Verwaltungsrecht

Erschließungsbeitrag: Streit um im Bauprogramm vorgesehenen Gehweg

Aktenzeichen  6 ZB 17.845

Datum:
18.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 124745
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5a
BauGB § 133 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Wird eine nach dem Willen der Gemeinde endgültig fertiggestellte und ihre Aufgabe in vollem Umfang erfüllende Außenbereichsstraße zu einer Anbaustraße (Funktionswandel), ist ihr Zustand unter dem Blickwinkel einer erschließungsbeitragsrechtlichen erstmaligen endgültigen Herstellung (§ 133 Abs. 2 S. 1 BauGB) erneut zu beurteilen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anforderungen an die endgültige Herstellung einer beitragsfähigen Anbaustraße ergeben sich regelmäßig nicht nur aus der Merkmalsregelung der einschlägigen Erschließungsbeitragssatzung und aus allgemeinen erschließungsrechtlichen Gesichtspunkten über die Eignung einer Verkehrsanlage, den anliegenden Grundstücken eine ausreichende wegemäßige Erschließung zu vermitteln, sondern mit Blick auf die Aufteilung der Fläche des Straßengrundstücks ausschlaggebend aus dem konkreten Bauprogramm. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Welche flächenmäßigen Teileinrichtungen (Fahrbahn, Gehweg, Seitenstreifen usw.) in welchem Umfang die Gesamtfläche der jeweiligen Straße in Anspruch nehmen sollen, kann in der Erschließungsbeitragssatzung festgelegt werden, muss es aber nicht. Es genügt, dass die Gemeinde das in einem formlosen, auf die konkrete Einzelanlage bezogenen Bauprogramm bestimmt. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Beitragsverzicht liegt nicht vor, wenn die gemeindlichen Organe fälschlich davon ausgegangen sind, Erschließungsbeitragsforderungen könnten gar nicht entstehen, weil die Straße beitragsmäßig als hergestellt betrachtet werden könne. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 16.1068, Au 2 K 17.231 2017-02-23 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 23. Februar 2017 – Au 2 K 16.1068 und Au 2 K 17.231 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 19.706,53 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers‚ die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen‚ hat keinen Erfolg.
Der Kläger wurde von der beklagten Gemeinde mit Bescheiden vom 12. August 2015 und 6. Dezember 2016 für das in seinem Eigentum stehende Grundstück FlNr. 409/2 zu Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag für die erstmalige endgültige Herstellung der B. Straße in Höhe von 11.000,00 € und 8.706.53 € herangezogen. Das Verwaltungsgericht hat mit dem angegriffenen Urteil die Klagen gegen beide Bescheide für unbegründet erachtet und abgewiesen.
Die Zulassungsgründe, die vom Kläger innerhalb der Zwei-Monats-Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil geltend worden sind und auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO), liegen nicht vor.
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
a) Keinen ernstlichen Zweifeln begegnet die Annahme des Verwaltungsgerichts, die ca. 270 m lange B. Straße werde durch die streitige Ausbaumaßnahme erstmalig und endgültig hergestellt, weshalb diese in den Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts falle (Art. 5a KAG i.V. mit §§ 127 ff. BauGB) und nicht in den des Straßenausbaubeitragsrechts (Art. 5 KAG).
Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts verlief die B. Straße ursprünglich durch den Außenbereich und hat erst nach dem Inkrafttreten des Bebauungsplans „B. Straße“ vom 28. Oktober 2004 und der Entwicklung des unbeplant gebliebenen (westlichen) Gebiets zum Innenbereich Erschließungsfunktion erlangt. In einem solchen Fall, in dem eine nach dem Willen der Gemeinde endgültig fertiggestellte und ihre Aufgabe in vollem Umfang erfüllende Außenbereichs Straße zu einer Anbau Straße wird (Funktionswandel), ist ihr Zustand unter dem Blickwinkel einer erschließungsbeitragsrechtlichen erstmaligen endgültigen Herstellung (§ 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB) erneut zu beurteilen (BayVGH, B.v. 4.5.2017 – 6 ZB 17.546 – juris Rn. 13; vgl. auch BVerwG, U.v. 10.10.1995 – 8 C 13.94 – BVerwGE 99, 308/312; U.v. 5.5.2015 – 9 C 14.14 – BVerwGE 152, 111 Rn. 28). Denn eine als Außenbereichs Straße endgültig fertiggestellte Verkehrsanlage kann als beitragsfähige Erschließungsanlage durchaus eine unfertige Anbau Straße sein. Bei dieser Beurteilung ist danach zu fragen, ob die Außenbereichs Straße im Zeitpunkt ihrer Umwandlung in eine Anbau Straße erstmalig endgültig hergestellt gewesen ist. Für diese erneute Beurteilung ist abzustellen auf die Anforderungen, von deren Erfüllung die endgültige Herstellung einer beitragsfähigen Anbau Straße in dem Zeitpunkt abhängig ist, in dem die betreffende Verkehrsanlage zur beitragsfähigen Anbau Straße wird. Diese Anforderungen ergeben sich regelmäßig nicht nur aus der Merkmalsregelung der einschlägigen Erschließungsbeitragssatzung und aus allgemeinen erschließungsrechtlichen Gesichtspunkten über die Eignung einer Verkehrsanlage, den anliegenden Grundstücken eine ausreichende wegemäßige Erschließung zu vermitteln, sondern mit Blick auf die Aufteilung der Fläche des Straßengrundstücks ausschlaggebend aus dem konkreten Bauprogramm (BVerwG, U.v. 10.10.1995 – 8 C 13.94 – BVerwGE 99, 308/312).
