Verwaltungsrecht

Ernstliche Zweifel an der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet

Aktenzeichen  Au 6 S 19.30560

Datum:
10.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 10622
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 3, § 4, § 30 Abs. 3 Nr. 1, § 36 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

1 Die Vollziehung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach Ablehnung eines Asylantrags darf nur dann ausgesetzt werden darf, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (Anschluss an BVerfG NVwZ 1996, 691). Dabei muss das Verwaltungsgericht bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes diese Prüfung auch auf das Merkmal der Offensichtlichkeit erstrecken (Anschluss an BVerfG BeckRS 2003, 21072). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet setzt voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage sich dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt (Anschluss an BVerfG BeckRS 2001, 22956). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die in Ziffer 5 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 15. April 2019 ausgesprochene Abschiebungsandrohung in die Türkei wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der Kläger und Antragsteller (im Folgenden: Antragsteller) begehrt im Klageverfahren (Au 6 K 19.30559) nach Ablehnung seines Asylantrags als offensichtlich unbegründet die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Zuerkennung subsidiären Schutzes und die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote und im vorliegenden Antragsverfahren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung in die Türkei.
Der ausweislich seines Personalausweises und seines Führerscheins am … 1989 geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Nach eigenen Angaben verließ er die Türkei per Boot am 15. November 2018, flog am 26. November 2018 von Griechenland nach Deutschland und beantragte Asyl.
Ausweislich einer Auskunft aus der Visa-Datei stellte der Antragsteller mit einem am 4. April 2018 ausgestellten Reisepass am 16. August 2018 einen Visumsantrag, der von der Deutschen Botschaft … abgelehnt wurde.
Bei seiner auf Türkisch geführten Anhörung vor dem Bundesamt für … (Bundesamt) am 13. Dezember 2018 (BAMF-Akte Bl. 68 ff.) trug der Antragsteller im Wesentlichen vor, er habe zuletzt in … in einer Mietwohnung gewohnt; seine Ehefrau, seine beiden Kinder und seine Eltern lebten noch immer dort. Seine Ehefrau habe in G.-Schulen gearbeitet und deswegen Probleme. Außerdem lebten noch fünf Geschwister, eine Tante und ein Onkel in der Türkei. Die Familie habe jedoch im Moment politische Probleme, da einer seiner Onkel vom Militär getötet worden sei. Er selbst habe nach der Mittelschule das Gymnasium nicht abgeschlossen und zuletzt als Lkw-Fahrer und Kranführer gearbeitet. 2009 sei er zum Wehrdienst einberufen worden, habe diesen aber zunächst nicht angetreten. Als er ein Schreiben der Polizei bekommen habe, sei er zwangsweise zum Militär gegangen. Während des 15-monatigen Wehrdienstes in … und … in der Panzertruppe habe er große Schwierigkeiten gehabt. Wegen seiner Weigerung, zu sagen „Ach, welch ein Glück, dass ich Türke bin“ und ähnlichen Vorfällen, habe er vielfältige Strafen bekommen. Eine der drei härtesten Strafen sei gewesen, dass er mit einer 60 kg schweren Tasche von morgens bis mittags in der Sonne habe stehen müssen. Bei einer anderen Strafe sei er von den Hauptmännern geschlagen und gefoltert worden. Einmal sei er auch in einer Zelle eingesperrt worden, habe dort auf kalten Fliesen sitzen müssen und sei deswegen krank geworden. Man habe ihm auch befohlen, alle Fliesen im Baderaum mit einer Zahnbürste zu putzen. Urlaubsanträge seien immer mit der Begründung abgelehnt worden, es bestehe die Gefahr, dass er nicht zurückkehren werde. Nach dem