Verwaltungsrecht

Exmatrikulation – Kein Anspruch auf unveränderten Prüfungsstoff während des Studiums

Aktenzeichen  M 3 K 15.5738

Datum:
19.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 143204
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RaPO § 10

 

Leitsatz

1. Der Anspruch des Prüflings auf Beseitigung oder Kompensation eines Mangels und dessen Folgen erlischt, wenn der Prüfling den Fehler kennt, die ihm zumutbare Rüge jedoch unterlässt und sich auf das Verfahren einlässt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es besteht kein Vertrauen darauf, dass der Prüfungsstoff während eines Studiums über die Semester hinweg unverändert bleibt. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Rechtskraft oder Rechtmäßigkeit des Prüfungsbescheides über das Nichtbestehen der letzten Prüfungsmöglichkeit ist nicht Voraussetzung für die Exmatrikulation. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
Die Klage war von Anfang an sowohl auf die Aufhebung der im Bescheid vom 31. August 2015 enthaltenen prüfungsrechtlichen Entscheidung, als auch der gleichzeitig verfügten Exmatrikulation gerichtet. Dass der Klageantrag nur die Beklagte zu 1) bezeichnet, steht dem nicht entgegen; zwar ist die Exmatrikulation eine staatliche Angelegenheit (Art. 12 Abs. 3 Nr. 5 BayHochSchG), sodass diesbezüglich der Freistaat Bayern richtiger Beklagter ist; im Klageantrag ist jedoch insoweit mit der Beklagten zu 1) auch die Behörde bezeichnet, die für den Beklagten zu 2) tätig geworden ist, was gemäß § 78 Abs. 1 Rn. 1 VwGO ausreicht (BayVGH, B.v. 27.8.1999 – 7 ZE 99.1921 und 7 ZE 99.2088). Zudem richtet sich die Klageschrift unzweideutig gegen die Beklagte zu 1) und den Beklagten zu 2).
Die Klage ist unbegründet, da sowohl der Bescheid vom 31. August 2015 als auch der Widerspruchsbescheid vom 18. November 2015 rechtmäßig sind und die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verletzen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Fortsetzung des Studiums im Bachelorstudiengang Wirtschaftsingenieurwesen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Bescheid ist sowohl hinsichtlich seiner Entscheidung unter Ziffer 1, dem endgültigen Nichtbestehen der Bachelorprüfung (I.), als auch hinsichtlich seiner unter Ziffer 2 verbeschiedenen Exmatrikulation (II.) rechtmäßig.
I.
Gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 der Rahmenprüfungsordnung für die Fachhochschulen (RaPO) vom 17. Oktober 2001 (GVBl S. 686, BayRS 2210-4-1-4-1-K), die zuletzt durch Verordnung vom 6. August 2010 (GVBl. S. 688) geändert worden ist, ist die Bachelorprüfung bestanden, wenn in allen Modulen mindestens die Note „ausreichend“ erzielt wurde. Wurde eine Modulprüfung mit der Note „nicht ausreichend“ bewertet, kann sie zweimal wiederholt werden (§ 10 Abs. 1 RaPO, § 16 Abs. 1 und Abs. 2 APO THI). Sofern es die Hochschulprüfungsordnung vorsieht, kann für eine Modulprüfung auch eine dritte Wiederholung vorgesehen werden, § 10 Abs. 1 S. 3 RaPO. Die Allgemeine Prüfungsordnung der Technischen Hochschule Ingolstadt (APO THI) vom 25. Juli 2011 in der Fassung einschließlich der Änderungssatzung vom 30. November 2015, macht hiervon nicht Gebrauch, sondern schließt in § 16 Abs. 3 APO THI eine dritte Wiederholung einer nicht bestandenen Prüfung ausdrücklich aus.
