Verwaltungsrecht

Erfolgreicher Eilantrag wegen unklarer Sachlage

Aktenzeichen  M 17 S 17.39975, M 17 K 17.39973

Datum:
30.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 114216
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80
VwGO § 166
ZPO § 114

 

Leitsatz

Kann allein anhand der Aktenlage nicht festgestellt werden, dass an der Richtigkeit der vom Bundesamt getroffenen Entscheidungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, da insbesondere erst in der mündlichen Verhandlung abschließend geklärt werden kann, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt, so ist die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Dem Antragsteller bzw. Kläger wird in den Verfahren M 17 S 17.39975 und M 17 K 17.39973 Prozesskostenhilfe bewilligt und Herr Rechtsanwalt …, beigeordnet.
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 4. Mai 2017 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller stammt nach eigenen Angaben aus … und ist Zugehöriger der Volksgruppe der Rohingya. Er reiste am … August 2015 auf dem Landweg in die … ein und stellte am … 2016 Asylantrag.
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für … (Bundesamt) am … Oktober 2016 gab er im Wesentlichen an, dass er … verlassen habe, als er drei bis vier Jahre alt gewesen sei. Die Buddhisten hätten seinen Vater sowie zwei Söhne seines Onkels umgebracht. Sein Onkel habe ihn nach …, Indien und Pakistan mitgenommen. Bevor er nach Deutschland eingereist sei, habe er 14 Jahre in Pakistan und 7 Jahre in Griechenland gelebt. Er sei illegal in Pakistan gewesen und habe immer versteckt gelebt. In Pakistan, … und … habe er niemanden mehr.
Verschiedene ärztliche Unterlagen, u.a. ein vorläufiger Arztbrief des Klinikum … vom … April 2017, wonach beim Antragsteller Lymphknoten-Tuberkulose diagnostiziert wird und ihm Rifampicin, Isoniazid, Pyrazinamid und Ethambutol verschrieben wird, wurden vorgelegt.
Mit Schreiben vom 7. April 2017 teilte Griechenland mit, dass der Antragsteller am 19. April 2011 in Griechenland einen Asylantrag gestellt hat. Dieser wurde in erster Instanz am 17. Mai 2011 und sein Rechtsmittel am 20. April 2016 zurückgewiesen.
Mit Bescheid vom 4. Mai 2017, zugestellt am 6. Mai 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2). Es forderte den Antragsteller auf, die … innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung nach … oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 3). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass es sich hier um einen Zweitantrag im Sinne von § 71a AsylG handele, da der Antragsteller bereits in einem sicheren Drittstaat, Griechenland, ein Asylverfahren erfolglos betrieben habe. Der Antrag sei unzulässig, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Der Antragsteller habe Asylgründe vorgetragen, die zeitlich vor der Ausreise aus seinem Heimatland lägen und an denen sich seit seinem Verfahren in Griechenland nichts geändert habe. Neue Asylgründe lägen damit nicht vor. Er habe in Griechenland die Gelegenheit gehabt, seine Asylgründe vorzutragen. Es liege keine geänderte Sachlage vor, die eine günstigere Entscheidung für den Antragsteller ermögliche. Auch ein neues Beweismittel liege nicht vor. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Nach dem Sachvortrag des Antragstellers drohe ihm keine durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in … führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Bei dem Antragsteller handele es sich um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann, der über keine Unterhaltsverpflichtungen verfüge und damit grundsätzlich in der Lage sei, sein Existenzminimum auch durch einfache Tätigkeiten sicherzustellen. Ihm drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben.
Hiergegen erhob der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom 12. Mai 2017, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am selben Tag, Klage (M 17 K 17.39973). Gleichzeitig beantragte er (M 17 S. 17.39975),
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids vom 4. Mai 2017 anzuordnen.
Zudem wurde Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten beantragt.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass, falls es zutreffe, dass ein Rechtsmittel des Antragstellers gegen die Ablehnung seines Antrags in Griechenland zurückgewiesen worden sei, dies dem Antragsteller nicht zugestellt worden sei. Demnach sei das Verfahren noch nicht abgeschlossen, so dass die Voraussetzungen von § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG nicht vorlägen. Der erfolglose Abschluss eines Asylverfahrens setze eine rechtskräftige Abweisung voraus, nicht nur die Einstellung oder die Rücknahmefiktion in dem anderen Mitgliedstaat im Falle einer Ausreise aus diesem Mitgliedstaat oder des Nichtbetreibens des Verfahrens. Darüber hinaus sei Griechenland nicht als sicherer Drittstaat im Sinne von § 26 AsylG einzustufen. Ein ordnungsgemäßes Asylverfahren, welches der Erwartung des Bundesamts entsprechen würde, der Antragsteller habe alle Gründe geltend machen können, sei dem Kläger nicht gewährt worden. Sowohl der EuGH als auch der EMRK hätten entschieden, dass eine Abschiebung nach Griechenland gegen Art. 3 EMRK verstoße, indem dies den Ausländer den sich aus den Mängeln des Asylverfahrens in Griechenland ergebenden Risiken aussetze, weil eine gewissenhafte Prüfung des Asylantrags durch die griechischen Behörden in keiner Weise gewährleistet sei, und er wissentlich Haft- und Existenzbedingungen ausgesetzt werde, die eine erniedrigende Behandlung darstellten. Hilfsweise seien dem Kläger zumindest Abschiebungsverbote zuzuerkennen. Der Antragsteller habe in … weder Verwandte noch sonstige Beziehungen und sei mit den dortigen Lebensumständen nicht vertraut. Es sei ihm im Falle einer Abschiebung nicht möglich, in … das Existenzminimum zu sichern, zumal Rohingya in … keinerlei Wertschätzung genössen. Auch leide der Antragsteller unter einer Lymphknoten-Tuberkulose bei aktuell neu aufgetretener Lymphadentitis. Diese Erkrankung mache eine sorgfältige Beobachtung und Therapie erforderlich, die in … nicht gewährleistet sei. Die Abschiebungsandrohung nach … sei rechtswidrig, da es sich weder um den Heimatstaat des Antragstellers handele, der aus … stamme, noch um den Herkunftsstaat. Der Antragsteller habe nur kurz als kleines Kind in … gelebt, sei von dort nach Indien ausgereist und anschließend nach Pakistan, wo er sich 14 Jahre aufgehalten habe.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in den Verfahren M 17 S. 17.39975 und M 17 K 17.39973 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Die Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO und auf Gewährung von Prozesskostenhilfe sind zulässig und begründet.
1. Der Antragsteller möchte erreichen, dass die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 4. Mai 2017 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
1.1 Gemäß Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i.S.v. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.), was nach ständiger Rechtsprechung aber nicht anzunehmen ist, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – Inf-AuslR 1993, 196).
1.2 Im vorliegenden Fall kann allein anhand der Aktenlage nicht festgestellt werden, dass an der Richtigkeit der vom Bundesamt getroffenen Entscheidungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen. Vielmehr sind die Erfolgsaussichten der Klage als offen zu bewerten, da insbesondere erst in der mündlichen Verhandlung abschließend geklärt werden kann, ob beim Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt. Da die Interessen des Antragstellers insoweit überwiegen, war die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
2. Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, da, wie bereits dargelegt, die Erfolgsaussichten der Klage nach summarischer Prüfung zumindest hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG als offen zu bewerten sind.
Den (gerichtskostenfreien, § 83b AsylG) Anträgen war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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