Verwaltungsrecht

Exmatrikulation aufgrund nichtbestandener Prüfung und Ablehnung eines Härtefalls

Aktenzeichen  AN 2 K 18.00556

Datum:
10.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27754
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
APO § 10, § 12
VwGO § 74 Abs. 1 S. 1, § 58 Abs. 2,§ 81 Abs. 1 S. 2, § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1
BayVwVfG Art. 41 Abs. 2 S. 1
RaPO § 10 Abs. 1 S. 3
GG Art. 3 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die gegen die Exmatrikulation gerichtete Anfechtungsklage sowie die als Verpflichtungsklage in Gestalt der Versagungsgegenklage gegen die Ablehnung einer weiteren Wiederholungsprüfung erhobene Klage ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 und 2 VwGO), aber unbegründet. Die Exmatrikulation ist gem. Art. 49 Abs. 2 Nr. 3 BayHSchG rechtmäßig.  (Rn. 29) (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
2. Widerspruchs- und Klagefristen sind eingehalten. Der gegen den Bescheid vom 05.12.2017 mit Schreiben vom 05.01.2018, bei der Beklagten am 12.01 2018 eingelegt Widerspruch ist rechtzeitig. Es fehlt an einem Zustellungsnachweises und damit der ordnungsgemäßen Bekanntgabe (§ 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO), die auch durch die Zugangsvermutung gem. Art. 41 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG nicht geheilt wird. Es liegt gesicherter Zeitpunkt der Aufgabe des schriftlichen Verwaltungsakts zur Post wie z.B. durch einen aktenkundigen „Ab-Vermerk“ vor. (Rn. 30 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Klage ist unbegründet. Es besteht kein Anspruch auf eine weitere Wiederholungsprüfung, im Wege eines Härtefalls. Sobald das Recht zum Rücktritt von der Prüfung anwendbar ist, werden die Vorschriften über einen Härtefall aus Gründen der Rechtssicherheit verdrängt. (BeckRS 2008, 33262, a.A. BeckRS 2005, 27742). Insbesondere könnte durch Härtefallregelungen die Voraussetzung der Unverzüglichkeit der Rücktrittserklärung umgangen werden. Es ist treuwidrig, wenn der Prüfling trotz Kenntnis der Rücktrittsgründe bzw. der Härten das Risiko eines Prüfungsmisserfolgs durch Teilnahme an der Prüfung bewusst in Kauf nimmt, sich im Fall der Realisierung des Risikos aber nicht mehr an seiner Entscheidung festhalten lassen möchte und nunmehr eine außerordentliche Wiederholungsmöglichkeit wegen Härtefalls begehrt. Die familienrechtlichen Auseinandersetzungen der Klägerin waren von ihr nicht zu vertreten, da sie ein allgemeines Lebensrisiko darstellen, die Möglichkeit des Rücktritts von der Prüfung lag daher vor.  (Rn. 33 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
4. Im Übrigen lagen die allgemeinen Voraussetzungen einer Härtefallprüfung nicht vor, die ex ante vorliegende hinreichende Erwartung des Prüfungserfolges. (so BeckRS 1994, 20557, a.A. BeckRS 2008, 3262) (Rn. 42 – 49) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Entscheidung, keine weitere Wiederholungsmöglichkeit einzuräumen, ist verhältnismäßig im Einzelfall. Das Mittel der Begrenzung von Prüfungsmöglichkeiten ist vorliegend auch geeignet, sondern auch erforderlich und angemessen. Denn jede weitere Wiederholungsmöglichkeit würde das Ziel der effektiven Nutzung begrenzter Ressourcen weniger wirksam verwirklichen.  (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Die als Anfechtungsklage gegen die Exmatrikulation sowie als Verpflichtungsklage in Gestalt der Versagungsgegenklage gegen die Ablehnung einer weiteren Wiederholungsprüfung erhobene Klage ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 und 2 VwGO), aber unbegründet. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten vom 27. September und 5. Dezember 2017 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Beklagte zu Ziff. 2 hat den Antrag der Klägerin auf Zulassung einer weiteren Wiederholungsprüfung zu Recht abgelehnt. Da die Klägerin aus diesem Grund die Masterprüfung ihres Studiengangs endgültig nicht bestanden hat, erfolgte auch die Exmatrikulation durch die Beklagte zu Ziff. 1 zu Recht.
Hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen sind insbesondere Widerspruchs- und Klagefristen eingehalten.
Zwar hat die Beklagte zu Ziff. 2 den Antrag auf Genehmigung eines Härtefalls bereits mit Bescheid vom 5. Dezember 2017 abgelehnt und die Klägerin hiergegen erst mit Schreiben vom 5. Januar 2018, eingegangen bei der Beklagten zu Ziff. 2 am 12. Januar 2018, Widerspruch eingelegt. Dennoch ist von einer rechtzeitigen Widerspruchseinlegung binnen Monatsfrist nach § 70 Abs. 1 VwGO auszugehen. Denn mangels Zustellungsnachweises und tragfähiger Erinnerungen der Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung konnte nicht mehr hinreichend sicher festgestellt werden, wann der Bescheid der Klägerin bekanntgegeben wurde (§ 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Insoweit hilft auch die Zugangsvermutung nach Art. 41 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG nicht weiter. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Fiktion setzt allerdings einen gesicherten Zeitpunkt der Aufgabe des schriftlichen Verwaltungsakts zur Post voraus (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 41 Rn. 120). Dieser Zeitpunkt lässt sich hier nicht mehr hinreichend sicher feststellen, da insbesondere kein „Ab-Vermerk“ o.Ä. aktenkundig ist (vgl. Stelkens a.a.O.). Da zudem gemäß Art. 41 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 BayVwVfG die Behörde für die Frage des Zeitpunkts des Zugangs des Verwaltungsakts beweisbelastet ist, ist von einem fristgerecht eingelegten Widerspruch gegen die Ablehnung des Härtefallantrags auszugehen. Im Übrigen wurde gegen den Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2018 binnen Monatsfrist am 20. März 2018 zu Protokoll der Geschäftsstelle Klage erhoben (§§ 74 Abs. 1 Satz 1, 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Außerdem hat die Klägerin gegen den Exmatrikulationsbescheid vom 27. September 2017 mit Eingang bei der Beklagten zu Ziff. 1 am 16. Oktober 2017, also binnen Monatsfrist Widerspruch eingelegt. Genauso ist die am 20. März 2018 rechtshängig gewordene Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2017 fristgemäß erhoben. Denn aufgrund (vollständig) fehlender Belehrung über den Rechtsbehelf der Klage gilt die Jahresfrist aus § 58 Abs. 2 VwGO.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf eine weitere Wiederholungsprüfung zu, insbesondere nicht im Wege eines Härtefalls.
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 der Rahmenprüfungsordnung für die Fachhochschulen in Bayern (RaPO vom 17. Oktober 2001, GVBl. S. 686, BayRS 2210-4-1-4-1-WK) kann eine mit der Note „nicht ausreichend“ bewertete Modul- oder Modulteilprüfung einmal wiederholt werden. Nach Satz 2 der genannten Vorschrift ist eine zweite Wiederholung nach Maßgabe der Hochschulprüfungsordnung möglich, wobei diese hierfür weitere Zulassungsvoraussetzung festlegen kann. Nach § 10 Abs. 1 Satz 3 RaPO kann die Hochschulprüfungsordnung für eine Modulprüfung oder die Modulteilprüfungen auch eine dritte Wiederholung vorsehen. Auf dieser Grundlage sieht die hier einschlägige Allgemeine Prüfungsordnung für die Bachelor- und Masterstudiengänge an der …(künftig: APO) in … vor, dass eine nicht bestanden Modulprüfung oder Modulteilprüfung einmal wiederholt werden kann. Nach … können die Prüfungsordnungen der einzelnen Studiengänge nach Maßgabe von § 10 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 RaPO eine zweite Wiederholungsprüfung zulassen. Eine solche zweite Wiederholungsprüfung sieht die für die Klägerin einschlägige Studien- und Prüfungsordnung betreffend den Masterstudiengang Sozialmanagement vom … dagegen nicht vor. Weiter ist nach … eine dritte Wiederholung der Prüfung grundsätzlich ausgeschlossen. Allerdings kann nach … der zu prüfenden Person auf Antrag in einem Härtefall eine weitere Wiederholungsprüfung gestattet werden. Das