Verwaltungsrecht

Erschöpfung universitärer Ausbildungskapazität für das Fach Humanmedizin

Aktenzeichen  7 CE 18.10002

Datum:
21.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 25031
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
HZV § 54
VwGO § 146 Abs. 4 S. 6
ÄApprO § 2 Abs. 3

 

Leitsatz

Die in § 54 Abs. 1 Nr. 1 HZV normierte Ermittlung und auch die Feststellung der Anzahl der tagesbelegten Betten aufgrund der sog. Mitternachtszählung ist mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der erschöpfenden Kapazitätsauslastung vereinbar. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 7 E 17.20218, W 7 E 17.20221 2018-02-19 Ent VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen jeweils die Kosten ihres Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für die Beschwerdeverfahren wird auf jeweils 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zulassung zum ersten Fachsemester des Studiums der Humanmedizin (Klinischer Teil) an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Wintersemesters 2017/2018. Sie machen geltend, die Universität habe ihre tatsächliche Ausbildungskapazität nicht ausgeschöpft.
Das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg hat die Anträge mit Beschluss vom 19. Februar 2018 abgelehnt. Die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, dass an der JMU über die vergebenen Studienplätze hinaus im zweiten Studienabschnitt des Studiengangs Medizin noch weitere freie Studienplätze zu Verfügung stünden. Die JMU habe bei ihrer Kapazitätsberechnung zu Recht die gegenüber der personalbezogenen Kapazität niedrigere patientenbezogene Kapazität zugrunde gelegt und die hierfür maßgebliche Zahl der tagesbelegten Betten auf der Grundlage der Mitternachtszählung ermittelt.
Mit ihren Beschwerden verfolgen die Antragsteller ihr Rechtsschutzziel weiter. Sie tragen vor, die Universität habe die patientenbezogene Kapazität (§ 54 HZV) nicht zutreffend ermittelt. Der Ermittlung der Zulassungszahl werde weiterhin die Zahl der tagesbelegten Betten zugrunde gelegt. Angesichts der Abrechnung der ärztlichen Leistungen nach Fallpauschalen, die zu einer um nahezu 50% geringeren Verweildauer geführt habe, während die Zahl der Krankenhauseinweisungen um 30% gestiegen sei, sei der Parameter von 15,5% der Gesamtzahl der tagesbelegten Betten für die patientenbezogene Kapazität anzupassen. Die Ausbildungseignung der Patienten sei nicht nur bei deren stationärer Versorgung gegeben, sondern es könne auch in Tageskliniken Unterricht am Krankenbett erfolgen. Es sei deshalb ein angemessener Sicherheitszuschlag geboten. Zudem sei die Rechtsprechung zur sog. Mitternachtszählung auf ein Gutachten aus dem Jahr 1987 zurückzuführen und es müsse allein aufgrund Zeitablaufs und wegen der veränderten Verweildauer der Patienten eine Korrektur erfolgen. Zudem weisen die Antragsteller unter Berufung auf Pastor in NVwZ 2018, S. 119 darauf hin, dass im Klinischen Studienabschnitt eine weitgehend ungenutzte personelle Ausbildungskapazität zur Verfügung stehe und auch aus diesem Grund eine neue Berechnung der patientenbezogenen Aufnahmekapazität erforderlich sei.
Der Antragsgegner hat sich im Beschwerdeverfahren ausführlich geäußert und widersetzt sich der Beschwerde.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), begründet den geltend gemachten Anordnungsanspruch der Antragsteller nicht.
Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die JMU ihre Ausbildungskapazität im klinischen Teil des Studiengangs Humanmedizin (erstes klinisches Fachsemester) erschöpft hat. Die Antragsteller haben danach keinen Anspruch auf Zulassung, weil die Zahl der im Wintersemester 2017/2018 im ersten klinischen Fachsemester eingeschriebenen Studierenden die festgesetzte Zulassungszahl ausgeschöpft hat. Der Senat folgt den Gründen des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts (§ 122 Abs. 2 Satz 2 VwGO) und nimmt hierauf Bezug. Ergänzend ist zu bemerken:
Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Einwände der Antragsteller gegen die Berechnung der patientenbezogenen Aufnahmekapazität der Universität nach § 54 der Verordnung über die Hochschulzulassung an den staatlichen Hochschulen in Bayern (Hochschulzulassungsverordnung – HZV) vom 18. Juni 2007 (GVBl S. 401; BayRS 2210-8-2-1-1-K), zuletzt geändert durch Verordnung vom 27. April 2017 (GVBl S. 96), greifen im Ergebnis nicht durch.
