Verwaltungsrecht

Erfolgreicher, gegen die Änderung des Zielstaats in der Abschiebungsandrohung gerichteter Eilantrag

Aktenzeichen  W 8 S 19.31126

Datum:
18.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 14428
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 38 Abs. 1, § 74 Abs. 1, § 75 Abs. 1
AufenthG § 59 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Liegt ein Fall faktischen Vollzugs eines Verwaltungsakts vor, weil die Behörde davon ausgeht, dass einer erhobenen Klage keine aufschiebende Wirkung zukommt und Vollzugs- bzw. Abschiebungsmaßnahmen drohen, ist vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO analog durch Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu gewähren. (Rn. 8) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Wechselt das Bundesamt nach bestandskräftiger, einfach unbegründeter Ablehnung eines Asylantrags den Zielstaat der Abschiebungsandrohung aus, liegt ein Fall des § 38 Abs. 1 AsylG vor. Zwar verlangt diese Konstellation kein erneutes Setzen einer Ausreisefrist; die bereits bestandskräftige Ausreisefrist beträgt indes nach § 38 Abs. 1 AsylG 30 Tage. (Rn. 10) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Besitzt eine Klage kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung, findet im Rahmen eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO analog eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht statt. (Rn. 14) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die am 14. Juni 2019 im Verfahren W 8 K 19.31125 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. Mai 2019 erhobene Klage aufschiebende Wirkung hat.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Den Antragstellern wird im vorliegenden Sofortverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt … … … … … …, als Prozessbevollmächtigter beigeordnet.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind armenische Staatsangehörige, die bereits erfolglos ein Asylerst- und ein Asylfolgeverfahren durchlaufen haben. Im bestandskräftigen Bescheid vom 8. August 2016 wurden die Antragsteller aufgefordert binnen 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, andernfalls wurde ihnen die Abschiebung in die Ukraine angedroht.
Nach einer Mitteilung der Ausländerbehörde zu den Personalien der Antragsteller verbunden mit der Bitte um Änderung des Zielstaats in der Abschiebungsandrohung gab die Antragsgegnerin den Antragstellern Gelegenheit zur Stellungnahme zu einem eventuellen Vorliegen von Abschiebungsverboten hinsichtlich Armenien.
Mit Bescheid vom 21. Mai 2019 stellte die Antragsgegnerin fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 1). Die mit Bescheid des Bundesamtes vom 8. August 2016 (Az.: 5678503-166) erlassene Abschiebungsandrohung wurde dahingehend geändert, dass die Antragsteller für den Fall, dass sie der Ausreiseaufforderung nicht nachkommen, nach Armenien abgeschoben werden. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die Erkrankungen könnten auch im tatsächlichen Heimatland Armenien behandelt werden. Die Abschiebungsandrohung sei auf den neuen Zielstaat zu ändern gewesen. Einer erneuten Ausreiseaufforderung habe es nicht bedurft. In der Rechtsbehelfsbelehrung:ist ausgeführt, dass sowohl Klage- als auch Sofortantrag innerhalb einer Woche zu stellen seien. Die Klage gegen die Abschiebungsandrohung habe keine aufschiebende Wirkung. Der Bescheid wurde als Einschreiben am 28. Mai 2019 zur Post gegeben.
Mit Schriftsatz vom 12. Juni 2019, bei Gericht eingegangen am 14. Juni 2019, ließen die Antragsteller im Verfahren W 8 K 19.31125 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und im folgenden Sofortverfahren beantragen,
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen und den Antragstellern Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten zu gewähren.
Zur Begründung ist unter Bezugnahme auf eine beigefügte Klage- und Antragsschrift vom 11. Juni 2019 im Wesentlichen ausgeführt: Das Durchfaxen der Klage sowie des Antrags am 11. Juni 2019 sei nicht möglich gewesen. Das Verwaltungsgericht habe mitgeteilt, dass die Faxleitung wie auch die Telefonleitung für einige Zeit „tot“ gewesen seien. In der beigelegten Klage- und Antragsschrift ist vorgebracht, der Bescheid sei dem Bevollmächtigten am 3. Juni 2019 zugestellt worden. Die Antragsteller machten unter Vorlage ärztlicher Belege geltend, dass die notwendige ärztliche Behandlung in ihrem Herkunftsland nicht durchgeführt werden könne bzw. die notwendige ärztliche Behandlung für die Antragsteller nicht erreichbar sei, da sie über keine ausreichenden Mittel verfügten, um sich die teure und aufwendige Behandlung leisten zu können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Hauptsacheverfahrens W 8 K 19.31125) Bezug genommen.