Antragsschreiben muss die Tatsachen benennen, die die Annahme eines Härtefalls begründen; das Nachreichen von Begründungen ist ausgeschlossen … Danach ist nach den für die Klägerin einschlägigen Studien- und Prüfungsordnungen gemäß … eine einzige reguläre Wiederholungsprüfung sowie ggf. eine weitere Härtefallprüfung vorgesehen. Eine dritte Wiederholungsprüfung – also insgesamt vier Prüfungsversuche – sehen die hier einschlägigen Prüfungsordnungen allerdings nicht vor. Unstreitig begehrt die Klägerin aber eine solche dritte Wiederholungsprüfung bzw. einen Viertversuch. Allerdings hat die Beklagte zu Ziff. 2 im Termin zur mündlichen Verhandlung in Übereinstimmung mit dem Vorbringen der Klägerin glaubhaft dargelegt, dass es bezogen auf die hier anwendbaren Prüfungsordnungen der ständigen Verwaltungspraxis der Beklagten zu Ziff. 2 entspricht, ihren Studierenden eine reguläre zweite Wiederholungsprüfung und sodann im Rahmen der Härtefallregelung nach … ggf. auch eine dritte Wiederholungsprüfung, also ggf. einen Viertversuch einzuräumen. Auf diese ständige Verwaltungspraxis kann sich die Klägerin hier berufen.
Jedoch ist der Klägerin auch unter Berücksichtigung von … keine weitere Prüfungswiederholung wegen Härtefalls einzuräumen. Zum einen war die Vorschrift wegen vorrangiger Regelungen über den Rücktritt zur Prüfung nicht anwendbar. Zum anderen fehlte es an den allgemeinen Voraussetzungen einer Wiederholungsmöglichkeit wegen Härtefalls.
Die Härtefallregelung nach … war vorliegend nicht anwendbar, da sie von … als lex specialis über den Rücktritt von Prüfungsleistungen verdrängt wird. Allerdings wird die Frage des Verhältnisses von Härtefallzu Rücktrittsregelungen nicht einheitlich beantwortet.
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat die Ansicht vertreten (B.v. 13.03.1996 – 4 S 1684/95 – juris), dass ein Prüfungsteilnehmer, der sich im Zustand der Prüfungsunfähigkeit der Prüfung unterzogen und somit das Risiko des Nichtbestehens auf sich genommen hat, im Fall des Nichtbestehens nicht von vornherein damit ausgeschlossen ist, gesundheitliche oder sonstige Beeinträchtigung im Wege einer Härtefallregelung geltend zu machen. Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen sei die Geltendmachung eines besonderen Härtefalls nicht ohne weiteres mit der nachträglichen Geltendmachung der Prüfungsunfähigkeit gleichzusetzen. Es sei nicht das Gleiche, ob der Prüfungsbewerber nachträglich seine Prüfungsunfähigkeit in der Wiederholungsprüfung mit der Folge geltend mache, dass der Prüfungsversuch als nicht unternommen gelte, oder ob er das Nichtbestehen der Wiederholungsprüfung als solches hinnehme und nur um eine nochmalige Wiederholung nachsuche. Die Rechtsstellung dessen, der einen misslungenen Prüfungsversuch ganz beseitigen könne, sei erheblich besser, als die Rechtsstellung dessen, der auf die Anerkennung eines Ausnahmefalls angewiesen sei. Zudem sei der Rücktritt nicht ohne Risiken. Insbesondere seien die Beurteilung der eigenen Lage vor der Rücktrittserklärung sowie die Prognose der Genehmigungsfähigkeit der Rücktrittsgründe für den Prüfungsbewerber häufig schwer zu kalkulieren. Es laufe dem Zweck des Prüfungsverfahrens nicht zuwider, wenn insoweit die Folgen einer Fehleinschätzung später durch die Anerkennung eines besonderen Härtefalls in gewissem Umfang korrigiert werden könnten. Zwar könnten die Gesichtspunkte des Vertretenmüssens und der freiwilligen Übernahme eines Risikos dabei nicht außer Betracht bleiben. Der unbestimmte Rechtsbegriff des besonderen Härtefalls und die Rechtswohltat der ausnahmsweisen Zulassung zur Zweitwiederholung dienten aber der Berücksichtigung atypischer individueller Sonderlagen. Eine generalisierende Betrachtungsweise entspreche nicht dem Zweck der Vorschrift. Es komme vielmehr auf die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie auf deren Gewichtung dahingehend an, ob sie ein außergewöhnliches Missverhältnis zwischen dem zweimaligen Nichtbestehen der Prüfung und der individuellen Lage des Prüfungsbewerbers aufzeigten. Auch der Gesichtspunkt, dass der Prüfungsbewerber das Risiko des Nichtbestehens rügelos auf sich genommen habe, könne dann in seiner Gewichtung so weit zurücktreten, dass er für die Entscheidung über die Zweitwiederholungsprüfung zu vernachlässigen sei.
