Verwaltungsrecht

Fehlende Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung in Bezug auf die Verfolgungssituation von Frauen in Äthiopien

Aktenzeichen  8 ZB 18.33053

Datum:
26.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7235
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Die Klärung der Frage, „ob gegenwärtig Abschiebungen nach Äthiopien erfolgen können“, hängt von den individuellen Umständen des Einzelfalls ab und ist folglich einer grundsätzlichen Klärung iSv § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht zugänglich. (Rn. 4 – 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 7 K 17.33498 2018-10-11 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Der von der Klägerin allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor bzw. ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 4 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 30.9.2015 – 1 B 42.15 – juris Rn. 3). Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Klägerin nicht.
1. Die von ihr als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,
„ob gegenwärtig Abschiebungen nach Äthiopien erfolgen können“,
ist nicht klärungsfähig, weil sie nicht hinreichend konkret gefasst ist und sich somit in dieser Allgemeinheit in einem Berufungsverfahren nicht stellen würde (vgl. BVerwG, B.v. 2.9.2010 – 9 B 12.10 – juris Rn. 9 ff.; B.v. 20.7.2016 – 9 B 64.15 – juris Rn. 3; B.v. 21.9.2016 – 6 B 14.16 – juris Rn. 7 ff.; vgl. B.v. 20.12.2017 – 6 B 14.17 – juris Rn. 9). Die Antwort auf diese Frage hängt vielmehr von den individuellen Umständen des Einzelfalls ab und ist folglich einer grundsätzlichen Klärung i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht zugänglich.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können nach gefestigter Rechtsprechung im Ausnahmefall ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – AuAS 2015, 43 = juris LS und Rn. 17; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 Rn. 23, 25; B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 8). Dies setzt aber voraus, dass im Zielstaat der Abschiebung das für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erforderliche Mindestmaß an Schwere erreicht wird. Das kann der Fall sein, wenn ein Ausländer im Zielstaat seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält. Einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung ist das Erfordernis, dass ein gewisses Mindestmaß an Schwere erreicht sein muss, nicht zugänglich. Vielmehr bedarf es insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris LS 1 und Rn. 9, 11).
Nichts anderes gilt für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Auch die Frage, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG erfüllt sind und insbesondere eine Extremgefahr gegeben ist, ob der betreffende Ausländer also bei einer Rückführung in das Heimatland gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder von erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit bedroht ist (vgl. BayVGH, B.v. 2.11.2017 – 15 ZB 17.31494 – juris Rn. 19; B.v. 9.8.2018 – 8 ZB 18.31801 – juris Rn. 8 f.; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 Rn. 38; U.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 13), hängt von einer Vielzahl von Faktoren und Einzelumständen ab, wie etwa der Erwerbsfähigkeit oder den familiären Bindungen und finanziellen Verhältnissen der Betroffenen. Sie kann daher nicht verallgemeinernd, sondern nur nach jeweiliger Würdigung der Verhältnisse im Einzelfall beurteilt werden (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013, a.a.O. Rn. 38).
Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht das Bestehen einer solchen Extremgefahr im Hinblick auf die Jugend, Gesundheit und Erwerbsfähigkeit der Klägerin sowie ihren familiären Rückhalt verneint (vgl. Urteilsabdruck S. 14). Hiergegen hat die Klägerin keine Einwände erhoben.