Wehrdienst habe er zunächst keine Probleme gehabt und ganz normal gearbeitet. Als er im Jahr 2012 jedoch mit dem Bus von … nach … gefahren sei, hätten Polizisten den Bus angehalten und die Personalausweise kontrolliert. Ihm sei fälschlicherweise vorgeworfen worden, ein Schleuser zu sein und Zigaretten geschmuggelt zu haben. Daraufhin sei er zur Wache gebracht und eingesperrt worden. Er habe schon damals nach Deutschland auswandern wollen und deswegen auch zweimal versucht, Reisepässe ausgestellt zu bekommen. Seine spätere Ehefrau habe ihn aber damals überredet, in der Türkei zu bleiben. Sie habe gemeint, dass er nach der Heirat wieder zur Schule gehen und vielleicht im öffentlichen Dienst arbeiten könne, um in Ruhe zu leben. Er habe gedacht, dass sich ihr Leben eventuell verändern würde. Damals sei es noch nicht gefährlich gewesen, an einer G. Schule zu arbeiten. Er selbst habe einen Eintrag im Führungszeugnis und könne jeden Moment festgenommen werden. Auslöser für die Flucht sei jedoch gewesen, dass er nicht einfach abwarten könne, bis seine Frau willkürlich verhaftet werde. Außerdem habe er 2014 an den Protesten wegen … teilgenommen; auch deswegen könne er verurteilt werden. Es habe deswegen am 5. November 2018 in acht oder neun Städten Verhaftungen gegeben; bei ihm im Ort habe es nur Durchsuchungen gegeben. Er habe sich politisch nur sehr wenig betätigt, sei aber Mitglied der nun geschlossenen DTP gewesen. Er sei jedoch nur Mitglied und nicht sehr aktiv gewesen. Momentan werde er von der Polizei nicht gesucht. Wegen seines Eintrags im Führungszeugnis seit 2013 könne er aber in der Türkei zum offenen Vollzug für ein Jahr und acht Monate verurteilt werden. Als er außerdem einmal mit seinem Lkw unterwegs gewesen sei, sei in seinem Fahrtenbuch eine kleine Abweichung festgestellt worden. Deswegen habe die Polizei ihn geohrfeigt. Er habe aber nichts dagegen machen können, da er nicht noch einen Eintrag habe bekommen wollen. Außerdem sei er illegal nach Deutschland gekommen, habe dadurch eine Straftat begangen und würde deswegen bei seiner Rückkehr bestraft werden. Da seine Ehefrau an einer G. Schule gearbeitet habe, habe auch sie Probleme gehabt. Seine Ehefrau könne wie viele ihrer Arbeitskollegen jeden Moment verhaftet werden und er wisse nicht, wie er auf seine Kinder aufpassen solle, wenn seine Frau inhaftiert sei. Er habe deshalb seine Familie nach Deutschland mitnehmen wollen und deswegen ein Visum für Deutschland beantragt. Dies sei jedoch mit der Begründung abgelehnt worden, dass er mit seiner Familie kommen wolle und die Gefahr bestehe, dass die Familie nicht in die Türkei zurückkehren werde. Er werde aber alles daran setzen, dass seine Familie möglichst schnell nach Deutschland kommen könne, wolle aber nicht, dass sie – wie er – mit dem Boot nach Griechenland übersetzten, da dies zu riskant sei. Seine Familie solle auf dem Luftweg nachkommen. Die Schleuser hätten ihn aber angelogen und ihm zugesichert, sie würden für sie alle Reisepässe ausstellen, was sie nicht gemacht hätten. Seinen Reisepass habe ihm der Schleuser weggenommen. Er sei mit dem Boot nach Griechenland gekommen und nach 12-13 Tagen von Griechenland nach Deutschland (…) geflogen. Hierfür habe er einen gefälschten Reisepass verwendet, den ihm der Schleuser ausgestellt und später weggeworfen habe.
Der Antragsteller legte einen Auszug aus dem e-devlet-System vor. Nach der Übersetzung handelt es sich um eine Abfrage der Strafregistereinträge beim türkischen Justizministerium, Generaldirektion für Strafregister und Statistik. Für den Antragsteller liegt demnach seit dem 30. April 2013 ein Eintrag vor, sowie zwei weitere archivierte Einträge aus dem Jahr 2013. Des Weiteren legte der Antragsteller ein Schreiben vor, das die Teilnahme seiner Ehefrau an einer Prüfung für den öffentlichen Dienst bescheinigt.