Dagegen hat sich das OVG Bautzen auf den Standpunkt gestellt (B.v. 12.12.2007 – 4 B 412/07 – BeckRS 2008, 33262), aus Gründen der Rechtssicherheit müssten in Härtefallregelungen solche Gründe ausscheiden, die nach der jeweiligen Prüfungsordnung im Wege des Rücktritts von der Prüfung oder der Prüfungsanfechtung geltend zu machen seien.
Die letztgenannte Ansicht überzeugt. Denn es entspricht nicht nur der Rechtssicherheit, den allgemein anerkannten Grundsätzen über den Rücktritt von Prüfungen den Vorrang gegenüber oftmals unscharfen Härtefallregelungen einzuräumen. Vielmehr würde die parallele Anwendbarkeit von Rücktritts- und Härtefallregelungen letztlich dazu führen, dass die Voraussetzungen eines wirksamen Prüfungsrücktritts mit Hilfe von Härtefallregelungen umgangen werden könnten. Insbesondere könnte durch Härtefallregelungen die Voraussetzung der Unverzüglichkeit der Rücktrittserklärung umgangen werden. Diese Voraussetzung ist von besonderer Bedeutung, weil das Gebot der Unverzüglichkeit dazu dient, missbräuchliches Prüfungsverhalten zu vermeiden (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 282). Die Voraussetzung der Unverzüglichkeit ist Ausdruck des im Prüfungsrechtsverhältnis geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit (Niehues/Fischer/Jeremias a.a.O. Rn. 283). Danach fehlt es grundsätzlich jedenfalls dann an der Unverzüglichkeit, wenn der Prüfling das (negative) Ergebnis der Prüfung abwartet und erst anschließend den Rücktritt erklärt. Denn es entspricht weder Treu und Glauben noch prüfungsrechtlicher Chancengleichheit, sich im Unterschied zu den übrigen Prüfungsteilnehmern erst in Kenntnis des Prüfungsergebnisses für oder gegen einen neuen Prüfungsversuch zu entscheiden (so zur Rügeobliegenheit Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 218). Genauso wenig entspräche es Treu und Glauben oder prüfungsrechtlicher Chancengleichheit, in diesen Fällen eine zusätzliche Prüfungschance durch die Anwendbarkeit von Härtefallregelungen zu ermöglichen. Darüber hinaus spricht für ein Verständnis der Rücktrittsregeln als lex specialis gegenüber Härtefallregelungen auch der Grundsatz der Unzulässigkeit des Prüfungsrücktritts bei bewusster Risikoübernahme. Anerkannt ist dieser Grundsatz insbesondere in Fällen, in denen der Prüfling etwa seine gesundheitliche Beeinträchtigung vor der Prüfung gekannt hat, aber dennoch an der Prüfung teilnimmt, wobei er das Risiko eines Misserfolgs bewusst in Kauf nimmt (Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 1998, Rn. 284). Allgemein ist der Grundsatz Ausdruck von Treu und Glauben in Gestalt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens. Wer sich bewusst auf das Risiko eines Misserfolgs einlässt, um sich die Chance des Prüfungserfolgs zu erhalten, handelt widersprüchlich, wenn er im Fall der Realisierung des Misserfolgsrisikos die Konsequenzen seiner bewusst getroffenen Entscheidung nicht tragen möchte. Strukturell genauso liegt der Fall, wenn geltend gemachte Härten nach der jeweiligen Prüfungsordnung Rücktrittsgründe darstellen. Auch in diesem Fall ist es treuwidrig, wenn der Prüfling trotz Kenntnis der Rücktrittsgründe bzw. der Härten das Risiko eines Prüfungsmisserfolgs durch Teilnahme an der Prüfung bewusst in Kauf nimmt, sich im Fall der Realisierung des Risikos aber nicht mehr an seiner Entscheidung festhalten lassen möchte und nunmehr eine außerordentliche Wiederholungsmöglichkeit wegen Härtefalls begehrt.
