Verwaltungsrecht

Erfolgreicher Eilantrag einer Staatsangehörigen aus Äthiopien gegen eine Abschiebungsandrohung im Asylfolgeverfahren wegen exilpolitischer Aktivitäten für die EPPFG

Aktenzeichen  W 3 S 17.31590

Datum:
21.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 28, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 36 Abs. 3, Abs. 4 S. 1, § 71 Abs. 4, § 75 Abs. 1
VwGO VwGO § 80  Abs. 5 S. 1
VwVfG VwVfG § 51 Abs. 1 – 3

 

Leitsatz

1. Statthafte Klageart in der Hauptsache bei Ablehnung eines Folgeantrages nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist die Anfechtungsklage. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Änderung der Sachlage gegenüber dem Asylerstverfahren durch eine Verschärfung der politischen Lage in Äthiopien aufgrund der Ausrufung des Ausnahmezustandes im Oktober 2016, wonach u.a. bereits der Kontakt zu als terroristisch eingestuften Organisationen strafbar ist. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 10. April 2017 gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. März 2017 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist äthiopische Staatsangehörige, die nach eigenen Angaben im Mai 2011 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, die dagegen erhobene Klage wurde vom Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 16. September 2014 abgewiesen. Am 13. Januar 2017 stellte die Antragstellerin persönlich in der Außenstelle Zirndorf einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Die Begründung des Folgeantrags erfolgte mit dem ebenfalls am 13. Januar 2017 vorgelegten Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 4. Januar 2017, mit dem die Antragstellerin im Wesentlichen vortragen ließ, sie engagiere sich weiterhin für die EPCOU. Sie arbeite in der Redaktion einer Exilzeitschrift mit und habe Beiträge in dieser Zeitung, in S* … und in der Zeitschrift H* … veröffentlicht, die sich für einen Sturz des gegenwärtigen Regimes in Äthiopien einsetzten. Mittlerweile sei sie Mitglied der EPPF-Guard (EPPFG). Sie nehme an den Treffen ihrer Organisation teil und mobilisiere für Veranstaltungen der Partei. Sie wirke auch weiterhin an Protest- und Informationsveranstaltungen mit; es wurde insbesondere die Teilnahme an diversen Demonstrationen nachgewiesen. Die Entwicklung in Äthiopien habe sich seit November 2015 drastisch verändert. Die nun vorliegenden Informationen würden eine Verschärfung der innenpolitischen Lage zeigen. Seit Verhängung des Ausnahmezustandes am 9. Oktober 2016 hätten sich die Repressionen noch verschärft. Im Hinblick auf diese Entwicklung habe auch das Verwaltungsgericht Ansbach ein entsprechendes Auskunftsersuchen zur Rückkehrgefährdung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten an das Auswärtige Amt gerichtet. Das Verwaltungsgericht Gießen habe in einem Beweisbeschluss die Einholung von Stellungnahmen zur Gefährdung aufgrund der Mitgliedschaft in der EPPFG erlassen. Das Auswärtige Amt habe in seiner Stellungnahme vom 9. Dezember 2016 mitgeteilt, sofern die Existenz dieser Gruppe der äthiopischen Regierung bekannt sei, würde sie wahrscheinlich als Terrorgruppe eingestuft. Auf die weiteren Einzelheiten des schriftlichen Antrages wird Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 28. März 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1). Der Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 24. Dezember 2014 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG wurde abgelehnt (Ziffer 2). Die Antragstellerin wurde unter Androhung der Abschiebung nach Äthiopien aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Ziffer 3). In Ziffer 4 wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot befristet. Zur Begründung des Bescheides wird ausgeführt: Der Asylantrag sei nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG unzulässig. Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Sinne von § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lägen nicht vor. Die exilpolitische Betätigung der Antragstellerin sei bereits Gegenstand des Erstverfahrens gewesen. Im Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth werde ausgeführt, dass die Aktivitäten der Antragstellerin unter der Wahrnehmungsschwelle der äthiopischen Behörden liegen dürften. Von einer herausgehoben tätigen Persönlichkeit könne nicht die Rede sein. Der neuerliche Vortrag, weiterhin an Veranstaltungen teilzunehmen und nun auch Mitglied der „EPPFG“ zu sein, begründe keine Wiederaufgreifensgründe. Es lägen keine Informationen vor, wonach Mitglieder der EPPFG in Deutschland bei ihrer Rückkehr nach Äthiopien staatlichen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt würden. Etwas anderes könne allenfalls für Mitglieder des Führungskomitees gelten. Zu diesem Personenkreis zähle die Antragstellerin nicht. Sie sei aus dem großen Kreis der politischen Mitläufer nicht erkennbar hervorgehoben tätig. Eine andere Bewertung ergebe sich auch nicht vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Lage. Soweit ersichtlich würden weder die EPCOU noch die EPPFG und ihre Auslandsorganisationen derzeit seitens der äthiopischen Regierung unter Terrorverdacht stehen. Auf die weitere Begründung des Bescheides wird Bezug genommen. Der Bescheid vom 28. März 2017 wurde laut Vermerk in den Behördenakten am 29. März 2017 als Einschreiben zur Post gegeben.
