Verwaltungsrecht

Erteilung einer polnischen Fahrerlaubnis, Eilantrag gegen für sofort vollziehbar erklärte Feststellung der fehlenden Inlandsberechtigung, Interessenabwägung aufgrund offener Erfolgsaussichten

Aktenzeichen  M 19 K 21.653, M 19 S 21.654

Datum:
20.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 20879
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 7
FeV § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, S. 2
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten im Verfahren M 19 S 21.654.
III. Der Streitwert im Verfahren M 19 S 21.654 wird auf 2.500 € festgesetzt.
IV. Die Verfahren M 19 K 21.653 und M 19 S 21.654 werden hinsichtlich der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
V. Die Anträge auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Verfahren M 19 K 21.653 und M 19 S 21.654 werden abgelehnt.

Gründe

I.
Der Kläger und Antragsteller (im Folgenden nur: Antragsteller) wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Feststellung der Inlandsungültigkeit seiner in Polen erworbenen EU-Fahrerlaubnis der Klasse B. Außerdem begehrt er die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Antrags- und Klageverfahren.
Dem Antragsteller wurde seine Fahrerlaubnis bereits mit Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 16. März 2004 aufgrund von Trunkenheit im Verkehr (damalige Blutalkoholkonzentration: 2,13 Promille) entzogen. Mehrere Anträge auf Neuerteilung in den Jahren 2008 bis 2011 wurden, nachdem die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller jeweils zur Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens wegen potentieller Führung eines Kfz unter Alkoholeinfluss aufgefordert hatte, von diesem zurückgenommen. Nachdem er im Jahre 2015 mit einem gefälschten britischen Führerschein am Straßenverkehr teilgenommen hatte, wurde er hierfür mit Strafbefehl vom 23. November 2016 zu einer Geldstrafe von 65 Tagessätzen verurteilt.
Am 30. März 2017 meldete er sich aufgrund eines Umzugs nach Polen an seiner bisherigen Wohnadresse in Ingolstadt ab. Am 10. April 2017 erwarb er eine polnische Fahrerlaubnis. Am 12. April 2017 meldete er sich wieder an seiner bisherigen Wohnadresse in Ingolstadt an.
Nachdem die Beklagte und Antragsgegnerin (im Folgenden nur: Antragsgegnerin) hiervon aufgrund einer Polizeikontrolle vom 11. Oktober 2019, in der der Antragsteller seine polnische Fahrerlaubnis vorgelegt hatte, Kenntnis erlangt hatte, forderte sie über das Kraftfahrt-Bundesamt bezüglich dieser Fahrerlaubnis Informationen der polnischen Behörden an.
Mit Schreiben vom 16. März 2020 teilten die polnischen Behörden mit, dass dem Antragsteller am 10. März 2017 ein Führerschein neu ausgestellt worden sei. Hinsichtlich seines gewöhnlichen Aufenthaltsorts wurden dabei im verwendeten Formular die Felder „Vorhandensein einer Unterkunft“ (Existence of accomodation) und „Ort, an dem eine Person normalerweise mindestens 185 Tage pro Kalenderjahr lebt“ (place where person usually lives for at least 185 days each calendar year) mit „yes“ angekreuzt, hinsichtlich der übrigen Fragen zu Geschäftsbeziehungen vor Ort, Liegenschaften vor Ort und Inanspruchnahme sonstiger administrativer und sozialer Leistungen oder Erfüllung derartiger Pflichten, jeweils mit „unknown“ angegeben.
Angehört zu einer beabsichtigten Feststellung der fehlenden Fahrberechtigung aufgrund seiner polnischen Fahrerlaubnis und der Aufforderung, durch Vorlage entsprechender Unterlagen zu belegen, dass sich der Lebensmittelpunkt zum Zeitpunkt des Erwerbs der Fahrerlaubnis tatsächlich in Polen befunden habe, teilte der Bevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2020 der Antragsgegnerin mit, dass die Fahrerlaubnis seine Fahrtauglichkeit beweise und die Auskunft der polnischen Behörden nicht geeignet sei, diesen Beweis zu erschüttern. Zu den Gründen seines damaligen Wohnortwechsels wurde nichts weiter vorgetragen.
