Aktenzeichen M 28 K 17.31532
Leitsatz
Für christliche Konvertiten im Iran, deren Konversion auf einer ernsthaften inneren Glaubensüberzeugung beruht und ihre religiöse Identität prägt, besteht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die begründete Gefahr, wegen ihrer Religion Verfolgungshandlungen, insbes. eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte, zu erleiden. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 11. Januar 2017 wird in den Nrn. 1. und 3. mit 6. aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
In der Verwaltungsstreitsache konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 18. Januar 2018 entschieden werden, obwohl kein Vertreter der ordnungsgemäß geladenen Beklagten zum Termin erschienen ist, § 102 Abs. 2 VwGO.
Die Klage ist zulässig und im Hauptantrag begründet.
Dem Kläger steht in dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein Anspruch darauf zu, ihm unter Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids der Beklagten in den Nrn. 1. und 3. mit 6. die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dem Kläger ist die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, da er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist und Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen der § 3 Abs. 2 und 3 AsylG, § 60 Abs. 8 AufenthG nicht ersichtlich sind. Eine flüchtlingsschutzrelevante Gefährdung des Klägers im Fall der Rückkehr in den Iran ergibt sich auf Grund seiner auf einer ernsthaften inneren Glaubensüberzeugung beruhenden Konversion zum Christentum und auf Grund der seine religiöse Identität inzwischen prägenden Hinwendung zum christlichen Glauben (nachfolgend II.). Offenbleiben kann deshalb, ob auch der vom Kläger als unmittelbarer Anlass für seine Ausreise aus dem Iran benannte Sachverhalt der Klage zum Erfolg verhelfen würde (nachfolgend III.).
I.
Wegen der einzelnen rechtlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach den §§ 3 – 3 d AsylG wird zunächst auf die Darstellung im angegriffenen Bescheid verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
II.
Eine flüchtlingsschutzrelevante Gefährdung des Klägers im Fall der Rückkehr in den Iran ergibt sich auf Grund seiner auf einer ernsthaften inneren Glaubensüberzeugung beruhenden Konversion zum Christentum und auf Grund der seine religiöse Identität inzwischen prägenden Hinwendung zum christlichen Glauben.
Maßgeblich hierfür ist jedoch nicht bereits der durch die Taufe des Klägers am 17. Dezember 2015 durch die „Persian Church Cyrus / Perzische Kerk Kores“ (NL) formal vollzogenen Übertritt zum Christentum (vgl. hierzu: BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40/15 – juris Rn. 9, 11; OVG NRW, B.v. 20.1.2016 – 13 A 1868/15.A – juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris Rn. 5 ff.; VGH BW, B.v. 19.2.2014 – A 3 S 2023/12 – juris Rn. 10; OVG NRW, B.v. 11.11.2013 – 13 A 2252/13.A – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 7.5.2013 – 14 ZB 13.30082 – juris Rn. 5).
Das Gericht ist aber davon überzeugt, dass die jedenfalls im Bundesgebiet vollzogene Hinwendung des Klägers zum Christentum auf einer ernsthaften inneren Glaubensüberzeugung beruht, mithin bei ihm eine die religiöse Identität des Klägers prägende und nicht lediglich auf Opportunitätserwägungen oder asyltaktischen Gründen beruhende Hinwendung zum christlichen Glauben vorliegt.
Maßgeblich hierfür sind vor allem die Erkenntnisse des Einzelrichters aus der ausführlichen Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung und das dabei gewonnene Bild von der Persönlichkeit des Klägers. Auf Grund dieser Erkenntnisse kann nach Überzeugung des Einzelrichters hinreichend sicher darauf geschlossen werden, dass der Kläger auf Grund einer festen inneren Überzeugung und prognostisch gesehen andauernd – und nicht etwa lediglich aus einer vorübergehenden asyltaktischen Motivation heraus – das Christentum als seinen neuen Glauben angenommen hat. Bei einer Gesamtwürdigung des Eindrucks, den der Einzelrichter auf Grund der ausführlichen Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung von seinem Weg hin zum Christentum, von seinen diesbezüglichen Beweggründen und Motiven, von der Glaubensausübung durch den Kläger, von seinem soliden Wissen über christliche Glaubensinhalte und schließlich vor allem auch von der inzwischen gegebenen Verinnerlichung seines (neuen) Glaubens gewinnen konnte, ist der Einzelrichter davon überzeugt, dass der von dem Kläger im Bundesgebiet aktiv gelebte christliche Glaube seine religiöse Identität inzwischen wesentlich bestimmt und prägt.