Der Festsetzung der Zulassungszahl der im ersten klinischen Fachsemester aufzunehmenden Studienbewerber liegt nicht die aufgrund der personellen Ausstattung berechnete Aufnahmekapazität (§§ 43 ff. HZV) zugrunde, sondern – wegen des Fehlens einer ausreichenden Anzahl geeigneter Patienten für die Ausbildung im klinischen Teil des Studiengangs Medizin (§ 51 Abs. 2 Nr. 4 HZV) – das nach Maßgabe des § 54 Abs. 1 HZV anhand der patientenbezogenen Einflussfaktoren überprüfte und zu einer niedrigeren Aufnahmekapazität führende Berechnungsergebnis (§ 54 Abs. 2 HZV). Nach § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HZV sind als patientenbezogene jährliche Aufnahmekapazität 15,5 v.H. der Gesamtzahl der tagesbelegten Betten des Klinikums anzusetzen. Die danach ermittelte Zahl ist nach Maßgabe des § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 HZV im Hinblick auf poliklinische Neuzugänge zu erhöhen. Eine weitere Erhöhung der patientenbezogenen Aufnahmekapazität ist für den Fall vorgesehen, dass in außeruniversitären Krankenanstalten Lehrveranstaltungen für diesen Studienabschnitt vereinbarungsgemäß und auf Dauer durchgeführt werden (§ 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 HZV).
a) Soweit sich die Antragsteller gegen die Ermittlung der patientenbezogenen Aufnahmekapazität anhand der tagesbelegten Betten bzw. auch gegen den hierfür zugrunde gelegten Parameter von 15,5 v.H. mit der Begründung wenden, dies sei aufgrund der gesunkenen Verweildauer nicht mehr aktuell und auch in einer Tagesklinik könne Unterricht am Krankenbett erfolgen, treffen diese Einwände nicht zu. Abgesehen davon, dass die JMU im Rahmen der Berechnung der patientenbezogenen Aufnahmekapazität nicht nur die Anzahl der tagesbelegten Betten, sondern auch die poliklinischen Neuzugänge (ambulante Krankenversorgung im Sinne von § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Buchst. c HZV) berücksichtigt hat, hat der Senat hierzu bereits mehrfach entschieden, dass die in § 54 Abs. 1 Nr. 1 HZV normierte Ermittlung und auch die Feststellung der Anzahl der tagesbelegten Betten aufgrund der sog. Mitternachtszählung mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der erschöpfenden Kapazitätsauslastung vereinbar ist (vgl. z.B. B.v. 28.7.2014 – 7 CE 14.10038 u.a.; B.v. 3.9.2015 – 7 CE 15.10107; B.v. 29.6.2017 – 7 CE 17.10057; jeweils juris).
Der Senat hat in diesem Zusammenhang in seinen Beschlüssen vom 28. Juli 2014 – 7 CE 14.10038 u.a. – (juris Rn. 15 f.) und vom 29. Juni 2017 – 7 CE 17.10057 – (juris Rn. 16 ff.) ausgeführt:
„Der Umfang der Tätigkeit von Lehrpersonen in der Krankenversorgung und die bei der Ermittlung der Ausbildungskapazität im klinischen Studienabschnitt des Studiengangs Humanmedizin zu berücksichtigenden patientenbezogenen Einflussfaktoren sind ständigem Wandel unterworfen. Es ist Aufgabe des Verordnungsgebers, die Entwicklung der maßgeblichen Faktoren zu beobachten und die Normen gegebenenfalls anzupassen. Allerdings kommt ihm hierbei eine Einschätzungsprärogative zu. Die Zeitabstände für eine Ermittlung der maßgeblichen Umstände, die ohnehin nicht naturwissenschaftlich beweisbar sind, und für eine Überprüfung der Richtigkeit der ursprünglichen Annahmen lassen sich nicht abstrakt festlegen. Solange sich nicht aufdrängt, dass die Regelungen und die ihnen zugrundeliegenden Annahmen fehlerhaft oder überholt sind, ist es nicht Aufgabe des Gerichts im kapazitätsrechtlichen Eilverfahren, die einschlägigen Bestimmungen durch andere Vorgaben zu ersetzen. Hinsichtlich der Wahrnehmung von Aufgaben in der Krankenversorgung durch Lehrpersonen und der Zählweise bei der Ermittlung einer ausreichenden Anzahl geeigneter Patientinnen und Patienten für die Ausbildung im Studiengang Medizin sieht der Senat trotz des geänderten Abrechnungssystems im Gesundheitswesen und dessen mögliche Auswirkungen auf die Verweildauer der Patienten in den Kliniken keine Veranlassung, die entsprechenden Regelungen in der Hochschulzulassungsverordnung rechtsschöpfend im Wege der Notkompetenz zu korrigieren.