Mit Bescheid vom 18. Januar 2021 stellte die Behörde fest, dass der Antragsteller nicht berechtigt ist, von seiner polnischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen (Nr. 1), verpflichtete ihn, seinen polnischen Führerschein unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach Zustellung dieser Entscheidung, zur Eintragung, dass er in Deutschland keine fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeuge führen darf, vorzulegen (Nr. 2), ordnete die sofortige Vollziehung dieser beiden Entscheidungen an (Nr. 3) und drohte dem Antragsteller für den Fall der nicht fristgerechten Vorlage ein Zwangsgeld in Höhe von 500 EUR an (Nr. 4).
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller aus seiner polnischen Fahrerlaubnis keine Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland herleiten könne, weil er im Zeitpunkt der Ausstellung seinen ordentlichen Wohnsitz in Deutschland gehabt habe. Aus den Ausführungen der polnischen Behörden ergebe sich zwar, dass er an 185 Tagen im Kalenderjahr in Polen gelebt und dort auch eine Unterkunft gehabt habe, aufgrund der sonst nicht bejahten weiteren Angaben seien diese Informationen aber schon in sich nicht nachvollziehbar. Aufgrund dessen seien zur endgültigen Beurteilung der Frage, ob die Wohnsitzvoraussetzung erfüllt gewesen sei, alle, also auch alle inländischen Umstände des Falles heranzuziehen. Aus der lediglich 14-tägigen Abmeldung und Anmeldung unter der gleichen Adresse ergebe sich, dass der Wohnsitz in Deutschland nie wirklich aufgegeben worden sei. Bestünden Wohnungen in verschiedenen EU-Staaten, sei zu klären, welche Wohnung die maßgebliche Wohnung sei. Da sich der Antragsteller hierzu nicht eingelassen habe, sei unter Berücksichtigung aller Umstände davon auszugehen, dass der Lebensmittelpunkt zum Zeitpunkt der Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis in Deutschland gelegen habe. Die sofortige Vollziehung des Bescheids liege im Interesse der effektiven Gefahrenabwehr im Straßenverkehr, gegenüber der das Interesse des Antragstellers zurückstehen müsse.
Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers mittels Postzustellungsurkunde am 20. Januar 2021 zugestellt. Am 27. Januar 2021 wurde der Vermerk über die fehlende Fahrberechtigung im polnischen Führerschein des Antragstellers eingetragen.
Am 5. Februar 2021 erhob der Antragsteller über seinen Bevollmächtigten gegen diesen Bescheid Klage vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte, den Bescheid vom 18. Januar 2021 aufzuheben und festzustellen, dass der Antragsteller berechtigt ist, aufgrund seiner am 10. April 2017 ausgestellten polnischen Fahrerlaubnis im Umfang der sich aus dieser ergebenden Berechtigung Kraftfahrzeuge in der Bundesrepublik Deutschland zu führen.
Weiterhin beantragte er,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 18. Januar 2021 anzuordnen.
Zugleich wurde beantragt,
dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten zu bewilligen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller seine Fahrerlaubnis in Polen ordnungsgemäß erworben habe. Ob die im Rahmen des Erwerbs unionsrechtlich geforderten Mindestanforderungen erfüllt seien, sei alleinige Prüfpflicht des Ausstellungsmitgliedstaats. Aus der Mitteilung der polnischen Behörden, die die Wohnsitznahme für mindestens 185 Tage im Jahr bestätige, ergäben sich keine Hinweise auf einen Verstoß gegen diese Mindestanforderungen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei überdies formularmäßig und allgemein und genüge nicht der gesetzlichen Begründungspflicht. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers werde nachgereicht.
