Verwaltungsrecht

Ermessen bei der Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

Aktenzeichen  RN 5 S 16.30756

Datum:
13.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG §§ 11 VII 1, 60 V, VII 1
AsylG AsylG § 29a I

 

Leitsatz

Bei der Ausübung des Ermessens bei der Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes kann sich das Bundesamt an der generalpräventiven Erwägung einer Überlastung des Asylverfahrens durch nicht schutzbedürftige Personen leiten lassen. Erkennt das Bundesamt auf eine unterhalb der Höchstfrist liegende Länge der Befristung, ist es nicht erfoderlich, den Ausschluss sämtlicher anderer Zeiträume zu begründen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wird abgelehnt.
III.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
IV.
Der Gegenstandswert wird auf 500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen ein vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) nach § 11 Abs. 7 Satz 1 AufenthG angeordnetes Einreise- und Aufenthaltsverbot.
Der Antragsteller, ein senegalesischer Staatsangehöriger, stellte am 21.8.2014 einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 1.12.2015 wurde der Antragsteller unter anderem darauf hingewiesen, dass das Bundesamt bei einer eventuellen Ablehnung des Asylantrages und der damit einhergehenden Abschiebungsandrohung die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots zu prüfen habe. Der Antragsteller wurde aufgefordert, Tatsachen vorzutragen, die bei einer eventuellen Entscheidung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot als schutzwürdige Belange zu berücksichtigen wären. Dies wären unter anderem Familienmitglieder in Deutschland (mit/ohne Aufenthaltstitel), ein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet sich rechtmäßig aufhaltenden Minderjährigen oder die Ausübung des Umgangsrechts mit diesem oder andere schutzwürdigen Belange.
Mit Bescheid vom 21.4.2016, dem Antragsteller zugestellt am 30.4.2016, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab (Ziffern 1 und 2). Den Antrag auf Zuerkennung subsidiären Schutzes lehnte es ab (Ziffer 3). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG würden nicht vorliegen (Ziffer 4). Unter Androhung seiner Abschiebung in den Senegal oder in einen anderen zu seiner Aufnahme bereiten oder zu seiner Rückübernahme verpflichteten Staat forderte das Bundesamt den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen (Ziffer 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 10 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Ziffer 6). Ferner wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 10 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 7). Zum in Ziffer 6 des Bescheids angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbot ist ausgeführt, dass die Voraussetzungen vorliegen, unter denen ein derartiges Verbot angeordnet werden könne. Anhaltspunkte für schutzwürdige Belange des Antragstellers seien weder vorgetragen worden noch würden sie nach den Erkenntnissen des Bundesamtes vorliegen. Daher werde das Verbot angeordnet. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 10 Monate sei im vorliegenden Fall angemessen. Der Antragsteller verfüge im Bundesgebiet über keine familiären Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen wären.
Am 4.5.2016 ließ der Antragsteller Anfechtungsklage gegen die Ziffer 6 des streitgegenständlichen Bescheides erheben sowie Verpflichtungsklage im Hinblick auf die Ziffer 7. Ferner ließ er einen Eilrechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO im Hinblick auf die Ziffer 6 des Bescheides stellen.
Für den Antrag bestehe bereits vor der Ausreise ein Rechtsschutzbedürfnis, weil sich der Antragsteller trotz des anhängigen Klageverfahrens durch den bloßen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 95 Abs. 2 Nr. 1b) AufenthG strafbar mache, wenn das Aufenthaltsverbot vollziehbar sei. Das angeordnete Verbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG sei wegen Ermessensausfalls rechtswidrig. So sei schon ein Entschließungsermessen nicht ausgeübt worden. Die Formulierung in den Bescheidsgründen zeige, dass das Bundesamt lediglich das Vorliegen schutzwürdiger Belange geprüft habe und vom Nichtvorliegen derartiger Belange auf eine Pflicht zur Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots ausgegangen sei. Hinsichtlich der Befristung des Verbots auf 10 Monate werde im Wesentlichen nur der Gesetzeswortlaut wiederholt. Eine inhaltliche Ermessensausübung sei daraus nicht erkennbar.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot in Ziffer 6 des Bescheids des Bundesamtes vom 21.4.2016 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat sich im Eilrechtsschutzverfahren bislang noch nicht geäußert.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die Akten des Bundesamtes, die dem Gericht vorgelegen haben, Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
Er ist insbesondere statthaft; denn nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, wenn die aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes entfällt. Dies ist hinsichtlich der Ziffer 6 des streitgegenständlichen Bescheides gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 AufenthG der Fall.
Dem innerhalb der Frist des § 36 Abs. 3 Satz 10 AsylG gestellten Antrag fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Der Antragsteller hat zu Recht darauf hinweisen lassen, dass sich ein Ausländer nach § 95 Abs. 2 Nr. 1b) AufenthG strafbar macht, wenn er sich in Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Anordnung nach § 11 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Bundesgebiet aufhält. Nach § 11 Abs. 7 Satz 2 AufenthG wird das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Nachdem im Hauptsacheverfahren ausschließlich die Ziffern 6 und 7 des streitgegenständlichen Bescheides angegriffen worden sind, sind die Ziffern 1 bis 5 bereits bestandskräftig geworden; denn insoweit ist die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Alt. 2 AsylG verstrichen. Daher bedarf es der Anordnung der aufschiebenden Wirkung, weil der Antragsteller andererseits Gefahr liefe, wegen eines weiteren Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland strafrechtlich verfolgt zu werden.
2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