Insbesondere hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung prägnant und überzeugend zu den ihn besonders bewegenden Themenkreisen von Vergebung und Gnade nach dem Verständnis des christlichen Glaubens, auch in Abgrenzung zu der im Iran herrschenden islamischen Glaubenspraxis, Stellung genommen. Gut erkennbar wurde dabei, wie der Kläger auf der Basis seines christlichen Glaubens darunter leiden würde, in den Iran zurückzukehren, in dem der Gedanke der Vergeltung sowohl die islamische Glaubenspraxis als auch die staatliche Gesellschaftsordnung stark prägt. Die nach Aktenlage noch bestehenden Zweifel des Einzelrichters in Bezug auf die sehr schnell nach der Einreise in das Bundesgebiet erfolgte und nach den konkreten Umständen Fragen aufwerfende Taufe des Klägers durch die „Perzische Kerk Kores / Persian Cyrus Church“ am 17. Dezember 2015 konnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung plausibel entkräften. Sein tief und dringlich empfundener Wunsch, unabhängig von der Person eines Pfarrers oder der Glaubensausrichtung einer Kirche nach der diesbezüglichen Unmöglichkeit im Iran endlich und schnellstmöglich das Sakrament der Taufe empfangen zu können, erschien nachvollziehbar. Auch widerlegen die engagierte und sehr gute Integration des Klägers in eine Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde am Ort der Unterkunft des Klägers (die nicht zuletzt durch die Anwesenheit zweier Pfarrer in der mündlichen Verhandlung unterstrichen wurde) und die bestätigte Teilnahme an einem Glaubenskurs in einer evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde eine lediglich asyltaktische Motivation des Klägers. Eindrucksvoll und die Authentizität der Darstellung des Klägers nachhaltig unterstreichend gestaltete sich schließlich die in der mündlichen Verhandlung gegebene Darstellung des Mesners einer katholischen Pfarrkirche an dem Ort einer Klinik, in der sich der Kläger auf Grund einer Erkrankung vorübergehend aufgehalten hat. Der Mesner gab äußerst überzeugend wieder, wie der Kläger sich, auf seinen christlichen Glauben gestützt, in dieser für ihn sehr schwierigen Situation unabhängig von den Grenzen von Kirchengemeinden, Konfessionen und Sprachbarrieren in der Pfarrkirche hilfesuchend im Gebet an Gott wandte und der Mesner ihn dabei antraf und näher kennenlernte. Bei einer lediglich asyltaktischen Motivation des Klägers wäre ein derartiges Verhalten nicht zu erwarten gewesen.
Nach Überzeugung des Einzelrichters ist auch davon auszugehen, dass der Kläger religiöse Betätigungen seines christlichen Glaubens wie etwa den Besuch von Gottesdiensten und den kommunikativen Austausch in der christlichen Gemeinde und auch außerhalb mit anderen Gläubigen als zur Wahrung seiner religiösen Identität unerlässlich empfindet. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger seinen Glauben in einer Weise verinnerlicht hat, dass er es als unerlässlich empfindet, diesen Glauben auch im Fall seiner Rückkehr in den Iran ohne Rücksicht auf mögliche Repressionen für Konvertiten zu leben und auszuüben.
Ergänzend zu dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck von der Persönlichkeit des Klägers stützt sich die Überzeugung des Einzelrichters auch auf die Bestätigung der Pfarrerin der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde P. vom 2. Mai 2017 und deren diese Bestätigung ergänzende Darstellung in der informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung. Daraus wird deutlich, dass der Kläger ein aktives und engagiertes Mitglied der Kirchengemeinde geworden ist. Dass das diesbezügliche Interesse und Engagement des Klägers in einem wechselseitigen Prozess sicherlich auch durch die den Kläger gleichsam mit „offenen Armen“ und hoher Integrationsbereitschaft in einem geschützten und positiv gestalteten Lebensumfeld aufnehmenden Gemeindemitglieder erheblich gefördert wurde, vermag im konkreten Fall des Klägers die eingangs dargestellte Überzeugung des Einzelrichters nicht in Frage zu stellen. Die Pfarrerin stellte insbesondere auch heraus, dass sie bei den zahlreich mit dem Kläger geführten Gesprächen eine tiefe Verankerung des Klägers im christlichen Glauben festgestellt hat. Der Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde W. ergänzte bei seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung diese Erkenntnisse noch um seine Eindrücke aus der Mitwirkung des Klägers an einem Glaubenskurs, an dem der Kläger mit großem Interesse und offensichtlichen Vorkenntnissen zum christlichen Glauben teilnahm.
