Verwaltungsrecht

Fehlende Darlegung einer Divergenz hinsichtlich der Rückkehrgefährdung nach Äthiopien bei exilpolitischer Betätigung

Aktenzeichen  8 ZB 18.32331

Datum:
24.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 25047
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1 Die Darlegung des Zulassungsgrunds der Divergenz nach § 78 Abs. 4 S. 4 AsylG setzt voraus, dass ein inhaltlich bestimmter, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender abstrakter Rechts- oder verallgemeinerungsfähiger Tatsachensatz benannt wird, mit dem von einem in der Rechtsprechung des Divergenzgerichts in Anwendung derselben Vorschrift aufgestellten und entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz abgewichen sein soll. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Keine Abweichung von folgendem Rechtssatz: Personen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland derart exponiert politisch betätigt haben, dass die äthiopischen Behörden sie als ernsthafte Oppositionsangehörige einstufen, müssen bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen rechnen. (Rn. 6 – 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

7 K 17.31169 2018-07-12 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der vom Kläger allein geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt bzw. liegt nicht vor.
1.1 Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten übergeordneten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz oder einer verallgemeinerungsfähigen Tatsachenfeststellung von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechts- oder Tatsachensatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bzw. über den Tatsachensatz bestehen. Es kommt darauf an, ob das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung einen Rechts- oder Tatsachensatz zugrunde gelegt hat, der mit einem die Entscheidung tragenden Rechts- bzw. Tatsachensatz nicht übereinstimmt, den eines dieser Gerichte aufgestellt hat, nicht aber darauf, ob unterschiedliche oder ähnlich gelagerte Sachverhalte verschieden beurteilt worden sind (vgl. BVerwG, B.v. 11.8.1998 – 2 B 74.98 – NVwZ 1999, 406 = juris Rn. 2; B.v. 22.6.2015 – 4 B 59.14 – NuR 2015, 772 = juris Rn. 15; B.v. 31.7.2017 – 2 B 30.17 – juris Rn. 5 ff.).
Die Darlegung des Zulassungsgrunds der Divergenz nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG setzt dementsprechend voraus, dass ein inhaltlich bestimmter, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender abstrakter Rechts- oder verallgemeinerungsfähiger Tatsachensatz benannt wird, mit dem dieses von einem in der Rechtsprechung des Divergenzgerichts in Anwendung derselben Vorschrift aufgestellten und entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz abgewichen sein soll. Die divergierenden Sätze müssen präzise einander gegenübergestellt werden, sodass die Abweichung erkennbar wird (vgl. BVerwG, B.v. 27.4.2017 – 1 B 68.17 – juris Rn. 14 m.w.N.; BayVGH, B.v. 6.11.2017 – 6 ZB 17.1011 – juris Rn. 27; OVG NRW, B.v. 8.6.2015 – 4 A 361/15.A – juris Rn. 2). Das bloße Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen eines Obergerichts genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht (vgl. BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 16).
1.2 Nach diesen Maßstäben hat der Kläger eine Divergenz nicht hinreichend aufgezeigt. Er begründet die angebliche Divergenz zum einen mit einer Abweichung des verwaltungsgerichtlichen Urteils von den Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs vom 14. November 2017 (Az. 21 ZB 17.31340 – juris) und 14. Juli 2015 (Az. 21 B 15.30119 – juris) sowie zum anderen mit einer Abweichung von dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Februar 2008 (Az. 21 B 07.30363 – juris). Sein Zulassungsvorbringen genügt hinsichtlich beider behaupteten Abweichungen in keiner Weise den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Der Zulassungsantrag benennt schon keinen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragenden Rechts- oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz, der einem in den o.g. Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs aufgestellten Rechts- oder Tatsachensatz widersprechen soll. Zum anderen lässt sich ein Widerspruch des Ersturteils zu den zitierten Passagen der angeführten Entscheidungen auch nicht feststellen.
1.2.1 Eine Abweichung von den Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs vom 14. November 2017 (Az. 21 ZB 17.31340) und 14. Juli 2015 (Az. 21 B 15.30119) liegt nicht vor. Von dem hieraus vom Kläger entnommenen Tatsachensatz,
„bei einer Rückkehr nach Äthiopien müssen solche Personen mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen rechnen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland derart exponiert politisch betätigt haben, dass die äthiopischen Behörden sie als ernsthafte Oppositionsangehörige einstufen“
weicht das verwaltungsgerichtliche Urteil nicht ab. Das Verwaltungsgericht ist vielmehr der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 14. Juli 2015 (Az. 21 ZB 15.30119 – juris) ausdrücklich gefolgt, wonach Personen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland derart exponiert politisch betätigt haben, dass die äthiopischen Behörden sie als ernsthafte Oppositionsangehörige einstufen, bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen rechnen müssen (vgl. S. 17 des Urteilsabdrucks). Dass es bei der Anwendung dieses Tatsachensatzes unter Würdigung der vorgetragenen Verfolgungsgründe zu dem Schluss gelangt ist, der Kläger sei in diesem Sinn nicht als ernsthafter Oppositionsangehöriger einzustufen, kann eine Divergenz nicht begründen (vgl. BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 16). Den insoweit allenfalls einschlägigen Zulassungsgrund der ernstlichen Richtigkeitszweifel kennt das Asylgesetz – anders als die Vorschriften zur Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) – nicht.
1.2.2 Der Kläger zeigt auch nicht auf, inwiefern das Verwaltungsgericht von den folgenden Aussagen der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Februar 2008 (Az. 21 B 07.30363 – juris) abgewichen wäre:
„wie ernst es der äthiopischen Regierung mit ihrer gegenwärtigen Kampagne gegen Teile der Opposition, einschließlich der EPRP, sei, erhelle sich auch daraus, dass sich unter den 26 Personen gegen die sie Ende 2005 Anklage als Rädelsführer der Unruhen von Juni und November 2005 in absentia Anklage wegen Hochverrat und Aufstachelung zum Völkermord erhoben habe, auch prominente Vertreter des gesamten Spektrums der Auslandsopposition gewesen seien. EPRP-Mitglieder und Sympathisanten, die zwangsweise aus dem Ausland nach Äthiopien abgeschoben würden, ohne sich von der EPRP losgesagt zu haben, hätten angesichts der grundsätzlich EPRPphobischen Einstellung der TPLF/EPRPF schon immer in jedem Fall mit politischen Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen gehabt, völlig unabhängig davon, ob sie Sympathisanten und passive Mitglieder, einfache aktive Mitglieder oder Inhaber von mittleren oder höheren Führungsfunktionen waren. Ein Hinweis darauf sei das Schicksal von EPRP-Mitgliedern, die in den 1990er Jahren aus dem Sudan nach Äthiopien abgeschoben wurden. Diese wurden verhaftet, blieben jahrelang ohne Gerichtsverfahren in Haft und einige seien bis heute verschwunden.


