Verwaltungsrecht

Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, Humanitäre Aufenthaltserlaubnis, Anwaltsbeiordnung, Ausreisehindernis, Verwaltungsgerichte, Bewilligung von Prozesskostenhilfe, Familiennachzug, Erteilungsvoraussetzungen, Ausübung der elterlichen Sorge, Titelerteilungssperre, Persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse, Personensorge, Aufenthaltsrecht, Nachholung des Visumverfahrens, Unmöglichkeit der Ausreise, Rechtsmittelbelehrung, Aufenthaltstitel, Flüchtlingseigenschaft, Hinreichende Aussicht auf Erfolg, Staatsangehörigkeit

Aktenzeichen  Au 1 K 20.1968

Datum:
2.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 41295
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166 i.V.m. § 114 ff. ZPO
AufenthG § 10 Abs. 3
AufenthG § 36 Abs. 2
AufenthG § 25 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der am … geborene Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der elterlichen Sorge für seine in Deutschland lebenden Kinder.
Der Kläger reiste im Dezember 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 20. Juni 2016 einen förmlichen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 18. Oktober 2017 in vollem Umfang ablehnte. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 4. Mai 2020 ab (Au 9 K 17.35094). Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 25. Juni 2020 ab (10 ZB 20.31288). Nach dem Ende des Asylverfahrens erhielt der Kläger am 14. August 2020 eine Grenzübertrittbescheinigung, in welcher zur Erfüllung der Ausreisepflicht eine Frist bis zum 31. Oktober 2020 festgelegt wurde.
Der Kläger ist Vater dreier in den Jahren 2016, 2018 und 2019 in Deutschland geborener Kinder. Die Kinder haben die nigerianische Staatsangehörigkeit. Der Mutter und dem ersten Kind erkannte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft zu. Sie sind seit dem 26. Mai 2017 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Alt. 1 AufenthG, die zuletzt bis zum 26. April 2023 verlängert wurde. Die beiden jüngeren Kinder erhielten jeweils bis zu diesem Zeitpunkt gültige Aufenthaltserlaubnisse nach § 33 AufenthG. Der Kläger hat die Vaterschaft für die Kinder anerkannt und Sorgeerklärungen abgegeben.
Mit einem am 19. Oktober 2018 bei der Beklagten eingegangenen Formblattantrag beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 5. Dezember 2018 ließ er unter Hinweis auf seine in Deutschland lebende Familie erneut einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stellen. Im weiteren Verlauf des Verfahrens legte er einen am 5. Februar 2018 ausgestellten und bis zum 4. Februar 2023 gültigen nigerianischen Nationalpass vor.
Mit Bescheid vom 14. September 2020 lehnte der Beklagte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 19. Oktober 2018 ab. Für abgelehnte Asylbewerber bestehe eine Titelerteilungssperre, welche nur dann nicht greife, wenn ein strikter Rechtsanspruch auf die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis bestehe. Im vorliegenden Fall richte sich der Familiennachzug nach der Ermessensvorschrift des § 36 Abs. 2 AufenthG, so dass ein strikter Rechtsanspruch nicht vorliege. Zudem sei die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum nicht erfüllt. Dem Kläger sei es zumutbar, das Visumverfahren nachzuholen. Die trotz der Titelerteilungssperre mögliche Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG scheitere bereits daran, dass die Ausreise des Klägers nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich sei. Ein Ausreisehindernis liege nicht vor. Er sei im Besitz eines Passes und eine vorübergehende Trennung von seinen Kindern sei ihm zumutbar.
Gegen den Bescheid ließ der Kläger am 13. Oktober 2020 Klage erheben. Eine Begründung erfolgte bisher nicht.
Er beantragt,
Unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 14. September 2020 wird dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis erteilt.
Für dieses Verfahren beantragt er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung.
Der Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2020:
Die Klage wird abgewiesen.
Zur Begründung verweist er auf den angefochtenen Bescheid.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der von der Beklagten vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung konnte nicht entsprochen werden.
Gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