Danach verdrängen auch vorliegend die Vorschriften der einschlägigen Prüfungsordnung über den Rücktritt die Härtefallregelung nach … So bestimmt … für eine Prüfungsleistung, die noch nicht angetreten wurde, dass diese als nicht bestanden bewertet wird (Note 5,0 oder „nicht mit Erfolg bestanden“), es sei denn der Rücktritt erfolgte aus vom Studierenden nicht zu vertretenden Gründen. Danach fallen unter das Rücktrittsrecht alle Gründe, die der bzw. die Studierende nicht zu vertreten hat. In diesem Anwendungsbereich des spezielleren Rücktrittsrechts werden also die Vorschriften über einen Härtefall verdrängt. Hier macht die Klägerin mit der familienrechtlichen Auseinandersetzung und den damit einhergehenden – verständlichen – Beeinträchtigungen Gründe geltend, die sie nicht zu vertreten hat. So ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Klägerin die geltend gemachten persönlichen Schwierigkeiten zu vertreten hätte, diese gar schuldhaft verursacht hätte oder die Umstände ihr sonst persönlich zuzurechnen wären. Vielmehr gehören das Scheitern von Beziehungen und sich hieraus ergebende, ggf. auch drastischer Konsequenzen zum allgemeinen Lebensrisiko, das jedermann ohne Vertretenmüssen widerfahren kann. Entsprechend hätte es der Klägerin in ihrer persönlichen Situation oblegen, gemäß … vor der Prüfung von der Möglichkeit des Rücktritts Gebrauch zu machen. Aufgrund dieser vorrangigen Möglichkeit ist sie damit ausgeschlossen, ihr Begehren im Wege der – nicht anwendbaren – Härtefallregelung nach … zu verfolgen. Für letztere bleibt im Übrigen Raum, sofern Prüflinge in besonders gelagerten Fällen – ggf. aufgrund (besonders) leichter Fahrlässigkeit – Gründe zu vertreten haben, die der Prüfungsteilnahme entgegenstanden.
Darüber hinaus schied eine weitere Prüfungswiederholung wegen Härtefalls auch deswegen aus, weil die allgemeinen Voraussetzungen einer Härtefallprüfung nicht vorlagen. So setzt eine Härtefallprüfung ex ante eine hinreichende Erwartung für den Prüfungserfolg in der begehrten Wiederholungsprüfung voraus. Hieran fehlt es, da dem Härtefallantrag der Klägerin gerade keine hinreichenden Anhaltspunkte für den Prüfungserfolg in der Wiederholungsprüfung zu entnehmen sind und die Klägerin nach … mit nachfolgenden Begründungen ausgeschlossen war. Die Frage, ob eine Wiederholungsprüfung wegen Härtefalls hinreichende Erfolgsaussichten voraussetzt, wird hingegen unterschiedlich beantwortet.