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 15. April 2019 die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1), auf Asylanerkennung (Ziffer 2) und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Ziffer 3) jeweils als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Ziffer 4). Die Abschiebung in die Türkei wurde angedroht (Ziffer 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6). Die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und für die Zuerkennung internationalen Schutzes lägen nicht vor. Von einer begründeten Furcht könne im vorliegenden Fall keine Rede sein. Der Antragsteller habe offenbar seit 2013 einen Eintrag im Führungsregister, aufgrund dessen er eine Verhaftung befürchte. Trotz mehrmaligen angeblichen Kontakts mit Sicherheitskräften sei es jedoch hierzu nie gekommen. Er habe nicht schlüssig darlegen können, weswegen er sein Heimatland verlassen habe oder was er im Falle einer Rückkehr befürchte. Die schwammige Aussage, ihm drohe nunmehr Haft oder er könne jederzeit verhaftet werden, sei viel zu oberflächlich, als dass sich hieraus eine Schutzgewährung ableiten ließe. Die Tatsache, dass der Antragsteller trotz abgelehnten Visumsantrags einfach auf illegalem Wege nach Deutschland komme und es ihm offenbar in erster Linie darum gehe, ein Aufenthaltsrecht zu erzwingen, spreche für sich. Anhaltspunkte für eine dem Antragsteller in seinem Heimatland drohende Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung seien nicht ersichtlich. Der Antrag sei nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, da der durchweg detailarme und unsubstantiierte Sachvortrag lediglich dazu diene, einen Schutzstatus und die damit verbundenen Vergünstigungen zu erwirken. Eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet dränge sich demnach geradezu auf. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Der Antragsteller sei ein gesunder, arbeitsfähiger Mann und sei bereits vor seiner Ausreise in der Lage gewesen, seinen Lebensunterhalt selbstständig zu bestreiten. Zudem verfüge er über einen aufnahmefähigen Familienverband in der Türkei. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG für den Fall einer Abschiebung sei auf 30 Monate zu befristen. Schutzwürdige Belange seien ebenfalls weder vorgetragen noch ersichtlich.
Hiergegen ließ der Antragsteller am 18. April 2019 Klage erheben (Au 6 K 19.30559), über die noch nicht entschieden ist, mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass er die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes erfüllt, hilfsweise festzustellen, dass für ihn Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG bestehen, hilfsweise das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben bzw. kürzer zu befristen und den Bescheid vom 15. April 2019 (Gesch.-Z. …) aufzuheben, soweit er der o.g. Verpflichtung entgegensteht.
Er beantragt weiter,
die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Auf die bisherigen Angaben des Antragstellers in der Anhörung werde vorläufig Bezug genommen. Die Entscheidung, den Asylantrag des Antragstellers als offensichtlich unbegründet abzulehnen, werde darauf gestützt, dass der Antragsteller durchweg detailarm und unsubstantiiert vorgetragen habe und sein Vortrag lediglich dazu diene, einen Schutzstatus und die damit verbundenen Vergünstigungen zu erwirken. Von einem undetaillierten und unsubstantiierten Vortrag könne indes bei einer über vier Stunden dauernden und neun Seiten Protokoll umfassenden Anhörung nicht die Rede sein. Der Sachvortrag erscheine vielmehr gerade im Vergleich zu anderen Niederschriften ausführlich und umfangreich. Die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet sei daher zweifelhaft und die aufschiebende Wirkung der Klage begründet. Zudem überwiege das Aussetzungsinteresse des Antragstellers in einer Folgenabwägung gegenüber dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin.
Die Antragsgegnerin hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag des Antragstellers nach § 80 Abs. 5 VwGO, § 36 Abs. 3 AsylG auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat Erfolg.
1. Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, § 36 Abs. 3 AsylG auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist begründet.
a) Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG ist die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf die sofortige Vollziehbarkeit. Nachdem diese Regelung und die damit verbundene Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) die Folge aus der qualifizierten Asylablehnung sind, ist Anknüpfungspunkt der gerichtlichen Überlegungen zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs die Prüfung, ob die für eine Aussetzung der Abschiebung erforderlichen ernstlichen Zweifel bezogen auf das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes vorliegen. Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Dies bedeutet, dass die Vollziehung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme nur dann ausgesetzt werden darf, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93, 2 BvR 1508/93 – DVBl 1996, 729). Dabei muss das Verwaltungsgericht bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes diese Prüfung auch auf das Merkmal der Offensichtlichkeit erstrecken (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.2003 – 2 BvR 153/02 – Inf-AuslR 2003, 244).
Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für internationalen Schutz offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG ist eine offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrags (unter anderem) auch dann anzunehmen, wenn das Vorbringen des Ausländers in wesentlichen Punkten in sich widersprüchlich oder nicht substantiiert ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage sich dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00 – InfAuslR 2002, 146). Aus den Gründen muss sich klar ergeben, weshalb dieser Ausspruch in Betracht kommt, insbesondere, warum der Asylantrag nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden ist (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 3.9.1996 – 2 BvR 2353/95 – BayVBl 1997, 15; BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – juris Rn. 27). Dieser Maßstab muss entsprechend auch für die behördliche Offensichtlichkeitsentscheidung nach § 30 AsylG gelten. Es kommt also darauf an, ob die Offensichtlichkeitsentscheidung in Bezug auf die geltend gemachten Asylgründe bei der hier gebotenen Prüfung im Eilverfahren mit der erforderlichen Richtigkeitsgewähr bestätigt werden kann.