Die Klägerin hat bei der zweiten Wiederholungsprüfung zum Ende des Sommersemesters 2015 in der Modulprüfung im Fach Mathematik 2 die Note „nicht ausreichend (5,0)“ erzielt und hat die Bachelorprüfung damit endgültig nicht bestanden. Der streitgegenständlichen zweiten Wiederholungsprüfung vom 6. Juli 2015 gingen der erste Prüfungsversuch im Modul Mathematik 2 vom Sommersemester 2014 und der erste Wiederholungsversuch vom Wintersemester 2014/2015 voraus, die ebenfalls mit der Note „nicht ausreichend (5,0)“ bewertet wurden. Mangels einer weiteren Wiederholungsmöglichkeit ist die Bachelorprüfung damit gemäß § 11 Abs. 1 RaPO endgültig nicht bestanden.
Es wurde kein Antrag auf Rücktritt gestellt, sodass die Note nicht aufgrund eines nicht vom Studierenden zu vertretenden Grundes im Sinne des § 9 Abs. 1 RaPO zu annullieren wäre.
Es liegen weder Verfahrens- noch Bewertungsfehler vor.
An etwaigen, noch in Vorbereitung der Klage vorgetragenen Verfahrensfehler, wird in der mündlichen Verhandlung vom Bevollmächtigten der Klägerin nicht festgehalten. Da sämtliche denkbaren Verfahrensmängel erst mit dem Klagebegründungsschriftsatz am 26. Februar 2016 vorgetragen wurden, wäre auch der Verpflichtung, Mängel im Prüfungsverfahren „unverzüglich“, d.h. ohne schuldhaftes Zögern zu rügen, nicht nachgekommen worden. Der Anspruch des Prüflings auf Beseitigung oder Kompensation eines Mangels und dessen Folgen erlischt, wenn der Prüfling den Fehler kennt, die ihm zumutbare Rüge jedoch unterlässt und sich auf das Verfahren einlässt; nach Erhalt des nicht zufriedenstellenden Ergebnisses, soll sich der Prüfling auf etwaige Verfahrensfehler nicht mehr berufen können. Im Übrigen konnten sowohl bezüglich der Bekanntgabe der Prüfungstermine, der Bestellung der Prüfer als auch der Festlegung des Prüfungstermins keine Verfahrensfehler dargelegt werden.
Doch auch der Einwand, die Prüfung hätte unzulässigen Prüfungsstoff zugrunde gelegt und damit einen materiellen Fehler der Prüfung begründet, ist unzutreffend.
Der Prüfungsstoff der streitgegenständlichen Prüfung vom 6. Juli 2015 im Modul Mathematik 2 entsprach den Vorgaben der Prüfungsordnung. Der Lehr- und Prüfungsstoff richtet sich nach dem jeweils aktuellen Modulhandbuch der jeweiligen Fakultät. Gemäß § 6a Abs. 1 APO THI erstellt jede Fakultät zur Sicherstellung des Lehrangebotes und zur Information der Studierenden einen Studienplan (Modulhandbuch), aus dem sich der Ablauf des Studiums im Einzelnen ergibt. Enthalten sind hierin insbesondere die Studienziele der einzelnen Pflicht- und Wahlpflichtmodule, § 6a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 APO THI. Die Festlegung des Prüfungsstoffs für das Modul „Mathematik 2“ konnte somit im Modulhandbuch festgelegt werden.
Gerügt wird von Klägerseite, dass der in der streitgegenständlichen zweiten Wiederholungsprüfung vom 6. Juli 2015 (Sommersemester 2015) verwendete Prüfungsstoff nicht demjenigen entsprach, der im Rahmen der Lehrveranstaltungen des Moduls, welche die Klägerin im Sommersemester 2014 absolviert hatte, vermittelt worden war. Zutreffend und auch von der Beklagten zu 1) bestätigt, sind die vorgetragenen Änderungen des Prüfungsstoffs im Modul „Mathematik 1“ vor dem Wintersemester 2014/2015 und im Modul „Mathematik 2“ vor dem Sommersemester 2015 erfolgt.
Diese Änderungen wurden jedoch in formell einwandfreier Weise durchgeführt – insbesondere rechtzeitig vor Beginn der jeweiligen Semester – und lagen im Ermessen der Hochschule, sodass sie auch inhaltlich nicht zu beanstanden waren.