Nach der Rechtsprechung des OVG Bautzen (B.v. 12.12.2007 – 4 B 412/07 – BeckRS 2008, 3262) soll für die Annahme eines prüfungsrechtlichen Härtefalls keine positive Erfolgsprognose für die Wiederholungsprüfung erforderlich sein.
Dagegen versteht das OVG Lüneburg (B.v. 1.6.2004 – 2 LA 153/03 – juris Rn. 6) die Entscheidung der Prüfungsbehörde über die Zulassung zu einer Härtefallprüfung als Verwaltungsakt mit prüfungsspezifischen Wertungen, so dass der Prüfungsbehörde ein Beurteilungsspielraum eingeräumt sei. Bei der Härtefallregelung handele es sich um eine eng auszulegen Ausnahmevorschrift. Eine Wiederholungsprüfung sei danach nicht schon dann zu gewähren, wenn lediglich die theoretische oder bloß rechnerische Möglichkeit bestehe, dass die Prüfung insgesamt noch bestanden werde.
Das OVG Münster (U.v. 26.11.1993 – 22 A 3246/92 – BeckRS 1994, 20557) wiederum sieht Raum für die Annahme eines Ausnahme- bzw. Härtefalls nur dann, wenn die bisherigen Prüfungsleistungen bei einem nur knapp verfehlten Prüfungserfolg die Vermutung aufdrängen, dass hinreichende Erfolgsaussicht für den Wiederholungsversuch besteht. Beachtlich für Ausnahme- bzw. Härtefälle könnten nur solche Gründe sein, die ihre Ursache zwar im Leistungsbereich hätten, deren Heranziehung zur Eröffnung einer weiteren Prüfungschance allerdings nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen würden.
Vorzugswürdig erscheint die zuletzt dargestellte Ansicht. Denn eine Härtefallprüfung verfolgt keinen Selbstzweck. Sie lässt vielmehr – ausnahmsweise – eine weitere Prüfung zu, um den Grundsatz der prüfungsrechtlichen Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG zu verwirklichen (OVG Lüneburg a.a.O.).
Ausgangspunkt hierbei ist, dass Prüfungen zwangsläufig lediglich Stichproben der Fähigkeiten eines Prüflings zu einem bestimmten Zeitpunkt – dem der Prüfungsleistung – darstellen. Dabei ist Aussagekraft einer einzelnen Stichprobe begrenzt (vgl. zum Ganzen OVG Münster a.a.O.; BVerfG, B.v. 14.3.1989 – 1 BvR 1033/82, 1 BvR 174/84 – NVwZ 1989, 850, 853). So mag die Stichprobe zufällig gerade einen Zeitpunkt erfassen, der nicht die durchschnittliche Leistungsfähigkeit des Prüflings widerspiegelt, sondern „Ausreißer“ des Leistungsvermögens nach oben oder unten abbildet. Aus diesem Grund ist die einmalige Wiederholungsmöglichkeit einer Prüfung verfassungsrechtlich geboten, aber auch ausreichend (vgl. BVerwG, B.v. 12.11.1998 – 6 PKH 11.98 – juris Rn. 6; BVerwG, B.v. 7.3.1991 – 7 B 178.90 – juris Rn. 14; Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 766, 769). Der Grund für das verfassungsrechtliche Gebot lediglich einer Wiederholungsmöglichkeit liegt letztlich darin begründet, dass die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass sogar zwei – zeitlich zufällige – Stichproben in das Leistungsvermögen des Prüflings jeweils nicht nur „Ausreißer“, sondern zudem noch „Ausreißer nach unten“ abbilden.