II.
Der Sofortantrag ist zulässig und begründet.
Vorliegend war analog § 80 Abs. 5 VwGO festzustellen, dass die eingelegte Klage aufschiebende Wirkung hat, da ein Fall eines sogenannten faktischen Vollzugs vorliegt, weil die Antragsgegnerin – wie in der Rechtsbehelfsbelehrung:zu sehen ist – davon ausgeht, dass die Klage keine aufschiebende Wirkung hat, und Vollzugsmaßnahmen bzw. Abschiebungsmaßnahmen drohen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 181).
Die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid hat aufschiebende Wirkung, weil es sich bei der Änderung des Zielstaats in der Abschiebungsandrohung verbunden mit der Feststellung des Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG um einen Verwaltungsakt handelt. Der Klage kommt in dieser Konstellation gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 38 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung zu, weil die nachträglich geänderte Abschiebungsandrohung das Schicksal der Hauptentscheidung im Bescheid vom 8. August 2016 teilt.
Denn wenn das Bundesamt – wie hier – nach einfach unbegründeter Ablehnung des Asylantrages im bestandskräftigen Bescheid vom 8. August 2016 den Zielstaat der Abschiebungsandrohung auswechselt (Armenien statt Ukraine), handelt es sich um einen Fall des § 38 Abs. 1 AsylG. Zwar ist in dieser Konstellation keine Ausreisefrist mehr zu setzen. Die im Bescheid vom 8. August 2016 gesetzte Ausreisefrist, auf die sich die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid ausdrücklich beruft, beträgt indes die in § 38 Abs. 1 AsylG genannten 30 Tage. Es wäre zudem nicht gerechtfertigt die Antragsteller schlechter zu stellen, als wenn die jetzige Zielstaatsbestimmung von Anfang an erfolgt wäre und sie von vornherein ihre Klage auf die Abschiebungsandrohung beschränkt hätten (vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylG, § 75 Rn. 12 m.w.N.).
Die Antragsgegnerin hat im streitgegenständlichen Bescheid die sofortige Vollziehung anders als in vergleichbaren Fällen nicht angeordnet (vgl. VG Hannover, B.v. 15.4.2019 – 3 B 1256/19 – juris; VG München, B.v. 2.3.2016 – M 17 S 15.31484 – juris, jeweils m.w.N.). Weiter liegt auch kein Fall vor, in dem der Asylantrag im Erstverfahren gemäß § 30 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden wäre (vgl. VG Göttingen, B.v. 24.9.2018 – 2 B 379/18 – juris).
Der vorliegende Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO (analog) ist zulässig, insbesondere ist er nicht verfristet. Denn ausgehend von den vorstehenden Ausführungen gilt für die Klagefrist § 74 Abs. 1 1. Alt. AsylG, wonach eine zweiwöchige Klagefrist einzuhalten ist. Infolge der aufschiebenden Wirkung der Klage geht der Hinweis auf ein Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO mit einwöchiger Frist ins Leere. Abgesehen davon ist die Rechtsbehelfsbelehrung:fehlerhaft, so dass sogar von einer Jahresfrist auszugehen wäre.
Auf den Wiedereinsetzungsantrag und die dazu erfolgten Ausführungen der Antragstellerseite kommt es nicht an, wenn auch darauf hinzuweisen gewesen wäre, dass der Bescheid als Einschreiben am 28. Mai 2019 zur Post gegeben wurde, so dass er am 31. Mai 2019 als zugestellt gilt und die einwöchige Frist sodann schon am 7. Juni 2019, 24:00 Uhr abgelaufen wäre.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO analog ist auch begründet, weil die Klage kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat. Eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache findet insoweit nicht statt (Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 181).
Dem Sofortantrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Des Weiteren war den Antragstellern – mit Bezug auf die vorstehenden Ausführungen – für das vorliegende Sofortverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihr Prozessbevollmächtigter beizuordnen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO und § 121 Abs. 2 ZPO). Nach der vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sind die Antragsteller auch bedürftig.

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