1. Anspruchsgrundlage für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der elterlichen Sorge für die in Deutschland lebenden Kinder ist § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Hiernach kann sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers zum Familiennachzug eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind. Denn jedenfalls steht einer Anwendung dieser Norm die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. Hiernach darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Dazu zählt die Vorschrift des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht. Nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG findet diese Sperre nur dann keine Anwendung, wenn ein strikter Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht. Ein solcher ist nur dann gegeben, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels vorliegen, weil nur dann der Gesetzgeber selbst eine Entscheidung über das zu erteilende Aufenthaltsrecht getroffen hat (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 27). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Zum einen setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens voraus. Zum anderen ist der Kläger ohne das erforderliche Visum eingereist und auf diese allgemeine Erteilungsvoraussetzung kann ebenfalls nur im Rahmen einer Ermessensentscheidung verzichtet werden (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AufenthG).
2. Ebenso liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer humanitären Aufent haltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht vor. Hiernach kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.
a) Es ist schon fraglich, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt sind (vgl. BayVGH, B.v. 3.9.2019 – 10 C 19.1700 – juris Rn. 4; U.v. 30.10.2018 – 10 ZB 18.1780 – juris Rn. 7). Jedenfalls aber ist die Ausreise des Klägers nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich. Es liegt ein gültiger Nationalpass vor, so dass der Kläger nach Nigeria reisen kann. Auch die Ausübung der elterlichen Sorge für seine sich berechtigterweise in Deutschland aufhaltenden Kinder führt nicht zu einer rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise. Art. 6 GG gewährt keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris). Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen unter Betrachtung des Einzelfalles und Gewichtung der familiären Bindungen einerseits und der sonstigen Umstände des Einzelfalles andererseits berücksichtigen (BayVGH, B.v. 2.3.2016 – 10 CS 16.408 – juris Rn. 5 m.w.N.).
b) Der Gesetzgeber sieht für den dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet zur Aus übung der Personensorge die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nach dem 6. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes vor. Die Feststellung allein, der Kläger habe (möglicherweise) einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf einen Daueraufenthalt zur Ausübung der Personensorge für seine Kinder, führt dabei noch nicht zu einer rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise. Soweit die Nachholung des Visumverfahrens im Ausland erforderlich ist, ist dessen Durchführung nicht von vorneherein unzumutbar, auch wenn es mit einer vorübergehenden Trennung der Familie verbunden ist (BVerfG, B.v. 15.3.2018 – 2 BvQ 24/18 – juris Rn. 6).
Die Erteilung der im Fall des Klägers in Betracht kommenden Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG setzt gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG die Durchführung eines Visumverfahrens im Heimatland voraus. Dies ist dem Kläger nach gegenwärtigem Stand möglich. Die Ausländerbehörde hat ihm bei einem persönlichen Gespräch am 14. August 2020 auf die Notwendigkeit der Ausreise und Einholung des erforderlichen Visums hingewiesen. Sie hat zugesagt, die Frist zur freiwilligen Ausreise bis zu einem Botschaftstermin zu verlängern, soweit entsprechende ernsthafte Bemühungen nachgewiesen werden. Der Kläger hat sich allerdings zu keinerlei Kooperation bereit erklärt. Derzeit kann mangels Vorliegens solcher Bemühungen keine konkrete Vorstellung davon entwickelt werden, von welchem Trennungszeitraum bei der ordnungsgemäßen Durchführung des Visumverfahrens auszugehen sein wird. Erst bei Vorliegen einer konkreten zeitlichen Perspektive kann eine Prüfung der Zumutbarkeit unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Dauer der Trennung von den drei Kindern und der dann gegebenen familiären Lebensverhältnisse erfolgen. Vor diesem Hintergrund kann zumindest derzeit nicht von einer Unmöglichkeit der Ausreise aus rechtlichen Gründen ausgegangen werden, so dass voraussichtlich kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG besteht.


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