Im Fall der Rückkehr des Klägers in sein Heimatland würde ihm bei dieser Sachlage und der zu erwartenden, legitimen Religionsausübung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit durch den iranischen Staat oder ihm zuzurechnenden Akteuren landesweit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1, § 3 a AsylG drohen. Dabei kann eine Verfolgungshandlung nicht nur in der schwerwiegenden Verletzung der Freiheit liegen, seine Religion im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch in der Verletzung der Freiheit, den Glauben öffentlich sowie frei von verfolgungsbedingter Unterdrückung als verpflichtend empfundener religiöser Betätigungen zu leben; maßgeblich sind dabei die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 24).
Das Auswärtige Amt führt in den letzten Lageberichten zum Iran (Stand: November 2015, S. 15; Stand: Oktober 2016, S. 10) aus, dass Nichtmuslime im gesellschaftlichen Leben diskriminiert werden würden. Ehemals muslimischen Konvertiten drohe Verfolgung und Bestrafung. In Einzelfällen würden Gerichtsverfahren eingeleitet, Verurteilungen erfolgten allerdings oft nicht wegen Apostasie, sondern wegen Sicherheitsdelikten. Zwar gebe es Konvertiten, die unbehelligt eine der anerkannten Religionen ausüben würden. Die Konvertiten und die Gemeinden, denen sie angehören, würden jedoch insofern unter Druck stehen, als den Konvertiten hohe Strafen drohen und auch die Gemeinden mit Konsequenzen rechnen müssten, wenn die Existenz von Konvertiten in der Gemeinde öffentlich bekannt werde. Im Übrigen würde jede missionierende Tätigkeit mit Repressionen belegt. Nach weiteren Erkenntnissen (Amnesty International Report 2016/17 – The State of World´s Human Rights – Iran) seien zahlreiche zum Christentum konvertierte Personen bei Razzien in Hauskirchen festgenommen worden, in denen sie friedlich ihren Glauben praktiziert hätten.
Vor dem Hintergrund des weitgehend jeden rechtsstaatlichen Gewährleistungen entzogenen und oft willkürlichen Vorgehens des iranischen Staates und der ihm zuzurechnenden Akteure (§ 3c AsylG) besteht deshalb für christliche Konvertiten im Iran – deren Konversion wie dargelegt im Fall des Klägers auf einer ernsthaften inneren Glaubensüberzeugung beruht und ihre religiöse Identität prägt – mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die begründete Gefahr, wegen ihrer Religion (§ 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG) Verfolgungshandlungen i.S.v. § 3a AsylG, insbesondere eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte, zu erleiden (vgl. ergänzend hierzu auch nachfolgende Entscheidungen und die darin in Bezug genommenen Erkenntnismittel, denen der Einzelrichter folgt: VG Augsburg, U.v. 19.9.2016 – Au 5 K 16.30957 – BeckRS 2016, 52406; VG Kassel, U.v. 12.11.2015 – 3 K 1302/12.KS.A – UA S. 12 f. (veröffentlicht auf: www.asyl.net); VG Würzburg, U.v. 21.10.2015 – W 6 K 15.30482 – BeckRS 2016, 42831; VG Ansbach, U.v. 12.3.2014 – AN 1 K 13.30824 – juris Rn. 156 ff.; VG Magdeburg, U.v. 28.1.2014 – 2 A 29/13 – juris Rn. 31 ff.; OVG NRW, U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 48 ff.; HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – juris Rn. 37, 42; OVG NRW, B.v. 30.7.2009 – 5 A 1999/07.A – juris Rn. 50; SächsOVG, U.v. 3.4.2008 – A 2 B 36/06 – juris Rn. 34 ff.; BayVGH, U.v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315 – juris Rn. 21).
III.
Offenbleiben kann deshalb, ob – auch – der von dem Kläger als unmittelbarer Anlass für seine Ausreise aus dem Iran benannte Sachverhalt die Klage begründen würde.
IV.
Wegen des Anspruchs des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erweist sich der streitgegenständliche Bescheid in den Ziffern 1. und 3. mit 6. als rechtswidrig (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2, § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG, § 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG). Er verletzt den Kläger in seinen Rechten und war insoweit aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der (gerichtskostenfreien, § 83 b AsylG) Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.