Bei seiner Entscheidung hat das Gericht eine Interessenabwägung durchzuführen, im Rahmen derer das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage und das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gegeneinander abzuwägen sind. Im Rahmen dieser Abwägung spielen die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage eine wesentliche Rolle. Lassen sich diese nach der im Eilrechtsschutzverfahren gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage nicht hinreichend
sicher abschätzen, so führt dies zu einer von den Erfolgsaussichten der Klage unabhängigen Interessenabwägung (vgl. Kopp/Schenke, 21. Aufl. 2015, § 80 Rn. 146 ff., insb. Rn. 152).
Die Klage wird im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach erfolglos bleiben, weshalb auch der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ohne Erfolg bleibt.
Die streitgegenständliche Anordnung in Ziffer 6 des Bescheids des Bundesamts beruht auf § 11 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach kann das Bundesamt gegen einen Ausländer, dessen Asylantrag nach § 29a Abs. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Verbot ist mit seiner Anordnung zu befristen, wobei die Frist bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ein Jahr nicht überschreiten soll (§ 11 Abs. 7 Sätze 4 und 5 AufenthG). Sowohl über die Frage, ob ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet wird, als auch in Bezug auf die Dauer der Sperrfrist ist dem Bundesamt damit ein Ermessen eingeräumt. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang nur zu prüfen, ob die in § 114 VwGO genannten besonderen Voraussetzungen eingehalten werden, d. h. ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes – hier der behördlichen Befristungsentscheidung – gegeben sind, ob der Erlass des Verwaltungsaktes auf Ermessensfehlern beruht und ob eine Unterlassung einer rechts- und ermessensfehlerfreien Entscheidung der Behörde beim betroffenen Ausländer zu einer Rechtsverletzung führt.
Die Grundvoraussetzungen für die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots sind hier unstreitig gegeben. Allerdings meint der Antragsteller, die Antragsgegnerin habe ihr Entschließungsermessen nicht ausgeübt. Dies ist jedoch nach dem Wortlaut des streitgegenständlichen Bescheides nicht der Fall. Das Bundesamt hat ausgeführt, dass das Verbot angeordnet wird, nicht dass es anzuordnen war. Außerdem hat es dargelegt unter welchen Voraussetzungen es angeordnet werden kann. Da besonders schutzwürdige Belange nicht vorliegen würden noch für das Bundesamt ersichtlich seien, werde das Verbot angeordnet. Hier wird deutlich, dass das Bundesamt erkannt hat, eine Ermessensentscheidung zu treffen. Ferner wird aus den Bescheidsgründen ersichtlich, dass ein Einreise- und Aufenthaltsverbot regelmäßig angeordnet wird, wenn schutzwürdige Belange nicht vorliegen. Diese dem Gericht aus einer Vielzahl von Bescheiden bekannte Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden. Letztendlich wirkt das Bundesamt bei der Ermessensausübung – dem Zweck der Ermächtigung des § 11 Abs. 7 AufenthG entsprechend – aus generalpräventiven Erwägungen einer Überlastung des Asylverfahrens durch offensichtlich nicht schutzbedürftige Personen entgegen, um die entsprechenden Kapazitäten vielmehr für die Prüfung der Asylanträge tatsächlich schutzbedürftiger Personen einzusetzen (vgl. dazu die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, BT-Drs. 18/4097, Seite 38 sowie Maor in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand: 1.2.2016). Diese Vorgehensweise gewährleistet darüber hinaus eine Gleichbehandlung von Asylbewerbern, deren Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist.
Auch die durch das Bundesamt verfügte Länge der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes von 10 Monaten begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. In § 11 Abs. 7 Satz 5 und 6 AufenthG sind als Höchstfristen ein Jahr für Erstfälle und drei Jahre in den übrigen Fällen normiert. Das Bundesamt hat dieses ihm zustehende Ermessen hier mit der Festsetzung einer unterhalb der Höchstfrist liegenden Länge erkannt. Es hat im Bescheid ausdrücklich auf das ihm zustehende Ermessen hingewiesen und ausgeführt, dass es eine Frist von 10 Monaten für angemessen erachte. Die gewählte Frist liegt somit unterhalb der Höchstfrist und schutzwürdige Belange des Antragstellers, die im konkreten Einzelfall hätten berücksichtigt werden müssen, waren und sind nicht ersichtlich, weshalb Ermessensfehler nicht erkennbar sind. In einem solchen Fall ist für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung nicht erforderlich, den Ausschluss sämtlicher anderer Zeiträume unterhalb der Höchstgrenze im Bescheid zu begründen (so ausdrücklich VG Düsseldorf vom 11.3.2016, Az. 17 AL 472/16.A).
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO war daher abzulehnen.
Mangels hinreichender Erfolgsaussichten im Eilrechtsschutzverfahren war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen, § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO.
Die Kosten des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO der Antragsteller zu tragen.
Da es sich bei der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots um ein Verfahren nach dem Asylgesetz handelt, werden Gerichtskosten gemäß § 83b AsylG nicht erhoben, weshalb grundsätzlich auch für eine Streitwertfestsetzung kein Raum ist.
Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 30 Abs. 2 RVG. Danach kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Wert als den nach § 30 Abs. 1 RVG bestimmten Wert festsetzen, wenn dieser nach den besonderen Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Letzteres ist vorliegend der Fall, da sich der Antragsteller nicht gegen die Ablehnung seines Asylantrages als solches wendet, sondern allein gegen das in Ziffer 6 des streitgegenständ-lichen Bescheides angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot. Insofern ist lediglich ein geringer Teilausschnitt des der Grundnorm des § 30 Abs. 1 RVG typischerweise zugrunde liegenden Streitgegenstandes betroffen. Das Gericht bewertet den Gegenstandswert in der Hauptsache mit 1000,- € und setzt den Gegenstandswert daher im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf 500,- € fest (so auch VG Düsseldorf vom 20.1.2016, Az. 6 L 23/16.A ; VG Ansbach vom 18.11.2015, Az. AN 5 S 15.01616 ).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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