Verwaltungsrecht

Erledigung der Abschiebungsandrohung durch Abschiebung

Aktenzeichen  M 10 K 18.4623

Datum:
7.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14414
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 283
BayVwVfG Art. 43 Abs. 2
AufenthG § 58, § 59 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Eine Abschiebungsandrohung erledigt sich, wenn der Ausländer abgeschoben wurde, da von ihr keine weiteren formellen oder materiellen Wirkungen ausgehen können. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
A.
Über die Klage konnte im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 7. Mai 2020 ohne Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs entschieden werden. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) erfordert, dass einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten zuvor äußern können (BayVGH, B.v. 30.6.2009 – 1 ZB 07.3431 – juris Rn. 17). Eine solche Äußerungsmöglichkeit bestand für die Klagepartei in ausreichendem Maße.
Der Bevollmächtigte des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung die Gewährung einer Schriftsatzfrist beantragt, um sich zu der Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses … vom 22. Januar 2019 sowie zum Führungsbericht der JVA … vom 19. Februar 2020 äußern zu können.
Eine Schriftsatzfrist war dem Klägerbevollmächtigten nicht einzuräumen. Gem. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 283 Satz 1 ZPO kann das Gericht, wenn sich ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des Gegners nicht erklären kann, weil es ihm nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist, auf dessen Antrag eine Frist bestimmen, in der er die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.
Vorliegend hatte der Klägerbevollmächtigte im Vorfeld der mündlichen Verhandlung sowie in der mündlichen Verhandlung selbst ausreichend Gelegenheit, um sich zu den Berichten zu äußern. Der Führungsbericht der JVA … vom 19. Februar 2020 wurde dem Gericht am 12. März 2020 von der Beklagten übermittelt, zur Behördenakte genommen und der Klägerbevollmächtigte über die Übermittlung in Kenntnis gesetzt. Der Bericht des Bezirkskrankenhauses … vom 22. Januar 2019 wurde dem Gericht am 24. März 2020 übermittelt, zu der Behördenakte genommen und der Klägerbevollmächtigte auch über diese Übermittlung in Kenntnis gesetzt.
Bereits ab dem 4. März 2020 stand der Klägerbevollmächtigte mit dem Gericht und dessen Geschäftsstelle zum Zwecke der Akteneinsicht in Kontakt. Dem Klägerbevollmächtigten wurde dabei mehrmals auf verschiedenem Wege Akteneinsicht angeboten. Eine separate Übermittlung der Berichte war auch deshalb aus Sicht des Gerichts nicht notwendig, weil mit einer Akteneinsicht durch den Bevollmächtigten zu rechnen war. Dass der Klägerbevollmächtigte keine der angebotenen Möglichkeiten nutzte, geht zu seinen Lasten.
Darüber hinaus wurden ihm die Berichte im Vorfeld der mündlichen Verhandlung am 5. Mai 2020 per Fax übermittelt, sodass ihm seitens des Gerichts nochmals die Gelegenheit geboten wurde, sich zu diesen zu erklären. Angesichts der Tatsache, dass sich aus den Berichten keine Umstände ergaben, die für den Kläger neu waren oder eine umfangreiche Stellungnahme erfordert hätten, blieb für den Bevollmächtigten auch nach der Übermittlung per Fax noch ausreichend Zeit, um sich zu erklären. Dass der Kläger sowohl im Bezirkskrankenhaus …, als auch in der JVA … in Streitigkeiten verwickelt war und gegen Regeln verstieß, war diesem bekannt. Auch bekannt war der Klägerseite, dass der Maßregelvollzug aufgrund der Probleme abgebrochen wurde und die Drogenabhängigkeit des Klägers deshalb nicht abschließend behandelt ist. Daher war dem Klägerbevollmächtigten zum einen eine Äußerung bereits lange vor der mündlichen Verhandlung möglich, zum anderen wäre er aufgrund der Kenntnis dieser Umstände auch in der Lage gewesen, sich kurzfristig vor oder noch in der mündlichen Verhandlung zu äußern. Insofern hat das Gericht seiner Entscheidung bereits kein neues Vorbringen i.S.v. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 283 Satz 1 ZPO zugrunde gelegt.
B.
Die Klage ist insoweit unzulässig, als sie sich gegen die in Nummer 4 des Bescheids der Beklagten vom 14. August 2018 enthaltene Abschiebungsandrohung richtet.
Dem Kläger fehlt insoweit das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
Nach ständiger Rechtsprechung hat nur derjenige, der ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, Anspruch auf eine gerichtliche Entscheidung. Diese Voraussetzung ist Ausfluss des allgemeinen Verbots von Rechtsmissbrauch und vom Gericht von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen. Fehlt es daran, so ist das Begehren als unzulässig abzuweisen (Sodan in ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 33; BVerfG, B.v. 27.10.1998 – 2 BvR 2662/95 – juris Rn. 16 m.w.N.; BayVGH, B.v. 10.12.2001 – 21 B 00.31685 – juris Rn. 20).
Vorliegend kann der Kläger seine Rechtsstellung auch durch die Aufhebung der Androhung nicht verbessern, weshalb das erforderliche Interesse an der begehrten Aufhebung abzulehnen ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 14).