Die Antragsgegnerin beantragte am 23. Februar 2021, die Klage abzuweisen und den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führte sie aus, dass der Bescheid rechtmäßig sei. Hinsichtlich der vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen sei es ausreichend, wenn diesen Indizcharakter für die Nichterfüllung des Wohnsitzerfordernisses zukomme oder diese eine Missachtung des unionsrechtlichen Wohnsitzerfordernisses als möglich erscheinen ließen. Im gegenständlichen Fall gebe es zwar die Mitteilung der polnischen Behörden, dass der Antragsteller in Polen 185 Tage gelebt und dort eine Unterkunft gehabt habe. Woher diese Informationen stammten, sei aber nicht nachvollziehbar, da die polnischen Behörden im gleichen Schreiben ausführten, dass der Antragsteller weder Familienangehörige in Polen habe, noch dort arbeite oder Steuern oder Abgaben zahle. Daher seien zur endgültigen Regelung der Frage alle Umstände des gesamten Falles heranzuziehen. Unter Miteinbeziehung der einwohnerrechtlichen Meldung und der Tatsache, dass der Antragsteller trotz entsprechender Aufforderung keine Unterlagen vorgelegt habe, aus denen sich ergebe, dass sich sein Lebensmittelpunkt tatsächlich im Polen befunden habe, könne davon ausgegangen werden, dass dieser im Zeitpunkt der Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis in Deutschland gewohnt habe. Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit genüge den Anforderungen des Gesetzes. Insbesondere könne sich eine Behörde bei typischen Interessenlagen darauf beschränken, diese aufzuzeigen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakten in beiden Verfahren Bezug genommen. II.
A.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bleibt ohne Erfolg.
Nach Auslegung des gestellten Antrags gemäß den §§ 122 Abs. 1, 88 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist davon auszugehen, dass der Antragsteller hinsichtlich der in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids geregelten Feststellung, dass er nicht berechtigt ist, von seiner polnischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, die Wiederherstellung der aufgrund des in Nr. 3 des Bescheids angeordneten Sofortvollzugs nicht bestehenden aufschiebenden Wirkung seiner Klage begehrt. Die Verpflichtung zur Vorlage des Führerscheins zwecks Eintragung eines Sperrvermerks (Nr. 2) soll die Erfüllung dieser Verpflichtung sicherstellen. Trotz zwischenzeitlicher Eintragung stellt diese weiterhin den Rechtsgrund dar, die Eintragung der fehlenden Fahrberechtigung weiter zu dulden (vgl. für den Fall der Abgabe des Führerscheins: BayVGH, B.v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris), so dass unter Berücksichtigung des erkennbaren Begehrens des Antragstellers, bis zur Entscheidung in der Hauptsache von der polnischen Fahrerlaubnis auch in Deutschland Gebrauch zu machen, auch insoweit die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragt wird.
Der so verstandene Antrag ist zulässig.
Insbesondere fehlt ihm nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Zwar ergibt sich – soweit die Voraussetzungen vorliegen – die Inlandsungültigkeit einer ausländischen Fahrerlaubnis direkt aus dem Gesetz, so dass es grundsätzlich keines diese Rechtsfolge herbeiführenden Verwaltungsakts bedürfte. Wird jedoch ein solcher erlassen, stellt er einen eigenständigen Rechtsgrund dar, aus dem sich im Fall seiner Bestandskraft weitgehend unabhängig von der Rechtslage selbstständig die Inlandsungültigkeit einer solchen ausländischen Fahrerlaubnis ergibt. Vor diesem Hintergrund besteht ein Rechtsschutzbedürfnis eines Betroffenen, einem solchen die Inlandsungültigkeit feststellenden Verwaltungsakt zu begegnen.
Der Antrag ist aber unbegründet.
