Verwaltungsrecht

Fehlende Klagebefugnis einer Partei zur Verpflichtung einer Landesregierung zur Verfassungsklage gegen die Bundesregierung

Aktenzeichen  M 10 K 16.2139

Datum:
12.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 42 Abs. 2, § 61 Nr. 2, § 88, § 84 Abs. 1 S. 3, § 124a Abs. 4, § 154 Abs. 1
PartG PartG § 3
ZPO ZPO § 708 Nr. 11, § 711
RDGEG RDGEG § 3, § 5
GKG GKG § 52 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Parteien haben über den politischen Meinungsbildungsprozess und über in den Parlamenten stattfindende originäre legislative Entscheidungen – verbunden mit ggf. parlamentarischen Kontrollrechten – hinaus keine einklagbaren Gestaltungsrechte für konkrete Handlungen einer Landesregierung gegenüber der Bundesregierung, etwa durch Erhebung einer Klage zum Bundesverfassungsgericht. (redaktioneller Leitsatz)
2 Dem Landesverband einer Partei ist es verwehrt, die Klage in Prozessstandschaft für seine Mitglieder im Hinblick auf gegebenfalls mögliche Rechtsverletzungen der Mitglieder zu führen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Nach Anhörung der Parteien konnte das Gericht durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 84 Abs. 1 VwGO).
2. Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig, weil dem Kläger die Klagebefugnis fehlt.
a) Statthafte Klageart ist hier die Leistungsklage, gerichtet auf die Verpflichtung des Beklagten, eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland zu erheben.
b) Der Kläger ist als Landesverband einer Partei gemäß § 61 Nr. 2 VwGO, § 3 Parteiengesetz (PartG) beteiligungsfähig.
c) Dem Kläger fehlt indes gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog die Klagebefugnis.
Auch im Rahmen einer allgemeinen Leistungsklage ist § 42 Abs. 2 VwGO analog anzuwenden (BVerwG, U.v. 22.5.1980 – 2 C 30/78 – BverwGE 60, 144, 150). Die Klagebefugnis hängt davon ab, ob eine Verletzung der subjektiven Rechte des Klägers durch die Unterlassung der begehrten Leistung – hier die Klage des Freistaates Bayern gegen die Bundesrepublik Deutschland – nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder denkbaren Betrachtungsweise unmöglich erscheint (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2014, § 42 Rn. 65 ff. m.w.N.). Der Kläger trägt hier vor, die Entscheidung der Staatsregierung, gerichtliche Schritte auf Verfassungsebene gegen die Bundesregierung zu unterlassen, verletze jeden einzelnen Bürger im Freistaat Bayern und auch die der Mitglieder des Klägers bzw. der ganzen Partei in ihren verfassungsmäßigen Rechten und in ihrer unantastbaren Würde.
aa) Eine Verletzung eigener Rechte des Klägers selbst als Landesverband einer Partei kommt hier nicht in Betracht. Zwar haben Parteien als freie gesellschaftliche Gebilde Grundrechte (vgl. hierzu im Einzelnen: Loseblatt: Klein in Maunz/Dürig/Herzog, GG, Stand: Dezember 2014, Art. 21 Rn. 255 ff.). Der Kläger selbst nennt kein eigenes subjektives Recht, das hier verletzt sein könnte, und es ist auch keines ersichtlich, auf das sich der Kläger selbst als Landesverband einer Partei ihm Rahmen seiner konkret erhobenen Leistungsklage berufen könnte.
Art. 21 GG hat die politischen Parteien als verfassungsrechtlich notwendige Instrumente für die politische Willensbildung des Volkes anerkannt und ihnen auch einen verfassungsrechtlichen Status zuerkannt (BVerfGE 1, 208 (225); 2, 1 (73); 44, 125 (145); ständige Rechtsprechung). Sie sind die politischen Handlungseinheiten, deren die Demokratie bedarf, um die Wähler zu politisch aktionsfähigen Gruppen zusammenzuschließen und ihnen so überhaupt erst einen wirksamen Einfluss auf das staatliche Geschehen zu ermöglichen (BVerfGE 11, 266 (273); 44, 125 (145)). Die politischen Parteien nehmen an der politischen Willensbildung des Volkes vornehmlich durch ihre Beteiligung an den Wahlen teil, die ohne die Parteien nicht durchgeführt werden könnten. Sie sind darüber hinaus Zwischenglieder zwischen dem Bürger und den Staatsorganen, Mittler, durch die der Wille der Bürger auch zwischen den Wahlgängen verwirklicht werden kann. Sie sammeln die auf die politische Macht und ihre Ausübung gerichteten Meinungen, Interessen und Bestrebungen, gleichen sie in sich aus, formen sie zu Alternativen, unter denen die Bürger auswählen können. Die politischen Parteien üben entscheidenden Einfluss auf die Besetzung der obersten Staatsämter aus. Sie stellen, sofern sie die Parlamentsmehrheit bilden und die Regierung stützen, die wichtigste Verbindung zwischen dem Volk und den politischen Führungsorganen des Staates her und erhalten sie aufrecht. Als Parteien der Minderheit bilden sie die politische Opposition und machen sie wirksam. Sie beeinflussen die Bildung des Staatswillens, indem sie in das System der staatlichen Institutionen und Ämter hineinwirken, und zwar insbesondere durch Einflussnahme auf die Beschlüsse und Maßnahmen von Parlament und Regierung (vgl. BVerfGE 3, 19 (26); 14, 121 (133); 20, 56 (99, 101); 44, 125 (145f); BVerfG, U.v. 24.7.1979 – 2 BvF 1/78 – juris – Rn. 67 f.).
Demgemäß hat der Gesetzgeber die verfassungsrechtliche Stellung und die Aufgaben der Parteien in § 1 Parteiengesetz wie folgt umschrieben:
§ 1 Verfassungsrechtliche Stellung und Aufgaben der Parteien
