes. Die Chancen des Klägers im Verdrängungskampf um die knappen Arbeitsmarktressourcen sind zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt als nicht aussichtslos im Vergleich bei der derzeitigen afghanischen Konkurrenzsituation einzuschätzen. Der Kläger ist jung, arbeitsfähig, verfügt über eine solide Bildung (teilweise auch in Deutschland erworben), kann mit der Unterstützung seiner in Deutschland und ggf. sogar in Afghanistan lebenden Verwandten rechnen (s.o. 2.2.2. und 4.1.).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger im Iran aufgewachsen ist. Auch für Afghanen, die sich nicht in Afghanistan aufgehalten haben, besteht, jedenfalls dann, wenn sie – wie der Kläger – eine der Landessprachen (hier: Dari und Farsi) beherrschen, die Chance, insbesondere in … durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erzielen. Maßgeblich ist, dass der Kläger den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen beherrscht, nicht, ob ein spezielles „Vertrautsein mit den afghanischen Verhältnissen“ gegeben ist (BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris Rn. 7; B.v. 20.12.2016 – 13a ZB 16.30129 – juris Rn. 10).
Nach alledem ist vorliegend davon auszugehen, dass der Kläger in dem nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Falle einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland in der Lage wäre, durch Gelegenheitsjobs in der Herkunftsregion bzw. …, wohin eine Abschiebung erfolgen würde (vgl. zum Abschiebe Weg Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 26), ein Einkommen zu erzielen, dass ein Leben über dem Existenzminimums ermöglicht und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
5. Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung rechtmäßig.
6. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG in Nr. 6 des Bescheids vom 31. Januar 2017 keinen rechtlichen Bedenken. Die Ermessenserwägungen der Beklagten sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal die Klägerseite diesbezüglich keine substantiierten Einwendungen vorgebracht und insbesondere kein fehlerhaftes Ermessen gerügt hat.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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