Verwaltungsrecht

Erlöschen der Niederlassungserlaubnis wegen strafrechtlicher Verurteilungen

Aktenzeichen  AN 5 K 17.02735

Datum:
12.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 3949
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 7, § 54 Abs. 1 Nr. 1a lit. b, § 55 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 5, § 101 Abs. 1 S. 1
BayVwVfG Art. 28 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine Niederlassungserlaubnis erlischt gem. § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG, wenn der Ausländer für die Dauer von mehr als sechs Monaten von Amts wegen nach unbekannt abgemeldet war und er keinerlei Nachweise für einen Aufenthalt in Deutschland während dieser Zeit vorlegen kann.  (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Rahmen des § 54 Abs. 1 Nr. 1a ist allein auf die durch das Strafgericht angewendeten Straftatbestände und die in diesem Zusammenhang geschützten Rechtsgüter abzustellen.  (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
3. Werden die Personensorge und das Umgangsrecht tatsächlich nicht ausgeübt, sondern bestehen nur auf dem Papier, reicht dies für die Annahme eines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses nicht aus.  (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Über die Klage konnte mit Einverständnis der Parteien ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO)
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Klage als Anfechtungsklage auch insoweit statthaft, als die Aufhebung der Ziffer I. des streitgegenständlichen Bescheids begehrt wird, mit der das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis in Form eines Verwaltungsakts festgestellt wurde. Die zulässige Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Beklagte hat zu Recht in Ziffer I. des streitgegenständlichen Bescheids festgestellt, dass die Niederlassungserlaubnis des Klägers erloschen ist.
Dem Kläger wurde erstmals am 16. Oktober 1997 eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Ehegattennachzug erteilt, die in der Folge verlängert wurde und schließlich seit 1. Januar 2005 gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fort galt.
Die Niederlassungserlaubnis des Klägers ist im vorliegenden Fall aber nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG spätestens zum 19. Dezember 2009 erloschen. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von 6 Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist. Die Niederlassungserlaubnis ist gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG eine spezielle Form des Aufenthaltstitels, sodass § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG auch einen Erlöschenstatbestand für die Niederlassungserlaubnis begründet.
Vorliegend steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger im Jahr 2009 ausgereist und nicht innerhalb von 6 Monaten wieder in das Bundesgebiet eingereist ist. Zwar hat der Kläger in diversen schriftlichen Stellungnahmen und in der mündlichen Verhandlung behauptet, nie im Ausland gewesen zu sein. Bereits der Umstand, dass der Kläger gemäß eigenem Vortrag vom 27. November 2017 während seines Aufenthalts in Deutschland melderechtliche Pflichten stets erfüllte, jedoch im genannten Zeitraum von Amts wegen nach unbekannt abgemeldet war, spricht aber für einen Auslandsaufenthalt des Klägers im genannten Zeitraum. Im Übrigen hat der Kläger trotz mehrfacher Aufforderungen und im Wissen um deren Relevanz keinerlei konkrete Angaben zu seinen genauen Aufenthaltsorten im genannten Zeitraum gemacht hat. Auch hat er keine von der Beklagten angeforderten, geeigneten Belege für seinen Aufenthalt in Deutschland – etwa Belege über Arztbesuche, polizeiliche Vorladungen oder Behördenbesuche – beigebracht. Schließlich hat der Kläger keine Personen benannt, mit denen er im fraglichen Zeitraum in Deutschland persönlichen Kontakt hatte bzw. bei denen er gewohnt hat. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger auch keinerlei Begründung dafür geliefert hat, warum er keine entsprechenden Angaben machen konnte, handelt es sich beim Vortrag des Klägers offensichtlich um eine Schutzbehauptung. Die allgemeinen Beweislastregeln kommen vorliegend nicht zum Tragen, denn das Gericht hat keine Zweifel am Vorliegen der rechtsvernichtenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG.
2. Die in Ziffer II des streitgegenständlichen Bescheids vom 6. Dezember 2017 verfügte Ausweisung ist ebenfalls rechtmäßig. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 16; U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 37).
Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem Verbleib des Ausländers ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dies ist hier der Fall.
Die Kammer geht mit der Beklagten davon aus, dass von dem Kläger nach wie vor eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zu der Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris, Rn. 18). Dabei sind die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris, Rn. 33). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U.v.4.10.2012 – 1 C 13.11 – Rn. 18; BayVGH, B.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 31).
Gemessen an diesen Grundsätzen geht die Kammer mit der Beklagten davon aus, dass nach dem persönlichen Verhalten des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass von ihm auch künftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Die Gefahrenprognose wird konkret durch das Verhalten des Klägers im Bundesgebiet getragen. Anlass für die Ausweisung ist eine Verurteilung des Klägers durch das Landgericht … vom 24. Januar 2017 wegen Unterschlagung, versuchter Nötigung und Missbrauchs von Ausweispapieren zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahren und 6 Monaten (unter Einbeziehung der Verurteilung des Amtsgerichts … vom 25. April 2014) sowie eine Verurteilung durch das Amtsgericht … vom 8. Juni 2017 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit einem Missbrauch von Ausweispapieren zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten.
Der Verurteilung vom 24. Januar 2017 wegen Unterschlagung und versuchter Nötigung lag zugrunde, dass der Kläger von seiner damaligen Lebensgefährtin einen Bargeldbetrag in Höhe von 3.000 EUR übergeben bekommen hatte, um für sie ein Fahrzeug zu kaufen. Als die Geschädigte den Kläger ca. 2 Wochen nach der Geldübergabe zum wiederholten Male auf dessen Verbleib ansprach, sagte der Kläger, er werde sie umbringen, wenn sie noch einmal auf das Geld anspreche. Grundlage der Verurteilung wegen Missbrauchs von Ausweispapieren war, dass sich der Kläger gegenüber einem Polizeibeamten bei einer Personenkontrolle mit einem fremden Sozialversicherungsausweis auswies, um einer befürchteten Verhaftung zu entgehen.
Das Landgericht führte zur Strafzumessung aus, zugunsten des Klägers sei zu berücksichtigen gewesen, dass er die Unterschlagung eingeräumt, sich bei seinem Opfer entschuldigt und auch Schadenswiedergutmachung zugesagt habe. Auch wurde zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass dieser zwischen 2013 und 2016 regelmäßigen Kontakt zu seinen vier Kindern gehalten habe, obwohl er keinen festen Wohnsitz hatte. Außerdem wurde zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass er nach Begehung der abzuurteilenden Taten bereits eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten aus einer anderen Verurteilung vollständig verbüßt hatte und er sich seit 7. November 2016 wieder in Strafhaft befand.
Zu Lasten des Klägers wurde insbesondere die Vielzahl an vorausgegangenen Straftaten gewertet. Eine Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Jahr 2007 sei widerrufen und die Haft anschließend vollständig vollstreckt worden. Auch eine Haftstrafe in Höhe von 1 Jahr und 4 Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung und Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sei zunächst zur Bewährung ausgesetzt, schließlich aber vollständig verbüßt worden. Insgesamt sei der Kläger wegen mehrerer Vermögensdelikte und auch wegen eines Gewaltdeliktes zu Geld- und auch Freiheitsstrafen verurteilt worden. Auch zum Zeitpunkt der abgeurteilten Tat habe der Kläger unter Bewährung gestanden. Die Strafkammer hielt hinsichtlich der veruntreuenden Unterschlagung eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten und hinsichtlich der versuchten Nötigung eine Freiheitsstrafe von 3 Monaten für tat- und schuldangemessen. Dabei bejahte sie das Vorliegen besonderer Umstände in der Persönlichkeit des Klägers, die es unerlässlich machten, eine Freiheitsstrafe zu verhängen (§ 47 Abs. 1 StGB).