Gemäß § 6a Abs. 1 S. 3 APO THI muss die Bekanntmachung neuer Regelungen spätestens zu Beginn der Vorlesungszeit des Semesters erfolgen, das sie erstmals betreffen. Die von der Beklagten zu 1) vorgenommenen Änderungen für das Modul Mathematik 1 betreffen das Wintersemester 2014/2015, die für das Modul Mathematik 2 das Sommersemester 2015 und wurden dem Vortrag der Beklagten zu 1) zufolge vor Beginn der Vorlesungszeit des Wintersemester 2014/2015 (Mathematik 1) und des Sommersemesters 2015 (Mathematik 2) bekanntgemacht. Die Klägerseite hat dies nicht widerlegen können, sodass von einer rechtzeitigen Bekanntgabe auszugehen ist.
Die Überprüfung der inhaltlichen Zulässigkeit der Änderungen entzieht sich dagegen der gerichtlichen Überprüfung. Im Rahmen der Zulässigkeitsüberprüfung eines bestimmten Prüfungsstoffs muss das Gericht uneingeschränkt prüfen, ob die Vorgaben der Prüfungsordnung eingehalten wurden – notfalls unter Beiziehung eines Sachverständigen. Die Festlegung des konkreten Prüfungsstoffs, ist dagegen eine der Hochschule und dem Prüfer vorbehaltene Aufgabe und steht mithin im Ermessen des Prüfers. Bei der von der Klägerin vorgetragenen Erweiterung des Prüfungsstoffs bezüglich Mathematik 1 um Differentialgleichungen und Bernoullische Differentialgleichung und den Änderungen bezüglich Mathematik 2 im Prüfungsstoff in den Bereichen Lineare Algebra und Diffentialgleichung, handelt es sich nicht um grundlegende Abänderungen, die den Prüfungsstoff in Gänze oder in großen Teilen austauschen würden, sondern lediglich um Erweiterungen des bislang schon bestehenden Prüfungsstoffs. Eine Unverhältnismäßigkeit der Änderungen konnte nicht dargelegt werden.
Eine Unzulässigkeit der Änderungen des Moduls Mathematik 2 ergibt sich auch nicht in Bezug auf die spezielle Situation der Klägerin als Wiederholungskandidatin. Weder Gründe des Vertrauensschutz, des Verhältnismäßigkeitsprinzips oder der Chancengleichheit gebieten eine Sonderbehandlung der Klägerin, beispielsweise in Form der von ihr geforderten Übergangsregelung für Wiederholungskandidaten.
Im Falle der Wiederholung einer Prüfung ist zu differenzieren zwischen einem individuellen Wiederholungstermin noch im gleichen Semester, speziell für die Studierenden, die an der Prüfung nicht teilnehmen konnten oder die die Prüfung zunächst nicht bestanden haben, und den Prüfungen, die regulär in den folgenden Semestern für alle Studierenden angeboten werden und an denen auch die Studierenden, die eine vorangegangene Prüfung in diesem Modul nicht bestanden haben, teilnehmen müssen. Die Wiederholungsprüfungen der Klägerin waren keine speziellen „Wiederholungstermine“; die Klägerin nahm jeweils an der regulären Prüfung des Moduls Mathematik 2 teil, die einmal pro Semester angeboten wird. Dementsprechend vergingen zwischen ihrem ersten Versuch und dem zweiten Wiederholungsversuch (dem dritten Versuch) zwei Semester. Die Klägerin konnte somit genauso wie die übrigen Prüflinge die Vorlesungen, in denen der jeweilige, möglicherweise „neue“ Lehrinhalt des Moduls vermittelt wurde, besuchen und sich auf die Prüfung vorbereiten. Wiederholungskandidaten ist der Besuch der zu der Prüfung gehörigen Lehrveranstaltung jederzeit möglich. Das Argument, dass dem Prüfling nichts abverlangt werden darf, was er in seiner Ausbildung oder im Unterricht nicht gelernt haben kann (Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, 4. Auflage 2004, Rn. 314; VG Düsseldorf, B.v. 15.10.2012 – 2 L 1419/12, juris, Rn. 13) trifft vorliegend somit nicht zu.
