Verwaltungsrecht

Ermittlung notwendiger Tatsachen für einen Zweitantrag

Aktenzeichen  Au 5 S 16.33030

Datum:
28.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 71a

 

Leitsatz

Die Ermittlung notwendiger Tatsachen, über die Verfahrenssituation eines bereits zuvor in einen sicheren Drittstaat gestellten Asylantrags, die für die Begründung der Voraussetzungen des § 71a AsylG notwendig sind, obliegt dem Antragssteller.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage Au 5 K 16.33029 gegen die im Bescheid des Bundesamtes für … vom 21. Dezember 2016 ausgesprochene Abschiebungsandrohung nach Mali wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsandrohung nach Mali bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat.
Der am … 1988 in … (Mali) geborene Antragsteller ist Staatsangehöriger von Mali mit Volkszugehörigkeit der Sarahule und sunnitischem Glauben.
Der Antragsteller hat bereits in Bulgarien und Ungarn einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt.
Am 1. September 2016 stellte der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland Asylantrag.
Mit Bescheid des Bundesamtes für … (im Folgenden: Bundesamt) vom 21. Dezember 2016 wurde der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1.). Ziffer 2. des Bescheides bestimmt, das Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen. Ziffer 3. fordert den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde dem Antragsteller die Abschiebung nach Mali bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Ziffer 4. setzt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung fest.
In den Gründen ist unter anderem ausgeführt, dass, sofern ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat gemäß § 26a Asylgesetz (AsylG) in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag stelle, es sich um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG handele. Der Antragsteller habe nicht konkret dargelegt, wie das Asylverfahren im Mitgliedsstaat ausgegangen sei. Sei das Verfahren im Mitgliedsstaat noch offen oder lägen keine Erkenntnisse über den Verfahrensstand vor, sei von einer sonstigen Erledigung ohne Schutzgewährung auszugehen. Demnach sei ein weiteres Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) vorlägen. Der Antragsteller habe nicht konkret dargelegt, wie das Asylverfahren in den Mitgliedsstaaten Ungarn und Bulgarien ausgegangen sei. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die Abschiebungsandrohung sei nach § 71a Abs. 4 AsylG i. V. m. § 34 Abs. 1 AsylG und § 59 AufenthG zu erlassen. Auf den weiteren Inhalt des Bescheides des Bundesamtes vom 21. Dezember 2016 wird ergänzend verwiesen.
Der Antragsteller hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2016 Klage erhoben und beantragt, den Bescheid des Bundesamtes vom 21. Dezember 2016 aufzuheben (Az. Au 5 K 16.33029). Über diese Klage ist noch nicht entschieden worden.
Ebenfalls mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2016 hat der Antragsteller im Wege vorläufigen Rechtsschutzes beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig abgelehnt habe, weil der Antragsteller nicht konkret dargelegt habe, wie seine Asylverfahren in Ungarn und Bulgarien ausgegangen seien. Es sei jedoch nicht Aufgabe des Betroffenen, die Ergebnisse der Asylverfahren nachzuweisen, sondern vielmehr müsse das Bundesamt belegen, dass die Voraussetzungen für einen Zweitantrag gegeben seien. Es sei die Aufgabe des Bundesamtes, die Fingerabdrücke abzunehmen und im EURODAC-Verfahren zu prüfen. Erst danach könne das Bundesamt entscheiden, ob es ein Dublin-Verfahren einleiten möchte. Die Entscheidung im Verfahren lasse vermuten, dass mit der Entscheidung für einen unzulässigen Asylantrag das Dublin-Verfahren umgangen werden solle. Aus diesem Grund sei die aufschiebende Wirkung der Klage abzuordnen.
Auf den weiteren Vortrag im Antrags-Schriftsatz vom 23. Dezember 2016 wird ergänzend verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren Au 5 K 16.33029 gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes vom 21. Dezember 2016 anzuordnen, über den gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG der Einzelrichter zu entscheiden hat, hat Erfolg.
Er ist insbesondere gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG zulässig und begründet.
Nach § 71a Abs. 4 AsylG i. V. m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG in entsprechender Anwendung kann die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen. Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 -, BVerfGE 94, 166). So verhält es sich hier.
Die Antragsgegnerin ist im mit der Klage angegriffenen Bescheid nicht erkennbar zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei dem Asylbegehren des Antragstellers um einen Zweitantrag im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG handelt. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift liegt ein Zweitantrag lediglich dann vor, wenn der Ausländer seinen Asylantrag im Bundesgebiet nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26 AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder die oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, gestellt hat. An der Erfüllung dieses Tatbestandes bestehen bereits nach der Fassung des angegriffenen Bescheids erhebliche Zweifel.
Insbesondere ist nach der Begründung des Bescheides offen, ob und wann das von dem Antragsteller zuvor in Ungarn bzw. Bulgarien beantragte Asylverfahren erfolglos abgeschlossen wurde. Ebenso offen geblieben ist, ob die Asylanträge des Antragstellers nach materiell-rechtlicher Prüfung abgelehnt wurden. Vor diesem Hintergrund hat die Antragsgegnerin es versäumt, die notwendigen Tatsachen über den etwaigen Abschluss der Asylverfahren in Ungarn bzw. Bulgarien zu ermitteln und vermutet letztlich lediglich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 71a Abs. 1 AsylG. Der Antragsgegnerin obliegt es aber, die Verfahrenssituation zu ermitteln, will sie sich auf die Rechtsgrundlage des § 71a AsylG stützen. Sie kann eine derartige Ermittlung nicht ohne Weiteres dem Antragsteller auferlegen, da dieser in aller Regel über den Verfahrensablauf keine verlässlichen Angaben machen kann (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 -, juris Rn. 21 f.).
Vor diesem Hintergrund bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des mit der Klage angegriffenen Bescheides des Bundesamtes vom 21. Dezember 2016. Dementsprechend war die aufschiebende Wirkung der Klage antragsgemäß anzuordnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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