Die Antragstellerin ließ am 10. April 2017 Klage erheben (Nr. W 3 K 17.31589). Gleichzeitig ließ sie im vorliegenden Verfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung der Antragsgegnerin vom 28. März 2017, zugestellt am 3. April 2017, anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und auf die dem Gericht in elektronischer Form vorliegende Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der nach § 71 Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 i.V.m. § 75 AsylG zulässige Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Bescheid des Bundesamtes vom 28. März 2017 anzuordnen, ist begründet, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen (Art. 16a Abs. 4 GG, §§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 4 i.V.m. 77 Abs. 1 AsylG).
Der Antrag ist begründet.
Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG ist die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf die sofortige Vollziehbarkeit. Die damit intendierte umgehende Beendigung des Aufenthalts der Asylbewerberin im Bundesgebiet stützt sich auf die Ablehnung des Antrages auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens als unzulässig und ist deren Folge.
Seit der Neufassung von § 29 AsylG durch das Integrationsgesetz (G.v. 31.7.2016, BGBl. S. 1939) ist die Ablehnung eines Folgeantrages nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Somit ist Gegenstand des Hauptsacheverfahrens lediglich die Frage, ob Wiederaufgreifensgründe im Sinne des § 71 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Falls dies bejaht wird, muss das Bundesamt ein Folgeverfahren durchführen. Das Bundesverwaltungsgericht hält insbesondere an der früheren Rechtsprechung zur Verpflichtung der Verwaltungsgerichte zum Durchentscheiden beim Folgeantrag nicht mehr fest (BVerwG, U. v. 14.12.2016 – 1 C 4/16- juris).
Daher ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch zu überprüfen, ob der Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu Recht als unzulässig abgelehnt wurde. Die Aussetzung der Abschiebung darf aber nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung oder an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Übrigen bestehen (§ 71 Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Die Entscheidung des Bundesamtes, den Asylantrag als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG abzulehnen begegnet im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) ernstlichen Zweifeln.
Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist gem. § 71 AsylG ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Nach § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn (1.) sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat, (2.) neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden, oder (3.) Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind. Die Geeignetheit der in § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG genannten Umstände für eine dem Kläger günstigere Entscheidung muss schlüssig dargelegt werden (BVerwG, U. v. 20.2.2013 -10 C 23.12 – juris, Rn.14).
Die ernstlichen Zweifel des Gerichts beruhen darauf, dass das Bundesamt den Sachvortrag der Klägerin und insbesondere die neu benannten Beweismittel nicht als Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens anerkannt hat.
Zwar hat die Kammer in anderen Verfahren schon entschieden, dass keine neuen Sachverhalte oder Beweismittel vorliegen, wenn sich lediglich die Qualität der Aktivitäten eines Asylbewerbers ändert (z.B. statt einfacher Mitgliedschaft ein Vorstandsposten), sich aber insgesamt das Engagement nicht wesentlich von dem unterscheidet, das bereits im Erstverfahren vorgetragen wurde (vgl. z.B. B.v. 8.12.2016 – W 3 S. 16.32194 –; B.v. 14.11.2016 – W 3 S. 16.31743 –).
Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich von den vorgenannten Entscheidungen aber dadurch, dass die Klägerin eine Änderung der Sachlage vorträgt. Neu (gegenüber dem Asylerstverfahren) ist, dass sich die politische Lage in Äthiopien durch die Ausrufung des Ausnahmezustandes am 9. Oktober 2016 verschärft hat. Unter anderem ist insbesondere bereits der Kontakt zu als terroristisch eingestuften Organisationen strafbar. Die Klägerin hat vorgetragen und belegt, dass sie der EPPFG als Mitglied beigetreten ist und an deren Aktivitäten teilnimmt. Speziell zur EPPFG liegen neuere Auskünfte vor, wonach zu vermuten ist, dass diese Gruppe von der äthiopischen Regierung als terroristisch eingestuft wird. Diese Auskünfte wurden als neue Beweismittel vom Antragstellerbevollmächtigten ins Verfahren eingeführt, diesbezüglich wird auf die schriftliche Begründung des Folgeantrages sowie auf das Vorbringen im gerichtlichen Verfahren Bezug genommen. Diese Auskünfte sind auch gerichtsbekannt. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) ist deshalb davon auszugehen, dass Wiederaufgreifensgründe i.S.d. § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG geltend gemacht wurden, die eine der Antragstellerin günstigere Entscheidung bezüglich des Vorliegens von Abschiebungsverboten als möglich erscheinen lassen.
Weil die Voraussetzungen für die Durchführung eines Folgeverfahrens vorliegen erweist sich Ziffer 1 des Bescheides vom 28. März 2017 als rechtswidrig. Bei dieser Sachlage erfordert es das Gebot effektiven Rechtsschutzes, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 VwGO, § 83b AsylG.
Eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag war mangels Vorliegen eines formgültigen Antrages und entsprechender Unterlagen nicht veranlasst.


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