1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung (Nr. 3) im Bescheid vom 18. Januar 2021 genügt dabei den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dabei hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Schmidt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 43).
Dem genügt die Begründung im streitgegenständlichen Bescheid. Die Fahrerlaubnisbehörde stellt auch unter Bezugnahme auf den individuellen Fall des Antragstellers ausführlich dar, warum es im Interesse der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs geboten ist, den Sperrvermerk auch schon vor Abschluss eines Rechtsbehelfsverfahrens anzubringen.
Im Übrigen ergibt sich im Bereich des Sicherheitsrechts das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung bereits aus den Gesichtspunkten, die für den Erlass des Verwaltungsakts maßgebend waren (BayVGH, B.v. 27.2.2019 – 10 CS 19.180 – juris Rn. 10 ff.).
2. Bei der Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat das Gericht eine eigenständige Interessenabwägung vorzunehmen. Abzuwägen ist das Interesse des Antragstellers, zumindest vorläufig von seiner Fahrerlaubnis weiter Gebrauch machen zu können, gegen das Interesse der Allgemeinheit daran, dass dies unverzüglich unterbunden wird. Bei der Prüfung ist in erster Linie von den Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache, hier der Klage vom 5. Februar 2021, auszugehen. Lässt sich bei summarischer Prüfung eindeutig feststellen, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsakts bestehen. Andererseits ist für eine Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers im Regelfall kein Raum, wenn keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen.
2.1. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist dabei aus Sicht des Gerichts derzeit noch nicht absehbar. Ob die Wohnsitzvoraussetzung bei Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis tatsächlich eingehalten wurde, lässt sich im Rahmen der summarischen Prüfung des bislang vorliegenden Sach- und Streitstands nicht vollständig aufklären. Davon aber hängt die Berechtigung des Antragstellers zum Führen von fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugen aufgrund seiner polnischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland ab.
2.1.1. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) dürfen Inhaber einer gültigen EU-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, grundsätzlich von dieser Berechtigung auch im Inland Gebrauch machen. Eingeschränkt wird dies durch die Regelung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV, nach dem diese Berechtigung nicht für Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis gilt, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten. In diesem Fall darf die Fahrerlaubnisbehörde die fehlende Berechtigung gemäß § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV durch Verwaltungsakt feststellen und gemäß § 47 Abs. 2 FeV auf dem Führerschein vermerken.
Ein ordentlicher Wohnsitz wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV (der den inhaltsgleichen Art. 12 der EU-Führerscheinrichtlinie 2006/126/EG in nationales Recht umsetzt) an dem Ort angenommen, wo sich der Betroffene wegen persönlicher und beruflicher Bindungen (oder rein persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen) an mindestens 185 Tagen im Jahr aufhält.