Der Verurteilung vom 8. Juni 2017 lag zugrunde, dass der Kläger zum einen knapp 0,8 g Marihuana mit sich geführt hatte, zum anderen dass er sich im Rahmen einer Verkehrskontrolle mit einem Personalausweis einer anderen Person ausgewiesen hatte, um über seine Identität zu täuschen. Auch in diesem Fall kam das Strafgericht zum Ergebnis, die Verhängung einer Freiheitsstrafe sei zur Einwirkung auf den Kläger nach § 47 Abs. 1 StGB unerlässlich.
Ausgehend von der Vielzahl der Verurteilungen des Klägers und dem Umstand, dass er sich weder durch Geldstrafen, noch durch mehrfache Haftverbüßungen von der Begehung weiterer Straftaten abhalten ließ, geht die Beklagte zutreffend von einer erheblichen Wiederholungsgefahr beim Kläger aus. Der Kläger ist mehrfach während laufender Bewährungszeiten und trotz drohender teilweise beträchtlicher Haftstrafen immer wieder straffällig geworden. Die Kammer schließt sich insofern der Bewertung der Strafgerichte an, die ebenfalls von einer besonderen Wiederholungsgefahr beim Täter ausgingen und vor diesem Hintergrund die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB mehrfach bejaht haben. Auch die Kinder des Klägers, die zum Begehungszeitpunkt der Anlassstraftaten alle bereits geboren waren, haben den Kläger nicht von delinquentem Verhalten abgehalten. Die mittlerweile vom Kläger besuchten Fortbildungsmaßnahmen können zwar zu perspektivisch zu einer wirtschaftlichen Stabilisierung beitragen, vermögen aber die aktuelle Gefahrenprognose nicht zu entkräften. Darüber hinaus hat der Kläger eine systematische und erfolgreiche Bearbeitung seiner Spielsucht nicht nachgewiesen.
Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Antragstellers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Im Fall des Klägers besteht ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a lit. b) AufenthG, denn der Kläger wurde mit Urteil des Amtsgerichts … vom 27. Januar 2010 wegen gefährlicher Körperverletzung und Nötigung in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten verurteilt. Zwar liegt die abgeurteilte Tat mittlerweile eine geraume Zeit zurück. Auf zurückliegende Rechtsverstöße ist aber im Rahmen der Ausweisungsentscheidung nur dann nicht mehr abzustellen, wenn die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren schützenswerten Vertrauenstatbestand geschaffen hat, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 39; OVG Bremen B.v. 10.11.2017 – 1 LA 259/15 – juris Rn. 18). Die Ausländerbehörde hat vorliegend aber in keiner Weise zum Ausdruck gebracht, die Straftat aus 2010 werde – insbesondere bei Begehung weiterer Straftaten – keine ausländerrechtlichen Folgen mehr haben, zumal bereits 2012 eine Anhörung zur beabsichtigten Ausweisung erfolgte. Die registerrechtliche Tilgungsfrist des § 51 BZRG, die eine absolute Obergrenze für die Verwertbarkeit einer Straftat bildet (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – juris Rn. 23), ist vorliegend nicht überschritten.
Die von der Beklagten herangezogenen Anlassverurteilungen begründen dagegen – entgegen den Ausführungen der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid – lediglich ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Zwar drohte der Kläger seinem Opfer nach den Feststellungen des Strafgerichts, er werde sie umbringen, wenn sie noch einmal auf das Geld anspreche. Gleichwohl erfolgte die Verurteilung des Klägers nicht wegen eines Delikts gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit, sondern wegen Unterschlagung und versuchter Nötigung. Damit liegt keine Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit vor, denn im Rahmen des § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG ist allein auf die durch das Strafgericht angewendeten Straftatbestände und die in diesem Zusammenhang geschützten Rechtsgüter abzustellen. Der Straftatbestand der Unterschlagung schützt das Rechtsgut Eigentum (vgl. Lackner/Kühl/Kühl, 29. Aufl. 2018, StGB § 246 Rn. 1), der Straftatbestand der Nötigung die freie Willensentschließung und Willensbetätigung (vgl. Lackner/Kühl/Heger, 29. Aufl. 2018, StGB § 240 Rn. 1).