Aus diesen Auskünften und Stellungnahmen lässt sich zur Überzeugung des Senats entnehmen, dass jedenfalls Personen, die sich – wie die Klägerin – hier in der Bundesrepublik Deutschland exponiert politisch betätigt haben, bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit politisch motivierten Verfolgungsmaßen zu rechnen haben, zumal der äthiopische Staat in der Bundesrepublik Deutschland die Aktivitäten äthiopischer Staatsangehöriger überwacht. Da den äthiopischen Behörden aufgrund ihrer Überwachungstätigkeit bekannt wird, dass die Klägerin sich hier in der Bundesrepublik Deutschland überaus aktiv und an hervorgehobener Stelle politisch für die EPRP betätigt und regimekritische Gedichte veröffentlicht, so muss aufgrund der Auskunftslage nach Auffassung des Senats davon ausgegangen werden, dass die äthiopischen Behörden die Klägerin als ernsthafte Oppositionsangehörige einstufen werden mit der Folge, dass sie bei einer Rückkehr mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hat. Die Beklagte war unter diesen Umständen zu verpflichten, das Verbot der Abschiebung nach § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Äthiopiens festzustellen.“
Soweit sich der Kläger darauf beruft, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass er sich durch die Teilnahme an öffentlichen Demonstrationen als ernsthafter Oppositionsangehöriger exponiert habe, gelten die Ausführungen unter Nr. 1.2.1 entsprechend. Auch mit seinem Vorbringen, das Verwaltungsgericht hätte bei Anwendung der Tatsachensätze dieser Entscheidung erkennen müssen, dass er selbst als einfaches Mitglied der TBOJ/UOSG mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen rechnen müsse, wird keine Divergenz dargelegt. Einen divergenzfähigen, abstrakten Tatsachensatz mit dem Inhalt, dass „einfache Mitglieder“ exilpolitischer Organisationen im Fall ihrer Rückkehr nach Äthiopien einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sind, hat der Verwaltungsgerichtshof darin nicht aufgestellt. Vielmehr nimmt der Beschluss vom 25. Februar 2008 (Az. 21 B 07.30363 – juris) nur Personen in den Blick („jedenfalls“), die sich in Deutschland exponiert politisch betätigt haben (vgl. BayVGH, B.v. 31.8.2018 – 8 ZB 17.31813 – Rn. 12, nicht veröffentlicht).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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