Die Prüfung, ob die Voraussetzungen hinsichtlich des ordentlichen Wohnsitzes erfüllt sind, ist dabei Pflicht des Ausstellermitgliedstaats. Andere Mitgliedstaaten sind nicht befugt, diesbezüglich Nachprüfungen vorzunehmen. Allein durch den Eintrag eines ausländischen Wohnorts im Führerschein wird das tatsächliche Innehaben eines Wohnsitzes an diesem Ort allerdings nicht positiv bewiesen. Vielmehr sind im Falle von berechtigten Zweifeln die Behörden berechtigt und verpflichtet, den Ausstellungsstaat entsprechend um Auskunft zu ersuchen (st. Rspr. EuGH, vgl. etwa U.v. 28.2.2019, Meyn – C-9/18; U.v. 26.4.2012, Hofmann – C-419/10; BVerwG, B.v. 24.10.2019 – 3 B 26/19 – juris Rn. 21 ff.). Dem gegenüber steht dann die Verpflichtung dieses Staats, auch tatsächlich einschlägige Informationen zur Verfügung zu stellen (vgl. m.w.N. BayVGH, B.v. 23.11.2020 – 11 CS 20.2065 – juris Rn. 15). Dies wird in der Praxis über ein Auskunftsersuchen des Kraftfahrt-Bundesamts unter Verwendung einheitlicher Formulare bewerkstelligt. Geben die vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden Informationen (Führerschein, Formularauskunft, sonstige behördliche Auskünfte) Hinweise auf einen Verstoß gegen die Voraussetzung des ordentlichen Wohnsitzes im maßgeblichen Zeitpunkt, kann die nationale Behörde alle Umstände des bei ihr anhängigen Verfahrens berücksichtigen. Miteinbezogen werden können dann insbesondere auch die Einlassungen des Führerscheininhabers sowie Erkenntnisse von Polizei- und Meldebehörden (vgl. ausführlich BayVGH, B.v. 3.5.2012 – 11 CS 11.2795 – juris Rn. 29 ff.). Steht danach fest, dass die unionsrechtlich vorgesehene Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes zum Zeitpunkt der Führerscheinausstellung nicht beachtet wurde, kann die Anerkennung einer ausländischen Fahrerlaubnis im eigenen Hoheitsgebiet versagt werden (vgl. EuGH, U.v. 26.6.2008, Wiedemann und Funk – C 329/06; U.v. 26.6.2008, Zerche u.a. – C-419/10, beide juris).
2.1.2. Das Vorhandensein unbestreitbarer Informationen aus dem Ausstellerstaat, die belegen, dass das Wohnsitzerfordernis bei Erteilung des polnischen Führerscheins nicht eingehalten wurde, lässt sich derzeit nicht zweifelsfrei feststellen. Insbesondere lässt sich aus der Beantwortung einzelner Fragen zu den näheren persönlichen Umständen des Führerscheininhabers im Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung durch die Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats mit „unknown“ nicht zwangsläufig auf einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis schließen (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2017 – 11 CE 17.718 – juris Rn. 18; vgl. dazu auch BVerwG, U.v. 24.10.2019 – 3 B 26.19 – juris Rn. 26).
Aus der vorhandenen Auskunft ergibt sich aus Sicht des Gerichts jedoch ein erster Hinweis darauf, dass das Wohnsitzerfordernis nicht eingehalten wurde. Das Auskunftsformular bejaht zwar das Vorhandensein einer Unterkunft, in der der Antragsteller auch mehr als 185 Tage im Jahr gelebt haben soll. Alle anderen Fragen, die ebenfalls dazu dienen sollen, Scheinwohnsitze zu identifizieren, wurden jedoch ausdrücklich mit „unknown“ beantwortet. Vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Verpflichtung des Ausstellerstaats, dem ersuchenden Staat einschlägige Informationen zur Verfügung zu stellen, lässt sich diese Antwort dahingehend interpretieren, dass die polnischen Behörden selbst Zweifel haben, ob der vom Antragsteller angegebene Wohnsitz von diesem tatsächlich begründet oder nur zum Schein gewählt wurde. Denn ohne besonderen Anhalt kann nicht unterstellt werden, dass die Behörde eines EUMitgliedstaats die Fragen in einem auf europäischer Ebene abgestimmten Formular ohne Ermittlungen mit „unknown“ beantwortet und damit der Sache nach zu diesen keine Auskünfte erteilt (BayVGH, B.v. 5.2.2021 – 11 CS 20.2160 – juris Rn. 24; B.v. 23.11.2020 – 11 CS 20.2065 – juris Rn. 19; U.v. 10.7.2020 – 11 ZB 20.88 – juris Rn. 22; B.v. 7.7.2020 – 11 ZB 19.2112 – juris Rn. 18; B.v. 4.3.2019 – 11 B 18.34 – juris Rn. 24).