Auf dieser Grundlage kann eine außerordentliche Wiederholungsmöglichkeit wegen Härtefalls nur dann in Betracht kommen, wenn erstens trotz der vorausgegangen Prüfungsleistungen ausnahmsweise Zweifel bestehen, dass diese das tatsächliche Leistungsvermögen des Prüflings zutreffend abgebildet haben, und zweitens hinreichend zu erwarten ist, dass der Prüfling die neue Prüfung tatsächlich bestehen wird. Diese Voraussetzungen liegen beispielsweise nahe, wenn Umstände weggefallen sind, die den Prüfling zuvor in seinem Leistungsvermögen beeinträchtigt haben, und der Prüfungserfolg etwa (zweifach) lediglich knapp verfehlt wurde oder eine Leistungssteigerung aus den vorangegangenen Prüfungsversuchen erkennbar ist (vgl. OVG Münster a.a.O.). Wollte man dagegen eine außerordentliche Wiederholungsmöglichkeit wegen Härtefalls unabhängig von Zweifeln an der Aussagekraft der vorangegangenen Prüfungen und unabhängig von den aktuellen Aussichten auf den Prüfungserfolg zulassen, würde die Härtefallprüfung das Gebot prüfungsrechtlicher Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht verwirklichen, sondern verletzen. Denn in diesem Fall würden zum einen auch solche Prüflinge eine neue Prüfungschance erhalten, deren Leistungsvermögen durch die vorangegangenen Prüfungen bereits zutreffend abgebildet wurde. Für eine solche Privilegierung gegenüber bereits im Erst- oder Zweitversuch erfolgreichen Prüflingen ist aber kein sachlicher Grund ersichtlich. Vielmehr haben in diesem Fall die vorangegangenen Prüfungen gerade das verfolgte Ziel der Differenzierung nach Leistungsvermögen erreicht. Zum anderen würden auch Prüflinge ohne Aussicht auf Prüfungserfolg eine neue Prüfungschance erhalten. Eine Wiederholungsprüfung unter diesen Voraussetzungen wäre aber letztlich sinnlos und könnte schon deswegen nicht das Ziel prüfungsrechtlicher Chancengleichheit verwirklichen. Außerdem wäre das berechtigte Allgemeininteresse beeinträchtigt, wonach begrenzte Ausbildungsressourcen für solche Studierende genutzt werden sollen, die ihre Qualifikation spätestens in den von der Prüfungsordnung regulär vorgesehenen Wiederholungsversuchen nachweisen können (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 769).
Auch unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besitzt die Klägerin hier keinen Anspruch auf eine Wiederholungsprüfung im Rahmen eines Härtefalls nach … Denn dem Antrag der Klägerin kann kein Sachverhalt entnommen werden, der hinreichende Aussicht auf den Prüfungserfolg in der beantragten Härtefallprüfung begründen würde. So bringt die Klägerin in ihrem Antrag der Sache nach zum Ausdruck, das Familiengericht habe ein psychologisches Sachverständigengutachten hinsichtlich des Umgangs mit ihren Kindern in Auftrag gegeben. Von ihrem Ehemann sei sie mittlerweile geschieden und leider würden Fragen des Umgangs mit ihren Kindern aktuell über „Anwälte und Gericht“ geklärt. Nach diesem Vorbringen waren auch zukünftig gerichtliche Auseinandersetzungen und Termine mit dem Sachverständigen betreffend das Umgangsrecht zu erwarten. Dabei handelt es sich um die Umstände, deren Auswirkungen die Klägerin nach eigenem Vortrag gehindert haben, ihr wahres Leistungsvermögen zu zeigen. Zumindest mangels substanzieller Veränderung der nach eigenem Vortrag leistungshemmenden Umstände bestanden nach dem Inhalt des klägerischen Antrags keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass sie nunmehr die beantragte Härtefallprüfung bestehen würde. Soweit die Klägerin in nachfolgenden Schreiben bzw. Schriftsätzen dargetan hat, warum sie aufgrund einer Verbesserung ihrer persönlichen Situation davon ausgehe, die Härtefallprüfung zu bestehen, war sie mit diesem Vortrag nach … ausgeschlossen. Danach muss das Antragsschreiben die Tatsachen benennen, die die Annahme eines Härtefalls begründen, wobei das Nachreichen von Begründungen ausgeschlossen ist.