Der Unterausschuss ‚Kapazitätsverordnung‘ der (damaligen) ZVS hat sich zuletzt in seiner Sitzung vom 30./31. August 2007 nach Erhebung entsprechender Daten mit der Frage befasst, mit Hilfe welcher Berechnungsparameter nach der Neuordnung der Vergütung künftig die patientenbezogene Aufnahmekapazität im Studiengang Medizin ermittelt werden sollte (vgl. BayVGH, B.v. 12.6.2014 – 7 CE 14.10012 – juris Rn. 21). Aufgrund eines hierzu vorgelegten Berichts der Arbeitsgruppe ‚Medizin‘, wonach die Zahl der tagesbelegten Betten im Erhebungszeitraum nicht rückläufig war, wurde von einer zunächst angedachten Überarbeitung der einschlägigen Bestimmungen Abstand genommen. Selbst wenn aber entgegen dieser nunmehr sieben Jahre zurückliegenden Erhebung die Zahl und die Aufenthaltsdauer der stationären Patienten seither rückläufig wären und sich hierdurch die patientenbezogene Ausbildungskapazität im klinischen Studienabschnitt reduziert hätte, würde dies die Richtigkeit der entsprechenden Bestimmungen nicht zwingend in Frage stellen. Die Ausbildung der Studierenden im klinischen Teil des Studiums findet auch vor Beginn des Praktischen Jahres bereits in erheblichem Umfang am Krankenbett statt. So sollen die Studierenden nach dem Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung entsprechend dem Stand ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten im Rahmen praktischer Übungen am Patienten unterwiesen werden (§ 2 Abs. 3 Satz 5 der Approbationsordnung für Ärzte [ÄApprO] vom 27.6.2002 [BGBl S. 2405], zuletzt geändert durch Verordnung vom 2.8.2013 [BGBl S. 3005]). Ihnen ist ausreichend Gelegenheit zu geben, unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes am Patienten tätig zu werden, soweit dies zum Erwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten erforderlich ist (§ 2 Abs. 3 Satz 7 ÄApprO). Dabei sind unzumutbare Belastungen des Patienten durch den Unterricht zu vermeiden (§ 2 Abs. 3 Satz 8 ÄApprO). Beim Unterricht am Krankenbett darf jeweils nur eine kleine Gruppe von Studierenden gleichzeitig unmittelbar am Patienten unterwiesen werden, und zwar beim Unterricht in Form der Patientendemonstration eine Gruppe von höchstens sechs und bei der Untersuchung eines Patienten durch Studierende eine Gruppe von höchstens drei (§ 2 Abs. 3 Satz 9 ÄApprO). Es liegt auf der Hand, dass die Einhaltung dieser Vorgaben eine ausreichende Zahl von für die Lehre geeigneten Patientinnen und Patienten (Art. 4 Abs. 1 Satz 7 BayHZG) erfordert und dass sich hierbei insbesondere eine längere Verweildauer der Patienten in der Klinik günstig auswirkt. Deshalb ist es nicht zu beanstanden, wenn der Verordnungsgeber an den bisherigen Festlegungen für die Berücksichtigung der stationär in tagesbelegten Betten aufgenommenen Patienten und der lediglich ambulant behandelten und damit für die Ausbildung weniger geeigneten Patienten festhält (vgl. auch OVG Berlin-Bbg, B.v. 18.3.2014 – OVG 5 NC 13.13 – juris Rn. 11 ff.; NdsOVG, B.v. 22.8.2013 – 2 NB 394.12 – juris Rn. 18).“
Aus Sicht des Senats sind gegenwärtig weiterhin keine substantiierten Gründe erkennbar, die geeignet wären, die sachgerechte Regelung des Normgebers bei der Berechnung der patientenbezogenen Aufnahmekapazität nach § 54 HZV in Zweifel zu ziehen. Für den von den Antragstellern geforderten „Sicherheitszuschlag“ – in welcher Höhe wird schon nicht substantiiert dargelegt – sieht die Hochschulzulassungsverordnung keine Rechtsgrundlage vor.
b) Nicht zielführend ist die Argumentation der Antragsteller, im Klinischen Ausbildungsabschnitt stehe eine weitgehend ungenutzte personelle Ausbildungskapazität zur Verfügung und auch aus diesem Grund sei eine neue Berechnung der patientenbezogenen Aufnahmekapazität erforderlich. Maßgeblicher Ausgangspunkt für die in Bezug genommenen Überlegungen von Pastor in NVwZ 2018, S. 119 ist, dass zum Teil die Kapazitätsverordnungen der Länder (vgl. z.B. § 13 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst über die Kapazitätsermittlung, die Curricularnormwerte und die Festsetzung von Zulassungszahlen [Kapazitätsverordnung – KapVO] vom 29. März 1994) nur einen Curricularnormwert (CNW) für den gesamten Studiengang Medizin festsetzen und keine gesonderte Festsetzung des (Teil-)CNW für den vorklinischen und den klinischen Teil des Studiengangs Medizin vorgenommen wird. Dies habe zur Folge, dass der Kapazitätsberechnung auch für die Vorklinik grundsätzlich keine Aussage mehr über die erschöpfende Nutzung der Ausbildungskapazität entnommen werden könne. Die hier einschlägige Bayerische Hochschulzulassungsverordnung sieht jedoch in Anlage 7 zu § 50 gesonderte (Teil-)CNW für die Vorklinik (2,42) und die Klinik (5,78) vor. Eine Überprüfung der Kapazitätsausschöpfung insbesondere für die Vorklinik ist anhand des gesondert festgesetzten CNW ohne weiteres möglich. Abgesehen davon ist eine Relevanz für das Begehren der Antragsteller, die sich für den klinischen Teil des Medizinstudiums bewerben, weder dargelegt noch ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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