Gemessen an diesem Maßstab hat das Verwaltungsgericht mit überzeugenden Gründen ausgeführt, dass die B. Straße im Zeitpunkt des Funktionswandels (nach 2004) zwar als Außenbereichs Straße fertiggestellt, nicht aber als Anbau Straße erstmalig endgültig hergestellt war. Einer weiteren Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf es nicht.
Keinen Bedenken begegnet seine Annahme, es habe der im Bauprogramm vorgesehene Gehweg gefehlt. Der Einwand der Kläger, die Erschließungsbeitragssatzung schreibe in § 8 das Vorhandensein von Gehsteigen nicht als Merkmal der endgültigen Herstellung vor, kann nicht überzeugen. Welche flächenmäßigen Teileinrichtungen (Fahrbahn, Gehweg, Seitenstreifen usw.) in welchem Umfang die Gesamtfläche der jeweiligen Straße in Anspruch nehmen sollen, kann in der Erschließungsbeitragssatzung festgelegt werden, muss es aber nicht und wird es in der Regel auch nicht, weil die Flächenaufteilung von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Es genügt, dass die Gemeinde das in einem formlosen, auf die konkrete Einzelanlage bezogenen Bauprogramm bestimmt (vgl. BayVGH, U.v. 24.2.2017 – 6 BV 15.1000 – BayVBl 2017, 522 Rn. 31, 35 m.w.N.; BVerwG, U.v. 10.10.1995 – 8 C 13.94 – BVerwGE 99, 308/312 ff.). Die Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten enthält zwar ein technisches Ausbauprogramm für die Fahrbahn (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 EBS) und Bürgersteige (§ 8 Abs. 2 EWS) sowie das Teileinrichtungsprogramm für die nichtflächenmäßigen Teileinrichtungen Entwässerung und Beleuchtung (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 EWS). Nicht geregelt ist jedoch – wie meist – das konkrete Bauprogramm für die flächenmäßige Aufteilung der einzelnen Anbau Straße. Ein solches lässt sich auch nicht dem Bebauungsplan „B. Straße“ entnehmen, der zum einen nur eine Teilstrecke der Straße erfasst und zum anderen insoweit nur die Straßenfläche insgesamt festsetzt, aber keine Unterteilung nach konkreten Zwecken (Fahrbahn, Gehweg, Seitenstreifen usw.) vornimmt. Das Erfordernis eines Gehwegs konnte demnach wirksam in dem formlosen Bauprogramm für die B. Straße aufgestellt werden.
Für die Beurteilung der erstmaligen endgültigen Herstellung kam es entgegen der Sichtweise des Klägers bezüglich der nichtflächenmäßigen Teileinrichtungen Straßenentwässerung und Beleuchtung entscheidungserheblich darauf an, ob diese durchgehend angelegt und – für den Zweck der Erschließung – funktionsfähig waren (zum Maßstab BayVGH, B.v. 29.6.2016 – 6 ZB 15.2786 – juris Rn. 7). Denn das Vorhandensein beider Teileinrichtungen ist in § 8 Abs. 1 Nr. 2 EBS als Herstellungsmerkmal festgelegt. Nach den überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts hat die B. Straße nicht über eine funktionsfähige, der Ausdehnung der Erschließungsanlage und den örtlichen Verhältnissen angepasste Beleuchtung verfügt. Nach seinen unbestrittenen Feststellungen waren damals nur zwei Straßenleuchten angebracht, eine auf Höhe des Grundstücks FlNr. 409/5, die zweite bei dem Grundstück FlNr. 409/1. Es steht außer Frage, dass diese beiden Leuchten nicht ausreichten, um die ca. 270 m lange und leicht gekrümmte B. Straße in ihrer gesamten Länge ausreichend zu beleuchten. Ebenso überzeugend ist die Annahme dass die Straßenentwässerung ebenfalls – für Erschließungszwecke – nicht funktionsfähig war, weil die Zahl von Straßeneinläufen nicht ausgereicht habe und das Oberflächenwasser deshalb auf der südlichen Straßenseite in das freie Gelände abgeflossen sei. Dem hält der Zulassungsantrag nur eine abweichende Einschätzung entgegen, ohne damit ernstliche Zweifel aufzuzeigen.