Soweit die Klägerin auf die vom Senat im Beweisbeschluss vom 26. März 2018 in den Verfahren 8 B 17.31645 u.a. aufgeworfenen Fragen Bezug nimmt, betreffen diese nicht die asylrelevanten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG, sondern die Fragen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Gewährung subsidiären Schutzes. Im Übrigen sind die im Beweisbeschluss aufgeworfenen Fragen durch Urteil des Senats vom 13. Februar 2019 (Az. 8 B 17.31645 – juris) inzwischen geklärt. Der Senat hat entschieden, dass infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien seit April 2018 Personen wegen ihrer Mitgliedschaft in einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die einer der in Äthiopien bis Sommer 2018 als Terrororganisation eingestuften Organisationen der Ginbot7, OLF oder ONLF nahesteht, oder wegen einer exilpolitischen Tätigkeit für eine solche Organisation bei ihrer Rückkehr nach Äthiopien grundsätzlich nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsmaßnahmen befürchten müssen (vgl. Leitsatz und Rn. 43).
2. Die im Zulassungsantrag weiter aufgeworfene Frage,
„inwieweit die frauenspezifischen Fluchtgründe hinsichtlich Äthiopien für die Klägerin und andere Frauen, die nach Äthiopien abgeschoben werden sollen, entscheidungsrelevant sind“,
würde sich ebenfalls in dieser Allgemeinheit in einem Berufungsverfahren nicht stellen. Darüber hinaus hat die Klägerin die Entscheidungserheblichkeit dieser Frage nicht dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nämlich nicht etwa deshalb verneint, weil es angenommen hat, dass „frauenspezifische Fluchtgründe“ wie sexuelle Belästigungen und Vergewaltigungen, Frühehen, Zwangsverheiratungen oder Beschneidungen, gegen die der Staat keinen Schutz bietet, keine Verfolgungsmaßnahmen darstellen könnten. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht, soweit es sich zu diesen Fragen überhaupt geäußert hat (was im Hinblick auf die in der Zulassungsbegründung angeführten Frühehen und Beschneidungen schon gar nicht der Fall ist), den diesbezüglichen Angaben der Klägerin wegen der Widersprüchlichkeit ihrer Ausführungen keinen Glauben geschenkt (vgl. Urteilsabdruck S. 9 ff.). Hiergegen hat die Klägerin keine Einwendungen erhoben. Eine Rechts- oder Tatsachenfrage, die sich für die Vorinstanz nicht gestellt hat oder auf die sie nicht entscheidend abgehoben hat, kann aber regelmäßig – und auch hier – nicht zur Zulassung der Berufung führen (vgl. BVerwG, B. v. 21.12.2017 – 9 B 65.16 – juris Rn. 6; vom 12.4.2018 – 9 BN 1.17 – juris Rn. 14 jeweils zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; BayVGH, B.v. 11.3.2019 – 8 ZB 19.30755).
3. Ebenso wenig ist die Frage,
„wie die Glaubwürdigkeit zu bewerten ist“,
einer generellen Klärung zugänglich. Vielmehr ist es ausschließlich Sache des Tatrichters, die Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO im Einzelfall zu beurteilen (vgl. BVerwG, B.v. 18.7.2001 – 1 B 118.01 – DVBl 2002, 53 = juris Rn. 3; B.v. 22.2.2005 – 1 B 10.05 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 17.1.2018 – 10 ZB 17.30723 – juris Rn. 5; vom 21.11.2018 – 8 ZB 18.32980 – Rn. 7).
4. Schließlich kann die Berufung auch nicht wegen der Fragen,
„wie die gegenwärtige Lage in Äthiopien zu bewerten ist“ und
„wie die Verfolgungssituation von Frauen in Äthiopien zu bewerten ist“,
zugelassen werden. Auch diese Fragen sind viel zu allgemein gefasst, um in einem Berufungsverfahren abstrakt beantwortet werden zu können. Im Übrigen gibt es zahlreiche Erkenntnismittel, die Auskunft über die derzeitige Lage in Äthiopien (auch betreffend Frauen) geben (siehe etwa die in den aktuellen Entscheidungen des Senats wiedergegebenen Erkenntnismittel, vgl. U.v. 13.2.2019 – 8 B 17.31645 – juris Rn. 27 ff.; U.v. 13.2.2019 – 8 B 18.30257 – juris Rn. 32 ff.; U.v. 12.3.2019 – 8 B 18.30274 – juris Rn. 25 ff.; U.v. 12.3.2019 – 8 B 18.30252 – juris Rn. 24 ff.).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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