Diese Ausschlussregelung ist auch mit höherrangigem Recht vereinbar. So ist bereits ausgeführt, dass verfassungsrechtlich lediglich eine Wiederholungsprüfung geboten ist, also verfassungsrechtlich schon keine zweite und erst Recht keine hier in Frage stehende dritte Wiederholungsprüfung notwendig ist. Wenn aber schon der vollständige Wegfall einer dritten Wiederholungsprüfung verfassungsrechtlich unproblematisch ist, gilt dies erst Recht für das „Minus“ allgemeiner Beschränkungen einer solchen Prüfung.
Die Entscheidung, der Klägerin keine weitere Wiederholungsmöglichkeit einzuräumen, ist auch verhältnismäßig im Einzelfall. Der Zweck der Begrenzung von Wiederholungsmöglichkeiten liegt in dem legitimen Interesse der Allgemeinheit, dass begrenzte Ausbildungsressourcen für solche Studierende genutzt werden, die ihre Qualifikation spätestens in den (regulär) nach der Prüfungsordnung vorgesehenen Wiederholungsversuchen nachweisen (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 769). Hierfür ist das Mittel der Begrenzung von Prüfungsmöglichkeiten auch vorliegend nicht nur geeignet, sondern auch erforderlich. Denn jede weitere Wiederholungsmöglichkeit würde das Ziel der effektiven Nutzung begrenzter Ressourcen weniger wirksam verwirklichen. Die Versagung einer weiterer Wiederholungsprüfungen ist hier auch angemessen. So ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Klägerin – über das verfassungsrechtlich Gebotene hinaus – bereits drei Prüfungsversuche erhalten hat. Des Weiteren war die Klägerin den geltend gemachten Härten im Zusammenhang mit den fraglichen Prüfungen rechtlich betrachtet nicht schutzlos ausgeliefert. Vielmehr hätte sie nach § 12 Satz 1 APO – vor Prüfungsantritt – den Rücktritt von der Prüfung erklären können.
Dem steht auch nicht entgegen, soweit die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgebracht hat, sie habe anwaltlich beraten mit Blick auf das familiengerichtliche Verfahren davon absehen wollen, Atteste hinsichtlich psychischer Beeinträchtigungen einzuholen, um diese etwa im Rahmen der Erklärung eines Prüfungsrücktritts vorzulegen. Sie habe gefürchtet, solche Atteste würden ihren Weg in das familiengerichtliche Verfahren finden, wobei attestierte psychische Belastungen ihr dort zum Nachteil gereichen würden. Allerdings ist zwischen dem (später ausgeräumten) Verdacht einer psychischen Erkrankung nach dem sog. Münchhausen-by-proxy-Syndrom betreffend das familiengerichtliche Verfahren und den Auswirkungen und Belastungen zu unterscheiden, die sich verständlicherweise für jedermann allein aufgrund des Umstands eines laufenden familiengerichtlichen Verfahrens und der daraus resultierenden Sorge um den zukünftigen Umgang mit den eigenen Kindern ergeben. Diese Differenzierung hätte ein Arzt im Rahmen eines Attests auch klar zum Ausdruck bringen können.
Ein Anspruch der Klägerin auf eine weitere Wiederholungsmöglichkeit ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass ihr Härtefallantrag als Erklärung des (nachträglichen) Prüfungsrücktritts ausgelegt werden oder dahingehend umgedeutet werden könnte. Denn jedenfalls wäre ein solcher Rücktritt nicht unverzüglich geltend gemacht (vgl. Niehues/Fischer/Jermias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 282 ff.). Vielmehr hat die Klägerin den Härtefallantrag erst nach ihrer Exmatrikulation gestellt, also nach Kenntnis von dem Misserfolg in der fraglichen Prüfung.
Da die Klägerin mangels Wiederholungsmöglichkeiten den Masterstudiengang Sozialmanagement endgültig nicht bestanden und nicht in einen anderen Studiengang oder in sonstige andere Studien gewechselt hat, erfolgte auch die Exmatrikulation durch die Beklagten zu Ziff. 1 gemäß Art. 49 Abs. 2 Nr. 3 BayHSchG zu Recht.
Nach alledem war die Klage abzuweisen. Auf die Frage der Kausalität zwischen den geltend gemachten Härten und den erzielten Leistungen kam es danach nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1,154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.


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