Da die Klägerin auch rechtzeitig über die neuen Prüfungsinhalte informiert wurde, lagen für sie die gleichen Bedingungen wie für alle anderen Studierenden vor. Eine Beschränkung des Prüfungsstoffs auf die Prüfungsinhalte des Vorjahres, speziell für die Klägerin – was bereits in der praktischen Durchführung kaum vorstellbar wäre – würde das Gebot der Chancengleichheit gegenüber den Studierenden verletzen, die mit dem „neuen“ Prüfungsstoff bestehen müssen.
Ebenso stellen die geänderten Prüfungsinhalte der Modulprüfung Mathematik 1 zum Wintersemester 2014/2015, auf die die Modulprüfung Mathematik 2 aufbaut, keinen unzulässigen Prüfungsinhalt dar. Die Änderungen im Modul Mathematik 1 und Mathematik 2 erfolgten gerade nicht zeitgleich, sondern versetzt, sodass auch hier – ebenso wie bezüglich der rein auf das Modul Mathematik 2 bezogenen Änderungen – auch für die Studierenden, die an der Prüfung als Wiederholer teilnahmen, eine ausreichende Vorbereitung möglich war.
Dem Einwand der Klägerin, die prüfungsrechtliche Chancengleichheit und der Grundsatz, dass ein Modul inhaltlich auf dem anderen aufbauen und der Lehrstoff des zweiten Moduls demjenigen des ersten Moduls folgen müsse, sei verletzt worden, schließt sich das Gericht nicht an. Denn die streitgegenständliche Prüfung im Sommersemester 2015 baut gerade auf dem Modul Mathematik 1 auf, auch wenn das Modul Mathematik 1 im Wintersemester 2014/2015 um Differentialgleichungen erweitert worden war. Auch wenn die Klägerin Mathematik 1 noch mit dem nicht erweiterten Prüfungsstoff abgelegt hatte, so war auch hier der Klägerin das Erlernen der erweiterten Lerninhalte von Modul 1 innerhalb von zwei Semestern möglich und zumutbar. Hier gilt ebenfalls das Gebot der Chancengleichheit für alle Prüflinge; eine Sonderstellung für die Klägerin als Wiederholungskandidatin ist aus den bereits beschriebenen Gründen nicht gerechtfertigt. Die Wiederholung ihrer Prüfung erfolgte nicht im gleichen Semester wie die nicht bestandene Prüfung, für die sie auf einen unveränderten Prüfungsstoff hätte vertrauen dürfen. Ein Vertrauen darauf, dass der Prüfungsstoff während eines gesamten Studiums über die Semester hinweg unverändert bleibt, besteht dagegen nicht. Änderungen der Prüfungsordnungen wären dann für die Hochschulen praktisch unmöglich.
II.
Die unter Ziffer 2 des Bescheids vom 31. August 2015 verbeschiedene Exmatrikulation war demgemäß ebenfalls rechtmäßig. Gemäß Art. 49 Abs. 2 Nr. 3 Bayerisches Hochschulgesetz (BayHSchG) vom 23. Mai 2006 (GVBl. S. 245, BayRS 2210-1-1-K), das zuletzt durch § 1 des Gesetzes vom 13. Dezember 2016 (GVBl. S. 369) geändert worden ist, sind Studierende von der Hochschule zu exmatrikulieren, wenn sie eine nach der Prüfungsordnung erforderliche Prüfung endgültig nicht bestanden haben, es sei denn, dass sie in einen anderen Studiengang oder in sonstige andere Studien wechseln. Das endgültige Nichtbestehen der Modulprüfung Mathematik 2 wurde der Klägerin mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 31. August 2015 mitgeteilt. Die zeitgleich erfolgte Exmatrikulation war somit, der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs folgend (BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 7 C 14.17– juris Rn. 2 m.w.N.; B.v. 7.12.2015 – 7 ZB 15.1714), wonach die Bestandskraft oder Rechtmäßigkeit des Prüfungsbescheids über das Nichtbestehen der letzten Prüfungsmöglichkeit nicht Voraussetzung für die Exmatrikulation ist, zum damaligen Zeitpunkt in jedem Fall rechtmäßig. Aufgrund der, zuvor unter I. dargestellten, rechtmäßig ergangenen Entscheidung über das endgültige Nichtbestehen, ist die Exmatrikulation auch im nun entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht aufzuheben.
Aus den dargestellten Gründen war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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