Verwaltungsrecht

Fehlende Glaubhaftmachung einer schwerwiegenden Erkrankung

Aktenzeichen  M 16 E 16.30767

Datum:
30.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Die bloße Behauptung einer dringend behandlungsbedürftigen Traumatisierung sowie der Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland reicht für die Begründung eines zielstaatbezogenen Abschiebungshindernisses nicht aus. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragstellerin ist kosovarische Staatsangehörige. Sie reiste nach eigenen Angaben erstmals am 3. November 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte bei dem Bundesamt einen Asylantrag. Am 15. Januar 2016 wurde sie gemäß § 25 AsylG angehört.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 18. Februar 2016 lehnte das Bundesamt sowohl den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte (Nr. 2 des Bescheids) als auch den Antrag auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1 des Bescheids) als offensichtlich unbegründet ab. Ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung subsidiären Schutzes abgelehnt (Nr. 3 des Bescheids). Das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurde verneint (Nr. 4 des Bescheids). Die Antragstellerin wurde zur Ausreise aufgefordert, die Abschiebung wurde bei nicht fristgerechter Ausreise angedroht (Nr. 5 des Bescheids). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG wurde auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6 des Bescheids), das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet ab dem Tag der Abschiebung auf 30 Monate (Nr. 7 des Bescheids).
Am 13. April 2016 beantragte der Bevollmächtigte der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin, isoliert festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorlägen, hilfsweise wurde beantragt, ein Wiederaufnahmeverfahren durchzuführen, hilfsweise wurde eine Asylfolgeantrag gestellt. Zur Begründung wurde angegeben, die Antragstellerin sei massiv traumatisiert und derzeit in ärztlicher Behandlung. Der behandelnde Arzt sei Traumaspezialist und die Antragstellerin sei dringend auf eine Behandlung angewiesen. Sie sei daher keinesfalls reisefähig und dürfe auf keinen Fall abgeschoben werden.
Ebenfalls am 13. April 2016 beantragte der Bevollmächtigte der Antragstellerin bei dem Verwaltungsgericht,
es der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegenüber der Antragstellerin zu vollziehen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, die Antragstellerin sei massiv traumatisiert und derzeit in ärztlicher Behandlung. Daher liege sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag des Bevollmächtigten der Antragstellerin wird gemäß § 88 VwGO dahingehend ausgelegt, dass beantragt wird, das Bundesamt im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde zu erklären, dass die Antragstellerin vorläufig nicht nach Kosovo abgeschoben werden darf. Ein solcher Antrag auf einstweilige Anordnung (§ 123 VwGO) zur (vorläufigen) Sicherung des Begehrens bzw. Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens (s. § 51 VwVfG) bezüglich des nunmehr geltend gemachten Abschiebungsverbots ist statthaft (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2015 – 10 CE 15.810, 10 C 15.813 – juris Rn. 3 ff.; vgl. auch VG München, B.v. 11.8.2015 – M 16 E 15.30965 – juris Rn. 7).
Der Antrag bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
Eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO darf nur ergehen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller hat demnach sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sog. Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sog. Anordnungsanspruch, glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Die Antragstellerin hat den für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, weil sich aus den von ihr vorgebrachten Gründen nicht mit der für die Glaubhaftmachung erforderlichen Wahrscheinlichkeit ergibt, dass ihr der behauptete Anspruch auf Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zusteht.
So fehlt es bereits daran, dass für die behauptete Erkrankung keinerlei Belege vorgelegt wurden. Es wurde lediglich – und auch nicht weiter substantiiert – behauptet, die Antragstellerin sei massiv traumatisiert und auf die derzeitige Behandlung dringend angewiesen.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Vorschrift kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Herkunftsland wesentlich verschlechtert. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG, B.v. 2.11.1995 – 9 B 710/94 – juris). Eine Gefahr ist „erheblich”, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris Rn. 8). Dies kann auch der Fall sein, wenn der betroffene Ausländer eine grundsätzlich mögliche medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u.a – juris; BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Der Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient hingegen nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Diese Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland. Ein Ausländer muss sich vielmehr auf den Standard der Gesundheitsversorgung im Heimatland verweisen lassen, auch wenn dieser dem entsprechenden Niveau in Deutschland nicht entspricht (vgl. VG Arnsberg, B.v. 23.2.2016 – 5 L 242/16.A – juris Rn. 64 m. w. N.). Mit der ab dem 17. März 2016 geltenden gesetzlichen Regelung hat auch der Gesetzgeber klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG).
Aus dem Vortrag der Antragstellerin ergibt sich schon nicht, dass diese Voraussetzungen bei ihr vorliegen würden. Auch ärztliche Berichte, aus denen ggf. hierauf geschlossen werden könnte, liegen nicht vor. Zudem sind psychische Erkrankungen in Kosovo nach dem dortigen Standard, auf den sich die Antragstellerin verweisen lassen muss, sowohl medikamentös als auch psychologisch grundsätzlich behandelbar (vgl. z. B. Verwaltungsgericht des Saarlands, U.v.29.1.2016 6 K 537/15 – juris Rn. 40 ff. m. w. N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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