Der Kläger wurde am 24. Februar 2020 nach Nordmazedonien abgeschoben, wodurch sich die Abschiebungsandrohung nach Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG erledigt hat. Ein Verwaltungsakt erledigt sich, wenn er „gegenstandslos“ wird, von ihm also keine weiteren formellen oder materiellen Wirkungen ausgehen können (Leisner-Egensperger in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 43 Rn. 65). Gerade § 11 Abs. 1 AufenthG zeigt, dass sich die Rechtsfolgen in diesem Zusammenhang an die Abschiebung als solche oder die Ausweisung als Grundverwaltungsakt anschließen, jedoch nicht an die Abschiebungsandrohung. Gleiches gilt für die Frage der Rechtmäßigkeit eines Leistungsbescheids nach §§ 66 f. AufenthG. Auch für diesen ist unter anderem die Rechtmäßigkeit der erfolgten Abschiebung entscheidend, sodass sich auch hier die Rechtsfolge der Kostentragungspflicht des Abgeschobenen an die Abschiebung anschließt, nicht an die Abschiebungsandrohung. Da der Kläger durch die Aufhebung einer Regelung, die ihm gegenüber keine Wirkung mehr entfaltet, seine Rechtsstellung nicht verbessern kann, ist ein schutzwürdiges Interesse an der begehrten Entscheidung insoweit abzulehnen.
Zudem wollte der Kläger mit seiner Klage seinen weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik erreichen, die erfolgte Abschiebung also gerade verhindern. Nachdem er bereits nach Nordmazedonien abgeschoben wurde, kann er sein Ziel – die Verhinderung der Abschiebung – nicht mehr erreichen. Eine Rückkehr nach Deutschland, um die es ihm nach der erfolgten Abschiebung nun gehen dürfte, kann er auf anderem Weg erreichen, so zum Beispiel mit einem Antrag auf Verkürzung der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG. Auch deshalb ist nicht vom Vorliegen eines schützenswerten Interesses an der begehrten Aufhebung auszugehen.
C.
Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
I. Der Bescheid der Beklagten vom 14. August 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Zudem hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Das Gericht sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da es der Begründung des angefochtenen Bescheids folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO). Zudem wird auf die Ausführungen im Prozesskostenhilfebeschluss vom 11. März 2020 Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat seit Erlass des Beschlusses nichts vorgetragen, was eine andere Entscheidung rechtfertigen könnte.
Der Kläger stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland i.S.v. § 53 Abs. 1 AufenthG dar. Insbesondere ist von einer Wiederholungsgefahr auszugehen, weil die bestehende Drogenabhängigkeit des Klägers aufgrund des Abbruchs der Unterbringung in der Entziehungsanstalt nicht vollständig therapiert ist und sich der Kläger hinsichtlich der vorgetragenen Drogenfreiheit zudem noch nicht außerhalb der Haft bzw. Unterbringung bewährt hat (vgl. zur obergerichtlichen Rechtsprechung ebenfalls den Beschluss vom 11. März 2020, Rn. 51 m.w.N.).
Die nach § 53 Abs. 1, 2 AufenthG vorzunehmende Interessenabwägung fällt nach wie vor zu Lasten des Klägers aus. Auch in der mündlichen Verhandlung wurden vom Bevollmächtigten des Klägers keine Umstände vorgetragen, die zu einem Überwiegen der Bleibeinteressen des Klägers führen würden. Dass der Kläger die Möglichkeit hätte, nach seiner Rückkehr bei seinem Vater und Bruder in deren Betrieb zu arbeiten, stellt kein Bleibeinteresse von solchem Gewicht dar, das die nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a AufenthG vorliegenden besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen der Bundesrepublik Deutschland überwiegen könnte.
II. Die Abschiebung nach Nordmazedonien am 24. Februar 2020 war rechtmäßig, § 43 Abs. 1 VwGO.
Rechtsgrundlage für die Abschiebung war § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.
Nach § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist ein Ausländer abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Diese Voraussetzungen waren gegeben.
Der Kläger war am 24. Februar 2020 vollziehbar ausreisepflichtig. Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt.
Die vormals bestehende Aufenthaltserlaubnis des Klägers nach § 32 Abs. 3 AufenthG war letztmalig bis zum 19. März 2015 befristet. Die Anträge des Klägers auf Verlängerung wurden mit dem ebenfalls streitgegenständlichen Bescheid vom 14. August 2018 abgelehnt. Da mit der Ablehnung des Antrags die Fiktionswirkung gem. § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG endete, war der Kläger seitdem nicht mehr im Besitz des nötigen Aufenthaltstitels und nach § 51 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig.
Diese Ausreisepflicht war trotz der erhobenen Klage vollziehbar. Nach § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist die Ausreisepflicht, außer in den Fällen des § 58 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist. Die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, aus der sich die Ausreisepflicht des Klägers ergab, war sofort vollziehbar. Die vorliegende Klage auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, in der als Versagungsgegenklage ebenfalls die Anfechtung der Ablehnungsentscheidung enthalten ist (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), hat gem. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung.
Aufgrund seiner Haft wurde dem Kläger eine Ausreisefrist nach §§ 59 Abs. 5 Satz 1, 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG nicht gewährt und die Überwachung seiner Ausreise war gem. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG erforderlich.
Damit lagen am 24. Februar 2020 alle Voraussetzungen für die Abschiebung vor. Im Übrigen hat der Kläger nichts vorgetragen, was Zweifel an deren Rechtmäßigkeit begründen würde.
Die Klage war damit vollständig abzuweisen.
D.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
E.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung fußt auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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