Verwaltungsrecht

Erfolgreicher Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung – Ernstliche Zweifel am Offensichtlichkeitsurteil

Aktenzeichen  W 3 S 16.30590

Datum:
30.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 30 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 36 Abs. 4

 

Leitsatz

Eine Glaubwürdigkeitsprüfung ist nicht durch einen Entscheider möglich, der sich nicht auch in der Anhörung einen unmittelbaren persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers verschafft hat (ebenso VGH München BeckRS 1997, 25163; VG Düsseldorf BeckRS 2002, 20504). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Mai 2016 wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller, nach eigenen Angaben äthiopischer Staatsangehöriger, meldete sich am 29. November 2013 in Zirndorf als asylsuchend. Bei seiner vorbereitenden Befragung gab er an, er sei am 27. November 2013 mit einem Direktflug von Addis Abeba nach Frankfurt geflogen.
Der Antragsteller wurde am 20. Januar 2016 in der Außenstelle Zirndorf des Bundesamtes zu seinen persönlichen Verhältnissen und zu seinen Asylgründen angehört. Er gab im Wesentlichen an, er sei wegen politischer Probleme aus Äthiopien ausgereist. Er sei von der Regierung in Äthiopien massiv unterdrückt worden. Er sei einen Monat inhaftiert gewesen und verfolgt worden. Nach seiner Freilassung aus der Haft habe er sich bedroht und verfolgt gefühlt und sei deshalb ausgereist.
Mit Bescheid vom 12. Mai 2016 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und den Antrag auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab. Der Antrag auf subsidiären Schutz wurde abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen. Der Antragsteller wurde unter Androhung der Abschiebung nach Äthiopien aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche zu verlassen. Auf die Gründe des Bescheides wird Bezug genommen.
Am 19. Mai 2016 ließ der Antragsteller Klage erheben (Nr. W 3 K 16.30589). Am gleichen Tag ließ er beantragen,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Mai 2016 anzuordnen.
Auf die Antragsbegründung wird Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, insbesondere wurde er innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG (i. d. F. v. 20.10.2015) gestellt.
Der Antrag ist auch begründet.
Nach § 30 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Bei dieser Prüfung hat das Verwaltungsgericht die Einschätzung des Bundesamts, dass der geltend gemachte Asylanspruch offensichtlich nicht besteht, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen. Bezugspunkt der Wahrscheinlichkeitsprognose ist nicht der Erfolg in der Hauptsache. Es geht allein um die Frage, ob die Feststellung, dass der Antrag offensichtlich unbegründet ist, wahrscheinlich einer Prüfung im Hauptsacheverfahren nicht standhält (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris; Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 36 Rn. 43).
Vorliegend bestehen derartige ernstliche Zweifel an dem Offensichtlichkeitsurteil und an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung des Bundesamtes. Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag gemäß § 30 Abs. 1 AsylG, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann der Fall, wenn nach vollständiger Aufklärung des Sachverhaltes vernünftigerweise kein Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B. v. 21.2.1992 – 2 BvR 1477/90; B. v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – beide: juris). Dabei ist es nicht möglich, abstrakte Anforderungen an die Evidenzentscheidung zu bestimmen. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles, vorwiegend die Tatsachenfeststellung und Tatsachenwürdigung.
Vorliegend werden die Zweifel an dem Vorbringen des Antragstellers hauptsächlich damit begründet, dass die Angaben zu seiner Ausreise nicht glaubhaft sind. Dabei wird einerseits bezweifelt, dass der Antragsteller überhaupt auf dem Luftweg aus Äthiopien ausgereist ist. Andererseits wird aber ausgeführt, der Antragsteller habe offensichtlich keine Verfolgungsfurcht gehabt, weil die Ausreise mit einem gefälschten Reisepass auf seine eigenen Personalien (- obwohl der Antragsteller dies nie behauptet hat) über den gut kontrollierten Flughafen zeige, dass der Antragsteller keine Verfolgungsfurcht gehegt habe. Auch wird das Vorbringen des Antragstellers zu seiner Inhaftierung als substanzlos bezeichnet. Es ist also offensichtlich, dass der Entscheider davon ausgegangen ist, dass die Angaben des Antragstellers nicht glaubhaft sind.
Vorliegend wurde eine verfahrensrechtliche Trennung zwischen der Anhörung (Außenstelle Zirndorf) und der Entscheidung (Außenstelle Frankfurt) vorgenommen. Zwar existiert kein gesetzliches Erfordernis, dass der Anhörer und der Entscheider in einem Asylverfahren identisch sein müssen. Dennoch muss sich der zur Entscheidung über den Asylantrag Berufene aufgrund des Umstandes, dass die Art der Einlassung des Asylsuchenden, seine Persönlichkeit und insbesondere seine Glaubwürdigkeit eine maßgebliche Rolle bei der Würdigung und Prüfung seines Vorbringens spielen, darüber klar werden, ob er dem Asylsuchenden glaubt. Aufgrund dieses subjektiven Einschlags des Asylverfahrens beruht die Entscheidung ganz wesentlich auf einer Glaubwürdigkeitsprüfung. Eine solche Glaubwürdigkeitsprüfung ist aber zur Überzeugung des Gerichts nicht durch einen Entscheider möglich, der sich nicht auch in der Anhörung einen unmittelbaren persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers verschafft hat (vgl. VG München, B. v. 17.11.1995 – M 21 S 95.60469 -; BayVGH, U. v. 23.7.1997 – 24 B 96.32748 -; VG Düsseldorf, U. v. 13.12.2001 – 23 K 714/97.A – alle: juris).
Auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG lässt sich die Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet nicht stützen. Danach ist ein einfach unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn in wesentlichen Punkten das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird. Hiermit soll wie in den anderen in § 30 Abs. 3 AsylG geregelten Fällen ein Missbrauchstatbestand sanktioniert werden (vgl. BVerwG, U. v. 21.11.2006 – 1 C 10.06 – juris). Das Asylverfahren muss in wesentlichen Punkten so unsubstantiiert und widersprüchlich sein, das die Berufung auf das Asylgrundrecht sich als rechtsmissbräuchlich darstellt. Hiervon kann im Hinblick auf die vorangegangenen Ausführungen nicht die Rede sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.


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