Dem Ausweisungsinteresse steht im vorliegenden Fall kein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entgegen, da die Niederlassungserlaubnis des Klägers aus oben genannten Gründen erloschen ist.
Der Kläger kann sich auch nicht auf das Bestehen eines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG berufen. Gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG wiegt das Bleibeinteresse eines Ausländers unter anderem dann besonders schwer, wenn dieser mit einem minderjährigen ledigen Deutschen sein Umgangsrecht ausübt. Die Personensorge und das Umgangsrecht müssen dabei tatsächlich ausgeübt werden; bestehen sie nur auf dem Papier, reicht dies für die Annahme eines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses nicht aus. Die Gesetzesbegründung spricht hier anschaulich davon, dass es sich „um eine tatsächlich gelebte Nähebeziehung, d.h. ein tatsächliches Kümmern um den deutschen Minderjährigen, handeln muss“. Dass ein lediglich Umgangsberechtigter nur ausschnittsweise am Leben des Kindes Anteil nehmen kann und keine alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft, steht der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft nicht entgegen (vgl. BVerfG, B.v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08 – juris Rn. 20 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund ist im Falle eines regelmäßigen Umgangs des ausländischen Elternteils, der – auch unter Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen – dem auch sonst Üblichen entspricht, in der Regel von einer familiären Gemeinschaft auszugehen sein (vgl. BVerfG, B.v. 1.12.2008 – 2 BvR 1830/08 – juris Rn. 35).
Vorliegend hat der Kläger keinerlei aktuellen Umgang mit seinem Sohn … und seiner Tochter … … nachgewiesen. Die Tochter … … ist volljährig, sodass der Kläger aus einem möglichen Umgang mit ihr schon deshalb keine vertypten Bleibeinteressen ableiten kann. Auch bezüglich … … ist das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass das Umgangsrecht nicht in besonders schützenwerter Weise ausgeübt wird. Ausweislich einer schriftlichen Stellungnahme der Mutter besteht zwischen Vater und Tochter zwar ca. einmal pro Monat Kontakt, wobei ca. alle 2 Monate eine Übernachtung stattfindet. Aus der Stellungnahme geht aber hervor, dass der Kläger seine Tochter nur in unregelmäßigen Abständen sieht. Der Kläger lebte bereits vor der ergangenen Ausweisungsverfügung getrennt von der Mutter des Kindes; Kontakte fanden und finden in erster Linie telefonisch statt. In der Haft wurde der Kläger lediglich einmal von seiner Tochter … besucht. Aus der Stellungnahme der Mutter geht hervor, dass … ihren Vater zwar sehr liebt, jedoch auch, dass sie persönliche Treffen zugunsten von Hobbys bisweilen zurückgestellt. Auch der Umstand, dass die Tochter die Anerkennung der Vaterschaft und die Unterhaltsverpflichtung des Klägers familiengerichtlich erstreiten musste, spricht gegen eine schützenswerte Nähebeziehung. Zwar spricht die Sozialpädagogin … (… …) in einer anlässlich eines Besuchs von … … und ihrer Schwester … … in der JVA abgegebenen Stellungnahme von einer deutlich erkennbar vorhandenen Vater-Kind-Beziehung. Zu berücksichtigen ist aber insofern, dass die Beobachtungen einer einmaligen Begegnung beruhten und demzufolge nur bedingt belastbar sind.