Ob dieser Hinweis für sich allein bereits die Annahme einer unbestreitbaren Information aus dem Ausstellerstaat begründen kann, kann dabei offenbleiben. Denn selbst wenn man zugunsten des Antragstellers davon ausgeht, dass das Vorliegen der Voraussetzungen mit dieser Auskunft noch nicht völlig geklärt ist, bietet der Sachverhalt jedenfalls Anlass zu weiterer Klärung im Hauptsacheverfahren (vgl. BayVGH, B.v. 20.10.2014 – 11 CS 14.1688 – juris Rn. 17). Die Parteien sind berufen, die bestehenden Lücken bis dahin zu schließen. Insbesondere wird der Antragsgegnerin anheimgestellt, die aus ihrer Sicht nicht nachvollziehbare Auskunft der polnischen Behörden durch eine weitere Anfrage über das Kraftfahrt-Bundesamt zu präzisieren, um die bestehenden Lücken zu schließen. Dem Antragsteller wird anheimgegeben, das Vorhandensein eines echten Wohnsitzes im damaligen Zeitraum durch entsprechende Unterlagen zu belegen.
Soweit jedenfalls danach unbestreitbare Informationen des Ausstellermitgliedstaats vorliegen, aus denen sich die Möglichkeit ergibt oder die darauf hinweisen, dass die Wohnsitzvoraussetzung nicht gegeben war, sind zur endgültige Beurteilung der Frage der Einhaltung der Wohnsitzvoraussetzung die Umstände des gesamten Falles heranzuziehen, also auch die inländischen Umstände. Der Umstand, dass ein Betroffener erst kurz vor der Ausstellung des Führerscheins unter einer ausländischen Adresse Wohnung genommen hat, ist dabei ein sehr gewichtiges Indiz dafür, dass er sich nur zum Zweck des Erwerbs einer Fahrerlaubnis dort angemeldet hat (BayVGH, B.v. 22.5.2017 – 11 CE 17.718 – juris Rn. 16).
2.2. Lassen sich die Erfolgsaussichten ohne weitere Sachaufklärung auch nicht vorläufig beurteilen und ist der Verfahrensausgang deshalb offen, ist eine reine Interessenabwägung erforderlich (Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 90 ff.).
2.2.1. Dabei sind die Folgen, die eintreten, wenn die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt wird, sich die angefochtene Verfügung aber als rechtmäßig erweist, gegen die Folgen abzuwägen, die sich ergeben, wenn es bei einer sofortigen Vollziehung der Feststellung der fehlenden Fahrberechtigung verbleibt und sich später herausstellt, dass diese Verfügung rechtswidrig ist. Auf die betroffenen Grundrechte ist in besonderer Weise Rücksicht zu nehmen.
2.2.2. Diese abschließende Interessenabwägung fällt vorliegend zu Lasten des Antragstellers aus. Zwar ist zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass mit der sofortigen Durchsetzung der Feststellung mitsamt Aufbringung eines Sperrvermerks ein ganz erheblicher und letztlich nicht wiedergutzumachender Verlust für seine persönliche Mobilität für ihn verbunden ist und damit eine durch das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützte Rechtsposition tangiert wird. Dem persönlichen Interesse des Antragstellers stehen jedoch die Rechtsgüter gegenüber, zu deren Schutz die Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgt. Hierbei handelt es sich insbesondere um Leib und Leben der übrigen Verkehrsteilnehmer, die Verkehrssicherheit an sich sowie bedeutende Sachwerte der Allgemeinheit. Für diese Rechtsgüter würde ein erhebliches Gefährdungspotential geschaffen, wenn der Antragsteller trotz fehlender Fahreignung weiter mit einem Kraftfahrzeug am Straßenverkehr teilnehmen könnte. Bei einer Abwägung der widerstreitenden Interessen wiegt der möglicherweise eintretende, gegebenenfalls nicht mehr wiedergutzumachende Schaden für die zuvor genannten hoch- und höchstwertigen Rechtsgüter einer potenziellen Vielzahl anderer Verkehrsteilnehmer zu schwer, als dass es verantwortet werden könnte, dem Antragsteller bis zu einer endgültigen Klärung seiner Fahreignung vorerst die weitere Verkehrsteilnahme zu erlauben. Die mit der sofort vollziehbaren Entziehung seiner Fahrerlaubnis für den Antragsteller verbundenen Nachteile treten typischerweise auf und müssen von ihm daher im Hinblick auf den hohen Rang der durch die Verkehrsteilnahme eines ungeeigneten Kraftfahrers gefährdeten Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit und das entsprechende Interesse der Verkehrssicherheit hingenommen werden (vgl. m.w.N. VG Ansbach, B.v. 12.1.2021 – AN 10 S 20.02683 – juris Rn. 32).