(1) 1Die Parteien sind ein verfassungsrechtlich notwendiger Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. 2Sie erfüllen mit ihrer freien, dauernden Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes eine ihnen nach dem Grundgesetz obliegende und von ihm verbürgte öffentliche Aufgabe.
(2) Die Parteien wirken an der Bildung des politischen Willens des Volkes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens mit, indem sie insbesondere auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluß nehmen, die politische Bildung anregen und vertiefen, die aktive Teilnahme der Bürger am politischen Leben fördern, zur Übernahme öffentlicher Verantwortung befähigte Bürger heranbilden, sich durch Aufstellung von Bewerbern an den Wahlen in Bund, Ländern und Gemeinden beteiligen, auf die politische Entwicklung in Parlament und Regierung Einfluß nehmen, die von ihnen erarbeiteten politischen Ziele in den Prozeß der staatlichen Willensbildung einführen und für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen sorgen.
(3) Die Parteien legen ihre Ziele in politischen Programmen nieder.
(4) Die Parteien verwenden ihre Mittel ausschließlich für die ihnen nach dem Grundgesetz und diesem Gesetz obliegenden Aufgaben.
Aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben wie auch der einfachgesetzlichen Regelung ergibt sich ein politisches und gesellschaftliches Mitwirkungs- und Teilhaberecht für Parteien. Hieraus kann gerade nicht abgeleitet werden, dass Parteien über den politischen Meinungsbildungsprozess und über in den Parlamenten stattfindende originäre legislative Entscheidungen – verbunden mit ggf. parlamentarischen Kontrollrechten – hinaus auch einklagbare Gestaltungsrechte für konkrete Handlungen der Landesregierung gegenüber der Bundesregierung, hier durch Erhebung einer Klage zum Bundesverfassungsgericht, haben.
bb) Der Kläger kann vorliegend – entgegen seinem Vorbringen – aber auch nicht eventuelle Rechtsverletzungen seiner Mitglieder bzw. aller Bürger im Freistaat Bayern geltend machen. Auch mit diesem Vorbringen kann der Kläger eine eigene Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO analog nicht begründen. Vereine, Verbände usw. sind grundsätzlich nur hinsichtlich der ihnen selbst zustehenden Rechte klagebefugt und nicht auch – wenn und soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist – hinsichtlich bestimmter Belange der Allgemeinheit oder etwa in Prozessstandschaft hinsichtlich eventueller Rechte ihrer Mitglieder (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2014, Vorbemerkung zu § 40 Rn. 26 und § 42 Rn. 171). Der Verwaltungsgerichtsordnung ist die Popularklage fremd. Das Prozessrecht dient dem Individualrechtsschutz. Deshalb ist nach § 42 Abs. 2 VwGO – vorbehaltlich anderslautender ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen – eine Klage nur zulässig, wenn ein Kläger selbst geltend macht, durch einen Verwaltungsakt in eigenen Rechten verletzt zu sein (VG Weimar, U.v. 10.3.2016 – 7 K 586/13 We – juris Rn. 36 m.w.N. zur Rspr.). Hiernach ist es dem Kläger verwehrt, die Klage etwa in Prozessstandschaft für seine Mitglieder im Hinblick auf gegebenfalls mögliche Rechtsverletzungen der Mitglieder zu führen. Umso mehr ist es dem Kläger verwehrt, die Klage in Prozessstandschaft für alle Bürger des Freistaates Bayern im Hinblick auf gegebenfalls mögliche Rechtsverletzungen dieser Bürger zu führen.
d) Da dem Kläger bereits die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO analog fehlt, kann vorliegend offenbleiben, ob es der Klage auch am Rechtschutzbedürfnis mangelt. Es kommt zudem nicht mehr auf die vom Kläger aufgeworfenen weiteren inhaltlichen Fragen an.
e) Eine vom Kläger beantragte „Uminterpretierung“ des Klagebegehrens in andere – dann zulässige – Anträge gem. § 88 VwGO ist nicht möglich. § 88 VwGO regelt folgendes: Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Das Gericht muss das wirkliche Rechtsschutzziel von Amts wegen ermitteln, darf aber nicht den Wesensgehalt der Auslegung überschreiten und an die Stelle dessen, was eine Partei erklärtermaßen will, das setzen, was sie – nach Meinung des Gerichts – zur Verwirklichung ihres Bestrebens wollen sollte (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 88 Rn. 8). Das Klagebegehren ist hier, den Beklagten dazu zu verpflichten, umgehend Verfassungsklage gegen den Bund zu erheben, damit die Bundesregierung ihre grundgesetzlichen Pflichten zur effektiven Grenzsicherung gemäß Rechtsgutachten von Prof. Dr. Di Fabio erfüllt. Dieses Klagebegehren ist auch nach seiner Begründung in der Klageschrift vom 9. Mai 2016 in seinem Rechtsschutzziel klar gefasst. Es ist für das Gericht keine Auslegung ersichtlich, die dem „wirklichen Rechtsschutzziel“ näher käme, ohne sich über das bewusste Antragsverhalten des anwaltlich vertretenen Klägers hinwegzusetzen.
3. Nach alledem war die Klage mit der sich aus §§ 84 Abs. 1 S. 3, 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen.
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus §§ 84 Abs. 1 Satz 3, 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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