In der Gesamtschau besteht zur Überzeugung der Kammer zugunsten des Klägers im Hinblick auf seine Kinder daher (lediglich) ein schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG. Aber selbst bei Bejahung eines schützenswerten gelebten Umgangs des Klägers mit seiner Tochter … und damit eines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG wäre die Ausweisungsentscheidung in Anbetracht der gravierenden Ausweisungsinteressen rechtmäßig:
In der nach § 53 Abs. 1 AufenthG anzustellenden Gesamtabwägung unter besonderer Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erweist sich die Ausweisung des Klägers nämlich auch bei Annahme eines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses als rechtmäßig. Die streitgegenständliche Ausweisung des Klägers ist weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG – allerdings nicht abschließend – aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Die Beklagte hat im Rahmen des streitgegenständlichen Bescheids zutreffend berücksichtigt, dass der Kläger erstmals 1995 in das Bundesgebiet eingereist ist und überwiegend hier gelebt hat. In die Abwägung ist zudem als Bleibeinteresse einzustellen, dass die Kinder des Klägers, deren Abstammung mittlerweile teilweise nachgewiesen ist, im Bundesgebiet leben. Auf der anderen Seite hat die Beklagte beanstandungsfrei berücksichtigt, dass es dem Kläger nicht gelungen ist, sich in die hiesigen Lebensverhältnisse zu integrieren. Stattdessen ist der Kläger regelmäßig strafrechtlich in Erscheinung getreten und hat eine Vielzahl von Straftaten begangen. Auch die nunmehrigen Ausbildungsbemühungen des Klägers begründen noch keine nachhaltige Integration.
Die Ausweisung verstößt auch nicht gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK und erscheint angesichts der Gesamtumstände nicht unverhältnismäßig. Zu berücksichtigen ist, dass Art. 6 GG und Art. 8 EMRK keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt gewähren, sondern lediglich eine Verpflichtung begründen, die familiären Bindungen entsprechend ihrem Gewicht angemessen in die Abwägung einzustellen (BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12). Die Trennung von seinen Kindern ist dem Kläger jedenfalls zuzumuten, da sie ausschließlich Konsequenz seines kriminellen Verhaltens ist. Zudem haben ihn auch seine Kinder nicht von der Begehung von Straftaten abgehalten. Im Übrigen bestand zumindest während der Haftzeiten nur ein eingeschränkter Kontakt zu den Kindern. Dem Kläger ist es insofern zuzumuten, den Kontakt zu diesen mittels Telefon und sonstiger elektronischer Kommunikationsmedien aufrechtzuerhalten. Die Kammer ist der Überzeugung, dass es dem Kläger möglich und zumutbar ist, sich sprachlich und kulturell in Nigeria zu integrieren. Es ist insoweit zu berücksichtigen, dass der Kläger in Nigeria aufgewachsen ist und bis zu seinem 26. Lebensjahr dort gelebt hat, so dass davon auszugehen, dass er mit der nigerianischen Sprache, Kultur und Tradition vertraut ist. Im Rahmen einer Gesamtabwägung kommt die Kammer – selbst bei Unterstellung eines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses iSd § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG – damit unter Berücksichtigung des verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu dem Ergebnis, dass vorliegend das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Ist die Ausweisung nicht zu beanstanden, so sind auch die in Ziffer IV und V des streitgegenständlichen Bescheids gemäß §§ 58, 59 AufenthG verfügten ausländerrechtlichen Annexentscheidungen rechtlich nicht zu beanstanden.
Das auf die Dauer von fünf Jahren befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot in Ziffer III des streitgegenständlichen Bescheids ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in der Fassung vom 15. August 2019 ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot hat nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zur Folge, dass der Kläger nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf. Ihm darf selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 AufenthG von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist mit der Ausreise zu laufen beginnt. Über die Länge der Frist, die nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten darf, wird nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Die in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren ist dabei fallbezogen ohne Bedeutung, da der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist (vgl. § 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG). Es bedarf der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zu Grunde liegt, das öffentlichen Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56). Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Sperrwirkung muss sich dabei an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56). Gemessen an diesen Vorgaben kann der Kläger auch nicht hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten beanspruchen, über die Befristung der Wirkung der Ausweisung und Abschiebung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich.
Dass nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gesondert angeordnet werden muss, macht den Bescheid vom 6. Dezember 2017 nicht fehlerhaft, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur früheren Rechtslage war in der behördlichen Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG a.F. regelmäßig auch die Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von bestimmter Dauer enthalten (BVerwG, U.v. 25.7.2017 – 1 C 13.17 – juris Rn. 23).
Im Übrigen folgt das Gericht den Gründen des Bescheides der Beklagten 6. Dezember 2017 und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Die Klage war somit vollumfänglich abzuweisen.
Die Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.


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