Im Fall des Antragstellers geht das Gericht dabei von einem im Vergleich zum Durchschnitt anderer Fahrzeugführer gesteigerten Gefährdungspotential aus (vgl. hierzu auch VG München, B.v. 5.3.2020 – M 6 S 20.372 – juris Rn. 32 mit Verweis auf BayVGH, B.v. 21.11.2012 – 11 CS 12.2171 – juris Rn. 15). Der Antragsteller hat in der Vergangenheit bereits ein Kraftfahrzeug trotz erheblicher Alkoholisierung im Straßenverkehr geführt. Auch wenn die Straftat, aufgrund derer seine Fahrerlaubnis seinerzeit entzogen wurde, bereits einige Jahre zurückliegt, kann angesichts des damals erreichten Promillewertes auf eine jedenfalls seinerzeit bestehende Alkoholproblematik geschlossen werden. Dafür, dass diese mittlerweile überwunden wurde, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Die Tatsache, dass der Antragsteller in den vergangenen Jahren seine Anträge auf Neuerteilung nach Aufforderung zur entsprechenden Gutachtensbeibringung jeweils zurückgezogen und es stattdessen in Kauf genommen hat, mit einem gefälschten Führerschein am Straßenverkehr teilzunehmen, spricht vielmehr dagegen, dass sich sein Gefährdungspotenzial seitdem verringert hat.
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
B.
Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand 2013, Nr. 46.3 und 1.5).
C.
Die Entscheidung über die Verbindung der Entscheidung zu den Prozesskostenhilfeanträgen in den Verfahren M 19 K 21.653 und M 19 S 21.654 beruht auf § 93 Satz 1 VwGO analog.
D.
Die Anträge auf Gewährung von Prozesskostenhilfe haben ebenfalls keinen Erfolg.
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Ob die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, kann dabei offenbleiben, da der Antragsteller seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise dargelegt und nachgewiesen hat.
Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Frage, ob ein Kläger nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung aufbringen kann, ist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts zu beurteilen, vgl. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 4 ZPO. Veränderungen bei der Einkommens- und Vermögenssituation seit der Antragstellung sind daher entsprechend auch zu Lasten eines Klägers zu berücksichtigen (vgl. dazu etwa Neumann/Schaks, NK-VwGO, 5. Aufl. 2018, § 166 Rn. 132). Zur entsprechenden Prüfbarkeit obliegt es nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO dem Kläger, seine Einkommenssituation durch Vorlage einer (Formular-)Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unter Beifügung der entsprechenden Belege glaubhaft zu machen. Fehlt ein solches Formular, ist es unvollständig oder sind die erforderlichen Belege nicht beigefügt, ist der Antrag unbegründet (vgl. u.a. OVG Berlin-Bbg, B.v. 8.2.2017 – 5 L 4.17 – juris Rn. 4 f.).
Der Klage bzw. dem Antrag war ein solches Formular nicht beigefügt. Der im Rahmen der Klageerhebung und Eilantragstellung angekündigten Nachreichung eines solchen Formulars ist der Antragsteller innerhalb der vergangenen zwei Monate nicht nachgekommen.
Die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe ergeht kostenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.


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