Die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 1 AsylG bzw. § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG kommt dabei insbesondere dann in Betracht, wenn der Vortrag in wesentlichen Punkten widersprüchlich ist, wenn der Vortrag detailarm, unsubstantiiert und unschlüssig ist oder wenn der Vortrag keinen Bezug zu einem verfolgungs- oder gefahrenrelevanten Sachverhalt nach §§ 3 ff., 4 AsylG enthält. In Bezug auf die derzeitige Lage in der Türkei zeigt sich indes ein ambivalentes Bild. Insbesondere ist eine staatliche Verfolgung u.a. bei politisch engagierten Personen, bei Personen, die in den Fokus der Sicherheitskräfte geraten sind und bei Personen mit Bezug zur G.-Bewegung nicht ausgeschlossen. Mitgliedern und Unterstützern von Oppositionsparteien wird teilweise Unterstützung der PKK oder anderer verbotener Vereinigungen vorgeworfen; der von Behörden und Gerichten angewandte Begriff des „Terrorismus“ ist unscharf und oft Vorwand für eine Bandbreite an Repressalien. Aktuell liegen zudem nach Einschätzung des Auswärtigen Amts deutliche Anhaltspunkte für eine systematische Verfolgung vermeintlicher Anhänger der G.-Bewegung vor, welcher von türkischer Regierungsseite her der Putschversuch im Juli 2016 zur Last gelegt wird. Auch hinsichtlich der Strafzumessungs- und Strafverfolgungspraxis in der Türkei zeigt sich ein ambivalentes Bild.
Im vorliegenden Fall bestehen daher ernstliche Zweifel an der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet. Zwar kommt eine Klageabweisung durchaus in Betracht, sie drängt sich aber nicht derart auf, dass nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung an ihrer Richtigkeit vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können. Eine erfolglose Visumsbeantragung kurz vor der unerlaubten Einreise führt für sich genommen grundsätzlich nicht zur Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet, da das Visum gerade auch deswegen (unter Vortäuschung eines anderen Aufenthaltszwecks) beantragt worden sein kann, um einer Vorverfolgung zu entkommen. Der Vortrag des Antragstellers enthält soweit ersichtlich derzeit auch keine offensichtlichen Widersprüche. Während seiner über dreieinhalbstündigen Anhörung (nebst 30-minütiger Rückübersetzung) schilderte der Antragsteller seine Ausreisegründe zwar nicht immer zusammenhängend und stringent, aber jedenfalls derart ausführlich, dass insgesamt nach vorläufiger Einschätzung nicht von einem detailarmen oder schlechthin unsubstantiierten Vortrag auszugehen ist. Insbesondere gab der Antragsteller Gesprächsausschnitte teils wörtlich wieder. Nachdem der Antragsteller auch mehrere Dokumente, u.a. einen Auszug aus dem Strafregister über e-devlet wohl in Bezug auf den Vorwurf des Zigarettenschmuggels sowie eine Bescheinigung zu einer von seiner Ehefrau absolvierten Aufnahmeprüfung vorlegte, kann sein Vortrag nicht als derart detailarm gewertet werden, dass deswegen eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet in Betracht käme. Aus dem Vortrag des Antragstellers sind des Weiteren keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass er seinen Verfolgungsvortrag wahrheitswidrig wesentlich gesteigert hätte. So trägt er selbst vor, dass ihn die Polizei derzeit nicht suche und er zwar Parteimitglied, aber nicht sonderlich aktiv gewesen sei. Sein Vortrag weist auch Bezüge zu einer möglichen Vorverfolgung und damit zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 3 ff. AsylG auf. Die Fragen, ob der Vortrag des Antragstellers glaubhaft ist sowie die vorgelegten Dokumente echt und inhaltlich wahr sind, ob es sich bei Wahrunterstellung insbesondere hinsichtlich der Eintragung im Strafregister um eine flüchtlingsschutzrelevante Vorverfolgung oder lediglich um die verhältnismäßige Ahndung kriminellen Unrechts handelt und ob im ersteren Fall eine Wiederholung bei einer Rückkehr beachtlich wahrscheinlich ist, bleiben der Prüfung im Hauptverfahren vorbehalten. Eine Entscheidung zu Lasten des Antragstellers erscheint zwar möglich, drängt sich jedoch nicht derart auf, dass nach derzeitigem Sachstand und nach vorläufiger Würdigung eine Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet gerechtfertigt wäre.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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