Hinsichtlich des Unterbaus hebt der Zulassungsantrag zwar zutreffend hervor, dass die satzungsmäßige Herstellungsregelung in § 8 Abs. 1 Nr. 1 EBS („mit dem technisch notwendigen Unterbau“) bei gesetzeskonformer Auslegung nicht in dem Sinn zu verstehen ist, dass es um die Beachtung technischer Regelwerke ginge; entscheidend kann allenfalls sein, dass irgendein künstlich hergestellter Unterbau unterhalb der Oberflächenbefestigung vorhanden ist (BayVGH, B.v. 13.6.2016 – 6 ZB 14.2404 – juris Rn. 7 m.w.N.). Hiervon ist freilich auch das Verwaltungsgericht ausgegangen, hat aber zugleich folgerichtig ausgeführt, dass es darauf wegen Fehlens der erforderlichen flächenmäßigen Teileinrichtungen nicht entscheidungserheblich ankomme (Rn. 40 des Urteils). Dass Teile des alten Unterbaus nach dem Vorbringen des Klägers weiterverwendet wurden, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Auch wenn die B. Straße als Außenbereichs Straße ordnungsgemäß fertiggestellt war, bedeutet das, wie oben dargelegt, keineswegs, dass sie auch als Anbau Straße endgültig hergestellt ist.
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht bei Prüfung der erstmaligen endgültigen Herstellung dem Umstand keine Bedeutung zugemessen, dass die Beklagte in der Begründung des Bebauungsplans „B. Straße“ vom 22. Oktober 2004 unter Nummer 14 ausgeführt hat, „die B. Straße (könne) beitragsmäßig als ‚hergestellt‘ betrachtet werden“ (wobei allerdings zugleich von einem auf der Nordseite noch anzulegenden Fußgängerweg die Rede ist). Die erstmalige endgültige Herstellung beurteilt sich allein nach dem maßgeblichen Ortsrecht. Auf die subjektiven Vorstellungen und Erklärungen der Gemeinde oder der Beitragspflichtigen kommt es nicht an.
b) Die Begründung des Bebauungsplans kann entgegen der Sichtweise des Klägers auch kein schutzwürdiges Vertrauen der bevorteilten Grundstückseigentümer darauf entstehen lassen, nicht zu Erschließungsbeiträgen herangezogen zu werden.
Ein Beitragsverzicht oder Vorausverzicht auf künftige Erschließungsbeiträge setzt einen Rechtsbindungswillen der Gemeinde in Form eines Verzichtswillens voraus. Ein solcher liegt jedoch nicht vor, wenn die gemeindlichen Organe fälschlich davon ausgegangen sind, Erschließungsbeitragsforderungen könnten gar nicht entstehen, weil „die B. Straße beitragsmäßig als ‚hergestellt‘ betrachtet“ werden könne (vgl. BayVGH, B.v. 25.9.2014 – 6 ZB 14.888 – juris Rn. 12; B.v. 6.11.2012 – 6 ZB 12.187 – juris Rn. 8; U.v. 30.11.2006 – 6 B 03.2332 – juris Rn. 31). Die rechtsfehlerhafte Einschätzung in der Planbegründung kann auch kein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründen, entgegen der Rechtslage nicht zu Erschließungsbeiträgen, sondern „nur“ zu Straßenausbaubeiträgen herangezogen zu werden.
c) Keinen Zweifeln begegnet schließlich die Annahme des Verwaltungsgerichts, die endgültige Herstellung der B. Straße stehe noch aus, weil der als Herstellungsmerkmal in § 8 Abs. 4 EBS festgelegte Grunderwerb noch nicht vollständig abgeschlossen, ein vereinfachtes Umlegungsverfahren indes bereits eingeleitet sei.
Aus welchem Grund das Verwaltungsgericht an dem entsprechenden Vortrag der Beklagten hätte zweifeln müssen, zeigt der Zulassungsantrag nicht substantiiert auf. Soweit der Kläger den behaupteten Aufklärungsmangel als Verfahrensfehler rügen will, geht sein Einwand fehl. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat; der Beweisantrag ist förmlich spätestens in der mündlichen Verhandlung zu stellen (vgl. BayVGH, B.v. 3.6.2015 – 6 ZB 14.2773 – juris Rn. 14 m.w.N.). Das ist ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 23. Februar 2017 indes nicht geschehen. Eine weitere Sachaufklärung hat sich dem Verwaltungsgericht auch nicht aufdrängen müssen.
2. Der Berufungszulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.
Die mit dem Zulassungsantrag aufgeworfenen Fragen lassen sich aus den oben angeführten Gründen ohne weiteres aufgrund des Gesetzes und der Senatsrechtsprechung in dem vom Verwaltungsgericht entschiedenen Sinn beantworten und bedürfen nicht der weiteren Prüfung in einem Berufungsverfahren.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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